Leitsatz (amtlich)
1. Auch für Sattelanhänger müssen, wenn ihr Halten nach § 1 Abs.1 Nr.2 der (Berliner) Verordnung vom 8.Februar 1978 kraftfahrzeugsteuerfrei sein soll, die in der Befreiungsvorschrift vorgesehenen Voraussetzungen (hier: "Verbleiben" in einem Berliner Betrieb/einer Berliner Betriebsstätte) erfüllt sein.
2. Zu diesen Voraussetzungen (Nr.1) gehört, daß die Anhänger im Entrichtungszeitraum überwiegend in Berlin verwendet, dort ruhen oder im Berlin-Verkehr eingesetzt sein müssen. Nur auf die tatsächlichen Einsatztage darf nicht abgestellt werden.
Orientierungssatz
1. Einsatz im Berlin-Verkehr ist i.d.R. nur insoweit gegeben, als zwischen dem Tag der Ausfahrt aus Berlin und dem Tag der Einfahrt nach Berlin kein größerer Zeitabstand (als von 14 Tagen nach Verwaltungspraxis) besteht. Längere außerhalb Berlins verbrachte Nichteinsatz-Zeiten können somit schädlich sein.
2. Die (Berliner) Verordnung vom 8.Februar 1978 ist rechtsgültig, und zwar aufgrund von Art. I Nr. 2 des --Berliner-- Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 3. August 1950 erlassen worden, das den "Magistrat (Finanzabteilung)" dazu ermächtigt, "die Steuer für Anhänger und Sattelschlepperanhänger bis auf weiteres nicht zu erheben" (Anschluß an BFH-Urteil vom 27.6.1984 II R 12/80).
Normenkette
KraftStG 1979 § 10 Abs. 5; KraftStGÄndG BE Art. 1 Nr. 2; KraftStGÄndGDV BE § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin , die ein Speditionsunternehmen betreibt, hat eine Betriebstätte in Berlin (West), zu der ein dort zum Verkehr zugelassener Sattelanhänger gehört. Durch Neufestsetzungsbescheid vom 9.September 1980 setzte das Finanzamt --FA-- gegen die Klägerin für das Halten des Anhängers ab 1.Mai 1978 Kraftfahrzeugsteuer fest. Den dagegen erhobenen Einspruch wies das FA zurück. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, nach § 1 Abs.1 Nr.2 der Verordnung vom 8.Februar 1978 zur Durchführung des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 3.August 1950 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin --GVBl Bln-- 1978, 745, Steuer- und Zollblatt Berlin --StZBl.Bln.-- 1978, 637) --DVO 1978-- müsse ein Kraftfahrzeuganhänger, wenn dessen Halten kraftfahrzeugsteuerfrei sein solle, u.a. in einem Betrieb / einer Betriebstätte im Lande Berlin verbleiben. Diese räumliche Bindung sei in Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Investitionszulage Berlin gegeben, wenn das Fahrzeug überwiegend und regelmäßig Fahrten von und nach Berlin ausführe, die sonstigen Fahrten im Inland also nicht überwögen. Schon dem von der Klägerin vorgelegten Einsatzplan für die Zeit vom 1.April 1978 bis 2.Januar 1981 sei zu entnehmen, daß der Anhänger nicht überwiegend in Berlin und im Berlin-Verkehr eingesetzt gewesen sei. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, daß ein anderer als der im Streitfalle erfolgte Einsatz von Sattelanhängern unrationell sei. Treffe dies zu, so ergebe sich, daß ihr Einsatz nicht geeignet sei, die Berliner Wirtschaft zu stärken, und daß die Steuerbefreiung nicht gerechtfertigt sei.
Die Revision der Klägerin greift dieses Urteil wegen unrichtiger Auslegung der DVO 1978, Verstoßes gegen die Denkgesetze und Widerspruchs zwischen den tatsächlichen Annahmen und dem Akteninhalt an. Die Klägerin bezweifelt, ob die Verbleibensvoraussetzung für Sattelanhänger nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Investitionszulage Berlin beurteilt werden könnte. Der Verordnungsgeber habe bei Festlegung der Verbleibensvoraussetzung den betrieblich notwendigen wechselweisen Einsatz von Sattelanhängern nicht bedacht. Sie könnten, weil in sog. Ring- oder Kettenverkehren verwendet, auch nicht an Nichteinsatztagen immer in Berlin sein. Das Erfordernis des überwiegenden Einsatzes im Berlin-Verkehr sei vom Wortlaut der DVO 1978 nicht gedeckt. Überdies habe das FG den Einsatzplan fehlerhaft ausgewertet.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet.
