Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Zur Tatbestandswirkung der Entscheidung einer ausländischen Behörde bei Auslegung von Gemeinschaftsrecht; sachlicher und persönlicher Geltungsbereich der EWGV 1408/71
Leitsatz (NV)
1. Die Entscheidung einer Niederländischen Behörde, kein Kindergeld nach niederländischem Recht zu gewähren, weil nach dem überstaatlichen Gemeinschaftsrecht die deutschen Kindergeldregeln den niederländischen vorgehen, entfaltet für die deutschen Behörden und Gerichte keine sog. Tatbestandswirkung, weil diese an die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch eine ausländische Behörde nicht gebunden sind.
2. Das nach den Vorschriften des EStG als Steuervergütung gezahlte deutsche Kindergeld fällt in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern; es ist eine Familienleistung i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung.
3. Ein niederländischer Staatsangehöriger, der in den Niederlanden wohnt und in Deutschland als Zahnarzt selbständig tätig und in dem Versorgungswerk einer Zahnärztekammer pflichtversichert ist, wird nicht von dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 erfasst, weil diese auf Selbständige nur anwendbar ist, wenn sie in einer alle Erwerbstätigen umfassenden Altersversicherung und nicht in einem Sondersystem, das nur in einem Teil des Gebiets des Mitgliedstaats gilt, versicherungs- oder beitragspflichtig sind.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 3, §§ 31, 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EWGV 1408/71 Art. 1 Buchst. a Ziff. ii, Buchst. a Ziff. iii, Buchst. j, u Ziff. i, Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 12 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, 2 Buchst. b, Art. 73; EWGV 1408/71 Anhang I Teil I Buchst. C Unterabs. b; EWGV 1408/71 Anhang II Teil I Buchst. c; EGV 118/97; EWGV 574/72 Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. I
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist niederländischer Staatsangehöriger. Er wohnte zusammen mit seiner Ehefrau und seinen drei Kindern in den Niederlanden. Die Ehefrau war nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) nicht berufstätig. Der Kläger war in Deutschland als Zahnarzt selbständig tätig. Er war hier nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln.
Der Kläger hatte zunächst Kindergeld in voller Höhe erhalten. Nachdem er auf Anforderung des Beklagten und Revisionsklägers (Beklagter) eine Bescheinigung des Versorgungswerks der Zahnärztekammer X eingereicht hatte, wonach er gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) in Verbindung mit der Satzung des Versorgungswerks wegen Alters versicherungspflichtig ist, gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Oktober 1998 das Kindergeld nur noch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Betrages. Er begründete dies damit, dass der Kläger als Selbständiger nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sei und seine Ehefrau in den Niederlanden Anspruch auf Familienleistungen habe. Deshalb sei Art. 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (Verordnung Nr. 1408/71) des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― 1971 Nr. L 149/2) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 118/97 (Verordnung Nr. 118/97) des Rates vom 2. Dezember 1996, ABlEG 1997 Nr. L 28/1) i.V.m. Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 (Verordnung Nr. 574/72) des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihre Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABlEG 1972 Nr. L 74/1), in der Fassung der Verordnung Nr. 118/97 (ABlEG 1997 Nr. L 28/102), nicht anzuwenden. Der Kläger habe daher gemäß § 65 EStG keinen Anspruch auf Kindergeld; nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 stehe ihm jedoch Kindergeld in Höhe der Hälfte des jeweiligen Kindergeldsatzes zu.
Der Kläger machte zur Begründung seines Einspruchs geltend, die zuständige niederländische Behörde habe mit Bescheid vom 19. Januar 1999 die Zahlung von Kindergeld abgelehnt. Sie habe darauf verwiesen, dass der Ehefrau grundsätzlich ein Anspruch auf Kindergeld zustehe, jedoch nach Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 die Kindergeldregelung des Beschäftigungsstaates derjenigen des Wohnsitzstaates vorgehe.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem Begehren, dem Kläger ab Dezember 1998 Kindergeld in der vollen gesetzlichen Höhe zu gewähren, statt. Es entschied, der Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG sei nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG entfallen. Aufgrund der Tatbestandswirkung der ablehnenden Entscheidung der niederländischen Behörde vom 19. Januar 1999 sei davon auszugehen, dass der Ehefrau in den Niederlanden kein Anspruch auf Kindergeld zugestanden habe.
