Leitsatz (amtlich)
1. Verkauft ein Bauträger ein Grundstück mit einem im Bau befindlichen Mietwohnhaus und verpflichtet er sich zugleich (wenn auch in einem besonderen Vertrag) zur Fertigstellung des begonnenen Bauvorhabens, so ist Gegenstand der als sachlich einheitliches Vertragswerk zu bewertenden Verträge das Grundstück mit dem fertiggestellten Gebäude. Dies gilt auch dann, wenn das Grundstück vor der Fertigstellung des Bauwerkes übereignet wird.
2. Dem Erwerber steht in diesem Fall keine Grunderwerbsteuerfreiheit wegen des Erwerbs eines Grundstücks im Zustand der Bebauung zur Fertigstellung des Bauvorhabens zu.
Normenkette
GrEStG NW § 1 Abs. 1 Nr. 1 (= GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1); GrESWG NW 1958 § 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die X.KG (Verkäuferin) und der Kläger als Käufer schlossen am 16. Oktober 1967 (Verträge A und B) und am 21. Juni 1968 (Vertrag C) drei notariell beurkundete Verträge über den Verkauf von verschiedenen Grundstücken. Im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsabschlusses befanden sich die Grundstücke im Zustand der Bebauung.
Nach dem Wortlaut der Verträge wurden Grundstücke mit begonnenen Bauvorhaben verkauft und übertragen. Der Kläger verpflichtete sich, die im einzelnen aufgeführten Grundstücksbelastungen nebst den diesen zugrunde liegenden Forderungen mit allen Zinsen und Nebenleistungen vom Tage der Bezugsfertigkeit und Nachweis der Gebrauchsabnahme an (Vertrag C: vom 1. Juli 1968 ab) als eigene und persönliche Schuld zu bezahlen. Daneben wurden Barpreise von 70 000 DM (Vertrag A), 120 000 DM (Vertrag B) und 80 000 DM (Vertrag C) vereinbart. Weiter hieß es in den Verträgen, daß vom Kaufpreis (Vertrag C: vom Barpreis) diejenigen Beträge abzuziehen seien, die der Käufer als Bauherr noch zur Fertigstellung aufwenden müsse.
Gleichzeitig mit Abschluß der Kaufverträge wurden die Auflassungen erklärt und die Eintragungen des Eigentumswechsels im Grundbuch bewilligt und beantragt.
Durch privatschriftliche Bauverträge, die dem beklagten Finanzamt (FA) zunächst nicht bekannt wurden, vereinbarten der Kläger und die Verkäuferin, daß die Verkäuferin die Bauvorhaben in seinem Namen und für seine Rechnung fertigstellen sollte. Als Baupreis sollte die Differenz zwischen den in den Kaufverträgen als obere Grenze genannten Gesamtpreisen und den Preisen für die Grundstücke mit den noch nicht fertiggestellten Bauten gelten. Die Belastungen sollte die Verkäuferin bis zur Bezugsfertigkeit und Vorlage des Gebrauchsabnahmescheines tragen.
Der Kläger beantragte, die Erwerbsvorgänge gemäß § 1 Nr. 4 des inzwischen außer Kraft getretenen Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juni 1958 -- GrESWG -- (Gesetz- und Verordnungsblatt -- GVBI --, 282, BStBl II, 105) von der Grunderwerbsteuer freizustellen. Das FA stellte die Erwerbsvorgänge intern von der Grunderwerbsteuer frei und erteilte dem Notar Unbedenklichkeitsbescheinigungen.
Der Eigentumswechsel wurde im Grundbuch am 5. Dezember 1967 (Verträge A und B) bzw. am 30. August 1968 (Vertrag C) eingetragen. Die Stadt Z. bestätigte 1972, daß die Häuser am 1. Mai 1968 (Verträge A und B) bzw. am 25. Oktober 1968 (Vertrag C) bezugsfertig gewesen und als voll steuerbegünstigt anerkannt worden seien.
Während des Jahres 1972 kam die Grunderwerbsteuerstelle des FA aufgrund der erlangten Kenntnis von Vorgängen in den Einkommensteuerakten (Erklärungen des damaligen Bevollmächtigten, es seien keine weiteren Herstellungskosten angefallen) zu dem Ergebnis, daß der Kläger keine Grundstücke im Zustande der Bebauung erworben habe und daß deshalb Steuerfreiheit gemäß § 1 Nr. 4 GrESWG nicht in Betracht komme. Es erließ demgemäß drei vorläufige Steuerbescheide über 29 330 DM (Bescheid A), 33 810 DM (Bescheid B) und 77 616 DM (Bescheid C). Im Bescheid A berücksichtigte es als Gegenleistung neben dem Barpreis von 70 000 DM übernommene Verbindlichkeiten in Höhe von 349 000 DM (zusammen 419 000 DM), im Bescheid B neben dem Barpreis von 120 000 DM übernommene Verbindlichkeiten von 363 000 DM (zusammen 483 000 DM) und im Bescheid C neben dem Barpreis von 80 000 DM übernommene Verbindlichkeiten von 1 028 800 DM (zusammen 1 108 800 DM).
