Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Studienbeurlaubung wegen Geburt eines Kindes, Ablegen von Prüfungen/Prüfungsvorbereitung als Berufsausbildung
Leitsatz (NV)
Der Tatbestand der Berufsausbildung ist auch dann erfüllt, wenn nachweisbar dargelegt wird, dass der Studierende trotz Beurlaubung (hier: wegen Geburt eines Kindes) ernsthaft und nachhaltig Ausbildungsschritte (hier: Ablegen von Teilprüfungen, intensive Prüfungsvorbereitung) unternimmt. Offen bleibt, ob hierbei nur solche Ausbildungsmaßnahmen Berücksichtigung finden können, die mit den einschlägigen hochschulrechtlichen Bestimmungen vereinbar sind.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 2002, 333) |
Tatbestand
I. Die Tochter (J) des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) nahm im Wintersemester 1995/1996 das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität H auf. Aufgrund der Geburt ihres Sohnes S (8. Juni 1999) wurde J gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 7 des Gesetzes über die Universitäten im Lande Baden-Württemberg vom 10. Januar 1995 (GBl für Baden-Württemberg 1995, S. 1 ―UG BaWü―) für das Sommersemester 1999 sowie das Wintersemester 1999/2000 (1. Oktober 1999 bis 31. März 2000) antragsgemäß beurlaubt. Für das Sommersemester 2000 hat sich J als Studierende ―ohne Antrag auf Beurlaubung― zurückgemeldet (§ 89 UG BaWü).
Mit Bescheid vom 15. Dezember 1999 hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) die Festsetzung des Kindergelds ab September 1999 auf, da J das Studium nach Ablauf der 8-wöchigen Mutterschutzfrist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes ―MuSchG―) nicht fortgesetzt habe. Für die Monate ab April 2000 (Beginn des Sommersemesters 2000) wurde dem Kläger das Kindergeld wieder bewilligt.
Sowohl im Einspruchs- als auch ergänzend im Klageverfahren hat der Kläger ―unter Vorlage von Prüfungsbescheinigungen― vorgetragen, dass J im Anschluss an ihre Diplomarbeit (26. Mai 1999) schriftliche (September/Oktober 1999) und mündliche (November/Dezember 1999) ―fächerübergreifende― Teil-Diplomprüfungen (Allgemeine Volkswirtschaftslehre, Konsumökonomik) bestanden habe. Da die hierfür erforderliche Vorbereitung ―von kurzen Pausen abgesehen― tägliche Lernzeiten von ca. 2 bis 6 Stunden (Juni/Juli 1999) sowie 5 bis 8 Stunden (August bis Dezember 1999) umfasst habe, sei das Studium von J ―trotz Beurlaubung― nicht unterbrochen, sondern unverändert fortgeführt worden. Im März und April 2000 werde J weitere Prüfungen (Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Industriebetriebswirtschaftslehre, Absatzwirtschaft) verbunden mit entsprechenden Vorbereitungszeiten (einschließlich verschiedener Tutorien) in den Monaten Januar bis März 2000 ablegen. S sei in dieser Zeit von seinem Vater sowie vom 12. Januar bis 19. Februar 2000 vom Kläger und seiner Ehefrau betreut worden.
Einspruch und Klage ―mit denen der Kläger begehrte, ihm Kindergeld auch für die Monate September 1999 bis März 2000 zu gewähren― blieben ohne Erfolg. J habe ―so u.a. das Finanzgericht (FG)― ihr Studium aufgrund der Beurlaubung unterbrochen (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2002, 333).
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt der Kläger sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz sowie den Bescheid vom 15. Dezember 1999 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 18. Januar 2000 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, für die Monate September 1999 bis März 2000 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Da der erkennende Senat aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht beurteilen kann, ob J in der Zeit von September 1999 bis einschließlich März 2000 i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) für einen Beruf ausgebildet wurde, ist das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Die Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, d.h. die Ausbildung zu einem künftigen Beruf, umfasst alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. Januar 2000 VI R 11/99, BFHE 191, 50, BStBl II 2000, 199), und damit auch die Teilnahme an den für die Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation erforderlichen Prüfungen (hier: Diplom-Teilprüfungen im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften; zum Abschluss des Universitätsstudiums vgl. BFH-Urteil vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473).
a) Nach zwischenzeitlich ständiger Rechtsprechung ist hiervon selbst dann auszugehen, wenn die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht in überwiegendem Umfang in Anspruch nimmt (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701). Ein Kind wird deshalb auch dann für einen Beruf ausgebildet, wenn es neben dem Studium halbtags berufstätig ist (BFH-Urteil in BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473; zur Abgrenzung gegenüber Vollzeiterwerbstätigkeit vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BFH/NV 2002, 260) oder wenn es sich von seinem (Fremd-)Sprachenstudium beurlauben lässt und in dieser Zeit ein Praktikum als Fremdsprachenassistent an einer ausländischen Schule absolviert (BFH-Urteil in BFHE 191, 50, BStBl II 2000, 199).