Ein Anspruch des Klägers ergebe sich aber auch aus Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72. Der Kläger unterliege dem Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71. Er sei Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a Ziff. ii Gedankenstrich 2, 2. Alternative dieser Verordnung. Denn auf ihn treffe die in Anhang I Teil I Buchst. C Unterabs. b Gedankenstrich 1 enthaltene Definition zu. Danach gelte als Selbständiger, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübe und in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig sei. Der Kläger erfülle diese Voraussetzung, da er gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI in Verbindung mit der Satzung des Versorgungswerks der Zahnärztekammer X für den Fall des Alters pflichtversichert sei.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Anhang II zur Verordnung Nr. 1408/71. Nach Anhang II Teil I Buchst. C gehörten zu den Sondersystemen für Selbständige, die nach Art. 1 Buchst. j vierter Unterabs. der Verordnung Nr. 1408/71 nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fielen, für Deutschland u.a. auch die für Zahnärzte aufgrund von Landesrecht errichteten Versicherungs- und Versorgungswerke. Der Anhang II regele aber nur den sachlichen Geltungsbereich, während Anhang I den persönlichen Anwendungsbereich definiere. Die Bedeutung des Art. 1 Buchst. j vierter Unterabs. der Verordnung Nr. 1408/71 liege darin, diejenigen Vorschriften aus dem weiten Begriff der Rechtsvorschriften und damit dem sachlichen Anwendungsbereich herauszunehmen, welche die ausdrücklich im Anhang II der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Sondersysteme sozialer Sicherung für Selbständige regelten. Nur die in diesen Sondersystemen geregelten sozialen Risiken hätten aus dem Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 herausgenommen werden sollen. Die Auffassung des Beklagten, Anhang II nehme die Selbständigen, die in den dort genannten Versicherungs- und Versorgungswerken versichert seien, von der Geltung der Verordnung Nr. 1408/71 in vollem Umfang und damit auch für alle übrigen sozialen Leistungen und mithin auch für das Kindergeld als Familienleistung aus, finde weder im Wortlaut noch in der Systematik der Verordnung Nr. 1408/71 eine Stütze. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1139 veröffentlicht.
Der Beklagte rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts und hält an der Auffassung fest, dass dem Kläger nicht das volle gesetzliche Kindergeld zustehe. Ergänzend trägt er vor, die Problematik des Streitfalles sei im März 1999 Gegenstand einer Besprechung der deutsch-niederländischen Verbindungsstelle gewesen. Nach einer Prüfung der Frage habe sich die niederländische Seite in einem Schreiben vom 20. September 1999 der deutschen Auffassung angeschlossen.
Der Beklagte beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor, aus dem in deutscher Übersetzung beigefügten Schreiben der niederländischen Behörde A vom 3. Oktober 2000 ergebe sich, dass die niederländische Seite sich nicht der Rechtsauffassung des Beklagten angeschlossen und keine Zahlung des halben Kindergeldes zugesagt habe. Entgegen den bisherigen Feststellungen sei seine Ehefrau in Deutschland im Rahmen einer sog. geringfügigen Beschäftigung tätig gewesen. Unter Berücksichtigung dieses, auch der niederländischen Seite bis zum 2. Oktober 2000 nicht bekannten Umstandes bestehe kein Anspruch auf niederländisches Kindergeld.
Darauf erwidert der Beklagte, der Kläger habe im Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld vom 20. August 1998, eingegangen am 15. September 1998, erklärt, dass seine Ehefrau nicht erwerbstätig sei. Das neue Vorbringen des Klägers, dessen Wahrheitsgehalt nicht feststehe, könne im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen, die für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend sind, zu Unrecht entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf das volle Kindergeld zusteht. Ein solcher Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus den Vorschriften des EStG und auch nicht aus dem Gemeinschaftsrecht.