In den Einspruchsentscheidungen erhöhte das FA die Grunderwerbsteuer. Es rechnete den bisher angesetzten Gegenleistungen jeweils die Beträge der übernommenen Tilgungsstreckungsdarlehen von je 11 120 DM (Verträge A und B) bzw. 25 760 DM (Vertrag C) hinzu und erhöhte die Gegenleistung in der Einspruchsentscheidung C noch um eine zusätzliche Schuldübernahme in Höhe von 98 064,64 DM; außerdem verminderte es die Gegenleistung um eine Untervalutierung eines Darlehens in Höhe von 6 584,30 DM und eine nachträglich vereinbarte Preisminderung in Höhe von 80 000 DM.
Es ergaben sich demgemäß folgende Gegenleistungen:
Vertrag A 430 120 DM
Vertrag B 494 120 DM und
Vertrag C 1 146 040 DM
Mit seiner Klage hat der Kläger weiterhin die Freistellung der Erwerbe von der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Nr. 4 GrESWG beantragt.
Das Finanzgericht (FG) hat die verbundenen Klagen abgewiesen (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1981, 410).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die drei Vertragswerke (jeweils ein Kaufvertrag und ein Bauvertrag) sind entgegen der Auffassung des FG dahin zu würdigen, daß Gegenstand dieser Vertragswerke das jeweilige Grundstück mit bezugsfertigem Wohnhaus war. Entscheidend ist, daß die Verkäuferin sich jeweils verpflichtete, die auf den verkauften Grundstücken von ihr begonnenen Bauvorhaben fertigzustellen. Bei derartigen Verträgen ist regelmäßig davon auszugehen, daß das Grundstück mit den fertiggestellten Gebäuden zum Gegenstand der Kaufverträge gemacht worden ist (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. März 1980 II R 52/77, BFHE 130, 341, 343, BStBl II 1980, 472).
Diese Beurteilung des Senats entspricht der Auffassung des Bundesgerichtshofes (BGH), wonach es sich bei einem Grundstückskaufvertrag mit Fertigstellungsverpflichtung in aller Regel um einen einheitlichen Vertrag über den Erwerb des Gebäudes handelt (vgl. Entscheidungen vom 4. Dezember 1975 VII ZR 269/73, BGHZ 65, 359, 362; vom 5. Mai 1977 VII ZR 36/76, BGHZ 68, 372, 375; vom 5. April 1979 VII ZR 308/77, BGHZ 74, 204, 205). Der Erwerber wolle und solle den vom Veräußerer errichteten Neubau in einem Zuge erhalten und nicht aufgespalten in einen bereits fertiggestellten und einen erst noch fertigzustellenden Teil. Die Fertigstellungsverpflichtung sei grundsätzlich auch als Erstellungsverpflichtung anzusehen, die sich auf das ganze Bauwerk beziehe.
Aus allem folgt, daß die Fertigstellungsverpflichtung gleichrangig neben der Übereignungsverpflichtung steht. Beide Verpflichtungen ergänzen sich in Fällen der vorliegenden Art dahin, daß es ihr einheitliches Ziel ist, dem Erwerber Eigentum an dem Grundstück mit bezugsfertigem Gebäude zu verschaffen. Dabei macht es, wie der Senat entschieden hat, keinen Unterschied, ob zunächst die Fertigstellungsverpflichtung und danach die Übereignungsverpflichtung erfüllt wird oder umgekehrt (vgl. die Urteile vom 25. Juli 1979 II R 105/77, BFHE 128, 544, 550, BStBl II 1980, 11, und vom 23. Juni 1982 II R 155/80, BFHE 136, 427, BStBl II 1982, 741; Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., vor § 1 Tz. 18 fm). Auch wenn das Grundstück sofort übereignet wird, erhält der Käufer den Vertragsgegenstand erst mit der Fertigstellung des Bauwerkes. Die Übereignung des Grundstücks ist nur eine Teilmaßnahme zur Erfüllung des sachlich einheitlichen Vertrages. Erst im Fertigstellungszeitpunkt ist die Übergabe bzw. die Abnahme des geschuldeten vollständigen Bauwerkes möglich.
Aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes in der damals in Nordrhein-Westfalen geltenden Fassung (GrEStG) folgt entgegen der Auffassung des FG nichts anderes. Wenn dort von Rechtsgeschäften die Rede ist, die den Anspruch auf Übereignung begründen, so ist damit lediglich zum Ausdruck gebracht, daß Eigentumsverschaffungsverträge der Grunderwerbsteuer unterliegen. Die Vorschrift trifft aber keine Entscheidung dahin, daß die Frage nach dem Gegenstand des Eigentumsverschaffungsvertrages nach dem Bauzustand im Zeitpunkt des Eigentumsüberganges zu beurteilen ist. Es ist vielmehr nach dem Gesamtinhalt des Vertrages bzw. des sachlich einheitlichen Vertragswerkes zu beurteilen, was jeweils Vertragsgegenstand ist, worauf die vertraglichen Hauptverpflichtungen des Veräußerers gerichtet sind, von denen die Übereignungsverpflichtung nur eine Verpflichtung ist.
