Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer Erbschaft, Schenkung und Steuern
Leitsatz (amtlich)
Bei der Bewertung eines vermachten Nießbrauchs an einer Erbschaft ist von den Werten der Nießbrauchsrechte an den einzelnen Nachlaßgegenständen auszugehen.
Normenkette
ErbStG § 23
Tatbestand
Der im Jahr 1959 verstorbene Kaufmann C hatte den lebenslänglichen Nießbrauch an seinem Nachlaß seiner Schwester H, nach deren Wegfall ihrem Ehemann O zugewandt, der auch als Testamentsvollstrecker eingesetzt war. Die zunächst bedachte Nießbraucherin ist im Jahr 1960 verstorben. Das Finanzamt (FA) hat durch vorläufigen Bescheid an den Testamentsvollstrecker für den Nießbrauch der Schwester des Verstorbenen und für den Nießbrauch ihres Ehemannes Erbschaftsteuer angefordert. Zum letztgenannten Punkt hat der Vermächtnisnehmer Einspruch erhoben. Er hält den Erwerb als Nachvermächtnis auf das Ableben seiner Frau (§ 7 Abs. 4, Abs. 2 Satz 2 ErbStG) und wegen überschuldung des Nachlasses, an dem der Nießbrauch zu bestellen ist, für steuerfrei. Der Einspruch hatte keinen, die Berufung aus dem zweitgenannten Grunde vollen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat Einspruchsentscheidung und Steuerbescheid auch insoweit ersatzlos aufgehoben, als sie den Nießbrauch der Ehefrau des Berufungsführers betreffen.
Mit der - seit 1. Januar 1966 als Revision zu behandelnden (§ 184 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 und 2, §§ 115 ff. FGO in Verbindung mit § 285 ff. AO a. F.) - Rechtsbeschwerde beanstandet das FA (Revisionskläger), daß das FG nicht den Nettowert des Nießbrauchs gemäß § 17 Abs. 3, § 16 Abs. 2 BewG 1934 angesetzt und gegebenenfalls durch den Bruttowert der genutzten Gegenstände begrenzt habe, sondern vom Nettovermögen des Eigentümers ausgegangen sei. Die Erben des nach Ergehen des Berufungsurteils verstorbenen Berufungsführers (Revisionsbeklagte) haben den Rechtsstreit aufgenommen.
Die Revision ist begründet.
Entscheidungsgründe
Das FG hat die für die Bewertung des Nießbrauchs an einem Vermögen maßgebenden Rechtssätze verkannt.
Das FG hat erwogen: Der Nießbrauch sei an dem ganzen Nachlaß bestellt gewesen. Zwar könne er nach bürgerlichem Recht nur an den einzelnen Vermögensgegenständen bestellt werden. Erbschaftsteuerrechtlich sei aber die tatsächliche Durchführung maßgebend, wie auch das FA einen Nießbrauch am Grundstücksanteil anerkannt habe. Daher finde die Besteuerung des Nießbrauchs ihre Grenze am Wert des Nachlasses.
Diese Beurteilung geht fehl. Der Erbschaftsteuer unterliegt der vermachte Nießbrauch (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) in der ihm nach bürgerlichem Recht zukommenden Gestaltung. Eine wirtschaftliche Betrachtung (§ 1 Abs. 2 und 3 StAnpG) kann zu keinem anderen Ergebnis führen.
Das Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB) unterliegt als Erwerb von Todes wegen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) der Erbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Die Steuerschuld entsteht, sofern das Vermächtnis nicht aufschiebend bedingt, betagt oder befristet ist (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG), mit dem Tode des Erblassers (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), also dem Anfall des Vermächtnisses (§ 2176 BGB). Annahme des Vermächtnisses ist nicht erforderlich. Die Ausschlagung (§ 2180 BGB) dagegen bewirkt, daß der Anfall des Vermächtnisses als nicht erfolgt gilt (§ 2180 Abs. 3, § 1953 Abs. 1 BGB), die Steuerschuld somit rückwirkend entfällt (vgl. § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG).
Daraus ergibt sich, daß die Erbschaftsteuerschuld, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, auch bei Vermächtnissen nach Grund und Betrag (§ 22 ErbStG) auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückzubeziehen ist. Zu besteuern ist somit der dem Vermächtnisnehmer angefallene (§ 2176 BGB) und nicht ausgeschlagene (§ 2180 BGB) Anspruch, von den Erben die Einräumung des Nießbrauchs zu fordern (§ 2174 BGB). Es kommt also allein auf den Anspruch an, wie er mit dem Tode des Erblassers entstanden ist; wie die Beteiligten diesen verwirklichen, ist entgegen der Ansicht des FG unerheblich. Die "tatsächliche Durchführung" ist nur in Ausnahmefällen von Belang, so etwa, wenn die Beteiligten eine unwirksame Verfügung von Todes wegen gelten lassen (§ 5 Abs. 3 StAnpG), oder wenn sie einer mehrdeutigen letztwilligen Verfügung einverständlich einen bestimmten, rechtlich möglichen Inhalt unterlegen.
Der Wert des Vermächtnisanspruchs kann, da er in vollem Umfang realisierbar war, nicht anders bemessen werden als nach dem Wert des Nießbrauchs, auf den er sich richtet. Folglich müssen, da der Nießbrauch an einem Nachlaß nur in der Weise bestellt werden kann, daß der Nießbraucher den Nießbrauch an den einzelnen zum Nachlaß gehörenden Gegenständen erlangt (§§ 1089, 1085 Satz 1 BGB), die Werte der einzelnen Nießbrauchsrechte, die zu bestellen die Erben verpflichtet waren, festgestellt werden. Von diesem Erfordernis kann auch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 1 Abs. 2 und 3 StAnpG) nicht entbinden. Denn der Inhalt des zu bewertenden Nießbrauchs bestimmt sich ausschließlich nach bürgerlichem Recht (§§ 1030 ff. BGB). Wohl mag in wirtschaftlicher Betrachtung der Nießbrauch an einem Vermögen als eine Einheit erscheinen; das sagt aber nichts darüber aus, welche Rechte dem Nießbraucher zustehen und welche Pflichten ihm obliegen. Vielmehr sind auch wirtschaftlich die Rechte aus dem Nießbrauch an einem Vermögen gleich der Summe der Rechte aus dem Nießbrauch an den einzelnen Gegenständen; die Lasten des Nießbrauchs an dem Vermögen sind die Summe der mit den einzelnen Nießbrauchsrechten verbundenen Lasten, vermehrt um die besonderen Lasten aus §§ 1086 bis 1088 BGB. Die Lasten des Nießbrauchs sind also nicht identisch mit den Lasten des genutzten Vermögens; der Wert des Nießbrauchs kann daher nicht am Wert des belasteten Vermögens gemessen werden.
Dementsprechend war unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Diesem war auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 412155 |
BStBl III 1966, 507 |
BFHE 86, 386 |