Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung Körperschaftsteuer Handelsrecht Gesellschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
übersendet das Finanzamt dem Finanzgericht Aktenunterlagen, für die es die Einsichtnahme durch den Rechtsmittelführer ausschließt, so handelt das Finanzgericht richtig, wenn es diese Unterlagen vor der Bearbeitung der Sache zurücksendet, um im Prozeß dem Steuerpflichtigen die gleiche Chance zu geben wie dem Finanzamt.
Steht der Gesellschafter einer AG in Kaufverhandlung mit dem Interessenten für ein Grundstück, das der AG gehört, so liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung vor, wenn er das Grundstück zu einem weit unter dem nach dem Stand der Verhandlungen sich ergebenden Entgelt von der AG erwirbt.
Es liegt kein Verstoß gegen das GG vor, wenn verdeckte Gewinnausschüttungen nicht mit dem ermäßigten Steuersatz des § 19 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 KStG besteuert werden, der für auf Grund gesellschaftsrechtlicher Vorschriften ausgeschüttete Gewinne gilt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 101/1; AO §§ 267-268; KStG § 6 Abs. 1 S. 2; AktG § 52; KStG § 19 Abs. 1 Ziff. 1 S. 2
Tatbestand
Die Bfin. wurde als Rechtsnachfolgerin der im Jahre 1959 auf sie als die Hauptaktionärin umgewandelten Aktiengesellschaft K - im folgenden kurz AG genannt - vom Finanzamt in Anspruch genommen. Zu deren Vermögen gehörte am Beginn des streitigen Veranlagungszeitraums - 1953 - das Grundstück in S mit durch Kriegseinwirkung stark beschädigten Fabrikgebäuden. Dieses Grundstück, dessen Buchwert am 1. Januar 1953 = 300 000 DM betrug, wurde mit Vertrag vom Juni 1953 zum Preise von 370 000 DM an den Ehemann der Bfin., gleichfalls Aktionär der AG, Dr. L, verkauft. Dr. L und seine Ehefrau besaßen damals zusammen etwa 95 v. H. der Aktien der AG. Der Kaufpreis wurde in Höhe von 22 526,54 DM durch übernahme einer Hypothek und in Höhe von 347 473,46 DM in bar belegt.
Vor Abschluß dieses Kaufvertrages hatte sich Dr. L in einem Schreiben vom Juni 1953 an das Finanzamt gewandt mit der Bitte, ihm als Hauptaktionär den in Aussicht genommenen Kaufpreis von 320 000 DM amtsseitig als angemessen zu bestätigen.
Darauf antwortete das Finanzamt: "Unter Würdigung der mir z. Z. bekannten Einflüsse, denen der Verkehrswert des Fabrikgebäudekomplexes unterliegt, wird von einer verdeckten Gewinnausschüttung nicht gesprochen werden können, wenn 370 000 DM für das fragliche Objekt gezahlt werden".
In ihrer Körperschaftsteuererklärung 1953 wies die AG als Gewinn 20 000 DM aus; diesem Gewinn lag die Veräußerung des Grundstücks in S zum Preise von 370 000 DM zugrunde. Die Veranlagung wurde rechtskräftig.
Durch Schreiben vom Juli 1958 wurde das Finanzamt auf Feststellungen der Oberfinanzdirektion hingewiesen und von dieser aufgefordert, hierzu Stellung zu nehmen und die Möglichkeit einer Berichtigung der rechtskräftigen Veranlagung der AG für das Jahr 1953 gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO zu prüfen. Die Feststellungen, die in den beim Grundstücksamt der Stadt S - im folgenden kurz Stadt genannt - geführten Grundstücksakten betreffend die Grundstücke getroffen worden waren, besagten folgendes:
Im Februar 1953 sprach Dr. L beim Städtischen Grundstücksamt vor und fragte an, ob die Stadt an den Grundstücken der AG interessiert sei. Die um die Schätzung ersuchte Preisbehörde für Grundstücke teilte dem Grundstücksamt im April 1953 mit, daß sie das Grundstück besichtigt habe.
Nach einem auf Blatt 4 der Grundstücksakten befindlichen Vermerk (ohne Datum) teilte die AG der Stadt mit, daß sie ihren Grundstückskomplex ihrem Hauptaktionär Dr. L verkaufen wolle, der sich seinerseits bereit erklärt habe, den von der AG erworbenen Grundbesitz der Stadt zu verkaufen, jedoch nicht vor Ablauf von zwei Jahren, d. h. vor dem 30. Juni 1955.
