Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Unrichtige Steuerfestsetzungen, die durch Bestechung veranlaßt sind, können insoweit geändert werden, als die Bestechung für sie ursächlich war.
Normenkette
AO §§ 94, 96 Abs. 2
Tatbestand
Auf Grund der bei der Bfin., einer GmbH, im Jahre 1953 durchgeführten Betriebsprüfung wurde der körperschaftsteuerpflichtige Gewinn für 1950 und für 1951 erhöht. Der Sachbearbeiter stellte die Berechnungsbogen für 1950 und für 1951 her und versah sie mit seinem Namenszeichen; der zuständige Sachgebietsleiter, der Vorsteher des Finanzamts, zeichnete die Berechnungsbogen ebenfalls ab. Die in den Bescheiden festgesetzte Körperschaftsteuer wurde in die V-Liste eingetragen. Um diese Zeit sprach der Prokurist der Bfin. bei dem Sachbearbeiter vor, um eine Verminderung der Gewinne oder Billigkeitsmaßnahmen zu erreichen. Zeitlich danach vernichtete der Sachbearbeiter die beiden Berechnungsbogen. Ob die für die GmbH bestimmten Körperschaftsteuerbescheide zu dieser Zeit noch nicht ausgefertigt waren oder die Ausfertigungen ebenfalls vernichtet wurden, ist nicht feststellbar. Am 12. Oktober 1953 stellte der Sachbearbeiter neue Berechnungsbogen aus, in denen er die Gewinne um je 3.000 DM minderte; er versah sie mit seinem Namenszeichen. Auf den Berechnungsbogen brachte er auch das Namenszeichen des Sachgebietsleiters an. Ob dies vor der Eintragung der in den Berechnungsbogen ermittelten Körperschaftsteuer in die V-Liste oder danach geschah, konnte nicht festgestellt werden. Auf Grund der Berechnungsbogen wurden die Steuerbescheide ausgefertigt. Die Ausfertigungen wurden am 20. Oktober 1953 zur Post aufgegeben. Nach Absendung der Ausfertigungen radierte der Sachbearbeiter den in der Erläuterungsspalte des Körperschaftsteuerberechnungsbogens 1950 von ihm angebrachten Vermerk "Die Veranlagung erfolgt nach Rücksprache mit dem Betriebsprüfer" aus; er ersetzte ihn durch den Vermerk: "Der Veranlagung liegt das Ergebnis der Betriebsprüfung zugrunde. In dem gegen den Sachbearbeiter durchgeführten Strafverfahren stellte sich heraus, daß er den Gesellschafter- Geschäftsführer der Bfin. auf dessen Einladung aufgesucht hat; es konnte nicht festgestellt werden, ob der Besuch im Oktober oder im Dezember 1953 stattgefunden hat. Der Gesellschafter- Geschäftsführer übergab dem Sachbearbeiter in einem verschlossenen Briefumschlag 500 DM.
Der Sachbearbeiter wurde wegen in Tateinheit begangener Vergehen nach §§ 332, 267 des Strafgesetzbuches (StGB) und § 396 AO rechtskräftig verurteilt. Der Gesellschafter-Geschäftsführer wurde von dem Vorwurf, Vergehen im Sinne des § 333 StGB, §§ 48, 267 StGB und § 48 StGB in Verbindung mit §§ 391, 396 AO begangen zu haben, mangels Beweises freigesprochen.
Nachdem die Verfehlungen des Sachbearbeiters entdeckt waren, erließ das Finanzamt am 9. September 1957 neue Körperschaftsteuerbescheide, die es auf § 92 Abs. 3 AO stützte. Diesen Bescheiden liegen die Ermittlungen der im Jahre 1953 durchgeführten Betriebsprüfung zugrunde.
Der Einspruch und die Berufung blieben ohne Erfolg. Die Höhe der festgesetzten Körperschaftsteuer ist unstreitig.
Entscheidungsgründe
Mit der Rb. wendet sich die steuerpflichtige GmbH weiterhin gegen die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der Bescheide vom 9. September 1957. Sie ist im Ergebnis unbegründet.
