Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstand des Erwerbsvorgangs bei mehreren Verträgen; Grundstück mit noch zu errichtendem Gebäude
Leitsatz (NV)
1. Ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang des Gebäudeerrichtungsvertrags mit dem Grundstückskaufvertrag wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, daß der Abschluß der zur Errichtung des Gebäudes erforderlichen Verträge zeitlich erst kurz nach dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags erfolgt. Der objektive enge sachliche Zusammenhang kann in solchen Fällen dann bestehen, wenn der Erwerber (spätestens) mit dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags in seiner Entscheidung über das ,,Ob" und ,,Wie" einer Bebauung gegenüber der Veräußererseite nicht mehr frei war. Dies kann sich aus vorherigen Absprachen oder aus faktischen Zwängen ergeben.
2. Treten auf der Veräußererseite mehrere Personen auf, so ist es für das Vorliegen eines engen sachlichen Zusammenhangs zwischen den Verträgen ausreichend, wenn diese aufgrund einer vertraglichen Abrede bei der Veräußerung zusammenarbeiten und durch abgestimmtes Verhalten auf den Abschluß aller Verträge (Übereignung des Grundstücks und Errichtung des Gebäudes) hinzielen (BFH-Urteil vom 14. März 1990 II R 169/87, BFH/NV 1991, 263). Der Abschluß eines schriftlichen Vertrags ist nicht erforderlich.
Normenkette
GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) kaufte zusammen mit seiner Ehefrau durch notariell beurkundeten Vertrag vom 21. August 1986 einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem 255 qm großen, in A gelegenen Grundstück zu einem Kaufpreis von 16850 DM. Verkäuferin des Grundstücks war X. Die Erschließungskosten für dieses Grundstück sollten die Käufer tragen.
Das Grundstück lag im Baugebiet ,,Z". Dort plante die Y-GmbH auf im Eigentum der X stehenden Grundstücken die Errichtung von insgesamt 45 Häusern in Reihenbauweise im Rahmen des Sonderprogramms des Landes B zur Förderung besonders kostengünstiger und beispielhafter Eigenheime. Zur Erlangung der öffentlichen Fördermittel mußte die Y-GmbH die technische Ausführung der Häuser abstimmen und bestimmte Kostenbegrenzungen einhalten.
Die Stadt A änderte zwecks Durchführung des Projektes auf Anregung der Y-GmbH den Bebauungsplan und schloß mit der Y-GmbH am 26./27. Juni 1986 einen Erschließungsvertrag. Danach war die Y-GmbH verpflichtet, die Erschließungsanlagen zu erstellen und dafür Sorge zu tragen, daß diese einschließlich der im Baugebiet liegenden Planstraßen der Stadt A kostenlos übertragen werden.
Dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) wurde am 7. April 1986 der Entwurf einer schriftlichen Vereinbarung zwischen X und der Y-GmbH mit der Bitte um verbindliche Stellungnahme zu der Frage vorgelegt, inwieweit Grunderwerbsteuer entstehe. Nach diesem Vertragsentwurf sollte X bereit sein, die von der Y-GmbH zu parzellierenden Baugrundstücke entweder an die Y-GmbH oder von dieser zu benennende Dritte zu einem Preis von 50 DM/qm zu veräußern. Auf Anforderung der Y-GmbH sollte X nach Fertigstellung der Erschließung verpflichtet sein, die öffentlichen Grundstücksflächen ohne Vergütung an die Stadt A zu übereignen. Das FA teilte auf die Anfrage mit, die Y-GmbH erwerbe durch eine solche Vereinbarung die Verwertungsbefugnis an den Baugrundstücken. Darüber hinaus sei der Verkauf der Bauplätze einschließlich der Gebäude grunderwerbsteuerpflichtig.
Das FG-Urteil enthält die Feststellung, daß es zum Abschluß eines schriftlichen Vertrages zwischen X und der Y-GmbH nicht gekommen sei. Mitte April 1986 bot die Y-GmbH in Zeitungsinseraten die Baugrundstücke mit Erschließung und Bebauung einheitlich zu Preisen zwischen 175000 DM und 210000 DM an. Die Häuser sollten im Rahmen des Sonderprogramms der Landesregierung errichtet werden. Für dieses Projekt seien Darlehensmittel in Höhe von 3,6 Mio. DM zu 1,5 v. H. Zinsen bewilligt worden.
Die Grundstückseigentümerin (X), vertreten durch eine bereits am 2. Mai 1986 bevollmächtigte Notargehilfin, beantragte am 27. Mai 1986 entsprechend den Plänen der Y-GmbH die Parzellierung ihres im Baugebiet gelegenen Grundbesitzes und die Bildung von Einzelgrundbüchern.