Im Mai 1953 fragte Dr. A beim Stadtkämmerer an, ob die Stadt an der Aufnahme von Verhandlungen über den Ankauf des Grundstückskomplexes der AG interessiert sei. Die AG habe die Möglichkeit, Verhandlungen mit einer Gruppe aufzunehmen, die ebenfalls an diesem Komplex starkes Interesse zeige. Sie würde diese Verhandlungen indes nicht erst in Gang bringen, wenn sie wisse, daß die Stadt ernstlich an einem Erwerb interessiert sei.
Nach einem handschriftlichen Vermerk vom Mai 1953 teilte der Stadtkämmerer dem Einsender fernmündlich das Interesse der Stadt am Erwerb der Grundstücke mit und verwies ihn zur Fortführung der Verhandlungen an das Grundstücksamt.
Inzwischen erwarb Dr. L durch Vertrag vom Juni 1953 den Grundstückskomplex persönlich zu Eigentum und beantragte, nachdem die Verhandlungen mit der Stadt über die Gewährung eines Darlehens von 600 000 DM gescheitert waren, bei der Sparkasse der Stadt ein auf diesem Grundbesitz hypothekarisch abzusicherndes Darlehen in Höhe von 350 000 DM. Nach einem handschriftlichen Vermerk vom August 1953 und dem vom Grundstücksamt unter dem September 1953 den zuständigen Körperschaften zur Beschlußfassung vorgelegten Antrage war die Sparkasse zur Hergabe des Darlehens bereit, falls die Stadt die Ausbietungsgarantie übernehme. Die Garantie wurde mit der Maßgabe übernommen, daß Dr. L für alle Verkaufsfälle bezüglich des Sicherungsgrundstücks ein Vorkaufsrecht für die Stadtgemeinde S eintragen zu lassen habe.
Im Zuge der weiteren Verhandlungen führte die Preisbehörde für Grundstücke im Oktober 1955 auf Grund neuer, von Dr. L eingereichter Unterlagen eine erneute Ertragswertberechnung für die genannten Grundstücke durch. Nach langer Verhandlung wurden schließlich die Parteien auf der Basis von 2 400 000 DM einig.
Auf Grund dieser Feststellungen erließ das Finanzamt im September 1959 einen gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO berichtigten Bescheid, in dem es die AG mit einem um 1 055 000 DM erhöhten Gewinn der Steuer unterwarf. Der Unterschied zwischen dem von Dr. L der Stadt ursprünglich genannten Preis von 1 600 000 DM und dem von ihm für das Grundstück bezahlten Preis von 370 000 DM wurde vom Finanzamt als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt; 175 000 DM wurden für anteilige Gewerbesteuerrückstellungen gekürzt.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Mit der Rb. werden wesentliche Verfahrensmängel, Aktenverstöße und unrichtige Rechtsanwendung gerügt. Die Rb. wird weiter darauf gestützt, daß die von dem Finanzamt vorgenommene steuersatzmäßige Gleichstellung der von ihm unterstellten verdeckten Gewinnausschüttungen mit nicht ausgeschütteten Gewinnen und die Berechnung der Körperschaftsteuer nach dem Steuersatz für nicht ausgeschüttete Gewinne (60 %, § 19 Abs. 1 Ziff. 1 KStG 1953) verfassungswidrig sei, da sie gegen das Gebot der Steuergerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) verstoße.
I.
