Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob der Nachforderung von Eingangsabgaben für „Wein” auch dann, wenn keine verbindliche Zolltarifauskunft eingeholt worden war, die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen können.
Normenkette
ZG: § 23; DZT: Tarifnr.: 22.05; DZT: Tarifnr.: 22.09; BrMonG: § 151 a. F; WZO: § 17 a
Tatbestand
Die Klägerin beantragte am 19. März 1962 (Zollanmeldungen VEB 1/62/147) beim Zollamt (ZA) X 10 020 l einer von ihr als „italienischer Dessertwein 3/22 strohgelb” und 10 085 l einer von ihr als „italienischer Dessertwein 3/22 gold” bezeichneten Ware, die in dem Kesselwagen 1 eingeführt worden war, zum freien Verkehr abzufertigen. Beide Partien waren von je einem italienischen Untersuchungszeugnis begleitet. Am 9. Mai 1962 (Zollanmeldung VEB 11/62/314) beantragte sie bei diesem ZA wiederum, 20 350 l „italienischen Dessertwein 3/22 strohgelb”, der mit dem Kesselwagen 2 eingeführt worden war, zum freien Verkehr abzufertigen. Auch diese Ware war von einem italienischen Untersuchungszeugnis begleitet. Bei der ersten Sendung von 10 020 l und 10 085 l hat das ZA Y mit Verfügungen vom 13. März 1962 die italienischen Untersuchungszeugnisse anerkannt und von einer Nachuntersuchung gemäß § 17 a Abs. 4 der Weinzollordnung (WZO) abgesehen. Die zweite Sendung über 20 350 l wurde durch die staatliche Lebensmitteluntersuchungsanstalt Z untersucht, die in ihrem Befundzeugnis vom 7. Mai 1962 die Einfuhrfähigkeit und die Verkehrsfähigkeit der Ware als Wein bestätigte. Das ZA fertigte die einzelnen Partien am 23. März und 11. Mai 1962 unter Zuweisung zur Tarifstelle 22.05 – B – IV – b – 2 des Deutschen Zolltarifs – DZT – (Wein aus frischen Weintrauben; mit Alkohol stummgemachter Most aus frischen Weintrauben) auf das Zollaufschublager der Klägerin ab, wobei es Zoll und Ausgleichsteuer berechnete.
Die Zollfahndungsstelle A ließ später Proben durch das Chemische Untersuchungsamt B untersuchen. In den beiden Gutachten des Untersuchungsamtes vom 5. Juni 1962 und 9. Juli 1962 wurde die Ware als nachgemachter Dessertwein bezeichnet, der gemäß § 9 des Weingesetzes (WeinG) zu beanstanden und nach § 13 Abs. 2 WeinG nicht verkehrsfähig und nach § 14 Abs. 1 WeinG auch nicht einfuhrfähig sei.
Durch Steuerbescheid vom 24. Juli 1962 forderte das Hauptzollamt (HZA) insgesamt 182 620,80 DM Eingangsabgaben (76 761,40 DM Zoll, 96 795,60 DM Monopolausgleich und 9 063,80 DM Ausgleichsteuer) mit der Begründung nach, daß die Ware als anderes alkoholisches Getränk der Tarif stelle 22.09 – C – III – b – 2 – a – 2 – b des DZT zuzuweisen und monopolausgleichspflichtig sei.
Der Einspruch der Klägerin gegen den Nachforderungsbescheid blieb ohne Erfolg.
Auf die Klage wurden die Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 1966 und der Steuerbescheid vom 24. Juli 1962 aufgehoben und die Klägerin von den nachgeforderten Abgaben freigestellt. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auflassung, daß es sich bei den eingeführten Waren zwar um „andere alkoholische Getränke” der Tarifstelle 22.09 – C – III – b – 2 – a – 2 – b des DZT und um weingeisthaltige Erzeugnisse im Sinne des § 151 des Branntweinmonopolgesetzes (BrMonG) a. F. handle, daß die Nachforderung aber gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße.
