Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Steht ein Arbeitnehmer in mehreren Dienstverhältnissen mit mehreren räumlich getrennten Arbeitsstätten, so können die Fahrtkosten, die durch die Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs entstehen, in der Regel nicht nach § 9 Ziff. 4 EStG 1955, § 26 EStDV 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955) bemessen werden.
Normenkette
EStG § 9 Ziff. 4, § 9/1/4; EStDV § 26; LStDV § 20 Abs. 2 Ziff. 2
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist katholischer Geistlicher und als Religionslehrer für die Kreisberufsschule, die Landwirtschaftliche Berufsschule und die Städtische Realschule in B. vom Landkreis B. angestellt. Bis zum 3. April 1955 wohnte er an seinem Dienstort. Am 4. April 1955 zog er in ein Pflegeheim und übt dort und in der Gemeinde A. einer Filiale der Pfarrei C. im Auftrag des Bischofs von D. die Seelsorge aus. Die Entfernung zwischen dem Pflegeheim und der Kreisberufsschule beträgt 3,8 km; die Landwirtschaftliche Berufsschule liegt in unmittelbarer Nähe der Kreisberufsschule; die Städtische Realschule ist 400 m von der Kreisberufsschule entfernt. Vom Pflegeheim hatte der Bf. 1955 Bezüge von 1.310 DM und vom Kreis von 11.653 DM; für die Abhaltung des Gottesdienstes in A. erhielt er von dem zuständigen Pfarramt je Fahrt 5 DM. Seit er im Pflegeheim wohnte, benutzte der Bf. einen Volkswagen. Er will die dadurch entstandenen Kosten, die er im Einspruchsverfahren mit 4.848 DM bezifferte, als Werbungskosten bei den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit absetzen. Das Finanzamt erkannte unter Anwendung von § 9 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1955, § 26 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - 1955) nur einen Satz von 0,50 DM je km Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an und kam dabei zu einem Werbungskostenbetrag von 594 DM. Im Einspruchsverfahren ermäßigte es den Pauschbetrag auf 495 DM, weil die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte statt wie bisher mit 6 km nur noch mit 5 km anzusetzen sei.
Im Berufungsverfahren bezifferte der Bf. die Fahrtkosten auf 2.594,80 DM. Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Nach seiner Auffassung handelte es sich um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, für die die Fahrtkosten nach § 26 EStDV 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955) pauschaliert werden müßten. Dienstreisen lägen nicht vor, weil der Bf. sich nicht von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte wegbegebe. Im übrigen könne der Bf. die Fahrtkosten, die ihm seine Dienstbehörde nicht ersetze, nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 215/53 U vom 17. Dezember 1953 (BStBl 1954 III S. 76, Slg. Bd. 58 S. 428) nicht als Werbungskosten geltend machen. Ersatz erhalte er aber nur für die Fahrten nach A.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist begründet.
Nach § 26 EStDV 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955) werden die Aufwendungen, die einem Arbeitnehmer für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch die Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs entstehen, in dem näher bezeichneten Umfang durch Pauschsätze abgegolten. Die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats getroffene Regelung hält sich im Rahmen der Ermächtigung des § 9 Ziff. 4 Satz 2 EStG 1955 und ist rechtsgültig.
Zu Unrecht haben aber die Vorinstanzen diese Vorschrift im Streitfall angewendet. § 26 EStDV 1955 regelt nur den typischen Fall, daß ein Arbeitnehmer nur eine Arbeitsstätte hat. Hat ein Arbeitnehmer mehrere Arbeitsstätten, zu denen er von seiner Wohnung aus oder zwischen denen er hin- und herfahren muß, so würde die Anwendung der Pauschregelung des § 26 EStDV 1955 gewöhnlich zu unrichtigen Ergebnissen führen. Der Reichsfinanzhof hat bereits in der Entscheidung IV 257/38 vom 15. September 1938 (RStBl 1938 S. 1115) ausgesprochen, daß bei einem Arbeitnehmer, der an verschiedenen Orten in einem oder mehreren Dienstverhältnissen steht, die Kosten für Fahrten zwischen den Arbeitsstätten nicht nach § 9 Ziff. 4 EStG, sondern nach § 9 Satz 1 EStG zu beurteilen sind.