Entscheidungsgründe
Verweigerung DER Einsicht in DIE Akten, DIE dem Finanzgericht vorgelegen haben, DIE aber verschollen blieben
Es wird gerügt, das Finanzgericht habe gegen § 267 AO verstoßen, da es der Bfin. keine volle Akteneinsicht gewährt habe. In der vorliegenden Körperschaftsteuerakte fehlen die Blätter 218 bis 225. Beim Finanzgericht beantragte die Bfin. die Beiziehung auch dieser Blätter. Das vom Finanzamt in verschlossenem Umschlag unter Ausschluß der Zustimmung zur Akteneinsicht durch die Bfin. vorgelegte Aktenheft hat die Kammer uneröffnet an das Finanzamt zurückgegeben. Das Finanzgericht legte auf deren Beiziehung keinen Wert, da die in ihnen etwa enthaltenen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung seien. Ihr Fehlen im Prozeß bedeute für die Beteiligten, insbesondere für die Bfin., keinen rechtlichen Nachteil, da sie durch diesen Umstand weder in der Darstellung der ihnen bekannten Tatsachen noch in deren rechtlicher Würdigung beeinträchtigt gewesen seien, es ihnen somit am rechtlichen Gehör nicht gemangelt habe. Die Bfin. ist der Ansicht, das Akteneinsichtsrecht betreffe auch das vom Finanzamt im verschlossenen Umschlag eingereichte Aktenheft: denn diese Akte habe dem entscheidenden Gericht vorgelegen - gleichgültig, ob sie geöffnet worden sei oder nicht -, so daß der Bfin. Akteneinsicht hätte gewährt werden müssen. Es bestehe die Möglichkeit, daß diese Akte für die Entscheidung erhebliches Material enthalten habe. § 268 AO verlange die umfassende Vorlage der im Steuerermittlungs-, Steuerfestsetzungs- und Einspruchsverfahren erwachsenen Akten. Eine Akte werde verändert, wenn aus ihr Seiten entfernt würden. Die Rechtslage sei hier ähnlich wie im Falle des Urteils des Reichsfinanzhofs VI A 522/35 vom 8. Januar 1936 (RStBl 1936 S. 166), das einen wesentlichen Verfahrensmangel bejahe, wenn durch Schwärzung Teile der Akten unkenntlich gemacht würden. Ebenso wie die Nichtübersendung von Schriftstücken, die nach Abgabe der Akte an das Finanzgericht eingehen, ein wesentlicher Verfahrensmangel sei (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 708/36 vom 30. September 1936, RStBl 1936 S. 1076), müsse die unvollständige Vorlage der Vorakten mangelhaft sein.
Die Meinung des angefochtenen Urteils, die fehlenden Vorakten bzw. ihre fehlenden Teile enthielten keine neuen Gesichtspunkte, sei eine bloße Behauptung. Ohne Nachprüfung der Vorakten könne nicht festgestellt werden, ob sie erheblich seien. Es sei eine zwingende Vermutung, daß die fraglichen Seiten mit den hier gemachten Rechtsausführungen in Zusammenhang ständen.
Die Nichtauswertung der Akten stelle in jedem Falle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, denn das Finanzgericht habe seine Ermittlungspflicht verletzt; möglicherweise liege auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Die Auffassung der Bfin. finde ihre Bestätigung in dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 169/58 S vom 10. November 1961 (BStBl 1962 III S. 109, Slg. Bd. 74 S. 289). Solange das Finanzamt nicht bereit sei, den Gegenstand des Akteninhalts der nicht vorgelegten Seiten zu erläutern, gelte das allgemeine Würdigungsprinzip, daß derjenige, der über das Zurückgehaltene verfüge, ein Interesse an der Nichtoffenbarung habe. Dieses dokumentierte Interesse könne nur Grundlage für eine Vermutung zugunsten der anderen Prozeßpartei sein.
Diese Einwendungen der Bfin. sind unbegründet. Denn die Möglichkeit rechtlichen Gehörs ist ihr nicht durch unzulässige Beschränkung der Akteneinsicht beschnitten worden. Das Finanzgericht ist weder durch die fehlenden Blätter im Körperschaftsteuer-Band II noch durch das verschlossen überreichte und uneröffnet wieder zurückgegebene Aktenheft beeinflußt worden. Das Finanzgericht hat über Vorakten, Beiakten, Gutachten usw. keine Verfügungsgewalt.