Die Y-GmbH beantragte am 6. August 1986 für den Kläger und seine Ehefrau eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Reihenmittelhauses auf dem später mit Kaufvertrag vom 21. August 1986 erworbenen Grundstück. Am 8. August 1986 erhielten der Kläger sowie seine Ehefrau eine Zusage über ein Baudarlehen in Höhe von 85900 DM aus dem Sonderprogramm des Landes für kostengünstiges Bauen (Gesamtkosten bis 200000 DM) sowie über ein Aufwendungsdarlehen aus öffentlichen Mitteln in Höhe von 26676 DM.
Am 8. September 1986 schlossen der Kläger sowie seine Ehefrau mit der Y-GmbH einen Vertrag über die Errichtung eines Reihenhauses zu einem Festpreis von 187700 DM.
Das FA setzte für den Grunderwerb des Klägers die Grunderwerbsteuer zunächst nur nach dem für das (unbebaute) Grundstück vereinbarten Kaufpreis als Gegenleistung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Später gelangte es zu der Überzeugung, einheitlicher Gegenstand des Grundstückskaufvertrages mit X und des Bauerrichtungsvertrages mit der Y-GmbH sei das bebaute Grundstück und setzte durch Änderungsbescheid vom 9. März 1988 - weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung - Grunderwerbsteuer gegen den Kläger nach einer Gegenleistung von 102275 DM (1/2 von 204550 DM - 187700 DM Bau- und Erschließungskosten zuzüglich 16850 DM Grundstückskaufpreis -) in Höhe von 2045 DM fest. Den Einspruch, mit dem der Kläger sich gegen die Einbeziehung der Erschließungs- und Baukosten in die Steuerbemessungsgrundlage (Gegenleistung) wandte, wurde vom FA als unbegründet zurückgewiesen. Das FA hob lediglich den Vorbehalt der Nachprüfung auf und erklärte den Bescheid wegen der noch nicht eindeutig feststehenden Höhe der Baukosten für vorläufig.
Das Finanzgericht (FG) änderte die Steuerfestsetzung dem Klageantrag des Klägers entsprechend und setzte die Grunderwerbsteuer nur nach dem als Kaufpreis für das unbebaute Grundstück vereinbarten Betrag auf 168 DM fest. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 187 veröffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA unrichtige Anwendung der § 1 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei nicht nur auf die zivilrechtliche Beurteilung der Verträge, insbesondere auf den Willen der Vertragsschließenden abzustellen. Vielmehr sei entscheidend, ob ein objektiver Zusammenhang zwischen den Verträgen bestehe.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Das FG hat die Voraussetzungen, unter denen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats als Gegenstand des Erwerbsvorgangs das Grundstück in einem zukünftigen, von der Veräußererseite noch herzustellenden (bebauten) Zustand anzusehen ist, verkannt, weil es für die Frage nach dem Gegenstand des Erwerbsvorgangs allein den wörtlichen Inhalt der Verträge sowie die bürgerlich-rechtliche Beurteilung für maßgebend erachtet hat.
Der Grundstückskaufvertrag vom 21. August 1986 ist ein Rechtsvorgang, der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer unterliegt. Die Steuer dafür bemißt sich nach dem Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG 1983). Zur Gegenleistung gehört bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983).
Für den Umfang der Bemessungsgrundlage ist entscheidend, in welchem tatsächlichen Zustand das Grundstück Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 29. Juni 1988 II R 258/85, BFHE 154, 149, BStBl II 1988, 898; vom 24. Januar 1990 II R 94/87, BFHE 160, 284, 287, BStBl II 1990, 590; vom 5. Februar 1992 II R 110/88, BFHE 166, 402, BStBl II 1992, 357 sowie - zu § 11 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1940 - BFH-Urteil vom 11. März 1981 II R 77/78, BFHE 133, 230, 231, BStBl II 1981, 537 m. w. N.); denn Gegenstand der auf die Grundstücksübereignung abzielenden Vereinbarungen kann das Grundstück in dem Zustand sein, den es im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hat, oder in einem (künftigen) Zustand, in den es erst zu versetzen ist.
Der für den Umfang der Gegenleistung maßgebliche Gegenstand des Erwerbsvorgangs wird nicht nur bestimmt durch das den Übereignungsanspruch begründende Rechtsgeschäft selbst, sondern - ggf. - auch durch mit diesem Rechtsgeschäft in rechtlichem oder objektiv sachlichem Zusammenhang stehende Vereinbarungen, die insgesamt zu dem Erfolg führen, daß der Erwerber das Grundstück in bebautem Zustand erhält (BFH-Urteile vom 18. Oktober 1989 II R 143/87, BFHE 158, 477, BStBl II 1990, 183 und II R 85/87, BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181, sowie in BFHE 160, 284, BStBl II 1990, 590 und BFHE 166, 402, BStBl II 1992, 357). Dies ist nach den Umständen des Einzelfalles zu ermitteln.
