Entscheidungsstichwort (Thema)
Bedeutung der Bezugnahme auf § 323 ZPO bei wiederkehrenden Leistungen - betriebliche Veräußerungsrente - Überprüfung der Auslegung eines Vertrags
Leitsatz (amtlich)
Die Bezugnahme auf § 323 ZPO führt bei einer entgeltlichen Vermögensübertragung nicht ohne weiteres dazu, daß die als Entgelt vereinbarten wiederkehrenden Leistungen als dauernde Last zu beurteilen sind. Ob eine dauernde Last oder z.B. eine Leibrente gegeben ist, muß vielmehr die Berücksichtigung aller Umstände bei der Auslegung der Vereinbarungen ergeben.
Orientierungssatz
1. Eine sog. betriebliche Veräußerungsrente ist gegeben, wenn die Rente Gegenleistung für die Übertragung eines Gewerbebetriebs oder auch einer wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist (vgl. BFH-Urteil vom 6.10.1966 I 35/64; Literatur).
2. Der BFH kann die Auslegung eines Vertrags durch das FG darauf überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BFH-Urteil vom 28.1.1986 IX R 12/80).
Normenkette
EStG 1981 § 22 Nr. 1 Buchst. a; ZPO § 323; BGB §§ 133, 157; FGO § 118 Abs. 2; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12.Dezember 1981 übertrug der Kläger seine Beteiligung an der X-GmbH (GmbH) im Nominalwert von 9 500 DM im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seinen Sohn. Der übertragene Anteil belief sich auf 47,5 v.H. des Gesellschaftskapitals der GmbH. Mit der Übertragung des Anteils übernahm der Sohn folgende Verpflichtungen:
"Herr Y verspricht, seinen Vater X zu versorgen.
Diesem Versorgungsversprechen wird § 323 ZPO zugrundegelegt.
Das Versorgungsversprechen wird ab 1.April 1981 von Herrn Y seinem Vater X gegenüber erfüllt. Das Versorgungsversprechen gilt bis zum Tode des Vaters.
Die monatliche, im voraus zahlbare Versorgungsrente beträgt z.Zt. 2 000 DM."
Für die vereinbarten Leistungen war eine Wertsicherungsklausel vorgesehen. Die Höhe der wiederkehrenden Bezüge war nach kaufmännischen Gesichtspunkten gegen den Wert des übertragenen Anteils abgewogen worden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah in den Zahlungen eine Veräußerungsrente, deren Rentenkapitalwert das FA auf 180 048 DM bezifferte. Den nach Abzug des Nominalwerts der übertragenen Anteile sich ergebenden Betrag von 170 548 DM unterwarf das FA gemäß der §§ 17, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Besteuerung. Zusätzlich erfaßte es von den 1981 dem Kläger geleisteten Zahlungen in Höhe von 18 000 DM einen Ertragsanteil in Höhe von 3 240 DM als sonstige Einkünfte.
Nach vergeblichem Einspruch erhoben die Kläger Klage. Sie sind der Ansicht, daß die monatlichen Zahlungen wiederkehrende Bezüge seien, bei denen kein Zinsanteil zu versteuern sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung der §§ 22 Nr.1 und 20 Abs.1 Nr.7 EStG (§ 20 Abs.1 Nr.8 EStG 1981).
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FG hat zu Unrecht den Ertragsanteil der wiederkehrenden Bezüge nicht als sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr.1 Buchst.a EStG erfaßt.
1. Der Senat teilt zunächst die Auffassung des FG, daß die vereinbarten wiederkehrenden Leistungen (Leibrente) im vorliegenden Fall die Gegenleistung für die Übertragung des GmbH-Anteils sind. Eine sog. betriebliche Veräußerungsrente ist gegeben, wenn die Rente Gegenleistung für die Übertragung eines Gewerbebetriebs oder auch --wie hier-- einer wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6.Oktober 1966 I 35/64, BFHE 87, 102, BStBl III 1967, 45; Biergans, Renten und Raten, 3.Aufl., S.109).