Dem § 267 Abs. 1 AO liegt ebenso wie der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 169/58 S vom 10. November 1961 (a. a. O.) der Gedanke der Gleichstellung aller am Steuerprozeß Beteiligten zugrunde. Danach darf eine Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweismitteln beruhen, die auch dem Steuerpflichtigen zugänglich gewesen sind und zu denen er hat Stellung nehmen können (vgl. auch Entscheidung des Bundesfinanzhofs V 25/60 vom 28. Februar 1963, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963 S. 357). Der Steuerpflichtige ist berechtigt, in sämtliche Akten, die das Finanzamt vorlegt, Einsicht zu nehmen. Soweit das Finanzamt dem Finanzgericht Aktenunterlagen übersendet, für die es die Einsichtnahme durch den Rechtsmittelführer ausschließt, hat das Finanzgericht diese Unterlagen noch vor der Bearbeitung der Sache zurückzusenden (so auch der nicht veröffentlichte rechtskräftige Bescheid des Bundesfinanzhofs V 128/59 vom 28. März 1963). Der Ansicht von Fritsch (Deutsches Steuerrecht 1962 S. 63) und Kalthoff (Finanz-Rundschau 1962 S. 238), das Finanzgericht habe alle Akten, auch die von der Einsichtnahme ausgeschlossenen, durchzusehen, kann nicht gefolgt werden. Um eine Entscheidung zu sichern, die dem Steuerpflichtigen die gleiche Chance gibt wie dem Finanzamt, ist es gerechtfertigt, daß das Finanzgericht nur von dem Vorbringen Kenntnis nimmt, das auch dem Steuerpflichtigen zugänglich ist (so auch die oben erwähnte Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 169/58 S vom 10. November 1961). Unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht nur gestattet, sondern richtig, wenn das Finanzamt der Akte einen Vorgang entnimmt, der nach seiner Ansicht nicht zur Kenntnis des Steuerpflichtigen gelangen soll. Zu dem Ergebnis, daß das Finanzamt dem Steuerpflichtigen insbesondere verwaltungsinterne Vorgänge nicht zu offenbaren braucht, zwingt - abgesehen von der Frage des Steuergeheimnisses - die überlegung, daß die Finanzämter nicht gehalten sind, dem Steuerpflichtigen Einsicht in ihre gesamte Verwaltungstätigkeit zu geben (so auch Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 795/35 vom 21. November 1935, RStBl 1935 S. 1541). Es muß demnach anerkannt werden, daß das Finanzamt solche Akten entheften darf, die auf den Fortgang und den Ausgang des Rechtsmittelverfahrens keinen entscheidungserheblichen Einfluß haben. Liegen dem Finanzgericht alle für die Entscheidung der anstehenden Fragen bedeutsamen Aktenunterlagen vor, so steht es dem Steuerpflichtigen frei, seinerseits auf eine Ergänzung des Sachverhalts hinzuwirken, sofern er glaubt, daß die vorgelegten Akten Lücken enthalten. Da gemäß § 244 AO die Rechtsmittelbehörden alle Befugnisse haben, die den Finanzämtern im Besteuerungsverfahren gegeben sind, und die Gerichte gemäß § 278 AO über tatsächliche Verhältnisse nach ihrer freien, aus der Verhandlung und der Beweisaufnahme geschöpften überzeugung urteilen, ist dem Gericht die Möglichkeit gegeben, über das streitige Rechtsverhältnis nach voller Tatsachenaufklärung unparteiisch zu befinden. Das Finanzamt trug in der mündlichen Verhandlung erneut vor, daß die enthefteten Blätter aus dem Körperschaftsteuer-Band II keine tatsächlichen, sondern lediglich steuerrechtliche und steuerstrafrechtliche Erwägungen enthalten hätten. Die Akten ergeben keinen Anlaß, an der Richtigkeit dieser Angabe zu zweifeln. Die Sachlage könnte anders zu beurteilen sein, wenn die Bfin. behauptete, daß durch diese Blätter ihr entscheidungserhebliches Vorbringen bewiesen werden könnte. Hierzu genügt aber nicht der Vortrag, die fraglichen Aktenseiten ständen mit dem vorgelegten Steuerfall in Zusammenhang. Die Bfin. müßte vielmehr die entscheidungserheblichen Tatsachen vortragen und dartun, worauf sich ihre Behauptung stützt, diese Tatsachen seien aus den enthefteten Blättern zu ersehen. Verweigert dann das Finanzamt die Vorlage der Blätter, so steht es dem Finanzgericht auf Grund der ihm zustehenden Beweiswürdigung frei, aus diesem Verhalten Schlüsse zu ziehen und ggf. die Behauptung der Steuerpflichtigen als erwiesen anzusehen. Eine solche entscheidungserhebliche Behauptung, die - als wahr unterstellt - dem Rechtsmittel zum Erfolg verhelfen müßte, ist aber hier nicht aufgestellt. In dem Vorgehen der Vorinstanz kann darum ein Verfahrensmangel nicht gesehen werden.