Der Klägerin steht für das Halten des streitbefangenen Anhängers Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer für die Entrichtungszeiträume vom 1.Mai 1978 bis 30.April 1981 nicht zu, weil insoweit die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 1 Abs.1 Nr.2 DVO 1978 nach den Feststellungen des FG, gegen die durchgreifende Verfahrensrügen nicht vorgebracht worden sind, nicht vorliegen.
Die Klägerin schuldet die Kraftfahrzeugsteuer nach den Vorschriften des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1972 (insbesondere § 4 Nr.1 Buchst.a, § 13 Abs.1) bzw., ab dem Entrichtungszeitraum, der nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 22.Dezember 1978 (BGBl I 1978, 2063, BStBl I 1979, 65) am 1.Juni 1979 begonnen hat --Zeitraum ab 1.Mai 1980--, nach den Vorschriften des KraftStG 1979 (insbesondere § 6, § 7 Nr.1). Das FA war zu der angegriffenen Neufestsetzung berechtigt und verpflichtet, nachdem es festgestellt hatte, daß die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nicht vorgelegen hatten (§ 1 Abs.2 Satz 2 DVO 1978).
1. Das Revisionsgericht ist befugt zu prüfen, ob das angefochtene Urteil, wie die Klägerin rügt, auf einer Verletzung von Berliner Landesrecht --DVO 1978-- beruht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich diese Befugnis, wie der II.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) zur DVO 1978 entschieden hat (Urteil vom 27.Juni 1984 II R 12/80, BFHE 141, 556, 559, BStBl II 1984, 850, 852), aus § 118 Abs.1 Satz 2, § 33 Abs.1 Nr.4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ergibt. Jedenfalls folgt sie daraus, daß es sich bei der Anwendung der DVO 1978 um eine Vorfrage für die Anwendung von Bundesrecht --Kraftfahrzeugsteuerrecht-- handelt (Urteil des erkennenden Senats vom 13.August 1985 VII R 172/83, BFHE 144, 176, BStBl II 1985, 636, 638, zu der durch die DVO 1978 abgelösten Vorschrift des Berliner Landesrechts). Wie der II.Senat weiter ausgesprochen hat (BFHE 141, 556, 558, BStBl II 1984, 850, 852), ist die DVO 1978 rechtsgültig, und zwar aufgrund von Art.I Nr.2 des --Berliner-- Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 3.August 1950 (Verordnungsblatt für Groß Berlin I 1950, 379), das den "Magistrat (Finanzabteilung)" dazu ermächtigt, "die Steuer für Anhänger und Sattelschlepperanhänger bis auf weiteres nicht zu erheben" (vgl. auch § 10 Abs.5 KraftStG 1979), erlassen worden. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
2. Nach § 1 Abs.1 Nr.2 DVO 1978 ist kraftfahrzeugsteuerfrei das Halten von im Lande Berlin zugelassenen Kraftfahrzeuganhängern, die zum Anlagevermögen eines Betriebs oder einer Betriebstätte im Lande Berlin gehören und die während des Zeitraums, für den die Steuer jeweils zu entrichten wäre, in einem solchen Betrieb oder einer solchen Betriebstätte verbleiben; der Steuerpflichtige hat die Befreiungsvoraussetzungen eindeutig und leicht nachprüfbar nachzuweisen. Diese sind in Anlehnung an die entsprechenden Voraussetzungen für die Gewährung von Vergünstigungen nach §§ 14, 19 des Berlinförderungsgesetzes --BerlinFG-- (damals in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.Februar 1976, BGBl I 1976, 353, BStBl I 1976, 102) normiert worden. Das ergibt sich aus dem insoweit übereinstimmenden Wortlaut der in Betracht kommenden Vorschriften und aus der Begründung, die der Senat von Berlin, der nunmehr zuständige Verordnungsgeber, zu seiner die DVO 1978 betreffenden Vorlage an das Abgeordnetenhaus gegeben hat (Drucksache 7/1149 des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 17.Februar 1978, Abschn. A, b Nr.2 der Begründung). Dieser Zusammenhang rechtfertigt es, bei der Auslegung von § 1 Abs.1 Nr.2 DVO 1978, wie das FG zutreffend entschieden hat, auf die von der Rechtsprechung zu den einschlägigen Vorschriften der Berlinhilfegesetze (BHG) --Vorgänger des BerlinFG-- entwickelten Grundsätze zurückzugreifen (vgl. auch