Leitsatz (amtlich)
Leben Steuerpflichtige mit einer Stadtwohnung während einiger Sommermonate in einem Wohnwagen auf einem nahegelegenen Campingplatz und fahren sie von dort aus zu ihrer Arbeitsstätte, so ist der Wohnwagen nicht als "Wohnung" i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 1969 anzusehen. Es sind auch für diese Zeit die geringeren Fahrtkosten anzusetzen, die die Steuerpflichtigen gehabt hätten, wenn sie von ihrer Stadtwohnung zur Arbeitsstätte gefahren wären.
Normenkette
EStG 1969 § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren im Streitjahr 1970 als Arbeitnehmer in B beschäftigt, wo sie eine gemeinsame Wohnung haben. Sie hatten vom 1. Mai bis 15. Oktober 1970 einen Jahreszeltplatz in einem nahegelegenen Erholungsgebiet gemietet und auf ihm ihren Wohnwagen abgestellt. Die Kläger machten in der Einkommensteuererklärung für 1970 Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem eigenen Kraftfahrzeug geltend, und zwar Fahrten von der Wohnung in B zur Arbeitsstelle in B für 150 Tage (3 km Entfernung) und für die Zeit, in der sie im Wohnwagen gelebt haben, Fahrten vom Campingplatz zur Arbeitsstelle in B für 71 Tage (20 km Entfernung). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) ließ bei der Einkommensteuerveranlagung bzw. in der Einspruchsentscheidung nur Aufwendungen von 0,36 DM für drei Entfernungskilometer an 221 Tagen = 238,68 DM zum Abzug zu.
Das FG wies die Klage ab. Es führte in seiner in den EFG 1972, 580, veröffentlichten Entscheidung aus, es handele sich bei den Fahrten vom Campingplatz zum Arbeitsplatz des Ehemannes nicht um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Die Kläger hätten ihre Wohnung in B. Der auf dem Campingplatz abgestellte Wohnwagen sei keine Wohnung im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Es seien zwar an eine Zweitwohnung geringere Anforderungen zu stellen als an die Erstwohnung. Von einer Wohnung könne man aber nur im Zusammenhang mit einem Gebäude sprechen. Es müsse sich um ein zum Aufenthalt von Menschen geeignetes Gebäude oder einen Gebäudeteil mit einer gewissen Mindestausstattung handeln. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch verbinde sich mit dem Begriff "Wohnung" die Vorstellung von etwas Dauerhaftem, Boden- und Ortsgebundenem. Von dieser Vorstellung sei der Gesetzgeber offensichtlich auch im § 21 Abs. 2 EStG ausgegangen. Die Bestimmung, die den Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus der Einkommensteuer unterwerfe, sei ausschließlich auf das Wohnen in Gebäuden zugeschnitten. Falle unter den Begriff "Wohnung" auch ein Wohnwagen, so müsse der Eigentümer eines Wohnwagens diesen Nutzungswert ebenso versteuern, wie der Besitzer den Nutzungswert einer Zweitwohnung in einem Ferien-, Wochenend- oder Jagdhaus. Es bestehe daher keine Veranlassung, den Begriff "Wohnung" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG weiter zu fassen als in § 21 Abs. 2 EStG. Die strittigen Fahrtkosten seien im übrigen nicht durch die Berufstätigkeit der Kläger veranlaßt worden. Wer nach Dienstschluß von seiner Wohnung aus die Fahrt in ein Erholungsgebiet antrete, tue das aus privaten Gründen. Es sei steuerlich ohne Bedeutung, ob ein Steuerpflichtiger solche Fahrten nur gelegentlich von seiner Wohnung aus unternehme oder ob er täglich unmittelbar von seiner Arbeitsstätte in das Erholungsgebiet fahre. Es wäre zudem kaum nachprüfbar, ob er dabei seine Stadtwohnung umfahre oder sie zur Ergänzung von Vorräten, zum Auswechseln von Kleidungsstücken usw. kurzfristig aufsuche, so daß die Fahrt von der Arbeitsstätte zur Wohnung bereits dort ende. Ein Wohnwagen sei außerdem selbst bei anspruchsvoller Ausstattung im allgemeinen nicht dazu eingerichtet und geeignet, eine richtige Wohnung zu ersetzen. Sei eine Wohnung vorhanden, so komme einem Wohnwagen - ähnlich wie einem Hauszelt - nur eine ergänzende, der Erholung und Freizeitgestaltung dienende Funktion zu.
