Entscheidungsstichwort (Thema)
Auch eine "Blitzidee" führt nicht notwendig zu einer "Zufallserfindung" - Begriff "Zufallserfindung" - Veräußerung einer Zufallserfindung
Leitsatz (amtlich)
Keine "Zufallserfindung", sondern eine planmäßige Erfindertätigkeit liegt vor, wenn es nach einem spontan geborenen Gedanken weiterer Tätigkeiten bedarf, um die Erfindung bis zur Verwertungsreife zu fördern.
Orientierungssatz
1. Es ist nicht entscheidend, ob der Erfinder die bis zur Patentreife erforderlichen Arbeiten selbst durchführt oder von einem anderen für sich durchführen läßt. Vergibt der Erfinder die nötigen Entwicklungsarbeiten an einen anderen, so kann das bedeuten, daß seine Tätigkeit mangels Eigenverantwortlichkeit nicht mehr als wissenschaftlich i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG anzusehen ist. Es ändert aber nichts an der Nachhaltigkeit seiner Beschäftigung als Erfinder, die dann zwar nicht mehr als freiberuflich, wohl aber als sonstige selbständige Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG oder als Gewerbebetrieb zu qualifizieren ist.
2. Unter "Zufallserfindungen" werden Ideen verstanden, die ohne weitere Ausarbeitung verwertungsreif sind. Sie gehören zu den nur gelegentlichen Tätigkeiten, die mangels Nachhaltigkeit nicht den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit zuzuordnen sind.
3. Es konnte im Streitfall dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Umständen an der bisherigen Rechtsprechung, wonach bei Veräußerung einer Zufallserfindung das Entgelt den Einkünften aus sonstigen Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG zugeordnet und entsprechend versteuert wird, festzuhalten ist.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, §§ 16, 18 Abs. 1 Nrn. 1, 3, Abs. 3, § 22 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1923 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist seit 1983 Rentner. Er hat den Beruf des Maschinisten erlernt und war zuletzt bei einem Unternehmen als Pförtner beschäftigt. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Fragen aus dem Gebiet der Technik.
Der Sohn des Klägers ist Geschäftsführer bei der Fa. A-GmbH (A), an der er außerdem mit einem Anteil von 31 v.H. beteiligt ist. Die A stellt Fangvorrichtungen für Rolläden, Rolltore und dergleichen her und vertreibt sie.
Die A sah sich im Jahre 1984 einer Klage wegen Patentverletzung seitens der Fa. B ausgesetzt, die behauptete, durch die Herstellung und den Vertrieb der vorstehend beschriebenen Fangvorrichtungen würden Patente verletzt, deren Inhaberin sie sei. Im Februar 1985 wurde die A durch Urteil des LG zur Unterlassung der Patentverletzung und zum Schadensersatz verurteilt. Eine von der A beim Bundespatentgericht erhobene Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Patente der Fa. B blieb erfolglos.
Bereits vor Beendigung dieses Prozesses, nämlich am 26. Juli 1984, wurden zwei Patente (Patent 1 und 2) beim Deutschen Patentamt auf den Namen des Klägers als Patentinhaber angemeldet. ... Die beiden Patente wurden am 2. April 1985 und am 26. Februar 1987 erteilt.
Am 14. März 1986 wurde auf den Namen des Klägers ein weiteres Patent angemeldet (im folgenden Patent 3). Das Patent wurde am 29. Juni 1989 erteilt.
Schließlich wurde am 17. Januar 1987 ein weiteres Patent angemeldet (im folgenden Patent 4). Auch hierbei handelt es sich um eine Absturzsicherung. Das Patent wurde am 13. Januar 1989 erteilt.
Für die Erfindung 1 wurden auch ein europäisches und ein dänisches Patent beantragt und erteilt, für die Erfindung 3 ein europäisches und ein US-amerikanisches Patent.
Bereits am 24. Juni 1987 hatte der Kläger mit der A einen Lizenzvertrag geschlossen. Danach erhielt die A rückwirkend ab 1. August 1985 die Lizenz für die Patente 1 und 2 sowie das beantragte, aber noch nicht erteilte Patent 3. Als Lizenzgebühr wurden 5 v.H. der mit den Lizenzen von der A erzielten Einnahmeerlöse vereinbart.
Der Kläger erhielt im Jahre 1988 von der A insgesamt 100 000 DM Lizenzgebühren, und zwar für 1986 5 089 DM, für 1987 17 224 DM und für 1988 77 686 DM, die er im Veranlagungsjahr 1988 als Einkünfte aus selbständiger Arbeit versteuerte.