1. Der Kläger hat nach den isoliert betrachteten Vorschriften des EStG keinen Anspruch auf Kindergeld. Zwar ist der Tatbestand der §§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfüllt, weil der Kläger nach § 1 Abs. 3 EStG in der Bundesrepublik Deutschland als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde. Aber die Zahlung von Kindergeld ist nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen, die dem Kindergeld vergleichbar sind, im Ausland gewährt werden oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären. Im Streitfall bestand auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellung des FG, dass die Ehefrau des Klägers nicht berufstätig war, grundsätzlich ein Anspruch der in den Niederlanden wohnhaften Ehefrau auf Kindergeld nach niederländischem Recht.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben der niederländischen Behörde B vom 19. Januar 1999, in dem die Zahlung von Kindergeld an die Ehefrau abgelehnt wurde. Denn in diesem Schreiben hat der niederländische Leistungsträger anerkannt, dass der Ehefrau des Klägers grundsätzlich ein Anspruch auf Kindergeld zusteht; er hat seine Leistungspflicht lediglich mit der Begründung abgelehnt, dass nach Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71, also nach Gemeinschaftsrecht, die Kindergeldregelung des Beschäftigungsstaates (Bundesrepublik Deutschland) derjenigen des Wohnsitzstaates (Niederlande) vorgeht. Diese ablehnende Entscheidung entfaltet keine Tatbestandswirkung für das vorliegenden Verfahren, weil die inländischen Behörden oder Gerichte an die Auslegung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts durch eine ausländische Behörde nicht gebunden sind (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts ―BSG― vom 27. Juni 1990 5 RJ 79/89, SozR 3-6050 Art. 45 Nr. 2 EWGV 1408/71). Die Auffassung, dass nach dem Gemeinschaftsrecht, das als überstaatliches Recht das nationale Recht verdrängt, die deutsche Kindergeldregelung der niederländischen vorgehe, ist aber unzutreffend, weil Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 auf den Kläger nicht anwendbar ist (vgl. dazu unten unter II. 2. b der Entscheidungsgründe).
a) Zu einem anderen Ergebnis kann im Revisionsverfahren auch nicht mehr führen, dass der Kläger hier erstmals vorgetragen hat, seine Ehefrau sei in der fraglichen Zeit in Deutschland berufstätig gewesen. Zwar geht aufgrund dieses Vorbringens nunmehr die niederländische Behörde A in seinem Schreiben vom 3. Oktober 2000 anders als noch die niederländische Behörde B in ihrem Schreiben vom 19. Januar 1999 in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass die Ehefrau in Deutschland berufstätig gewesen sei und deshalb keinen Anspruch auf Kindergeld nach niederländischem Recht gehabt habe. Dieses neue tatsächliche Vorbringen des Klägers, dessen Wahrheitsgehalt der Beklagte in Frage stellt, kann der Senat im Revisionsverfahren aber nicht berücksichtigen. Denn das FG hat im Tatbestand seines Urteils festgestellt, dass die Ehefrau nicht berufstätig war. An die tatsächlichen Feststellungen des FG ist das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, es sei denn, es wären dagegen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht oder Gegenrügen des Revisionsbeklagten (vgl. dazu näher Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 120 Rz. 75 und § 118 Rz. 66) erhoben worden. Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die tatsächliche Feststellung des FG, die Ehefrau des Klägers sei nicht berufstätig gewesen, verfahrensfehlerhaft und deswegen nicht bindend sei. Er hat keine Gründe dafür angeführt, dass sich dem FG insoweit von Amts wegen eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Wenn die Ehefrau aber nicht in Deutschland berufstätig war, stand ihr in den Niederlanden grundsätzlich ein Anspruch auf Kindergeld zu.
b) Der Beklagte hat dem Kläger jedoch unter Berücksichtigung des europäischen Gemeinschaftsrechts Kindergeld in Höhe der Hälfte des jeweiligen gesetzlichen Kindergeldsatzes (vgl. § 66 EStG) bewilligt. Er hat dies damit begründet, dass das niederländische Recht eine dem § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vergleichbare Regelung enthalte, so dass Kindergeld weder nach deutschem noch nach niederländischem Recht gezahlt würde. Da dieses Ergebnis nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, sei in analoger Anwendung des Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 und des Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 574/72 Kindergeld in halber Höhe festgesetzt worden.
Danach ist Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens allein, ob dem Kläger aufgrund des Gemeinschaftsrechts ein Anspruch auf Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe zusteht. Diese Frage hat das FG zu Unrecht bejaht.
2. Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld in voller Höhe könnte sich nur aus Art. 13 Abs. 1 und 2 Buchst. b, Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72 ergeben. Das FG hat zu Recht entschieden, und es ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig, dass das deutsche Kindergeld in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt (vgl. dazu unter nachfolgend a). Der Kläger wird aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht vom persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung erfasst. Denn diese ist auf Selbständige nur anwendbar, wenn sie in einer alle Erwerbstätigen umfassenden Altersversicherung und nicht ―wie der Kläger― in einem Sondersystem, das nur in einem Teil des Gebiets des Mitgliedsstaats gilt, versicherungs- oder beitragspflichtig sind (vgl. dazu unter nachfolgend b). Dem Kläger steht deshalb kein Anspruch auf das Kindergeld in voller Höhe zu.
a) Das deutsche Kindergeld fällt in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71. Es ist eine "Familienleistung" gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h in Verbindung mit Art. 1 Buchst. u Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71. Nach der Definition in Art. 1 Buchst. u Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 sind "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. h genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburts- oder Adoptionsbeihilfen. Nach Art. 5 der Verordnung Nr. 1408/71 geben die Mitgliedstaaten in Erklärungen die Rechtsvorschriften und Systeme an, die unter Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung fallen. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in der jeweils geltenden Fassung zu Familienleistungen i.S. des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 erklärt (vgl. die Mitteilung in ABlEG 1980 Nr. C 139/6 und ABlEG 1983 Nr. C 351/1). Dementsprechend ist unstreitig, und auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das BSG gehen als selbstverständlich davon aus, dass das Kindergeld nach dem BKGG eine "Familienleistung" im dargestellten Sinne ist und in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 5. März 1998 in der Rs. C-194/96, EuGHE 1998, I-895; BSG-Urteil vom 15. Dezember 1992 10 Rkg 18/91, SozR 3-6050 Art. 13 Nr. 3 EWGV 1408/71).
Auch das seit dem 1. Januar 1996 nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlte Kindergeld ist eine Familienleistung i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71. Es dient, soweit es nicht die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes bewirkt, der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG).
Die Unterscheidung zwischen Leistungen, die vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 ausgeschlossen sind, und solchen, die darunter fallen, hängt nach der Rechtsprechung des EuGH allein von den Merkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrer Zielsetzung und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, nicht dagegen davon, ob eine Leistung von den nationalen Rechtsvorschriften als eine Leistung der sozialen Sicherheit eingestuft wird und der Mitgliedstaat insoweit eine Erklärung i.S. des Art. 5 der Verordnung Nr. 1408/71 abgegeben hat; eine Leistung fällt unter die Verordnung Nr. 1408/71, wenn sie dem Empfänger unabhängig von jeder auf Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt wird und sich auf eines der in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht (vgl. EuGH-Urteile vom 10. Oktober 1996 in den Rs. C-245/94 und C-312/94, EuGHE 1996, I-4895, Randnr. 17 und 18, m.w.N.; vom 12. Mai 1998 Rs. C-85/96, EuGHE 1998, I-2691, Randnr. 28). Diese Voraussetzungen treffen für das Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG ebenso zu wie für das Kindergeld nach dem BKGG. Denn auch das nach dem EStG gezahlte Kindergeld, auf das bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unabhängig von einer individuellen Bedürftigkeit des Kindergeldberechtigten ein Rechtsanspruch besteht, dient weiterhin dem Zweck, Familien wegen der Aufwendungen für ihre Kinder zu entlasten (vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137).
b) Aber der Kläger hätte gemäß Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b und Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 nur dann einen uneingeschränkten Anspruch auf Kindergeld nach den deutschen Rechtsvorschriften und der Anspruch seiner Ehefrau auf das Kindergeld nach niederländischem Recht würde nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72 nur dann hinter den des Klägers zurücktreten, wenn er "Selbständiger" im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 wäre. Dies trifft jedoch nicht zu.