Allerdings spricht bei Vermögensübertragungen von Eltern auf ihre Kinder eine Vermutung dafür, daß die vereinbarte Rente nach den Versorgungsbedürfnissen der Eltern unabhängig vom Wert der übertragenen Vermögenswerte ausgerichtet ist (BFH-Beschluß vom 5.Juli 1990 GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, 324 ff., BStBl II 1990, 847; BFH-Urteil vom 21.Januar 1986 VIII R 238/81, BFH/NV 1986, 597, zu 5.). Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar. Davon gehen auch die Beschlüsse des Großen Senats vom 5.Juli 1990 GrS 4-6/89 (BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847) und vom 15.Juli 1991 GrS 1/90 (BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78; vgl. auch BFH-Urteil vom 10.April 1991 XI R 27, 28/88, BFH/NV 1991, 530) aus.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH ist die Vermutung, daß die Vermögensübertragung unentgeltlich vorgenommen wurde, als ausgeräumt anzusehen, wenn der Wert des übertragenen Vermögens und der Wert der Rentenverpflichtung einander gleichwertig sind (BFH in BFH/NV 1986, 597; Urteil vom 24.Oktober 1978 VIII R 172/75, BFHE 126, 282, BStBl II 1979, 135).
Das ist hier der Fall. Das FG hat den gemeinen Wert der übertragenen Gesellschaftsanteile mit 178 315 DM ermittelt. Dieser Wert entspricht fast genau dem Kapitalwert der Rente. Auch die Beteiligten und das FG sind von einer Veräußerung des GmbH-Anteils ausgegangen. Es wäre im übrigen Sache des FA gewesen, Umstände darzulegen, die die hier zu vermutende betriebliche Veranlassung der Rentenzusage in Frage stellen (BFH in BFH/NV 1986, 597, zu 5.).
2. Die zwischen dem Kläger und seinem Sohn vereinbarten wiederkehrenden Leistungen erfüllen die Merkmale der Leibrente (§ 22 Nr.1 Buchst.a EStG). Eine Leibrente ist gegeben bei gleichmäßigen Zahlungen, die auf die Lebenszeit der Bezugsperson geschuldet werden (BFH-Beschluß in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78). Die Annahme des FG, daß es sich bei den vereinbarten Leistungen um sonstige wiederkehrende Bezüge handelt, läßt sich aus der Vereinbarung vom 12.Dezember 1981 nicht herleiten. Der erkennende Senat kann die Auslegung des Vertrags durch das FG darauf überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) beachtet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil vom 28.Januar 1986 IX R 12/80, BFHE 146, 68, BStBl II 1986, 348).
Das FG hat bei seiner Entscheidung --im Streitjahr seien keine Rente, sondern sonstige wiederkehrende Bezüge vereinbart-- allein darauf abgestellt, daß die Änderungsmöglichkeit nach § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) vereinbart worden sei. Zu Unrecht hat das FG den Hinweis auf § 323 ZPO nicht im Zusammenhang mit den sonstigen Vereinbarungen der Parteien gewürdigt. Der Umstand, daß die Bezugnahme auf § 323 ZPO in der Regel genügt, eine dauernde Last anzunehmen (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78 zu C.II.3.b), macht eine Auslegung des Vertrags nicht überflüssig. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen --wie hier-- eine entgeltliche Übertragung von Vermögen stattfindet. Der BFH geht aber auch für die üblichen --unentgeltlichen-- Vermögensübertragungsverträge von einer Auslegung des Vertrags aus: Fehlt eine Bezugnahme auf § 323 ZPO, kann sich eine gleichwertige Änderungsmöglichkeit auch aufgrund des Vertragsinhalts ergeben (BFH-Beschluß in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78 zu C.II.3.c).
