Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Zollversandgut der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.
2. Zur örtlichen Zuständigkeit der Zollstellen in Fällen, in denen Zollversandgut der zollamtlichen Überwachung entzogen worden ist.
Orientierungssatz
1. Die zollamtliche Überwachung ist ihrem Wesen nach eine fortdauernde Maßnahme zur umfassenden Kontrolle über das Zollgut (vgl. BFH-Urteil vom 30.6.1970 VII R 100/68). Zur Aufrechterhaltung der Kontrollmöglichkeit über das Zollversandgut ist grundsätzlich erforderlich, daß dieses nur in einer mit dem Zollgutversand vereinbaren Weise behandelt wird. Eine zollschuldbegründende Entziehung i.S. des § 57 ZG liegt zumindest dann vor, wenn der Zollbeteiligte das Zollversandgut im Anschluß an dessen Beförderung, ohne es zu gestellen, in seinen Betrieb aufgenommen und über mehrere Monate hinweg dort abgestellt hat, ohne daß ersichtlich ist, daß diese Behandlung noch in irgendeinem Zusammenhang mit der Beförderung oder der erneuten Gestellung des Zollversandguts gestanden hat. Im Streitfall war unerheblich, ob Zollversandgut schon allein dadurch der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, daß es nicht innerhalb der Gestellungsfrist erneut gestellt wird.
2. Die örtliche Zuständigkeit der Zollstellen in Fällen, in denen Zollgut der zollamtlichen Überwachung entzogen worden ist, ist in § 87 Abs. 3 AZO besonders geregelt. Diese Regelungen enthalten andere Bestimmungen i.S. des § 17 AO 1977 gegenüber § 23 AO 1977. § 87 Abs. 3 AZO ist dahin zu verstehen, daß er an den örtlich begrenzten Aufgabenbereich einer Zollstelle i.S. des FVG anknüpft. Danach ist Zollversandgut zu einer anderen Stelle i.S. des § 87 Abs. 3 S. 2 AZO gelangt, wenn die Verwaltungsmaßnahmen, die zu treffen sind, weil das Zollversandgut der zollamtlichen Überwachung entzogen worden ist, zum örtlich begrenzten Aufgabenbereich einer Zollstelle gehören, die das Zollgut nicht zum Zollgutversand abgefertigt hat und die auch nicht nach § 87 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AZO an die Stelle dieser Zollstelle tritt.
Normenkette
ZG §§ 41, 57; EWGV 222/77; AO 1977 §§ 17, 23; AZO § 87 Abs. 3 Sätze 2, 1 Nr. 2; FVG
Verfahrensgang
FG Münster (Entscheidung vom 19.03.1981; Aktenzeichen IV 2258/79 Z) |
Tatbestand
Die Spedition H beantragte auf Veranlassung des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) am 22.August 1978 beim Hauptzollamt (HZA) B mit Versandanmeldung T 1 die Abfertigung einer Partie gebrauchter Kfz zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren (gVV), die aus den USA eingeführt worden waren. Das HZA B entsprach dem Antrag und setzte als letzten Zeitpunkt für die erneute Gestellung des Versandguts den 5.September 1978 fest. Bestimmungszollstelle war der Beklagte und Revisionskläger (das HZA M). Der Kläger holte die Fahrzeuge noch am Tag der Abfertigung ab und brachte sie in seinen Betrieb, der im Bezirk des HZA M liegt, ohne die Fahrzeuge erneut zu gestellen. Nachdem das HZA M einen Antrag des Klägers vom 15.März 1979 auf Abfertigung der Fahrzeuge zum freien Verkehr mit der Begründung abgelehnt hatte, die Zollschuld sei bereits wegen Nichtgestellung der Fahrzeuge nach § 57 des Zollgesetzes (ZG) entstanden, setzte es mit dieser Begründung durch Steuerbescheid vom 16.März 1979 gegen den Kläger --neben Leuchtmittel- und Einfuhrumsatzsteuer-- Zoll in Höhe von 3 212 DM fest.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage führte zur Aufhebung der Zollfestsetzung (vgl. Urteil des Finanzgerichts --FG-- Münster vom 19.März 1981 IV 2258/79 Z, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1981, 537).