Mit Vertrag vom 5. Januar 1990 übertrug der Kläger der A seine Rechte aus seinen gesamten Patenten. Als Kaufpreis wurde ein Betrag von 1 000 000 DM vereinbart. Davon waren am 15. November 1990 160 000 DM zu zahlen. Der restliche Betrag war in 60 Raten zu je 14 000 DM monatlich in der Zeit vom 15. Dezember 1990 bis zum 15. November 1995 zu erbringen. Auf noch ausstehende Lizenzzahlungen (für 1989) aus dem Lizenzvertrag vom 24. Juni 1987 verzichtete der Kläger.
Zu den in Rede stehenden Erfindungen soll es nach den auf den Angaben des Klägers beruhenden Feststellungen des FG wie folgt gekommen sein:
Der Kläger, der mit seinem Sohn zusammenlebte und durch Gespräche mit ihm von den Patentstreitigkeiten und die dadurch bedingten wirtschaftlichen Schwierigkeiten der A erfahren hatte, überlegte zusammen mit seinem Sohn, wie die bestehenden Probleme gelöst werden könnten. Dabei kam ihm die Idee zu einer neuen Fangvorrichtung. Auf die Bitte seines Sohnes hin, mit dem er die Idee besprach, zeichnete er, der Kläger, seine Vorstellungen schriftlich auf. Hierzu überreichte er in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ein Blatt mit zwei Zeichnungen, ein weiteres Blatt mit einer handschriftlichen Erläuterung, sowie eine unter dem 20. Juni 1984 datierte Vereinbarung mit der A, die folgenden Wortlaut hatte:
"Die Firma A ... bestätigt hiermit, die in der Anlage gezeichnete Idee einer Fangvorrichtung von Herrn ... erhalten zu haben. Sie verpflichtet sich, diese Idee, alsdann sie patentwürdig ist, zum Patent auf den Namen von Herrn ... anzumelden. Die Firma A entwickelt diese Idee weiter zur Produktionsreife."
Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung 1990 hinsichtlich der Patentveräußerungen keine Einkünfte.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat demgegenüber bei der Einkommensteuer-Veranlagung des Streitjahres (1990) die Auffassung, der Kläger habe infolge der Patentveräußerungen einen dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterliegenden Veräußerungsgewinn in Höhe von 786 959 DM erzielt.
Mit seinem dagegen eingelegten Einspruch trug der Kläger vor, bei den von ihm gemachten Erfindungen handele es sich um sog. Zufallserfindungen. Das Gespräch mit seinem Sohn über die Probleme der A habe an einem Nachmittag des Jahres 1984 stattgefunden. Am Abend sei ihm dann die Idee zu den Erfindungen gekommen. Die Blitzidee sei dann in einem technischen Betrieb (der A) am Produkt (ca. 1/2 Jahr lang) umgesetzt worden und habe Erfolg gehabt. Daraufhin seien die Anmeldungen bei den Patentämtern erfolgt. Weder vor noch nach diesen Erfindungen sei er als Erfinder tätig geworden.
Da der Einspruch keinen Erfolg hatte, verfolgte der Kläger sein Begehren mit der Klage weiter. Das FG gab der Klage statt.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Das FA hat zutreffend den vom Kläger erzielten Erlös aus der Veräußerung der streitigen Patente als Gewinn aus der Veräußerung von Betriebsvermögen behandelt. Wenn es in diesem Zusammenhang davon ausgegangen ist, daß der Betrieb des Klägers dem Bereich der selbständigen Arbeit i.S. des § 18 EStG zuzurechnen war, ist der Kläger hierdurch jedenfalls nicht in seinen Rechten verletzt. Das gleiche gilt für die Behandlung als Veräußerungsgewinn i.S. des § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 EStG und die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 34 EStG. Die Finanzgerichte dürfen die Rechtsposition des Klägers gegenüber dem Zustand vor Klageerhebung nicht verschlechtern (Verböserungsverbot, vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 96 Rdnr. 5, m.w.N.).
Der Auffassung des FG, derzufolge es sich um eine "Zufallserfindung" handelt, bei der die entgeltliche Übertragung der Schutzrechte nicht zu steuerpflichtigen Einkünften führt, kann nicht gefolgt werden.