Die Kläger rügen mit der Revision unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Sie meinen, entgegen der Ansicht des FG sei unter einer "Wohnung" lediglich ein Raum zu verstehen, der dem Menschen für sein Privatleben zur Verfügung stehe. Sie hätten ihren Wohnwagen während eines jeden Sommerhalbjahres als Zweitwohnung gewählt. Von dort aus führen sie während des Sommerhalbjahres täglich zur Arbeitsstätte und zurück. Es sei unbeachtlich, ob das Leben im Wohnwagen vollkommen oder unvollkommen sei. Die vom GG garantierte Freizügigkeit gestatte es jedem Bürger, sein Wohnen nach seinem Ermessen einzurichten.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer für 1970 unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids vom 15. November 1971 und der Einspruchsentscheidung vom 10. Februar 1972 auf 3 022 DM festzusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 1969 sind Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte grundsätzlich Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Nach Auffassung des Senats (siehe Urteil vom 17. Dezember 1971 VI R 315/70, BFHE 104, 212, BStBl II 1972, 245, und die dort erwähnte Rechtsprechung) ist unter einer "Wohnung" der Ort zu verstehen, von dem aus sich der Arbeitnehmer regelmäßig zu seiner Arbeitsstätte begibt. Entgegen der Ansicht des FG braucht eine "Wohnung" im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 1959 nicht unbedingt ein Gebäude oder der Teil eines Gebäudes zu sein. So haben z. B. Arbeitnehmer, die in Holzbaracken leben, dort ihre Wohnung, wenn sie von diesem Ort regelmäßig ihre Arbeitsstätte aufsuchen.
Hat ein Arbeitnehmer zwei Wohnungen, so ist für die Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 1969 grundsätzlich die Wohnung maßgebend, von der der Arbeitnehmer sich regelmäßig zu seiner Arbeitsstätte begibt (vgl. Urteil des BFH VI R 315/70 und die dort erwähnte Rechtsprechung sowie Abschnitt 25 Abs. 3 LStR 1970). Entsprechend der zu § 13 des StAnpG ergangenen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juni 1964 IV 29/64 U, BFHE 80, 169, BStBl III 1964, 535, und der dort angegebenen Rechtsprechung des RFH) ist es nicht erforderlich, daß die Zweitwohnung ausstattungsmäßig der ersten Wohnung in jeder Beziehung gleichwertig ist. Sie muß jedoch, um eine Wohnung zu sein, dem Steuerpflichtigen für die Zeit, in der er sie bewohnt und von dort regelmäßig zur Arbeitsstätte fährt, ein Heim bieten, d. h. den örtlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen darstellen. Die Zweitwohnung muß für diese Zeit mithin zur Hauptwohnung geworden sein.
Diese Voraussetzungen waren im Streitfall während der Zeit, in der die Kläger im Wohnwagen auf dem Campingplatz lebten, nicht erfüllt. Ein Steuerpflichtiger, der eine Stadtwohnung besitzt und an den Wochenenden sowie in den Ferien für kürzere oder längere Zeit auf einem Campingplatz in einem Wohnwagen lebt, begründet während dieser Zeit keinen zweiten Wohnsitz in dem Wohnwagen, da der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nach der Lebenserfahrung weiterhin seine Stadtwohnung ist. Er sieht den Aufenthalt im Wohnwagen auf dem Campingplatz als eine zeitlich begrenzte Art der Erholung an. Nach den zutreffenden Ausführungen des FG kommt einem Wohnwagen - ähnlich wie einem Hauszelt - nur eine ergänzende, der Erholung und Freizeitgestaltung dienende Funktion zu. Der Wohnwagen wird auch nicht dann zum Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Arbeitnehmerehepaares, wenn es, wie im Streitfall, im zeitlichen Zusammenhang mit dem dort verlebten Urlaub noch etwa drei Monate im Wohnwagen auf dem Campingplatz lebt und von dort der Arbeit nachgeht; denn ein solcher verlängerter Aufenthalt am Ferienort ändert nichts an den allgemeinen Lebensumständen.
Der Senat weist daher die Revision als unbegründet zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 71265 |
BStBl II 1975, 278 |