II. ..... III. ..... IV.
Irrige Annahme DER verdeckten Gewinnausschüttung und fehlerhafte Ermittlung DER Höhe DER verdeckten Gewinnausschüttung
Die Bfin. bestreitet, daß bei dem Aktionär Dr. L überhaupt eine echte Gewinnchance bestanden habe. Die Ansicht der Vorinstanz, es komme nicht auf den gemeinen Wert, sondern auf den Betrag an, auf den die AG verzichtet habe, wäre nur haltbar, wenn Dr. L in eine Art vertragliche Verkaufsposition der AG eingetreten wäre. Es sei unzutreffend, daß für die Bemessung verdeckter Gewinnausschüttungen die in den Verhandlungen verwendeten taktischen Ausgangsziffern bzw. die Forderungen der als Verkaufsinteressent auftretenden Gesellschaft maßgebend seien, wenn die Gesellschaft ihrem Gesellschafter später die bloße Verkaufschance überlasse. Im vorliegenden Fall sei Dr. L aber noch nicht einmal eine Vertragschance überlassen worden. Das ergebe sich aus der Handakte des Grundstücksamts. Unter diesen Umständen müsse eine eventuelle verdeckte Gewinnausschüttung - die aber nicht vorliege - mit dem gemeinen Wert des Grundstücks per 27. Juni 1953 bewertet werden. Denn § 10 BewG sei die allgemeinste Bewertungsnorm. Sie gelte für § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG, weil diese Bestimmung nichts Abweichendes vorschreibe. Das angefochtene Urteil habe diese Rechtslage verkannt und es daher unterlassen, den gemeinen Wert - immer unterstellt, eine Berichtigungsveranlagung sei zulässig - zu ermitteln.
Die Vorinstanz hat zutreffend eine verdeckte Gewinnausschüttung angenommen.
Der Ansicht der Vorentscheidung, es komme darauf an, ob die AG zugunsten ihres Hauptaktionärs darauf verzichtet habe, selbst einen Gewinn zu erzielen, ist beizupflichten. Es ist auch zutreffend, daß es bei Bemessung des erzielbaren Gewinns auf das vorliegende Preisangebot ankommt, gleichgültig, welche Umstände dieses beeinflußt hätten.
Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist jeder Vorteil, den eine Erwerbsgesellschaft ihren Gesellschaftern oder diesen nahestehenden Personen ohne gleichwertige Gegenleistung mit Rücksicht auf ihre Gesellschaftereigenschaft zuwendet, den sie aber einer an der Gesellschaft nicht beteiligten Person nicht zukommen lassen würde. Dieser Fall ist hier gegeben. Wie sich aus der Aussage des Dr. P ergibt, wußten Vorstand und Aufsichtsrat der AG, daß der Gebäudekomplex mehr wert war als 370 000 DM. Wenn sie gleichwohl zu diesem Preis verkauften, so verstießen sie gegen § 52 des Aktiengesetzes (AktG), durch den das gesamte Vermögen der AG - auch soweit es den Betrag des Grundkapitals übersteigt - gegen eine Ausschüttung an die Gesellschafter gesichert ist, solange nicht ein entsprechender Reingewinnposten in der Bilanz erschienen ist. Denn die Begrenzung der Ansprüche der Aktionäre aus dem Gesellschaftsverhältnis, der jeder Aktionär kraft seiner Beteiligung an der Gesellschaft ipso jure unterworfen ist und die sowohl zum Schutze des mit der AG kontrahierenden Publikums als auch im Interesse der Gesamtheit der Aktionäre getroffen ist (Entscheidung des Reichsgerichts I 371/02 vom 14. März 1903, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen - RGZ - Bd. 54 S. 128 (132) ), schließt jeden vermögensrechtlichen Anspruch des Aktionärs als solchen auf etwas anderes als den bilanzmäßigen Gewinn ... aus (Entscheidung des Reichsgerichts II 671/10 vom 27. Juni 1911, RGZ Bd. 77 S. 13). Die Ausschüttungsbeschränkungen bilden eine Sicherung für die Gleichbehandlung der Aktionäre; kein Anteilseigner soll seinen Gewinnanteil anders als auf dem Wege über die Verteilung des Reingewinns erhalten. Die §§ 52, 54 AktG enthalten noch den im weiteren Sinne bilanzrechtlichen Grundsatz, daß der Gewinn, den die Gesellschaft erwirtschaftet, nicht durch Vorabführungen an die Aktionäre verkürzt, sondern voll als Gewinn der Gesellschaft ausgewiesen werden soll (vgl. Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, S. 132). Ein gegen § 52 AktG verstoßendes Rechtsgeschäft ist nichtig, und zwar sowohl das schuldrechtliche wie auch das dingliche Rechtsgeschäft (Gadow-Heinichen, Kommentar zum Aktiengesetz, § 52 Anm. 10, 11, § 56 Anm. 11, § 65 Anm. 22; Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 10. Aufl., § 56 Bem. 2; Entscheidungen des Reichsgerichts VI 296/27 vom 23. April 1928, RGZ Bd. 121 S. 99; II 36/22 vom 20. Februar 1923, RGZ Bd. 107 S. 161). Mit dem Verkauf des Grundstücks unter Wert verstießen Vorstand und Aufsichtsrat gegen handelsrechtliche Vorschriften und waren gemäß § 101 AktG haftbar.