aa) Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 wird in ihrem Art. 2 Abs. 1 dahin umschrieben, dass sie für "Arbeitnehmer" und "Selbständige" gilt, für welche die "Rechtsvorschriften" eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind. Nach Art. 1 Buchst. j Unterabs. 4 der Verordnung Nr. 1408/71 umfasst der Begriff "Rechtsvorschriften" nicht die Bestimmungen für Sondersysteme für Selbständige, deren Schaffung der Initiative den Betreffenden überlassen ist oder deren Geltung auf einen Teil des Gebiets des betreffenden Mitgliedsstaats beschränkt ist. Wegen der betreffenden Sondersysteme, die nicht in den Regelungsbereich der Verordnung fallen, wird auf den Anhang II verwiesen. Der Grund für diese Einschränkung wird darin gesehen, dass eine Einbeziehung der Sondersysteme so lange nicht möglich sei, wie eine innerstaatliche Koordinierung noch ausstehe (vgl. Baumeister in Internationales Sozialversicherungsrecht, Kommentar, EWG Verordnung Nr. 1408/71, Art. 1 Anm. 16, vorletzter Absatz). Nach Anhang II Teil I Buchst. C der Verordnung Nr. 1408/71 werden für Deutschland u.a. auch die für Zahnärzte "aufgrund von Landesrecht errichteten Versicherungs- und Versorgungswerke sowie andere Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen, insbesondere Fürsorgeeinrichtungen und die erweiterte Honorarverteilung" ausgenommen.
Dadurch, dass Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71, der den persönlichen Geltungsbereich umschreibt, die Geltung der in Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 1408/71 definierten "Rechtsvorschriften" verlangt, wird der persönliche Geltungsbereich der Verordnung mit ihrem sachlichen Anwendungsbereich verklammert. Diese Verklammerung des persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs hat zur Folge, dass Selbständige, die in einem Sondersystem pflichtversichert sind, dessen Geltung auf einen Teil des Gebiets des betreffenden Mitgliedsstaats beschränkt ist, insgesamt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Dies entspricht auch der allgemeinen Meinung in der Literatur (vgl. Frank/Schulte/Steinmeyer, Internationales und Europäisches Sozialrecht, Sonderdruck aus der 2. Aufl. des Sozialrechtshandbuchs, S. 39; Berlebach, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, I. Kommentierung Europarecht, VO Nr. 1408/71 Art. 73 Rn. 15; Schulte in Lenz, EG-Handbuch, Recht im Binnenmarkt, 2. Aufl., S. 434; Stahlberg, Europäisches Sozialrecht, 1997, S. 197 Rn. 313 und 314; vgl. auch die Dienstanweisung zur Durchführung des Kindergeldes nach über- und zwischenstaatlichen Rechtsvorschriften ―DAüzV―, DA 203.25 Selbständige, Rz. 108 ff.).
Dementsprechend gehört der Kläger, der als selbständig tätiger Zahnarzt unstreitig in einem Versicherungswerk pflichtversichert ist, das auf Landesrecht beruht und dessen Geltung auf einen Teil des Bundesgebiets beschränkt ist, nicht zu den von dem Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 erfassten Personen.
bb) Dieses dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 entsprechende Verständnis wird auch durch die Rechtsprechung des EuGH zu dem Begriff des "Selbständigen" in Bezug auf Familienleistungen nicht in Frage gestellt. Danach erfasst Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 für Zwecke der Gewährung von Familienleistungen nach den deutschen Rechtsvorschriften nur solche Selbständigen, die der Definition gemäß Art. 1 Buchst. a Ziff. ii in Verbindung mit Anhang I Teil I Buchst. C Unterabs. b der Verordnung Nr. 1408/71 entsprechen (EuGH-Urteil vom 30. Januar 1997 Rs. C-4/95 und C-5/95, EuGHE 1997, I-511). Das bedeutet, dass der in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 verwendete Begriff "Selbständiger" durch die Definition in Anhang I Teil I Buchst. C Unterabs. b der Verordnung verdrängt wird, wenn ein deutscher Träger für die Gewährung von Familienleistungen im Sinne von Teil III Kap. 7 zuständig ist (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 1998, I-895, Randnr. 35 und 36).