b) Dementsprechend hätte das FG sich auch im Streitfall nicht mit der Feststellung begnügen dürfen, J habe mit ihrer Beurlaubung die Berechtigung zur Teilnahme an den Lehrveranstaltungen verloren. Vielmehr hätte es den erstinstanzlichen (substantiierten) Darlegungen des Klägers nachgehen müssen, nach denen J ―im Einklang mit dem einschlägigen Hochschulrecht (vgl. § 90 Abs. 2 UG BaWü; zur Feststellung irrevisiblen Landesrechts durch das FG siehe Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 63)― nicht nur in den Monaten September bis Dezember 1999 schriftliche und mündliche Prüfungen erfolgreich abgelegt, sondern sich zudem bis zum Ende des Wintersemesters 1999/2000 intensiv auf weitere Prüfungen vorbereitet habe.
aa) Sollte sich dieser ―vom Beklagten auch in der Revisionsinstanz nicht bestrittene und ggf. durch die Vorlage sämtlicher Prüfungsbescheinigungen nachzuweisende― Vortrag und damit die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der von J in der Zeit ihrer Beurlaubung unternommenen Ausbildungsschritte im zweiten Rechtsgang als zutreffend erweisen, so wäre hierdurch nicht nur das Tatbestandsmerkmal der Berufsausbildung gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (gl.A. Siegers, EFG 2002, 334) erfüllt, sondern zugleich auch dem Anliegen der Vorinstanz zur möglichst praktikablen Handhabung des Kinderleistungsausgleichs entsprochen. Demgemäß besteht im Rahmen des anhängigen Verfahrens weder Anlass, zu den Mindestanforderungen einer ernsthaften und nachhaltigen Berufsausbildung Stellung zu nehmen (vgl. hierzu Urteil des FG Brandenburg vom 2. Juli 1998 5 K 1257/97 Kg, EFG 1998, 1417, rkr.; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 30. September 1997 V 280/97, EFG 1998, 374, rkr.; allgemein zum Erfordernis der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29. Oktober 1999 VI R 53/99, BFH/NV 2000, 431; vom 9. Juni 1999 VI R 92/98, BFHE 189, 103, BStBl II 1999, 708 jeweils betr. Promotionsvorbereitung; BFH-Urteil vom 23. April 1997 VI R 135/95, BFH/NV 1997, 655: Studium neben Berufstätigkeit), noch ist darauf einzugehen, ob im Falle der Beurlaubung des Studierenden ―und dem damit verbundenen Ruhen der Rechte und Pflichten aus der Immatrikulation (Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 2. Aufl., S. 697)― bei der Prüfung des Berufsausbildungstatbestands nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nur solche Ausbildungsmaßnahmen Berücksichtigung finden können, die mit den einschlägigen hochschulrechtlichen Bestimmungen vereinbar sind.
bb) Nicht zu folgen ist schließlich der Erwägung der Vorinstanz, dem Kläger stehe deshalb für den streitigen Zeitraum kein Anspruch auf Kindergeld zu, weil sich durch die "familienbedingten" Urlaubssemester die Studiendauer von J "faktisch verlängert" habe. Abgesehen davon, dass diese Überlegung auf einer hypothetischen, d.h. nicht beweisbaren Annahme zum Studienverlauf ohne das Erfordernis der Kinderbetreuung beruht, verkennt die Ansicht nicht nur, dass durch solche Mutmaßungen der tatsächlich gegebene Tatbestand der Berufsausbildung nicht aufgehoben wird. Hinzu kommt vor allem, dass die Regelung zur Altersgrenze in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, nach der ein Kind, das für einen Beruf ausgebildet wird, grundsätzlich ―d.h. vorbehaltlich der Verlängerungstatbestände des § 32 Abs. 5 EStG― bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zu berücksichtigen ist, auf der Wertung des Gesetzgebers beruht, den Kinderleistungsausgleich auch dann zu gewähren, wenn das Studium unter Überschreitung der Regel- oder Mindeststudienzeit nicht stringent durchlaufen und abgeschlossen wird (vgl. hierzu auch Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. Oktober 1998 B 14 KG 14/97 R, SozR 3-5870, § 2 BKGG Nr. 42).
2. Im zweiten Rechtsgang wird das FG demnach nicht nur die erforderlichen Feststellungen zu den von J erbrachten Prüfungsleistungen zu treffen, sondern zudem auch die von ihr in den Jahren 1999 und 2000 erzielten Einkünfte und Bezüge (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 2 ―ggf. i.V.m. Sätze 5 und 6― EStG) zu ermitteln haben.
Fundstellen
Haufe-Index 775522 |
BFH/NV 2002, 1150 |
HFR 2002, 1022 |