Das FG ließ gegen sein Urteil die Revision zu.
Das HZA M legte mit folgender Begründung Revision ein:
Das FG habe zu Unrecht das HZA M als örtlich unzuständig angesehen. Die Auffassung, die angefochtene Zollfestsetzung verstoße gegen Treu und Glauben, beruhe auf einer unrichtigen Auslegung der §§ 41, 57 ZG. Aus § 41 Abs.2 Satz 3 ZG sei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber von der Entstehung der Zollschuld als Folge einer nicht ordnungsgemäßen Gestellung ausgehe. Sei die Zollschuld mit Ablauf der Gestellungsfrist am 5.September 1978 entstanden, so sei die vom HZA M wiederholt erteilte Auskunft, die Zollschuld sei bereits entstanden und die erneute Gestellung daher zwecklos, richtig gewesen.
Das HZA M beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Die Feststellungen des FG rechtfertigen die Entscheidung, daß der angefochtene Steuerbescheid rechtmäßig ist.
1. Der Kläger ist nach § 57 Abs.2 Satz 1 ZG Zollschuldner geworden.
a) Aufgrund der Feststellungen des FG ist davon auszugehen, daß die streitbefangenen Kfz eingeführt, dadurch nach § 5 Abs.1 Satz 1 ZG Zollgut geworden und anschließend zum Zollgutversand abgefertigt worden sind. Aufgrund der Abfertigung zum Zollgutversand waren sie, wie den Feststellungen des FG weiter zu entnehmen ist, im gVV i.S. der Verordnung (EWG) Nr.222/77 (VO Nr.222/77) des Rates vom 13.Dezember 1976 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 38/1 vom 9.Februar 1977) zu befördern.
b) Die Feststellungen des FG zwingen zu der Schlußfolgerung, daß der Kläger die Kfz als Zollgut erstmals der zollamtlichen Überwachung entzogen hat.
Die zollamtliche Überwachung ist ihrem Wesen nach eine fortdauernde Maßnahme zur umfassenden Kontrolle über das Zollgut (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 30.Juni 1970 VII R 100/68, BFHE 99, 509). Zur Aufrechterhaltung der Kontrollmöglichkeit über Zollversandgut ist grundsätzlich erforderlich, daß dieses nur in einer mit dem Zollgutversand vereinbaren Weise behandelt wird. Nach den Vorschriften über das gVV ist der Zollgutversand dadurch besonders gekennzeichnet, daß Zollversandgut zwischen zwei Orten innerhalb der Gemeinschaft befördert und der Bestimmungszollstelle innerhalb der dazu bestimmten Frist gestellt werden soll (Art.1 Abs.1 Satz 1, Art.17 Abs.1 der Versandverordnung). Damit ist es nicht vereinbar, das Zollversandgut während der Beförderung, solange es nicht ordnungsgemäß gestellt ist, so zu behandeln, als sei es Freigut (vgl. Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, Stand: September 1984, B/41 Rz.87).