insoweit die Vorlagebegründung des Senats von Berlin, sowie Tz.9 der zu der DVO 1978 ergangenen Verwaltungsanordnung des Senators für Finanzen vom 15.März 1978, StZBl.Bln. 1978, 638). Nach der Rechtsprechung des BFH zu § 19 BHG 1964, § 21 BHG 1962 (Urteile vom 17.Mai 1968 VI R 5/68, BFHE 92, 392, 393 f., BStBl II 1968, 570, und vom 20.November 1970 VI R 205/69, BFHE 101, 459, 462, BStBl II 1971,314, 315) ist die Verbleibensvoraussetzung erfüllt, wenn eine dauerhafte zeitliche und räumliche Bindung an eine Berliner Betriebstätte besteht, was bei Transportmitteln erfordert --wenn sie nicht innerhalb Berlins verbleiben oder eingesetzt werden--, daß überwiegend und regelmäßig, ohne größere zeitliche Unterbrechungen, Fahrten von und nach Berlin durchgeführt werden (Berlin-Verkehr), die Fahrten im übrigen Bundesgebiet also nicht überwiegen. In kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Hinsicht bedeutet dies, daß ein Anhänger, wenn sein Halten kraftfahrzeugsteuerfrei sein soll, im Entrichtungszeitraum überwiegend --bei einem Entrichtungszeitraum von einem Jahr an mindestens 183 Tagen-- in Berlin eingesetzt oder dort ruhen oder im Berlin-Verkehr eingesetzt sein muß (vgl. Egly/Mößlang, Kraftfahrzeugsteuer- Kommentar, 3.Aufl. 1981, Abschn.11, b Nr.2 b *= S.141). Allein auf den tatsächlichen Einsatz darf nicht abgestellt werden, weil es der für die Steuerbefreiung vorausgesetzten Bindung an einen Berliner Betrieb widerspräche, könnten maßgebliche Zeiten des Nichteinsatzes (z.B. des Ruhens) ohne weiteres auch außerhalb Berlins verbracht werden. Ob außerhalb Berlins verbrachte Nichteinsatz-Zeiten auch dann, wenn sie durch außergewöhnliche Umstände verursacht worden sind (vgl. Tz.15, 2. Gedankenstrich der angeführten Verwaltungsanordnung), die Bindung in Frage stellen können, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
Bei Einsatz im Berlin-Verkehr, der "auch" (vgl. § 1 Abs.3 Satz 1 DVO 1978) die Verbleibensvoraussetzung erfüllen kann, ist zusätzlich erforderlich, daß zwischen dem Tag der Ausfahrt aus Berlin und dem Tag der Einfahrt nach Berlin kein größerer Zeitabstand besteht. Nicht als größerer Zeitabstand wird in der Verwaltungspraxis ein Zeitraum zwischen Aus- und Wiedereinfahrt von nicht mehr als 14 Tagen angesehen (Tz. 9 a.E. der Verwaltungsanordnung).
Die Verbleibensvoraussetzung gilt für alle Arten von Anhängern, also auch für Sattelanhänger (vgl. insoweit BFH-Urteil vom 17.Mai 1968 VI R 257/67, BFHE 92, 390 f., BStBl II 1968, 569 - Investitionszulage Berlin für Sattelzugmaschine und -anhänger). Auch das diese Voraussetzung konkretisierende Erfordernis des überwiegenden Einsatzes im Berlin-Verkehr ist auf Anhänger jeder Art zu beziehen, und zwar auf den einzelnen Anhänger, dessen Halten Steuergegenstand ist. Ob der Verordnungsgeber, wie die Revision meint, die Einsatzmöglichkeiten von Sattelanhängern nicht bedacht hat, kann auf sich beruhen. Selbst wenn dies zuträfe, wäre es ausgeschlossen, eine ausdrückliche Voraussetzung der Steuerbefreiung unbeachtet zu lassen, die überdies --wie Buchst.a der Begründung der Vorlage zur DVO 1978 zeigt-- gerade im Hinblick auf die weit überhöhte Bestandszunahme an Sattelschlepperanhängern im Lande Berlin, darunter solchen, die nicht in Berlin genutzt oder im Berlin-Verkehr eingesetzt werden, aufgestellt worden ist.
3. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen, die für den Senat bindend sind (§ 118 Abs.2 FGO), weil durchgreifende Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind, ist davon auszugehen, daß der streitbefangene Anhänger während der hier in Betracht kommenden Entrichtungs- und Nachweiszeiträume (vgl. § 1 Abs.1 Nr.2 DVO 1978) --jeweils ein Jahr-- nicht überwiegend im Berlin-Verkehr eingesetzt gewesen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 61348 |
BStBl II 1986, 494 |
BFHE 146, 275 |
BFHE 1986, 275 |
BB 1986, 1423-1424 (S) |
HFR 1986, 416-417 (ST) |