Mit seiner Revision beantragt das HZA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
Der Auffassung des FG, daß die Nachforderung der Eingangsabgaben im Streitfalle gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße, vermag der erkennende Senat jedoch nicht beizutreten. Die Grundsätze von Treu und Glauben kommen dann zur Anwendung, wenn ein zwingendes Schutzbedürfnis des Steuerpflichtigen gegen Verhaltensänderungen der Verwaltung besteht. Es muß sich um außergewöhnliche Fälle handeln, so daß die Geltendmachung des gesetzlich entstandenen Abgabenanspruchs – weil mit dem vorausgegangenen nachhaltigen Verhalten der Verwaltung in nicht vertretbarem Widerspruch stehend – mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist. Ein solches nachhaltiges Verhalten liegt nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats insbesondere dann vor, wenn es sich über einen längeren Zeltraum hin erstreckt hat (vgl. Urteile VII 207/57 U vom 17. Dezember 1958, BFH 68, 378, BStBl III 1959, 146, Bundeszollblatt 1959 S. 214 – BZBl 1959, 214 –; VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BH 70, 341, BStBl III 1960, 127, und VII 175/61 U vom 21. Mai 1963, BFH 77, 201, BStBl III 1963, 390). In dem letzteren Urteil wird ausgesprochen, daß das Verhalten der Verwaltung, das einen Vertrauensschutz erfordert, nicht nur in einem nachhaltigen, d. h. sich über einen längeren Zeitraum hin erstreckenden Verhalten erblickt werden kann, sondern auch in jeder nachdrücklichen Willensäußerung der Verwaltung, die beim Steuerpflichtigen ein berechtigtes Vertrauen auf ein gleichbleibendes Verhalten der Verwaltung begründet.
Die von dem erkennenden Senat entwickelten Grundsätze über Treu und Glauben erleiden jedoch eine erhebliche Einschränkung in Fällen der Nachforderung von Eingangsabgaben, die sich durch eine Fehltarifierung bei der Abfertigung ergeben hat, weil der Steuerpflichtige die Abgabennachforderung von vornherein dadurch hätte vermeiden können, daß er eine vZTA – § 23 des Zollgesetzes – beantragte (vgl. Urteil des BFH VII 117/60 U vom 11. Januar 1961, BFH 72, 237, BStBl III 1961, 89). Ein zwingendes Schutzbedürfnis des Steuerpflichtigen wird im Falle der Nichteinholung einer vZTA nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen.
Das FG ist der Meinung, daß im Streitfalle der Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben der Umstand nicht entgegenstehe, daß die Klägerin keine vZTA eingeholt hat, weil sie ihr nichts genützt hätte. Der Senat vermag diese Auffassung nicht zu teilen. Das FG hat zur Begründung dafür, daß die Nachforderung gegen Treu und Glauben verstößt, u. a. ausgeführt, daß die Zollverwaltung bei früheren Einfuhren der Klägerin nie den eingeführten Wermutgrundwein beanstandet und als alkoholisches Getränk anerkannt habe, obwohl die Klägerin seit dem Jahre 1948 jährlich etwa 10 Tankwagen Dessertgrundwein von der gleichen Lieferfirma aus Italien bezogen habe und obwohl die Zollverwaltung häufig Proben von deutschen staatlichen Untersuchungsanstalten habe überprüfen lassen. Das kann in diesem Zusammenhang nur dahin verstanden werden, daß nach Meinung des FG früher Waren eingeführt wurden, die die gleiche Beschaffenheit aufwiesen, wie die hier in Rede stehenden Partien. Eine vZTA, bei der Proben der einzuführenden Ware nach tariflichen Gesichtspunkten untersucht worden wären, hätte möglicherweise schon damals zu dem Ergebnis geführt, daß keine Ware der Tarifnr. 22.05, sondern der Tarifnr. 22.09 vorliegt. Dadurch wären Nachforderungen für die in Rede stehenden Sendungen erspart geblieben, weil von vornherein die Abgaben in der entsprechenden Höhe gefordert worden wären. Wäre die Oberfinanzdirektion (OFD) bei Erteilung der vZTA aber zur Auffassung gelangt, daß die Ware zur Tarifnr. 22.05 gehört, so ergäben sich gleichfalls keine Nachforderungen, wiederum vorausgesetzt, daß die in der vZTA behandelte Ware die gleiche Beschaffenheit aufwies wie die hier in Rede stehenden.
Nun ist es allerdings richtig, daß die Klägerin durch eine vZTA sich nicht dagegen hätte schützen können, daß die wirkliche tarifliche Beschaffenheit einer Ware nicht rechtzeitig bei der Einfuhr erkannt wurde. Das kann aber den vorerwähnten Grundsatz, daß sich der Steuerpflichtige nicht auf Treu und Glauben berufen kann, wenn er es unterlassen hat, eine vZTA einzuholen, nicht beeinträchtigen. Hat der Steuerpflichtige eine vZTA eingeholt, muß davon ausgegangen werden, daß er bei seinem Lieferanten auch Waren bestellt, die der in der vZTA behandelten in ihrer Beschaffenheit gleichen, und daß der Lieferant in der Regel auch solche Waren liefert. Sollte dieser ausnahmsweise Waren anderer Beschaffenheit liefern, so liegt das im Bereich des Geschäftsrisikos des Bestellers. Dieses Risiko kann nicht zu Lasten der Zollverwaltung gehen. Der Einführer muß sich insoweit wegen etwaiger Schadensersatzforderungen an seinen ausländischen Lieferanten halten. Es ist somit nicht erwiesen, daß eine rechtzeitig eingeholte vZTA der Klägerin nichts genützt hätte.