Ist so der Verkauf eines Grundstücks unter Wert schon zivilrechtlich angreifbar, so gilt dies in gleichem Masse für das Steuerrecht, das den ungeschmälerten Gewinn der AG der Körperschaftsteuer unterwirft. Wenn Dr. L für das Grundstück 1 600 000 DM verlangte, so war er sich über einen hohen erzielbaren Preis des Grundstücks klar. Unter diesen Umständen hätte Dr. L als an der Willensbildung der AG beteiligter Hauptaktionär keinesfalls einem Verkauf des Grundstücks an irgendeinen Dritten zu 370 000 DM zugestimmt. Daß er auf die Willensbildung der AG den maßgeblichen Einfluß hatte und durchsetzte, zeigt die Aussage des Dr. P, der um den höheren Wert - gleich unter welchen Gesichtspunkten - wußte und unter Druck des Dr. L den Kaufvertrag mit diesem abschloß. Damit ist der Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung erfüllt.
Den Vorinstanzen kann aber nach dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht darin zugestimmt werden, daß die AG erwiesenermassen zur Zeit des Verkaufs an Dr. L 1 600 000 DM für das Grundstück hätte erzielen können. Es läßt sich nur feststellen, daß die verhandelnden Beamten von einem Preis von 1 500 000 DM unverbindlich gesprochen haben. Wenn Dr. L 1 600 000 DM forderte, so muß das nicht heißen, daß er den geforderten Preis auch erhalten hätte; beim Verkauf an die Stadt im Jahre 1956 hat Dr. L 2 600 000 DM gefordert und 2 400 000 DM erhalten.
Für die Frage, in welcher Höhe eine verdeckte Gewinnausschüttung anzunehmen ist, kommt es auf den im Jahre 1953 erzielbaren Wert an. Welcher Preis aber erzielbar war, ist durch die bisherige Beweisaufnahme nicht hinreichend geklärt. Insoweit hätte das Finanzgericht dem Beweisantrag der Bfin. stattgeben müssen, um zu ermitteln, welchen Preis die Stadt im Jahre 1953 zu zahlen bereit gewesen wäre. Hierüber hätten u. U. die an den Vorverhandlungen beteiligten Herren der Stadtverwaltung Aufklärung geben können. Die Vorentscheidung ist darum aufzuheben und zur Klärung dieses Punktes an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
steuersatzmäßige Gleichstellung DER verdeckten Gewinnausschüttungen mit den nicht ausgeschütteten Gewinnen
Die Bfin. trägt vor, die belastende Sonderbehandlung verdeckter Gewinnausschüttungen sei sachlich nicht gerechtfertigt; sie unterliege daher verfassungsrechtlichen Bedenken. Es werde nicht verkannt, daß die Andersartigkeit juristischer und natürlicher Personen auffälliger sein könne, als der Unterschied zwischen nicht ausgeschütteten und ausgeschütteten Gewinnen. Jedoch müsse der Grundsatz folgerichtiger Behandlung für wirtschaftlich ins Gewicht fallende Tatbestände ebenso gelten für juristische (Gesetzes-) Tatbestände.
