Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die öffentliche Zustellung im finanzgerichtlichen Verfahren muß von der Kammer des Finanzgerichts angeordnet werden. Die Anordnung des Vorsitzenden der Kammer genügt nicht.
Normenkette
VwZG § 15 Abs. 5, § 15/6
Tatbestand
Streitig ist, ob der Bg. und der Architekt N. zusammen ein Baugeschäft als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betrieben haben. Das Finanzgericht nahm an, daß ein Gesellschaftsverhältnis nicht bestanden habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, mit der unrichtige Rechtsanwendung und ein Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten gerügt werden, führt, wenn auch aus anderen Gründen, zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Im Laufe des Berufungsverfahrens wurde N. Anfang Juni 1960 als Beteiligter gemäß § 239 Abs. 3 AO zugezogen. Er wohnte ehemals in ... X-Straße 116. Im September 1958 hatte ihn der Hauseigentümer als von dort nach Kanada verzogen abgemeldet. In dem Hause X- Straße 116 wohnte zwar noch ein Sohn des N., doch gab dieser auf Zuschriften des Finanzgerichts keine Antwort. Darauf ordnete der Kammervorsitzende die öffentliche Zustellung des Beschlusses über die Zuziehung des N. an. Auch die Bekanntgabe des Urteils an N. geschah auf Anordnung des Kammervorsitzenden in dieser Form.
Das Finanzgericht hat zutreffend den N., weil er an der angeblichen Gesellschaft beteiligt sein sollte, zum Rechtsmittelverfahren zugezogen. Wird eine Person, die nach dem Gesetz am Verfahren beteiligt ist, nicht zugezogen, so liegt darin ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom Bundesfinanzhof von Amts wegen zu berücksichtigen ist und zur Aufhebung der Vorentscheidung führen muß (vgl. z. B. die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 25/55 U vom 28. Juni 1955, Bundessteuerblatt 1955 III S. 237, Slg. Bd. 61 S. 101; III 278/61 vom 8. Februar 1963, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963 S. 411; III 346/60 vom 30. Mai 1963, HFR 1964 S. 19; IV 429-430/61 vom 5. Dezember 1963, HFR 1964 S. 170).
Bei der Bedeutung, die die Beiziehung für die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens hat, muß der Bundesfinanzhof auch von Amts wegen prüfen, ob die Ladung des Zugezogenen unter Beachtung der gesetzlichen Formvorschriften ordnungsmäßig geschehen ist. Nach § 15 Abs. 5 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) ist im gerichtlichen Verfahren die öffentliche Zustellung vom "Gericht" anzuordnen, d. h. von der zuständigen Kammer oder vom zuständigen Senat, nicht nur vom Vorsitzenden des Gerichts. Anders ist die Rechtslage bei § 14 Abs. 3 VwZG, wonach bei Zustellung im Ausland das Ersuchen um Zustellung vom Gerichtsvorsitzenden gestellt wird. Daß die Fälle der öffentlichen Zustellung und der Zustellung im Ausland vom Gesetz verschieden behandelt werden, hat seine guten Gründe. Die öffentliche Zustellung bietet von allen Möglichkeiten der Bekanntgabe die geringste Wahrscheinlichkeit eines Erfolges. In vielen Fällen hat sie tatsächlich nur die Bedeutung einer fiktiven Bekanntgabe, hat aber trotzdem rechtlich die Wirkung einer ordnungsmäßigen Zustellung, daß nämlich der Inhalt des öffentlich zugestellten Schriftstückes dem Adressaten als bekannt gilt. Andererseits ist sie das letzte Mittel der Bekanntgabe und deshalb erst zulässig, wenn alle anderen Möglichkeiten, das Schriftstück dem Empfänger zu übermitteln, erschöpft sind. Dabei ist zu beachten, daß der Aufenthalt des Empfängers im Sinne des § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG nicht schon deshalb unbekannt ist, weil nur das Gericht die Anschrift nicht kennt; die Anschrift muß vielmehr allgemein unbekannt sein (siehe v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung; Tipke-Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, beide zu § 15 VwZG). Ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung gegeben sind, ist in jedem einzelnen Fall mit Sorgfalt zu prüfen. Um im Interesse des Adressaten eine möglichst große Gewähr für diese Sorgfalt zu schaffen, hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 5 VwZG angeordnet, daß die öffentliche Zustellung vom "Gericht" angeordnet wird. Bei einem Kollegialgericht ist der Beschluß von der Kammer (Senat) in der jeweiligen Zusammensetzung zu fassen. Es ist nicht erforderlich, daß die Kammer (Senat) den Beschluß in der gleichen Besetzung faßt wie bei dem Urteil.
Im Streitfall leidet die Beiziehung des N. und damit das Berufungsverfahren an dem wesentlichen Mangel, daß N. nicht ordnungsmäßig zugezogen war, weil die öffentliche Zustellung nicht von der Kammer des Finanzgerichts, sondern von deren Vorsitzenden angeordnet war. Deshalb muß die angefochtene Entscheidung nach §§ 296 Abs. 1, 288 Ziff. 2 AO aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen werden, damit es den N, in der gesetzlich vorgeschriebenen Form beizieht.
Fundstellen
Haufe-Index 411442 |
BStBl III 1965, 76 |
BFHE 1965, 215 |
BFHE 81, 215 |