Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung von freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit, Vergleichbarkeit der Ausbildung
Leitsatz (NV)
Weist ein Steuerpflichtiger, der über keinen Abschluss an einer (Fach-) Hochschule oder Bergakademie verfügt und auf dem Gebiet der Qualitätssicherung selbstständig tätig ist, nicht nach, dass er in Breite und Tiefe das Wissen eines Diplom-Ingenieurs hat, ist er gewerblich tätig. Vertiefte Kenntnisse auf einem Teilgebiet des Fachstudiums reichen für eine freiberufliche Tätigkeit nicht aus.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 2, § 18 Abs. 1 Nr. 1; GewStG § 2 Abs. 1; FGO § 74
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erlernte den Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers. Von 1975 bis 1979 besuchte er zwei Fachschulen für Technik. 1979 legte er erfolgreich die Prüfung zum staatlich geprüften Techniker im Fach Maschinentechnik-Entwicklungstechnik ab. Im Anschluss arbeitete er zunächst in einem Ingenieurbüro. Danach war er in größeren deutschen Unternehmen mit internationaler Bedeutung als Gruppenführer und technischer Sachbearbeiter im In- und Ausland tätig. Er wurde u.a. bei verschiedenen Kernkraftwerken eingesetzt. In dieser Zeit nahm er auch an Fortbildungsmaßnahmen, u.a. auf dem Gebiet der Qualitätssicherung, teil.
Seit Juli 1998 ist der Kläger unter der Firma "Qualitätsmanagement …" als selbständiger Einzelunternehmer hauptsächlich auf dem Gebiet der Qualitätssicherung in der Kerntechnikbranche tätig. Er typisiert, bestellt und dokumentiert Ersatzteile, nimmt Qualitätsprüfungen daran vor und erstellt dafür Prüfanweisungen für Sicht- und Ultraschallprüfungen. Außerdem führt er die nach dem Genehmigungsverfahren erforderlichen Sachprüfungen durch und prüft Ersatzteile darauf, ob sie das Regelwerk einhalten.
Seit Juni 2001 ist der Kläger berechtigt, den Titel eines EurEta-Ingenieurs zu führen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) behandelte die erzielten Gewinne als solche aus Gewerbebetrieb und erließ für die Streitjahre 1998 und 1999 Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag. Hiergegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.
Im Klageverfahren erhob das Finanzgericht (FG) Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob der Kläger in den Streitjahren einen ingenieurähnlichen Beruf ausgeübt hat. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit des Klägers und die Art und Weise seiner Berufsausübung von der eines beratenden Ingenieurs nicht zu unterscheiden sei. Allerdings besitze der Kläger nicht das theoretische Wissen und die Grundlagenkenntnisse, die ein Hochschulabsolvent habe. Dies spiele in der Praxis jedoch keine Rolle.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte u.a. aus:
Der Kläger übe eine ingenieurähnliche Tätigkeit aus. Seine praktische berufliche Tätigkeit sei mit der eines beratenden Maschinenbauingenieurs der Fachrichtung Qualitätssicherung vergleichbar. Dies habe der Sachverständige in seinem Gutachten bestätigt. Zwar habe der Sachverständige bei den theoretischen Kenntnissen des Klägers Defizite gegenüber einem Ingenieur ausgemacht, z.B. in den Bereichen Mechanik, Physik und Mathematik. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass der Kläger über das Grundlagenwissen eines Ingenieurs in Tiefe und Breite verfüge. Solches Grundlagenwissen habe jedoch in dem Bereich, in dem der Kläger tätig sei, keine Bedeutung. Das Fehlen von Grundlagenwissen stehe deshalb der Qualifizierung der Tätigkeit des Klägers als freiberufliche ingenieurähnliche Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht entgegen. Der Verzicht auf das Vorhandensein von Grundlagenwissen als Voraussetzung für eine freiberufliche ingenieurähnliche Tätigkeit sei auch aus Gründen der Gleichbehandlung mit anderen in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Berufsgruppen geboten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 573 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und von § 15 Abs. 2 und § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Das FG stelle zu Unrecht nur auf die Vergleichbarkeit der beruflichen Tätigkeit ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) müssten einem Ingenieur vergleichbar tiefe und breite Kenntnisse hinzutreten (z.B. BFH-Urteile vom 5. Juli 1973 IV R 127/69, BFHE 110, 40, BStBl II 1973, 730; vom 12. Oktober 1989 IV R 118-119/87, BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64; vom 9. Juli 1992 IV R 116/90, BFHE 169, 402, BStBl II 1993, 100; vom 11. August 1999 XI R 47/98, BFHE 189, 422, BStBl II 2000, 31; vom 31. August 2005 XI R 62/04, BFH/NV 2006, 505).
Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Klage wird abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, dass ein Steuerpflichtiger, der wie ein Ingenieur tätig ist, auch dann eine dem Ingenieurberuf ähnliche freiberufliche Tätigkeit ausübt, wenn nicht festgestellt werden kann, dass seine Kenntnisse in ihrer fachlichen Tiefe und Breite denen eines Ingenieurs entsprechen.
Freiberuflich tätig ist nur, wer einen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aufgeführten "Katalogberufe" oder einen "ähnlichen Beruf" ausübt.
1. Zutreffend hat das FG angenommen, dass der Kläger nicht den Katalogberuf des Ingenieurs i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ausübt. Wie der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist Ingenieur im Sinne dieser Norm nur derjenige, der wegen der Prägung des Berufsbilds des Ingenieurs durch die Ingenieurgesetze der Bundesländer aufgrund eines Studiums an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule, einer Ingenieurschule oder eines Betriebsführerlehrgangs an einer Bergschule befugt ist, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Februar 2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270, m.w.N.).
Der Kläger erfüllt diese Voraussetzung nicht. Die Bezeichnung "EurEta-Ingenieur" ist keine Berufsbezeichnung im Sinne des Niedersächsischen Ingenieurgesetzes. Sie darf von Ingenieuren und Technikern verwendet werden, die in das Register des Europäischen Verbands höherer Berufe des Ingenieurwesens und der Technik ("EurEta") eingetragen sind. Dieser Verband vertritt die Interessen seiner Mitglieder und will ihnen helfen, in anderen europäischen Ländern ihre Kompetenzen nachzuweisen. Es handelt sich nicht um eine Behörde, sondern um einen Berufsverband von qualifizierten Fachleuten unterhalb des Ausbildungsniveaus, das für das Erlangen des Titels "EUR ING" erforderlich ist (http://www.eureta.org ≫ "Documentation" ≫ "Zukunft (pdf)(in German)" ≫ Seite 4 f.; Stand: 14. Juni 2007). Im Übrigen darf der Kläger die Bezeichnung "EurEta-Ingenieur" erst seit Juni 2001 führen. Sie ist auch deshalb für die Beurteilung seiner Tätigkeit in den Vorjahren nicht von Bedeutung.
2. Das FG hat jedoch zu Unrecht angenommen, der Kläger übe eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus.
a) Das Vorliegen eines (ingenieur-)ähnlichen Berufs erfordert nach ständiger Rechtsprechung des BFH, dass der ähnliche Beruf mit einem bestimmten Katalogberuf sowohl in der Ausbildung als auch in der beruflichen Tätigkeit vergleichbar ist (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1270, m.w.N.).
Setzt der Katalogberuf --wie im Streitfall-- eine qualifizierte Ausbildung voraus, wird auch für den ähnlichen Beruf eine vergleichbare Ausbildung verlangt. Seit dem Inkrafttreten der Ingenieurgesetze setzt darum ein dem Ingenieur ähnlicher Beruf eine Ausbildung voraus, die mit der in den Ingenieurgesetzen vorgeschriebenen Ausbildung in Tiefe und Breite verglichen werden kann. Die vergleichbare Ausbildung kann in einem förmlichen Ausbildungsgang, wie z.B. in einem Studium, stattfinden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1270, m.w.N.).
Kann ein Steuerpflichtiger eine Ausbildung in einem förmlichen Ausbildungsgang nicht nachweisen, hat es der BFH aus Gründen der steuerlichen Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) zugelassen, dass er den Erwerb vergleichbarer Kenntnisse durch Belege über eine erfolgreiche Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, anhand praktischer Arbeiten oder durch eine Art Wissensprüfung nachweist. Auch für diesen Fall ist allerdings --nicht zuletzt wiederum aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung-- Voraussetzung, dass der Tiefe und der Breite nach das Wissen des Kernbereichs des jeweiligen Fachstudiums nachgewiesen wird (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 10. November 1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198; vom 4. Mai 2004 XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989, m.w.N.; in BFH/NV 2006, 1270; BFH-Beschluss vom 6. Juni 2003 IV B 52/01, BFH/NV 2003, 1413).
b) Im Streitfall hat der Kläger weder nachgewiesen, dass er eine einem Ingenieur vergleichbare Ausbildung absolviert hat, noch, dass er in den Streitjahren der Tiefe und der Breite nach einem Ingenieur vergleichbare Kenntnisse hatte. Ausweislich des im ersten Rechtsgang eingeholten Gutachtens genügten Umfang und Art der vom Kläger besuchten Fortbildungsveranstaltungen hierfür nicht (S. 5 des Gutachtens vom 22. Februar 2005). Auch die praktischen Arbeiten des Klägers ließen für den Sachverständigen nicht erkennen, dass zu ihrer Ausführung theoretische Kenntnisse erforderlich waren, die in Tiefe und Breite dem Niveau eines Hochschulabsolventen entsprachen. Hiergegen hat der Kläger auch im Revisionsverfahren keine Einwendungen erhoben.