Würde man demgegenüber der Auffassung des FG folgen, so würden sich bei Kaufverträgen mit Fertigstellungsverpflichtungen und sofortiger Eigentumsübertragung ungereimte Ergebnisse insofern ergeben, als von unterschiedlichen Vertragsgegenständen auszugehen wäre, je nachdem, wann das einzelne Objekt verkauft und übereignet wird (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, a.a.O., vor § 1 Tz. 18 fp S. 409 unten).
Aus einem einheitlichen Kaufvertrag mit Fertigstellungsverpflichtung können nicht dadurch zwei sachlich voneinander unabhängige Verträge gemacht werden, daß die Fertigstellungsverpflichtung aus dem Kaufvertrag herausgenommen und in einen gleichzeitig geschlossenen Bauvertrag übernommen wird. Beide Verträge bilden auch weiterhin formell (vgl. § 139 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) und sachlich eine Einheit; denn sie sind weiterhin auf die Übertragung des Grundstückes mit bezugsfertigem Gebäude gerichtet. Die nur dem Wortlaut nach erfolgte Aufteilung ändert im vorliegenden Fall nichts daran, daß die Veräußerin das nach ihren Plänen begonnene Bauvorhaben zu Ende führen und das fertiggestellte Bauvorhaben sodann dem Kläger übergeben sollte. Der Kläger hat eindeutig ein Grundstück mit bezugsfertigem Gebäude erworben, auch wenn die Übereignungsverpflichtung vor der Fertigstellung des Bauvorhabens erfüllt worden ist.
Im vorliegenden Fall ist überdies darauf hinzuweisen, daß die Vertragspartner nicht einmal den einheitlichen Kaufpreis aufgespalten und den Preis für die noch ausstehenden Arbeiten bestimmt haben. Im übrigen blieb die Stellung der Veräußerin zum Bauvorhaben unverändert. Eine Änderung trat nur insofern ein, als nunmehr der Erwerber der Neubauten feststand.
2. Sind Gegenstand der Erwerbsvorgänge die Grundstücke mit fertiggestellten Bauvorhaben, so kommt eine Steuerbefreiung gemäß § 1 Nr. 4 GrESWG nicht in Betracht. Der Kläger hat keine Grundstücke im Zustand der Bebauung zur Fertigstellung erworben. Die Fertigstellung blieb vielmehr Verpflichtung der Veräußerin. Sie ist deshalb nicht dem Kläger zuzurechnen.
3. Das FG hat auch zu Recht angenommen, daß die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigungen keinen Vertrauenstatbestand geschaffen haben, der das FA gehindert hätte, zu einem späteren Zeitpunkt nach Kenntnis aller Umstände die Steuerfreiheit zu verneinen.
4. Die Erwerbsvorgänge sind danach mit der vollen Gegenleistung zur Grunderwerbsteuer heranzuziehen. Ob die Steuerbescheide in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen frei von Rechtsfehlern sind, vermag der Senat nach dem festgestellten Sachverhalt nicht abschließend zu prüfen. Das FG hat zu dieser Frage keine konkreten Feststellungen getroffen. Es hat sich vielmehr mit dem Hinweis begnügt, daß der Kläger die angesetzten Bemessungsgrundlagen nicht beanstandet habe und daß sich aus den Akten keine Bedenken gegen die Bemessungsgrundlagen ergäben. Dies reicht für die Prüfung durch das Revisionsgericht jedenfalls dann nicht aus, wenn der Ansatz der Gegenleistung -- wie im vorliegenden Fall -- nicht ohne weiteres einsichtig ist.
Dem angefochtenen Urteil läßt sich z. B. nicht entnehmen, warum die Differenz zwischen dem Nennwert der übernommenen Grundpfandrechte und der Darlehensvaluta beim Vertrag C von der Gegenleistung gekürzt worden ist, bei den Verträgen A und B aber nicht. Dasselbe gilt für die vereinbarten Preisminderungen. Andererseits hätte es einer Begründung dafür bedurft, warum die Tilgungsstreckungsdarlehen zur Gegenleistung für den Erwerb der Grundstücke und nicht zu den Vergütungen für die Nutzung der von den Geldgebern zur Verfügung gestellten Darlehensbeträge gehören. Im ersteren Sinne ist diese Frage jedenfalls nicht ohne weiteres zu beantworten (vgl. den Beschluß des Großen Senats vom 6. Dezember 1965 GrS 2/64 S, BFHE 84, 399, BStBl III 1966, 144).
Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zurück.
5. Auf die erhobenen Verfahrensrügen braucht der Senat nicht mehr einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 74690 |
BStBl II 1983, 606 |
BFHE 1983, 476 |