Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesszinsen
Leitsatz (NV)
Weder der Wortlaut des § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO noch der des § 236 Abs. 1 AO lassen die Auslegung zu, dass Prozesszinsen nur derjenige beanspruchen kann, der durch die Anfechtung des Grundlagenbescheids mittelbar die Änderung seiner Einkommensteuerfestsetzung eingeklagt hat. Deshalb haben auch die Feststellungsbeteiligten Anspruch auf Prozesszinsen, die von der gerichtlichen Anfechtung eines Grundlagenbescheids durch einen früheren Mitgesellschafter profitieren.
Normenkette
AO §§ 236, 90; FGO § 137
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten und wurden im Streitjahr 1977 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger war an einer im Jahr 1966 gegründeten KG als Kommanditist beteiligt, deren Gesellschaftszweck die Errichtung eines Bauwerks war. Nach Baubeginn im Jahre 1969 geriet die KG im Jahre 1974 in Liquiditätsschwierigkeiten. 1974 wurde über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet. Mit der Versteigerung des Bauobjekts am 29. September 1977 wurde das Konkursverfahren abgeschlossen. Die KG war damit voll beendet.
Nach dem Feststellungsbescheid vom 30. April 1986 betrug der Gewinn der KG im Kalenderjahr 1977 61 404 771 DM. Hiervon entfiel auf den Kläger ein Veräußerungsgewinn von 51 111,31 DM. Diesen Betrag legte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) abzüglich der Sonderbetriebsausgaben des Klägers in Höhe von 300 DM der Einkommensteuerveranlagung des Streitjahres 1977 zugrunde.
Gegen den Feststellungsbescheid 1977 erhob ein anderer Kommanditist der KG Klage. Im Verlauf des Klageverfahrens entsprach das zuständige Finanzamt dem Klagebegehren. Der Rechtsstreit war in der Hauptsache erledigt. Nach dem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid vom 23. Dezember 2002 entfielen auf den Kläger Einkünfte in Höhe von ./. 300 DM. Die folgende Änderung des Einkommensteuerbescheides der Kläger für 1977 durch Bescheid vom 1. August 2003 führte zu einer Steuererstattung in Höhe von 4 512,15 €. Den Antrag der Kläger, Prozesszinsen gemäß § 236 der Abgabenordnung (AO) festzusetzen, lehnte das FA ab.
Das Finanzgericht (FG) erkannte den Klägern nach erfolglosem Einspruchsverfahren in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 784 veröffentlichten Urteil Prozesszinsen in Höhe von 4 342,50 € zu.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 236 AO. Nur derjenige persönlich klagebefugte Feststellungsbeteiligte könne Prozesszinsen beanspruchen, der über die verfahrensrechtlich vorgegebene Anfechtung des Grundlagenbescheides im eigenen finanziellen Interesse mittelbar die Herabsetzung seiner Steuer eingeklagt habe. Im Streitfall hätte der Kläger --anders als bei einer intakten Gesellschaft-- angesichts der Vollbeendigung der KG auch selbst gegen den Feststellungsbescheid Klage erheben können.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Der Umstand, dass der Kläger --ebenso wie ca. 1 000 andere Kommanditisten-- infolge der Vollbeendigung der Gesellschaft selbst Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid hätte erheben können, sei ohne Bedeutung.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG den Klägern Prozesszinsen gemäß § 236 AO auf die erstattete Einkommensteuer 1977 zuerkannt.
1. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO). Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der zu erstattende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Dies gilt nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO entsprechend, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt.
Auch nach Einführung der Vollverzinsung nach Maßgabe des § 233a AO gibt es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass rückständige Staatsleistungen (angemessen) zu verzinsen sind. Das Gesetz kennt vielmehr nur die Verzinsung auf der Grundlage genau umschriebener Tatbestände (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. April 1997 VII R 91/96, BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476) wie der Vorschrift betreffend Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO). Deren Zweck ist es, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. BFH-Urteile vom 13. Juli 1994 I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37; vom 16. November 2000 XI R 31/00, BFHE 196, 1, BStBl II 2002, 119; vom 15. Oktober 2003 X R 48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169). Davon ist bei der Auslegung des § 236 AO auszugehen (BFH-Beschluss vom 20. Januar 1999 IV B 40/98, BFH/NV 1999, 1055, unter Hinweis auf die Entscheidung in BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476).
