Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Bezeichnung des Klagebegehrens (Streitgegenstands)
Leitsatz (NV)
- Zur erforderlichen Bezeichnung des Klagebegehrens muss der Rechtsuchende bei Anfechtungsklagen substantiiert darlegen, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt seiner Meinung nach rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt. Welche konkreten Anforderungen damit erfüllt sein müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
- Zur Auslegung des Klagebegehrens sind alle dem Gericht bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, d.h. z.B. auch die ihm vorliegende, vom Kläger in Bezug genommene Einspruchsentscheidung. ‐ Ist hiernach der Streitpunkt zwischen den Beteiligten in einer von anderen denkbaren Streitpunkten abgrenzbaren Weise fixiert, ist den Anforderungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genügt.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2, § 65 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 79b Abs. 1, § 118 Abs. 2, § 126 Abs. 3 Nr. 2; EStG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; BGB § 133
Tatbestand
I. Nachdem die Kläger und Revisionskläger (Kläger) am 21. November 1996 Klage erhoben und darin hinsichtlich der "Einkommen-Steuerbescheide 1993 und 1994" nur "Aufhebung der … Einspruchsentscheidung" beantragt hatten, waren sie mit Vorsitzenden-Verfügung vom 26. November 1996 darauf hingewiesen worden, dass eine Klage, die sich auf die Anfechtung der Einspruchsentscheidung beschränke, unzulässig sein könne. Außerdem wurde den Klägern unter Berufung auf § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens gesetzt. Innerhalb derselben Frist sollten sie gemäß § 79b Abs. 1 FGO die Tatsachen angeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sie sich beschwert fühlten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Text der Verfügung Bezug genommen.
Daraufhin teilten die Kläger mit Schriftsatz vom 20. Dezember 1996, der am 23. Dezember 1996 beim Finanzgericht (FG) eingegangen ist, mit, die Klage richte sich gegen die Festsetzung der Einkommensteuer in den Einkommensteuerbescheiden für 1993 und 1994 in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung. Die Steuer sei wegen Nichtanerkennung der Verluste aus Gewerbebetrieb von ./. 18 553,10 DM im Jahr 1993 und ./. 11 873,33 DM für 1994 zu hoch festgesetzt worden. Zur Begründung dieser Klage baten die Kläger um Fristverlängerung von sechs Wochen.
Im Schreiben der Geschäftsstelle des FG vom 3. Januar 1997 wurde den Klägern darauf "auf Anordnung" mitgeteilt, die "Frist zur Bezeichnung des Klagebegehrens und zur Einreichung der Klagebegründung" werde bis zum 10. Februar 1997 verlängert, es handle sich aber weiterhin um Ausschlussfristen.
Mit Schriftsatz vom 8. Februar 1997 reichten die Kläger die ausstehende Klagebegründung nach, derzufolge sie sich weiterhin ―wie auch schon im Einspruchsverfahren― dagegen wandten, dass die im Schriftsatz vom 20. Dezember 1996 bezifferten Verluste der Klägerin aus dem Betrieb eines Hotels unter dem Gesichtspunkt der Liebhaberei in den angefochtenen Bescheiden nicht berücksichtigt wurden.
Dieser Schriftsatz trägt den Eingangsstempel vom 11. Februar 1997 (einem Dienstag).
Auf den Hinweis des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―), der letztgenannte Schriftsatz sei verspätet eingegangen, die Klage daher unzulässig, trugen die Kläger vor, der Prozessbevollmächtigte der Kläger (Pb.) habe die Klagebegründung, für die im Übrigen eine Ausschlussfrist nicht vorgesehen sei, persönlich am 8. Februar 1997 (einem Samstag) per Einschreiben zur Post gegeben, und fügten zur Glaubhaftmachung die Kopie eines Einlieferungsscheins bei.
Das FG wies die Klage durch Prozessurteil mit der Begründung ab, innerhalb der in den Verfügungen vom 26. November 1996 bzw. 3. Januar 1997 gesetzten Ausschlussfristen hätten die Kläger keine Angaben zum Klagebegehren gemacht. Sie hätten nicht substantiiert dargetan, inwiefern sie durch die angefochtenen Bescheide in ihren Rechten verletzt seien. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich. Zudem trage der Briefumschlag zum Schriftsatz vom 8. Februar 1997 den Poststempel vom 10. Februar 1997.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung der §§ 65 und 79b FGO und wenden sich dagegen, dass ihre Klage als unzulässig abgewiesen wurde. Die Angaben im Schriftsatz vom 20. Dezember 1996 genügten den gesetzlichen Anforderungen.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA hält die Revision ebenfalls für begründet.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses hat zu Unrecht ein Prozessurteil erlassen. Sachprüfung und Sachentscheidung sind dem erkennenden Senat wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) verwehrt.