Im Vertrag vom 12.Dezember 1981 ist zwar festgelegt, daß der Erwerber (Sohn) seinen Vater zu versorgen habe. Diese Verpflichtung wird aber nur in der Weise konkretisiert, daß ein monatlicher Betrag von 2 000 DM zu zahlen sei. Dieser Betrag --der zudem an den Lebenshaltungskostenindex gebunden ist-- ist nicht so niedrig, daß ergänzende Leistungen des Verpflichteten ohne weiteres als vereinbart gelten müssen. Wenn der Vertrag daher zu weiteren Leistungen keinerlei Angaben macht, kann diese einleitende Bestimmung nur als grundsätzliche Aussage in der Weise verstanden werden, daß die dann später vereinbarten Zahlungen (2 000 DM monatlich) als Versorgung des Vaters zu verstehen sind. Auch die Vereinbarung, daß "diesem Versorgungsversprechen" § 323 ZPO "zugrundegelegt wird", ändert angesichts des Gesamtbildes der Vereinbarung am Rentencharakter der Zahlungen nichts. Die Bezugnahme auf § 323 ZPO ist, vergleichbar der BFH-Entscheidung in BFHE 146, 68, BStBl II 1986, 348, 350, nur als Hinweis auf die Klagemöglichkeit für den Fall der angegebenen Änderung des Lebenshaltungskostenindexes zu sehen. Hinzu kommt hier, wie im zitierten BFH-Urteil, daß die Vereinbarung im Rahmen eines Vermögensübertragungsvertrags getroffen wurde. Das Zahlungsversprechen des Sohnes wurde im Hinblick auf die Übertragung der Anteile des Vaters an der GmbH gegeben. Dieses --nicht notwendig kongruente-- Abhängigkeitsverhältnis würde durch die Abänderung der Zahlungen infolge der gestiegenen Bedürftigkeit des Rentenberechtigten oder der geminderten Leistungsfähigkeit des Rentenverpflichteten gestört (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 68, BStBl II 1986, 348). In Verträgen wie diesem hätte es daher einer eindeutigen und klaren Regelung bedurft, daß die Leistungen über den konkret vereinbarten Rahmen hinaus abänderbar sein sollen (vgl. BHF-Urteil vom 28.Januar 1986 IX R 5/80, BFH/NV 1986, 526; ferner BFH-Beschluß in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78).
Im übrigen wird der Charakter der Zahlung als Leibrente durch die Abhängigkeit von einem Lebenshaltungskostenindex nicht beeinträchtigt (BFH-Urteil vom 22.September 1982 IV R 154/79, BFHE 136, 527, BStBl II 1983, 99).
3. Der Ertragsanteil der Veräußerungsrente war im Streitjahr vom Kläger zu versteuern (§ 22 Nr.1 Buchst.a EStG; vgl. Fischer in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 22 Anm.B 282; Biergans, a.a.O., S.119; Jansen/Wrede, Renten, Raten, Dauernde Lasten, 9.Aufl. Rdnr.150 ; Hörger in Littmann/Bitz/ Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 16 EStG Rdnr.98; Abschn. 139 Abs.10 Satz 5 der Einkommensteuer-Richtlinien 1981). Über die Höhe des Ertragsanteils besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
Der Ansatz des Ertragsanteils führt entgegen der Auffassung der Kläger nicht zu einer doppelten Versteuerung des Veräußerungsgewinns. Mit dem Ertragsanteil wird nur der Zinsanteil erfaßt, der durch die Verrentung der Gegenleistung in den einzelnen Zahlungen enthalten ist (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78; BFH-Urteil vom 8.März 1989 X R 16/85, BFHE 156, 432, BStBl II 1989, 551, zu 2.a).
Fundstellen
Haufe-Index 63862 |
BFH/NV 1992, 58 |
BStBl II 1993, 15 |
BFHE 167, 344 |
BFHE 1992, 344 |
BB 1992, 1617 |
BB 1992, 1617-1619 (LT) |
DB 1992, 1608-1610 (LT) |
DStR 1992, 1277 (KT) |
HFR 1992, 621 (LT) |
StE 1992, 427 (K) |