Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält an der im Urteil vom 25. Juni 1980 II R 21/79 (BFHE 131/93, BStBl II 1980, 728) vertretenen Rechtsansicht fest, daß für die (materiell vorläufige) Steuervergünstigung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 oder 2 GrEStEigWoG nicht die Nutzung des erworbenen Hauses im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs, sondern die von dem Erwerber beabsichtigte Nutzung als Ein- oder Zweifamilienhaus maßgebend ist.
Normenkette
GrEStEigWoG § 1 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 16. Juni 1977 erwarben die Kläger und Revisionskläger (Kläger) zusammen mit einem anderen Ehepaar als Miteigentümer zu je einem Viertel ein bebautes Grundstück in x. Der Gesamtkaufpreis betrug 380 000 DM. Im Gebäude befanden sich vier Wohnungen. Die Erwerber sind in die Mietverträge eingetreten. In der Kaufvertragsurkunde beantragten die Kläger Grunderwerbsteuerbefreiung, weil sie das Haus in ein Zweifamilienhaus umbauen und selbst nutzen wollten.
Unter Ablehnung des Befreiungsantrages setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit Bescheiden vom 2. August 1977 gegen jeden der Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von je 6 650 DM fest. Im Einspruchsverfahren beantragten die Kläger Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Satz , Nr. 2 des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977 (GrEStEigWoG). Sie legten eine Ergänzungsvereinbarung vom 23. August 1977 vor, wonach sich die Verkäuferin für den Fall der Räumung des Hauses durch die Mieter bis 31. Dezember 1979 zur Entfernung von Rabitzwänden, die die ursprünglich im Erdgeschoß und im Obergeschoß befindliche eine Wohnung in je zwei Wohnungen teilten, auf ihre Kosten verpflichtete. Die Klage, mit der die Kläger die Herabsetzung der Grunderwerbsteuer auf je 1 400 DM begehren, hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen.
Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Sie rügen Verletzung materiellen Rechts.
Der Bundesminister der Finanzen (BdF) ist dem Verfahren beigetreten. Unter Hinweis auf die Erlasse der obersten Finanzbehörde der Länder vom 17 November 1980 (BStBl I 1980, 776) vertritt er die Auffassung, Steuerbefreiung aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GrEStEigWoG komme nur in Betracht, wenn ein Grundstück mit einem Zweifamilienhaus zum Gegenstand des Erwerbsvorgangs gemacht werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in Abänderung der angefochtenen Steuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen zur Herabsetzung der Grunderwerbsteuer auf je 1 400 DM.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GrEStEigWoG ist auf Antrag von der Grunderwerbsteuer ausgenommen der Erwerb eines Grundstückes mit einem Zweifamilienhaus, wenn mindestens eine Wohnung vom Erwerber, seinem Ehegatten oder einem seiner Verwandten in gerader Linie binnen fünf Jahren mindestens ein Jahr lang ununterbrochen bewohnt wird und das Zweifamilienhaus zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken dient. Die Befreiung tritt nur ein, soweit der für die Berechnung der Steuer maßgebende Wert 300 000 DM nicht übersteigt; dieser für den Erwerb des Grundstücks im ganzen geltende Freibetrag ist beim Erwerb von Miteigentum anteilig zu gewähren (§ 1 Abs. 2 GrEStEigWoG).
Mag auch der Eingangssatz der Vorschrift den Schluß nahelegen, daß Steuerbefreiung nur dann in Betracht komme, wenn das auf dem erworbenen Grundstück stehende Gebäude bereits im Erwerbszeitpunkt ein Zweifamilienhaus ist oder wenn das Erwerbsgrundstück in diesem Zustand zum Gegenstand des Erwerbsgeschäfts gemacht wird, so erweist die Zusammenschau mit den Folgesätzen jedoch, daß die Steuerbefreiung entscheidend von der zukünftigen Nutzung des Erwerbsobjekts abhängig ist. Die Tatbestandsmerkmale für die Befreiung können in wesentlichem Umfang erst nach dem Erwerbsvorgang erfüllt werden. Diese zukünftig zu erfüllenden Tatbestandsmerkmale spiegeln die Zielsetzung des Gesetzes wider, das Wohnen im eigenen Heim (innerhalb eines Ein- oder Zweifamilienhauses) zu fördern. Angesichts dieser Zweckbestimmung der Befreiung kann nicht allein darauf abgestellt werden, daß das Haus schon in der Hand des Veräußerers ein Ein- oder Zweifamilienhaus war oder daß die Vertragsparteien des Erwerbsgeschäfts das Grundstück mit einem vom Veräußerer in ein Einfamilienhaus oder ein Zweifamilienhaus umzugestaltendes Gebäude zum Vertragsgegenstand gemacht haben. § 1 Abs. 1 GrEStEigWoG ist vielmehr dahingehend auszulegen, daß er auch die Fälle erfaßt, in denen erst der Erwerber eine Nutzungsänderung im Sinn der Befreiungsvorschrift vornimmt (vgl. das Urteil des Senats vom 25. Juni 1980 II R 21/79, BFHE 131/93, BStBl II 1980, 728).