Sind, wie im Streitfall, vom Erwerber mit je unterschiedlichen Vertragspartnern Verträge über den Erwerb des Grundstücks und über die Errichtung eines Hauses abgeschlossen worden, so ist zu prüfen, ob die mehreren Verträge darauf abzielen, dem Erwerber ein Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen. Maßgebend ist der Gesamtinhalt der Verträge unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -; BFH-Urteil vom 4. Mai 1983 II R 6/82, BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609, und BFH-Beschluß vom 18. September 1985 II B 24-29/85, BFHE 144, 280, BStBl II 1985, 627).
Bereits dies hat das FG nicht beachtet; vielmehr hat es sich unter Hinweis auf das Fehlen von rechtlichen Verbindungsklauseln auf die buchstäbliche Übernahme des in den Verträgen Erklärten beschränkt und ist im übrigen - ohne jede weitere Prüfung der Umstände - zu dem Ergebnis gelangt, Absprachen, daß der Kläger verpflichtet gewesen sei, den Bauvertrag mit der Y-GmbH abzuschließen, seien nicht erkennbar.
Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist im Einzelfall unter Heranziehung aller relevanten Umstände (Vertragsanbahnung, Vertragsverhandlungen, Ort, Zeit und Begleitumstände des Vertragsabschlusses) zu bestimmen. Entscheidend ist dabei letztlich, ob der Grundstückserwerber im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstücksvertrages an ein von einer untereinander verbundenen Veräußererseite ausgearbeitetes und angebotenes Bebauungskonzept gebunden ist. Dies ist stets der Fall, wenn er sich bereits vor Abschluß des Grundstückskaufvertrags oder spätestens zusammen mit diesem hinsichtlich der Bebauung des Grundstücks gegenüber der Veräußererseite zivilrechtlich gebunden hat (BFH in BFHE 158, 483 und 477, BStBl II 1990, 181 und 183).
Ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang des Gebäudeerrichtungsvertrags mit dem Grundstückskaufvertrag wird jedoch nicht allein dadurch ausgeschlossen, daß der Abschluß der zur Errichtung des Gebäudes erforderlichen Verträge zeitlich erst kurz nach dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags erfolgt. Der objektive enge sachliche Zusammenhang kann in solchen Fällen dann bestehen, wenn der Erwerber (spätestens) mit dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags in seiner Entscheidung über das ,,Ob" und ,,Wie" einer Bebauung gegenüber der Veräußererseite nicht mehr frei war. Eine derartige Einschränkung der sonst für einen Grundstückserwerber bestehenden Entscheidungsfreiheit kann sich aus vorherigen Absprachen oder aus faktischen Zwängen ergeben.
Ein derartiger faktischer Zwang kann allerdings nicht aus den Vorgegebenheiten des Bebauungsplans bzw. der Bebauung im Nachbarbereich abgeleitet werden (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1991 II R 133/87, BFHE 164, 117, BStBl II 1991, 532).
Treten auf der Veräußererseite mehrere Personen auf, so ist für das Vorliegen eines engen sachlichen Zusammenhangs zwischen den Verträgen neben der Bindung an eine bestimmte Bebauung erforderlich, daß die mehreren Personen auf der Veräußererseite aufgrund von Abreden bei der Veräußerung zusammenarbeiten und durch abgestimmtes Verhalten auf den Abschluß aller Verträge (Übereignung des Grundstücks und Errichtung des Gebäudes) hinzielen (BFH-Urteil vom 14. März 1990 II R 169/87, BFH/NV 1991, 263).
2. Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen; sie ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des FG erlauben keine Entscheidung darüber, ob bei objektiver Betrachtungsweise ein hinreichend enger sachlicher Zusammenhang zwischen den Verträgen besteht, mit der Folge, daß Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute Grundstück ist. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung hat das FG die dazu notwendigen Feststellungen nicht getroffen.
Bei seiner Entscheidung wird das FG zu berücksichtigen haben, daß die zivilrechtliche Möglichkeit, die beiden Verträge - getrennt - aufzuheben, die Annahme eines engen sachlichen Zusammenhang zwischen diesen nicht ausschließt (vgl. bereits BFH in BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181). Ein paralleler Geschehensablauf (Abschluß der Errichtungsverträge immer mit demselben Unternehmen) und eine Anzeigenwerbung, die auf bebaute Objekte abstellt, können als Indiz für das Vorliegen von Abreden auf der Veräußererseite gewertet werden (vgl. Senatsurteil vom 24. Juli 1991 II R 39/88, BFH/NV 1992, 626).
Fundstellen
Haufe-Index 418776 |
BFH/NV 1993, 561 |