Nach Anhang I Teil I Buchst. C Unterabs. b erster Gedankenstrich der Verordnung gilt als Selbständiger i.S. von Art. 1 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung Nr. 1408/71, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt und in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig ist. Zwar würde bei einer isolierten Betrachtung dieses Wortlautes die Pflichtversicherung des Klägers erfasst, weil er in einer Versicherung von selbständig Erwerbstätigen pflichtversichert ist. Der Beklagte verweist aber zu Recht darauf, dass diese Bestimmung nicht isoliert betrachtet werden darf. Sie muss vielmehr vor dem Hintergrund gesehen werden, dass selbstverständliche Grundlage bei der Formulierung des Anhangs I die Definition des Begriffs der "Rechtsvorschriften" war und danach Sondersysteme für Selbständige von nur regionaler Bedeutung nicht erfasst werden. Dass nur solche Personen "Arbeitnehmer" oder "Selbständige" i.S. der Verordnung Nr. 1408/71 sein sollen, die in einem für den gesamten Mitgliedstaat geltenden System versichert sind, wird auch durch die Definition dieser Begriffe in Art. 1 Buchst. a Ziff. iii der Verordnung verdeutlicht. Denn danach ist Arbeitnehmer oder Selbständiger jede Person, die gegen mehrere Risiken, die von den unter diese Verordnung fallenden Zweigen erfasst werden, im Rahmen eines für die gesamte Landbevölkerung nach den Kriterien des Anhangs I geschaffenen einheitlichen Systems der sozialen Sicherheit pflichtversichert ist. Es liegen keine sachlich einleuchtenden Gründe dafür vor, bei der Landbevölkerung ein die gesamte Bevölkerung umfassendes soziales System zu verlangen und dies bei den übrigen Erwerbstätigen nicht zu tun. Vielmehr lässt sich ein Widerspruch zu der Definition des Begriffs der Rechtsvorschriften in Art. 1 Buchst. j Ziff. ii vierter Unterabs. der Verordnung Nr. 1408/71, wonach Sondersysteme, die nur in einem Teilgebiet des Mitgliedsstaats gelten, nicht erfasst werden, nur vermeiden, wenn die Versicherung in einem für das gesamte Gebiet des Mitgliedstaats geltenden System besteht.
cc) Es ist auch der Sache nach nicht unangemessen, dass der Anspruch auf Kindergeld nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates bei einem Selbständigen, der im Inland erwerbstätig ist, ohne hier zu wohnen, nur dann in vollem Umfang zurücktritt, wenn er in einer alle Erwerbstätigen umfassenden Altersversicherung versicherungs- oder beitragspflichtig ist. Das Kindergeld ist eine Leistung der sozialen Sicherheit, die nach nationalem deutschen Recht keine Versicherungspflicht voraussetzt. Wie der EuGH ausgeführt hat, hatte der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Einbeziehung der Selbständigen in den Geltungsbereich des Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 die Freiheit zu bestimmen, welchem Personenkreis er die Vergünstigung aus diesen Bestimmungen zugute kommen lassen wollte; nichts hindere die Mitgliedstaaten daran, die Gewährung von Familienleistungen auf Personen zu beschränken, die einer durch ein Altersrentensystem gebildeten Solidargemeinschaft angehörten (vgl. Urteil in EuGHE 1997, I-511, Randnr. 31 und 36). Wenn der EuGH in diesem Zusammenhang darauf verweist (vgl. Randnr. 35 des Urteils), dass das deutsche Recht Selbständigen die Aufnahme in ein solches System innerhalb einer bestimmten Frist nach Beginn der selbständigen Tätigkeit ermöglicht, dann stellt er damit nicht nur darauf ab, dass es jedem Selbständigen durch eigenes Verhalten möglich ist, die Geltungsvoraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 herbeizuführen; vielmehr lässt der in dieser Aussage liegende Hinweis auf § 4 Abs. 2 SGB VI, der die Möglichkeit des Beitritts zur gesetzlichen Rentenversicherung regelt, erkennen, dass der EuGH davon ausgeht, auch für Zwecke der Familienleistungen müsse die Versicherung in der bundeseinheitlichen gesetzlichen Rentenversicherung bestehen. Auch der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-4/95 und C-5/95 (EuGHE 1997, I-511 Tz. 33) festgestellt und nicht beanstandet, dass Arbeitnehmern und Selbständigen das Recht auf Export der deutschen Familienleistungen nur dann gewährt wird, wenn der Berufstätige der Solidargemeinschaft des deutschen Sozialversicherungssystems angehört (hat).
Fundstellen
Haufe-Index 848349 |
BFH/NV 2002, 1581 |
BFH/NV 2002, 1660 |
BStBl II 2002, 869 |
BFHE 2003, 204 |
BB 2002, 2371 |
DB 2002, 2466 |
DStRE 2002, 1512 |
HFR 2003, 41 |
HFR 2003, 42 |