Diese Auslegung entspricht der von der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, daß das Grunderwerbsteuerrecht teilweise nicht nur durch statische, sondern auch durch dynamische Betrachtungsweise geprägt wird (Urteil des Bundesfinahzhofs - BFH - vom 16. Juni 1976 II R 117/72, BFHE 119, 306, BStBl II 1976, 645 mit weiteren Nachweisen). Wird ein Vergünstigungstatbestand aber dadurch dynamisch geprägt, daß die Vergünstigung von einem zukünftigen Verhalten, hier von einer, zukünftigen Nutzung, abhängig gemacht wird, dann ist es gerechtfertigt, für die Anwendung der Vergünstigungsvorschrift insgesamt auf den Zustand des Grundstücks abzustellen, in den es der Erwerber alsbald versetzt und zum Gegenstand des mit dem Erwerb verfolgten steuerbegünstigten Zweckes macht (BFH Urteil vom 16. Juni 1976 II R 23/75, BFHE 119, 310, BStBl II 1976, 647).
Die Finanzverwaltungen der Länder mißverstehen die Gesetzesanwendung, wenn sie der Auffassung sind, das Urteil des Senats in BFHE 131/93, BStBl II 1980, 728 stehe "mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht im Einklang" (BStBl I 1980, 776). Vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sind nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) an "Gesetz und Recht" gebunden. Mit der Erwähnung des Rechts neben dem Gesetz wird nach allgemeiner Auffassung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt. Wenngleich Gesetz und Recht sich im allgemeinen decken, so ist das Recht nicht immer mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die in den Texten des geschriebenen Gesetzes nur unvollkommen ausgedrückt sind, in einem Akt wertenden Erkennens in Entscheidungen zu realisieren (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 14. Februar 1973 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287). Dieser Aufgabe fühlt sich der Senat mit seiner Entscheidung verpflichtet.
Der Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 GrEStEigWoG durch den Senat kann nicht entgegengehalten werden, sie führe im Ergebnis zu einer dem Ziel des Gesetzes entgegenstehenden oder nicht erwünschten Verringerung der Zahl der Wohnungen. Ausgangspunkt für den Gesetzgeber war die Feststellung, die Zahl der Wohnungen sei inzwischen - global gesehen - etwa so groß wie die Zahl der Haushalte (Gesetzesbegründung, Bundestags-Drucksache 8/286 S. 11). Dem Gesetz läßt sich dementsprechend nicht entnehmen, daß es die Verringerung der Wohnungszahl ohne Rücksicht auf den Erhaltungswert der vorhandenen einzelnen Wohnung vermeiden wollte. Als Folge des Gesetzes versprach man sich vielmehr erhebliche Impulse für die Stadterneuerung und die Erhaltung älterer Wohngebäude im Hinblick darauf, daß zusammen mit dem Eigentumserwerb in zahlreichen Fällen Modernisierungs- und Instandsetzungsinvestitionen durchgeführt werden dürften (Gesetzesbegründung, a. a. O.). Ein Anhaltspunkt dafür, daß ein Anreiz lediglich für bauliche Maßnahmen des Veräußerers zur Schaffung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 GrESt-EigWoG beschriebenen Objekte gegeben werden sollte, läßt sich nicht finden. Zudem führt die vom Senat für richtig gehaltene Auslegung der Befreiungsvorschrift in zahlreichen Fällen auch dazu, daß nicht zu Wohnzwecken genutzte Räume (leerstehende Ladenlokale u. ä.) in Wohnraum umgewandelt werden. Der Senat hält somit an der in BFHE131/93, BStBl II 1980, 728 vertretenen Rechtsansicht fest.
Fundstellen
Haufe-Index 413570 |
BStBl II 1981, 331 |
BFHE 1981, 492 |