Der Bf. stand gleichzeitig in mehreren Dienstverhältnissen; er hatte auch gleichzeitig mehrere Arbeitsstätten, nämlich im Pflegeheim und A. sowie an jeder der drei Schulen. Denn an jeder dieser Stellen mußte er seine berufliche Tätigkeit entfalten, ohne daß etwa eine dieser Stellen Mittelpunkt für die gesamte berufliche Tätigkeit war (vgl. Entscheidung des Senats VI 24/58 U vom 18. April 1958, BStBl 1958 III S. 300, Slg. Bd. 67 S. 73). Seine berufliche Tätigkeit verlangte, daß er zu verschiedenen Zeiten an den einzelnen Stellen tätig wurde; er mußte hin- und herfahren und mußte vor allem als Seelsorger im Altersheim und in A. jederzeit schnell zur Verfügung stehen. Für solche von der Regel abweichende Fälle kann § 26 EStDV nicht angewendet werden. Die Aufwendungen für Fahrten sind dann vielmehr nach § 9 Satz 1 EStG 1955 in der entstandenen und glaubhaft gemachten Höhe anzusetzen.
Die Erwägung des Finanzgerichts, die Fahrtauslagen könnten auch nicht berücksichtigt werden, weil die Dienstherren dem Bf. nicht nach den öffentlich-rechtlichen Reisekostenbestimmungen Ersatz gewährten, greift ebenfalls nicht durch. Wie der Senat in der Entscheidung VI 24/58 U a. a. O. klargestellt hat, gilt der angeführte Grundsatz nur, wenn ein Arbeitnehmer nach den öffentlich-rechtlichen Reisekostenbestimmungen überhaupt einen Anspruch auf Ersatz der Fahrtauslagen geltend machen kann. An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Der Bf. kann von keinem seiner mehreren Dienstherren Ersatz der Fahrtauslagen verlangen, weil diese eben dadurch entstehen, daß er gleichzeitig für mehrere Dienstherren an verschiedenen Orten tätig ist. Bis zum Umzug im April 1955 entstanden dem Bf. keine Fahrtauslagen, weil er nur in der Kreisstadt tätig war und dort wohnte. Das Kraftfahrzeug wurde erst erforderlich, als er andere Aufgaben dazu übernahm und deswegen in das Pflegeheim ziehen mußte. Welche Aufwendungen ein Arbeitnehmer zur Erzielung seiner Einkünfte für erforderlich hält, unterliegt grundsätzlich seinem Ermessen (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 117/56 U vom 10. Mai 1957, BStBl 1957 III S. 230, Slg. Bd. 64 S. 613; VI 39/56 U vom 5. Juli 1957, BStBl 1957 III S. 328, Slg. Bd. 65 S. 246).
Die Vorentscheidung war wegen unrichtiger Anwendung von § 9 Satz 1 und § 9 Ziff. 4 EStG 1955 sowie § 26 EStDV 1955 aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen, das die gemäß § 9 Satz 1 EStG 1955 zu berücksichtigenden Aufwendungen für das Kraftfahrzeug angemessen zu schätzen hat. Der Bf. hat zu diesem Zweck die Fahrtkilometer für Berufsfahrten glaubhaft zu machen. Es besteht kein Bedenken, wenn das Finanzgericht sodann die entstandenen Aufwendungen unter Zugrundelegung eines Kilometersatzes von 0,25 DM schätzt (vgl. Abschnitt 21 Abs. 9 der Lohnsteuer-Richtlinien 1955).
Fundstellen
Haufe-Index 409360 |
BStBl III 1959, 245 |
BFHE 1959, 643 |
BFHE 68, 643 |