Unter welchen Voraussetzungen das zutrifft und zu einer zollschuldbegründenden Entziehung i.S. des § 57 ZG führt, braucht hier nicht allgemein entschieden zu werden. Eine Entziehung in diesem Sinne liegt im Streitfall zumindest deshalb vor, weil der Kläger die Kfz im Anschluß an deren Beförderung, ohne sie zu gestellen, in seinen Betrieb aufgenommen und über mehrere Monate hinweg dort abgestellt hat. Aufgrund der Feststellungen des FG ist nicht ersichtlich, daß diese Behandlung noch in irgendeinem Zusammenhang mit der Beförderung oder der erneuten Gestellung der Kfz gestanden hat. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Aufnahme und das Abstellen der Kfz im Betrieb des Klägers der Beförderung oder erneuten Gestellung in irgendeiner Weise dienlich gewesen ist. Steht die Behandlung des Zollversandguts aber in keinem Zusammenhang mit dessen Beförderung und erneuten Gestellung, so gerät es in der Regel außerhalb der Kontrolle im Rahmen der zollamtlichen Überwachung. Denn diese Überwachung ist grundsätzlich nur auf die Beförderung bis zur Gestellung ausgerichtet. Mag die Überwachung der Beförderung auch "locker" gestaltet sein (vgl. Friedl in Schwarz/Wockenfoth, Zollgesetz, Bd.1, Stand: November 1984, § 41 Anm. 81 ff.), so umfaßt sie doch nicht mehr solche Behandlungen des Zollversandguts, die völlig losgelöst von der Beförderung und erneuten Gestellung vorgenommen werden.
Für die Entscheidung über die Revision kommt es nicht darauf an, ob Zollversandgut schon allein dadurch der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, daß es nicht innerhalb der Gestellungsfrist erneut gestellt wird (vgl. dazu Schwarz/Wockenfoth, a.a.O., Anm.91; vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 16.Oktober 1962 VII 110/61 U, BFHE 76, 154, zur Versäumung der Wiedergestellungsfrist im Zollanweisungsverfahren nach dem ZG 1939). Denn die Behandlung der Kfz durch den Kläger entspricht nicht der bei einer bloßen Überschreitung der Gestellungsfrist gegebenen Lage, wie sie eintreten kann, wenn besondere Umstände dazu führen, daß die Gestellungsfrist nicht eingehalten werden kann. Im Streitfall sind aber keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Kläger daran gehindert war, die Kfz fristgerecht zu gestellen.
Eine andere Betrachtungsweise kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, der Kläger sei, wie das FG ausführt, bemüht gewesen, der Zollbelastung infolge der Einfuhr der Kfz auf "legitime" Weise zu entgehen. Auch wenn entsprechend den Ausführungen des FG davon ausgegangen wird, daß der Kläger bei Aufnahme der Kfz in seinen Betrieb noch die Absicht zur erneuten Gestellung hatte, so ändert das nichts daran, daß ein Zusammenhang zwischen der Behandlung der Kfz durch den Kläger und der Beförderung sowie einer beabsichtigten Gestellung der Kfz nicht mehr erkennbar ist.
Für die Entstehung der Zollschuld ist auch ohne Bedeutung, daß das HZA M geraume Zeit nach der Aufnahme der Kfz in den Betrieb des Klägers von deren Verbleib Kenntnis erlangt und der Kläger die Gestellung der Kfz angeboten hat. Zu diesem Zeitpunkt war, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, die Zollschuld nach § 57 Abs.1 ZG bereits entstanden.
c) Da die Behandlung der Kfz durch den Kläger dazu geführt hat, daß diese erstmals der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind, ist der Kläger nach § 57 Abs.2 Satz 1 ZG Zollschuldner geworden.
Dabei ist ohne Bedeutung, ob der Kläger zur Gestellung verpflichtet war. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. Urteil vom 3.Mai 1977 VII R 51/74, BFHE 122, 204), kann auch das Verhalten einer Person, die nicht gestellungspflichtig ist, dazu führen, daß die zollamtliche Überwachung unterbrochen wird und dadurch nach § 57 ZG eine Zollschuld entsteht mit der Folge, daß diese Person nach § 57 Abs.2 ZG Zollschuldner wird.
2. Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheids kann entgegen der Auffassung des FG auch nicht damit begründet werden, dem HZA M habe zum Erlaß dieses Bescheids die örtliche Zuständigkeit gefehlt.
Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß die örtliche Zuständigkeit der Zollstellen in Fällen, in denen Zollgut der zollamtlichen Überwachung entzogen worden ist, in § 87 Abs.3 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) besonders geregelt ist, daß diese Regelungen andere Bestimmungen i.S. des § 17 der Abgabenordnung (AO 1977) gegenüber § 23 AO 1977 enthalten und daß die in dieser Vorschrift enthaltenen Regelungen über die örtliche Zuständigkeit im Streitfall deshalb nicht anwendbar sind. Entgegen der Auffassung des FG ergibt sich die Zuständigkeit des HZA M jedoch aus § 87 Abs.3 Satz 2 AZO. Diese Vorschrift knüpft die örtliche Zuständigkeit --auch für die Zollanforderung nach § 57 Abs.4 Satz 3 ZG-- zwar an den Verbleib des Zollguts. Sie kann jedoch nicht dahin verstanden werden, daß die örtliche Zuständigkeit nach dieser Vorschrift die Möglichkeit einer unmittelbaren Verfügung durch die Zollstelle voraussetzt. Die Vorschrift ist vielmehr dahin zu verstehen, daß sie an den örtlich begrenzten Aufgabenbereich einer Zollstelle i.S. des Finanzverwaltungsgesetzes --FVG-- (§ 1 Nr.4, § 12 Abs.2) anknüpft. Danach ist Zollversandgut zu einer anderen Zollstelle i.S. des § 87 Abs.3 Satz 2 AZO gelangt, wenn die Verwaltungsmaßnahmen, die zu treffen sind, weil das Zollversandgut der zollamtlichen Überwachung entzogen worden ist, zum örtlich begrenzten Aufgabenbereich einer Zollstelle gehören, die das Zollgut nicht zum Zollgutversand abgefertigt hat und die auch nicht nach § 87 Abs.3 Satz 1 Nr.2 AZO an die Stelle dieser Zollstelle tritt. Der Zweck der Regelung in § 87 Abs.3 Satz 2 AZO besteht erkennbar darin, die Zuständigkeit der Zollstelle infolge ihres örtlich begrenzten Aufgabenbereichs unangetastet zu lassen, wenn die zu treffenden Verwaltungsmaßnahmen zu ihrem Aufgabenbereich gehören. Durch die Regelungen in § 87 Abs.3 Satz 1 AZO soll demgegenüber vornehmlich für die Fälle eine andere Zuständigkeit begründet werden, in denen der Verbleib des Zollversandguts, das der zollamtlichen Überwachung entzogen worden ist, nicht bekannt ist; in diesen Fällen soll grundsätzlich die Abgangszollstelle zuständig sein (vgl. Bail/Schädel/Hutter, a.a.O., Rz.90).
3. Der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids stehen schließlich nicht die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen.
Entgegen der Auffassung des FG sind die Grundsätze von Treu und Glauben nicht deshalb anzuwenden, weil der Kläger, wie das FG dargelegt hat, nach dem 19.Januar 1979 durch Verhaltensweisen des HZA M davon abgehalten worden sei, die Kfz erneut zu gestellen. Diese Verhaltensweisen können eine Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die Zollschuld zu dieser Zeit bereits entstanden war.
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, der Kläger habe vor der Einfuhr der Kfz eine unrichtige Auskunft über die Zollfreiheit erhalten. Die Feststellungen des FG führen zu der Schlußfolgerung, daß diese Auskunft für die Entstehung der Zollschuld im Streitfall nicht maßgebend gewesen ist. Die unrichtige Auskunft über die Zollfreiheit konnte den Kläger nicht veranlassen, die Kfz der zollamtlichen Überwachung zu entziehen. Sie hätte, wie auch das FG dargelegt hat, dem Kläger allenfalls Anlaß dazu geben können, durch eine vorschriftsmäßige Behandlung der Kfz sicherzustellen, daß diese entweder zum freien Verkehr oder zur Ausfuhr abgefertigt wurden.
Fundstellen
Haufe-Index 60880 |
BFHE 144, 311 |
BFHE 1986, 311 |
DStR 1985, 779-779 (ST) |
HFR 1986, 82-82 (ST) |