2. Die Voraussetzungen des § 236 AO sind im Streitfall erfüllt. Unabhängig davon, welcher Kommanditist mit seiner Klage die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheides der vollbeendeten KG für 1977 erreicht hat, war ein Rechtsstreit für die Herabsetzung der Einkommensteuer der Kläger kausal (so auch Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 236 AO Rz 28; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 236 AO Rz 33; Wagner in: Kühn/v.Wedelstädt, 18. Aufl., AO, § 236 Rz 13; Schwarz in Schwarz, AO, § 236 Rz 12). Allein darauf stellt § 236 AO ab.
a) Weder der Wortlaut des § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO noch der des § 236 Abs. 1 AO lassen die Auslegung zu, dass Prozesszinsen nur derjenige beanspruchen kann, der durch die Anfechtung des Grundlagenbescheides mittelbar die Änderung seiner Einkommensteuerfestsetzung eingeklagt hat. Voraussetzung für den Zinsanspruch ist vielmehr lediglich, dass ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich --wie im Streitfall-- ein Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der im Folgebescheid festgesetzten Steuer führt.
b) Gegenteiliges kann auch nicht aus § 236 Abs. 3 AO entnommen werden. Diese Vorschrift schließt den Zinsanspruch aus, wenn einem Beteiligten die Kosten des Rechtsbehelfs nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt worden sind. Derjenige, der sich einen Tatsachenvortrag bis zum finanzgerichtlichen Verfahren vorbehält, soll keinen Vorteil gegenüber demjenigen erlangen, der seiner Mitwirkungspflicht (§ 90 AO) bereits im Verwaltungsverfahren nachkommt. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz dahingehend, dass nur Beteiligten im Rechtsstreit gegen den Grundlagenbescheid ein Zinsanspruch bei Änderung des Folgebescheides zusteht, kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden.
c) Auch die verfahrensrechtliche Symmetrie ("Waffengleichheit") gebietet, Feststellungsbeteiligten Prozesszinsen zuzuerkennen, die von der gerichtlichen Anfechtung eines Grundlagenbescheides durch einen früheren Mitgesellschafter profitieren. Die Aussetzung der Vollziehung eines Grundlagenbescheides hemmt dessen Vollziehbarkeit insgesamt. Nach § 361 Abs. 3 Satz 1 AO bzw. § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO sind deshalb im Falle einer vollbeendeten Gesellschaft sämtliche Folgebescheide auszusetzen. Bleibt ein gegen einen Grundlagenbescheid gerichtetes Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren endgültig erfolglos, sind Aussetzungszinsen nach § 237 AO somit auch von den Steuerpflichtigen zu erheben, die den Grundlagenbescheid nicht angefochten haben.
d) Zudem verlangt die Prozessökonomie, früheren Gesellschaftern einer vollbeendeten Personengesellschaft auch dann Prozesszinsen zuzusprechen, wenn sie den Grundlagenbescheid nicht selbst angefochten haben. Könnten nur (Haupt-)Beteiligte im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid Prozesszinsen beanspruchen (so aber das Urteil des Hessischen FG vom 7. November 2002 7 K 2143/02, EFG 2003, 508), würden nicht nur die FG, sondern auch die Steuerpflichtigen und Finanzbehörden mit einer Vielzahl vermeidbarer Prozesse belastet.
e) Die in § 236 Abs. 2 AO angeordnete entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 AO gebietet es, den Streitfall anders zu behandeln als die Fälle eines Musterverfahrens, wonach ein Steuerpflichtiger, dessen Einspruchsverfahren im Hinblick auf ein von einem anderen Steuerpflichtigen angestrengtes Musterverfahren ausgesetzt wurde, bei einem günstigen Ausgang dieses Prozesses ebenso wenig einen Anspruch auf Prozesszinsen (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1974 IV R 160/69, BFHE 114, 397, BStBl II 1975, 370) hat wie wenn die Steuerfestsetzung wegen eines Musterverfahrens für einen anderen Steuerabschnitt zu Gunsten des Steuerpflichtigen geändert wird. Für diese Fälle fehlt es an der Anordnung der entsprechenden Anwendung des § 236 Abs. 1 AO.
Fundstellen