Die körperschaftsteuerliche Diskriminierung verdeckter Gewinnausschüttungen seit dem Jahre 1953 werde nicht durch den Gesetzeszweck des gespaltenen Tarifes getragen. Der Steuersatz müsse stets für alle Arten von Gewinnausschüttungen gleich sein, solange man nicht die nachträgliche Umwandlung der einen Ausschüttungsart in die andere zulasse. Die Steuergerechtigkeit verbiete eine ungleiche Behandlung der Ausschüttungen. Wenn die verdeckte Gewinnausschüttung Straftatbestände umfasse, komme das Steuerstrafrecht zum Zuge. Sei das nicht der Fall, dürfe die verdeckte Gewinnausschüttung nicht mit mehr Körperschaftsteuer belastet sein, als eine offene Gewinnauskehrung. Die gegenteilige Regelung des § 19 KStG 1953 sei verfassungswidrig und daher nichtig.
Der Senat kann die Bedenken nicht teilen. Die verfassungsrechtliche Prüfung einer Steuernorm kann nur im Rahmen der rechtlichen Ordnung vorgenommen werden, in der sie steht (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 845/58 vom 24. Januar 1962, BStBl 1962 I S. 500 (506) rechte Spalte oben). Bei der Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung, um deren verfassungsrechtliche Prüfung es geht, ist vom Wortlaut des Gesetzes auszugehen. Maßgebend ist der in der Gesetzesbestimmung zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 1 S. 299 (312) ). Der Bundesfinanzhof hat es in Ansehung dieses Auslegungsgrundsatzes abgelehnt, etwa mit Hilfe der wirtschaftlichen Betrachtungsweise die tariflichen Bestimmungen in § 19 KStG gegen ihren Wortlaut auszulegen (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 274/60 U vom 17. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 136, Slg. Bd. 72 S. 367, und die dort zitierte Rechtsprechung).
Das Bundesverfassungsgericht hat es für zulässig erklärt, daß wirtschaftslenkende Gesetze auch im Interesse einzelner Gruppen erlassen werden können (Urteil 1 BvR 459/52 usw. vom 20. Juli 1954, BVerfGE Bd. 4 S. 7). Die Regelung in § 19 KStG verfolgt wirtschaftspolitische - kapitalmarktpolitische - Zwecke (siehe z. B. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 208/57 U vom 18. November 1958, BStBl 1959 III S. 101, Slg. Bd. 68 S. 259; I 121/61 vom 25. Juli 1961 HFR 1961 S. 252 (253); Blümich-Klein-Steinbring, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, 3. Aufl., S. 1007). Der Gesetzgeber ist berechtigt, aus wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus z. B. für verschiedenartige soziale Gruppen eine unterschiedlichen Tarif zu bestimmen. Davon geht auch das Urteil des Bundesfinanzhofs I 316/60 U vom 21. Februar 1961 (BStBl 1961 III S. 166, Slg. Bd. 72 S. 452 - vgl. auch die dort angeführte Rechtsprechung -) aus. Der Bundesfinanzhof befindet sich damit in übereinstimmung mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 24. Januar 1962, a. a. O., S. 504, wo es heißt, die Besteuerungsfunktion des Staates sei ein legitimes Mittel einer - mit der verfassungsrechtlichen Wertordnung übereinstimmenden - Wirtschaftssteuerung.