Die im Oktober 1953 von dem Sachbearbeiter ohne Mitwirkung des Sachgebietsleiters hergestellten Steuerbescheide brauchen nur dann zurückgenommen oder geändert zu werden, wenn sie gültig entstanden sind. Dies ist zu bejahen. Der Mangel der Mitwirkung des Sachgebietsleiters als des berufenen Organwalters hat nicht zur Folge, daß die im Oktober 1953 erfolgten Steuerfestsetzungen als Nicht-Akte anzusehen sind. Sie sind auch nicht nichtig, weil sie durch Bestechung veranlaßt wurden. Nach allgemeiner Meinung ist ein Verwaltungsakt nicht deswegen nichtig, weil eine Täuschungs- oder Bestechungshandlung eines Beteiligten für seinen Erlaß ursächlich war (vgl. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 278; Forsthoff, Verwaltungsrecht, 7. Aufl., S. 221 ff.; Wolff, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 262; Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Stuttgart 1 S 94/57 vom 26. Juni 1958, Die öffentliche Verwaltung 1958, S. 713). Für den Streitfall enthält wohl die AO keine besondere Vorschrift, die bei Bestechung die Zurücknahme oder änderung eines Steuerbescheides ausdrücklich vorsieht (vgl. §§ 92 Abs. 3, 94, 196, 201 Abs. 3 Ziff. 6, 222 bis 225 AO, vgl. auch § 4 Abs. 2 und 3 des Steueranpassungsgesetzes). Man muß aber bei Bestechungshandlungen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen jedenfalls änderungen, soweit die Bestechungshandlung reicht, zulassen. Dieser Rechtsgedanke kommt z. B. auch in § 96 Abs. 2 AO zum Ausdruck. Im Streitfall hat das Finanzamt die Steuerbescheide in der Weise geändert, daß sie inhaltlich den auf Grund des Ergebnisses der Betriebsprüfung vom Sachbearbeiter hergestellten und vom Sachgebietsleiter abschließend gezeichneten Berechnungsbogen entsprachen, die der ungetreue Sachbearbeiter nachträglich vernichtete. Hiergegen bestehen keine Bedenken.
Beteiligter ist die Bfin. als von den Bescheiden betroffene juristische Person privaten Rechts; das Handeln des Gesellschafter-Geschäftsführers als gesetzlichen Vertreters der Bfin. (§ 102 Abs. 2 AO) steht ihrem Handeln gleich (Urteil des Reichsfinanzhofs IV A 97/34 vom 25. September 1935, RStBl 1935, S. 1353). Der Senat hat die überzeugung gewonnen, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer die im Oktober 1953 erlassenen Bescheide durch Bestechung veranlaßt hat. Die Vorinstanz ließ sich bei ihrer Würdigung offensichtlich davon leiten, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer im Strafverfahren vom Vorwurf der schweren aktiven Bestechung mangels Beweises freigesprochen wurde. Die Entscheidung des Schöffengerichts entband das Finanzgericht jedoch nicht von einer eigenen Würdigung (§ 278 AO); es war durch den Freispruch mangels Beweises durch das Schöffengericht nicht von der Feststellung entbunden, wann die Bestechungshandlung vorgenommen worden ist.
Das Strafgericht führte aus, der Verdacht bleibe zwar bestehen, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer, der den Prokuristen der GmbH schon vorher gefragt habe, ob der Sachbearbeiter "zuverlässig" sei, dem ungetreuen Beamten einen Vorteil für die später erfolgte pflichtwidrige Handlung in Aussicht gestellt habe, und daß der Beamte die Tat nur in der Erwartung einer Belohnung begangen habe; doch sei die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer das Geld erst nachträglich als Belohnung gegeben habe.
Der Senat hält die Verdachtsgründe, die dafür sprechen, daß dem Sachbearbeiter die Zuwendung eines Vorteils für die niedrigere Steuerfestsetzung vorher zugesagt oder gewährt wurde, für so schwerwiegend, daß die Feststellung gerechtfertigt ist, die Körperschaftsteuerbescheide vom Oktober 1953 seien durch Bestechung veranlaßt.
Fundstellen
Haufe-Index 410059 |
BStBl III 1961, 342 |
BFHE 1962, 206 |
BFHE 73, 206 |