3. Der erkennende Senat hält, anders als die Vorentscheidung, an der Notwendigkeit des Nachweises vergleichbar umfänglicher Kenntnisse fest. Dieses Kriterium ist ein sachgerechter und verfassungsrechtlich zulässiger Maßstab für die Abgrenzung gewerblicher und freiberuflicher Tätigkeiten.
a) Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Der Gesetzgeber konnte hinsichtlich der Besserstellung der freien Berufe in gewerbesteuerrechtlicher Hinsicht berücksichtigen, dass die freiberuflich Schaffenden insgesamt gesehen zum Erwerb ihrer tiefen und breit angelegten Kenntnisse eine längere Ausbildungszeit auf sich nehmen mussten und in dieser Zeit zumeist keine Einkünfte hatten (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 25. Oktober 1977 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224, BStBl II 1978, 125; bestätigt durch BVerfG-Beschlüsse vom 9. Oktober 1990 2 BvR 146/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1991, 614, und vom 14. Februar 2001 2 BvR 460/93, HFR 2001, 496; vgl. auch BFH-Urteil vom 29. November 2001 IV R 65/00, BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149). Verfassungsbeschwerden gegen BFH-Entscheidungen, in denen die Ausbildung bzw. die Kenntnisse als regelmäßig zulässiges und einleuchtendes Unterscheidungskriterium angesehen wurden, hat das BVerfG ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. z.B. zur Verfassungsbeschwerde gegen den Senatsbeschluss vom 9. September 1999 XI B 106/98, BFH/NV 2000, 188, BVerfG-Beschluss vom 4. Januar 2000 1 BvR 1916/99, juris; zur Verfassungsbeschwerde gegen den Senatsbeschluss vom 30. Oktober 1996 XI B 197/95, juris, BVerfG-Beschluss vom 3. Mai 1997 1 BvR 568/97, juris, Steuer-Eildienst --StE-- 1997, 363).
b) Entgegen der Ansicht des FG kann auf den Nachweis, dass der Kläger in den Streitjahren der Tiefe und der Breite nach einem Ingenieur vergleichbare Kenntnisse hatte, auch nicht deshalb verzichtet werden, weil zum Zeitpunkt des Beginns der Ausbildung des Klägers kein Studiengang mit dem Fach Qualitätssicherung existierte. Denn maßgeblich sind die Streitjahre, für die der Kläger geltend macht, freiberuflich i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG tätig gewesen zu sein. In den Streitjahren 1998 und 1999 muss der Kläger über Kenntnisse verfügt haben, die der Tiefe und der Breite nach den Kenntnissen entsprechen, über die Angehörige des Vergleichsberufs normalerweise verfügen. Da nach den Feststellungen des Sachverständigen und des FG das Fach Qualitätssicherung seit etwa 8 bis 10 Jahren Teil des Hauptstudiums eines Maschinenbauingenieurs ist, ist Vergleichsberuf jedenfalls ab 1997 der an einer (Fach-)Hochschule ausgebildete Maschinenbauingenieur. Hiervon ist auch die Vorinstanz ausgegangen. Denn sie stellt in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausdrücklich fest, dass die Berufstätigkeit des Klägers mit der eines beratenden Maschinenbauingenieurs der Fachrichtung Qualitätssicherung vergleichbar sei.
4. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO im Hinblick auf das beim BVerfG anhängige Normenkontrollverfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbeertragsteuer (vgl. Vorlagebeschluss des Niedersächsischen FG vom 21. April 2004 4 K 317/91, EFG 2004, 1065, Az. des BVerfG 1 BvL 2/04) ist im Streitfall nicht geboten. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hängt die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO auch davon ab, ob mit der Aufhebung eines etwa verfassungswidrigen Gesetzes für die Vergangenheit zu rechnen oder nur zu erwarten ist, dass das BVerfG dem Gesetzgeber eine angemessene Frist zur Herbeiführung eines verfassungsmäßigen Zustands setzen wird. Allenfalls Letzteres ist hier anzunehmen. Der erkennende Senat folgt insoweit der Auffassung des IV. und des X. Senats des BFH (Urteile vom 24. Februar 2005 IV R 23/03, BFHE 209, 269, BStBl II 2005, 578, und vom 20. Juli 2005 X R 74/01, BFH/NV 2005, 2195).
Fundstellen
Haufe-Index 1799023 |
BFH/NV 2007, 2091 |
EStB 2007, 405 |
StBW 2007, 2 |