Eine Sondervorschrift verstößt nicht schon dadurch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, daß sie von den einen Rechtsbereich bestimmenden Grundregeln abweicht. Es kommt allein darauf an, daß sie sachlich hinreichend gerechtfertigt ist (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 3, 4/57, 8/58 vom 16. Dezember 1958, BVerfGE Bd. 9 S. 28). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht schon dann vor, wenn in wichtigen Punkten wirtschaftlich gleiche Lagen rechtlich verschieden behandelt werden. Die Aufgabe aber, eventuell reformierend einzugreifen, muß dem Gesetzgeber überlassen bleiben (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 5/59 vom 25. Juli 1960, BVerfGE Bd. 11 S. 283, 293). über die Zweckmäßigkeit oder Vernünftigkeit der von der Bfin. für verfassungswidrig gehaltenen Bestimmung sind verschiedene Auffassungen möglich. Darauf kommt es jedoch nicht an. Der Gleichheitssatz soll Willkür ausschließen. Es genügt, daß die Auffassung vertretbar ist, daß eine Verschiedenheit (hier: Gewinnausschüttung auf Grund eines Gewinnverteilungsbeschlusses im Verhältnis zur verdeckten Gewinnausschüttung) gegeben ist, die eine unterschiedliche Behandlung im Gesetz als sachgerecht erscheinen läßt (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2 BvK 1/54 vom 16. März 1955, BVerfGE Bd. 4 S. 145 (156) ). Der Bundesfinanzhof hat in der in § 19 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 KStG 1958 getroffenen Regelung - verschiedene Steuersätze für personenbezogene Kapitalgesellschaften und die übrigen Kapitalgesellschaften - keinen Verstoß gegen Art. 3 GG gesehen (Entscheidung I 316/60 U vom 21. Februar 1961, a. a. O.). Ebenso hielt er die Beschränkung der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen einer GmbH in § 19 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 KStG 1955 als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 208/57 U vom 18. November 1958, a. a. O.; vgl. auch I 121/61 vom 25. Juli 1961, a. a. O.).
Dem Einwand, es mache keinen Unterschied, ob der Gewinn dem Anteilseigner auf Grund eines Gewinnverteilungsbeschlusses oder verdeckt zufließe, kann nicht zugestimmt werden. Im Gegenteil lassen sich gewichtige Gründe dafür anführen, diese beiden Tatbestände bei der Besteuerung der Ausschüttungen bei der AG verschieden zu behandeln. Der Gesetzeszweck des § 19 Abs. 3 KStG, nämlich die Förderung des Kapitalmarktes, wird durch verdeckte Gewinnausschüttungen nicht nur nicht gefördert, sondern oft sogar vereitelt, z. B. dann, wenn beherrschende Gesellschafter ihre Machtstellung zum Nachteil von Minderheitsgesellschaftern bzw. Minderheitsaktionären dazu benützen, den erwirtschafteten Gewinn durch nicht leistungsgerechte Zuwendungen vorweg zur schmälern, mit dem Ergebnis, daß der reguläre, zur Verteilung gelangende Gewinn entsprechend gekürzt wird. Eine Schädigung von Anteilseignern durch verdeckte Gewinnausschüttungen an einzelne Gesellschafter ist insbesondere bei sogenannten Publikumsgesellschaften denkbar und führt gerade dort zu einer dem Gesetzeszweck zuwiderlaufenden Wirkung, indem die Ausschüttungsquoten dadurch vermindert und der Anreiz, Dividendenpapiere zu erwerben, geschmälert werden.
Die Körperschaftsteuer auf verdeckte Gewinnausschüttungen ist keine Strafsteuer; die auf Grund des Gesetzes zu entrichtende Steuer ist keine Strafe. Sie entspricht vielmehr dem üblichen Körperschaftsteuersatz, nimmt allerdings an der Vergünstigung von Ausschüttungen im Sinne des § 19 Abs. 3 KStG nicht teil. Diese Einschränkung konnte - wie oben dargetan - dem Gesetzgeber nicht verwehrt werden. Wer sich vermittels einer Kapitalgesellschaft am Rechtsverkehr beteiligt, ist an die für diese geltenden gesetzlichen Vorschriften gebunden. Darum kann auch nicht anerkannt werden, daß gegen die besonders "scharfe" Besteuerung der verdeckten Gewinnausschüttungen Bedenken gerechtfertigt sind. Wer den Ausweis des der Kapitalgesellschaft zustehenden Gewinns in der Bilanz durch verdeckte Gewinnausschüttung vereitelt, darf sich nicht darüber beschweren, wenn er dadurch von tariflichen Vergünstigungen ausgeschlossen wird. Die Vergünstigung ist an die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen gebunden. Wer sie durch verdeckte Gewinnausschüttungen vereitelt, kann dafür nicht den Gesetzgeber verantwortlich machen.
In der hier durchgeführten Besteuerung der verdeckten Gewinnausschüttung kann ein Verstoß gegen das GG nicht erblickt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 423864 |
BStBl III 1966, 97 |
BFHE 1966, 268 |
BFHE 84, 268 |
BB 1966, 191 |
DB 1966, 289 |
DStR 1966, 183 |