Es sind auch keine besonderen Gründe ersichtlich, die eine Ausnahme von dem Grundsatz rechtfertigen, daß ein Steuerpflichtiger sich wegen der Nachforderung von Eingangsabgaben nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen kann, wenn er es unterlassen hat, sich eine vZTA einzuholen.
Wenn das FG ausführt, daß die Zollverwaltung den eingeführten Wermutgrundwein der früheren Einfuhren nie beanstandet hat, rechtfertigt das keine Ausnahme, weil das darauf zurückzuführen sein kann, daß es sich bei den früheren Einfuhren tatsächlich um Wein im Sinne der Tarifnr. 22.05 gehandelt hat. Das FG hat sich nicht näher darüber geäußert, ob der früher eingeführte Wermutgrundwein in seiner Beschaffenheit den hier in Rede stehenden Waren gleich war. Die Klägerin konnte sich also für die hier strittigen Einfuhren nicht darauf verlassen, daß die Zollbeamten nicht einige Monate nach der Abfertigung nochmals Proben ziehen und untersuchen lassen (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs–BGH – vom 21. Oktober 1971 in Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1972 S. 84 – ZfZ 1972, 84 –). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Zollstelle bei der Tarifierung und Erhebung der Eingangsabgaben nicht an die weinrechtlichen Feststellungen der staatlichen Untersuchungsämter anläßlich früherer Untersuchungen gebunden ist (vgl. Urteil des BFH V z 149/56 U vom 31. Oktober 1957, BFH 66, 19, BStBl III 1958, 8). Außerdem hat der BFH in seinem Urteil VII 55/64 vom 9. November 1966 (BFH 87, 170, BZBl 1967, 98) entschieden, daß aus den Vorschriften des WeinG über die Verkehrsfähigkeit nicht hergeleitet werden kann, daß nach diesen Vorschriften verkehrsfähige Erzeugnisse schon deshalb nur als Wein, weinhaltiges oder weinähnliches Erzeugnis im Sinne des WeinG anzusehen wären und daher nicht als weingeisthaltiges Erzeugnis unter § 151 BrMonG a. P. fallen könnten.
Es kann auch keine Rolle spielen, ob der Klägerin die wirkliche Beschaffenheit der eingeführten Ware bekannt war und ob nach dem äußeren Erscheinungsbild die Ware offenbar nicht von gleichartigen Sendungen abwich. Daß die hier in Rede stehenden Sendungen von italienischen Untersuchungszeugnissen begleitet waren, hinderte nicht, eine spätere Untersuchung der Waren vorzunehmen, wenn dazu Veranlassung bestand. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß in § 17 a WZO vorgesehen war, daß Dessertweine nachuntersucht werden, auch wenn sie von einem Zeugnis einer wissenschaftlichen Fachanstalt des Ursprungslands begleitet werden. Der späteren Probeentnahme und Untersuchung auf die tarifliche Beschaffenheit stand auch nicht entgegen, daß die Abfertigungsbeamten die Waren beschaut und keine Besonderheiten festgestellt und in einem Falle von einer Nachuntersuchung gemäß § 17 a Abs. 4 WZO abgesehen haben. Wenn die Staatliche Lebensmitteluntersuchungsanstalt A die zweite Sendung als einfuhrfähigen Wein bezeichnet hat, so konnte das aus den obigen Gründen ebenfalls nicht hindern, erneut eine Probe der Ware nach tariflichen und monopolrechtlichen Gesichtspunkten zu untersuchen.
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin, das im wesentlichen die Ausführungen des FG wiederholt, vermag der erkennende Senat nicht zu erkennen, daß Umstände vorliegen, die eine Ausnahme von dem Grundsatz rechtfertigen könnten, die Klägerin habe von der Einholung einer vZTA zwecks Vermeidung von Nachforderungen nicht absehen können. Die Nachforderung der Eingangsabgaben verstößt demnach nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Fundstellen
Haufe-Index 514813 |
BFHE 1972, 224 |