1. Das FG-Urteil verletzt § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 FGO, weil es unbeachtet gelassen hat, dass mit dem Schriftsatz vom 20. Dezember 1996, also rechtzeitig, alle nach dieser Regelung für die Zulässigkeit einer Klage unerlässlichen Voraussetzungen erfüllt waren.
a) Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage den Kläger, den Beklagten, den Gegenstand des Klagebegehrens, bei Anfechtungsklagen auch den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf bezeichnen. Soweit die Klage diesen Erfordernissen nicht entspricht, können der Vorsitzende oder Berichterstatter gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 FGO innerhalb einer Ausschlussfrist zu der erforderlichen Ergänzung auffordern.
b) Unter dem Gesichtspunkt der Bezeichnung des Klagebegehrens hat der Kläger ―ebenso wie in der früheren Gesetzesfassung unter dem der Bezeichnung des Streitgegenstands (s. zur Inhaltsgleichheit dieser Begriffe: Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. September 1995 IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16; vom 27. November 1995 X B 52/95, BFH/NV 1996, 421, und vom 8. Juli 1998 I R 23/97, BFH/NV 1998, 1575, 1576; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 65 Rz. 31, m.w.N.)― das Ziel der Klage hinreichend deutlich zum Ausdruck zu bringen, d.h. bei Anfechtungsklagen substantiiert darzulegen, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt seiner Meinung nach rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (seit BFH-Beschluss vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter C. II. 2., ständige Rechtsprechung; s. z.B. BFH-Urteil vom 27. Juli 1999 VIII R 55/98, BFH/NV 2000, 196, 197, und die dort. Nachw.).
c) Was in diesem Zusammenhang unter dem Gesichtspunkt der Substantiierung dem Rechtsuchenden abzuverlangen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BFH in BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter C. II. 3.; Urteil vom 13. Juni 1996 III R 93/95, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483).
aa) Zur Auslegung der dem Gericht gegenüber vorgenommenen Prozesshandlung (dazu: Gräber, a.a.O., Rz. 14 ff. vor § 33; § 65 Rz. 27) sind dabei nach dem Rechtsgedanken des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zumindest alle dem FG bekannten oder erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (BFH-Entscheidungen vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232, 233; vom 17. Juni 1998 X B 139/97, BFH/NV 1999, 187, 188, und in BFH/NV 2000, 196, 197, m.w.N.).
bb) Insoweit genügt jedenfalls die Bezugnahme auf den Inhalt der in der Klage genau bezeichneten Einspruchsentscheidung (BFH-Entscheidungen in BFH/NV 1997, 232, 233; in BFH/NV 1999, 187, 188, und in BFH/NV 2000, 196, 197), wenn sich hieraus ―wie im Streitfall― zusammen mit dem erklärten Klageziel ergibt, worum gestritten wird: Mit der Festlegung darauf, dass sie die Anerkennung bestimmter Verluste aus Gewerbebetrieb erstreben, hatten die Kläger hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es im Klageverfahren ―ebenso wie zuvor im Einspruchsverfahren― nur darum gehen sollte, ob es sich insoweit um negative Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder um Ergebnisse einer nichtsteuerbaren Tätigkeit (Liebhaberei) handelt. Damit war in der nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO erforderlichen Weise der Streitpunkt von anderen denkbaren Streitpunkten abgrenzbar (BFH-Entscheidungen in BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483, unter 2., und vom 11. Juni 1999 V B 168/98, BFH/NV 1999, 1501) und unverwechselbar fixiert.
2. Weil die Kläger in dem am 23. Dezember 1996 beim FG eingegangenen Schriftsatz, also innerhalb der vom Vorsitzenden ursprünglich gesetzten Frist, mit der Bestimmung des Klagebegehrens (s.o. unter 1.) zugleich auch ihre Klagebefugnis i.S. des § 40 Abs. 2 FGO dargelegt, d.h. deutlich gemacht haben, worin sie die Beschwer i.S. des § 79b Abs. 1 FGO erblicken (s. dazu: Gräber, a.a.O., § 40 Rz. 55 ff.; § 79b Rz. 8), braucht hier weder das Verhältnis dieser Vorschrift zu § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO noch der Charakter der Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 Satz 2 FGO geklärt zu werden. Auch auf die genaue Ermittlung des Absendedatums des Schriftsatzes vom 8. Februar 1997 und die Prüfung des § 56 FGO kommt es nicht an.
3. Im zweiten Rechtsgang wird das FG die Prüfung der Begründetheit der Klage nachzuholen und schließlich auch gemäß § 143 Abs. 2 FGO die Kostenentscheidung zu treffen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 510238 |
BFH/NV 2001, 170 |
HFR 2000, 883 |
HFR 2001, 250 |