Unter "Zufallserfindungen" werden Ideen verstanden, die ohne weitere Ausarbeitung verwertungsreif sind. Sie gehören zu den nur gelegentlichen Tätigkeiten, die mangels Nachhaltigkeit nicht den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit zuzuordnen sind (erstmals Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 7. Juli 1927 VI A 217/27, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1927 Nr. 404). Wird eine Zufallserfindung veräußert, wird das Entgelt nach der Rechtsprechung den Einkünften aus sonstigen Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG zugeordnet und versteuert (RFH-Urteile vom 30. September 1931 VI A 942/31, StuW 1932 Nr. 267; vom 9. Mai 1933 VI A 493/32, RStBl 1933, 958; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Juli 1966 VI 10/65, nicht veröffentlicht; ebenso Nieland in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 18 EStG Rdnr. 411; Sommer in Hartmann/Böttcher/Nissen/ Bordewin, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr. 75, Stichwort "Erfinder"). Diese Rechtsprechung, derzufolge die Klage in jedem Fall abzuweisen wäre, wird indessen angegriffen mit dem Argument, daß es sich in derartigen Fällen um die Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens handele, die nur unter der Voraussetzung des § 23 EStG steuerpflichtig sei (Schindele, Rechts- und Wirtschaftspraxis-Blattei 1972, 14 D Lizenzgebühren I, S. 73; Richter, Neue Wirtschafts-Briefe 1979, F3, 4632; Felix/Stahl, Erfinder in der Besteuerungspraxis, Rdnr. 26).
Es kann im Streitfall dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Umständen an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten ist. Das finanzgerichtliche Urteil kann bereits deshalb keinen Bestand haben, weil es den Begriff der Zufallserfindung verkannt hat.
Nicht jede "Blitzidee" führt zu einer Zufallserfindung im Sinne der eingangs zitierten Rechtsprechung. Bedarf es nämlich nach einem spontan geborenen Gedanken einer weiteren Tätigkeit, um die Erfindung bis zur Verwertungsreife zu fördern, liegt eine planmäßige Erfindertätigkeit vor, die nicht mehr als "gelegentlich" anzusehen ist (RFH-Urteil vom 1. Juli 1931 VI A 876/29, RFHE 29, 119, RStBl 1931, 668; Senatsurteil vom 11. September 1969 IV 304/65, BFHE 98, 141, BStBl II 1970, 306). Eine Tätigkeit, die nicht nur gelegentlich ausgeübt wird, ist als nachhaltig anzusehen (vgl. Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 15 Rdnr. 17, m.w.N.). Nach allgemeiner Auffassung kommt die Zufallserfindung deshalb in der Praxis kaum vor (vgl. Herrmann/ Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftssteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 2 ErfVO Rdnr. 9; Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge, 2. Aufl., S. 127; Felix/Stahl, a.a.O., Rdnr. 27). In der Rechtsprechung des RFH und des BFH gibt es keinen Fall, in dem das Vorliegen einer Zufallserfindung angenommen wurde (vgl. RFH-Urteile in StuW 1927 Nr. 404; in StuW 1932 Nr. 267; in RStBl 1933, 958; Senatsurteil in BFHE 98, 141, BStBl II 1970, 306).
Das FG hat unzutreffend darauf abgestellt, daß die wesentliche Tätigkeit des Klägers lediglich darin bestanden habe, seine Idee auf zwei DIN-A-4-Blätter zu skizzieren. In dieser Form war die Idee nicht verwertungsreif. Der Kläger hat sie denn auch nicht in dieser Form der A überlassen, sondern letztere mit der weiteren Ausarbeitung beauftragt. Zudem fällt auf, daß sich von den auf dem vom FG angeführten DIN-A-4-Blatt befindlichen beiden Skizzen aus dem Jahre 1984 lediglich die untere mit der nötigen Eindeutigkeit im Patent 4 wiederfinden läßt, das erst im Jahre 1987 angemeldet wurde. Soweit eines der Patente 1 bis 3 auf die obere der beiden Skizzen zurückzuführen sein sollte, bedurfte es der Ausarbeitung weiterer erheblicher Details. So fehlen beispielsweise in der oberen Skizze im Patent 1 vorgesehene Teile. Da dieses Patent bereits im Juli 1984 beantragt wurde, ist es nahezu ausgeschlossen, daß es auf die Skizze zurückzuführen ist, die der A im Juni 1984 übergeben wurde. Wenn auch die diesem Patent zugrundeliegende Erfindung --wie vom FG festgestellt-- vom Kläger stammte, müssen dem weitere Ideen zugrunde gelegen haben, deren Skizzierung für sich genommen die Arbeit des Klägers als nachhaltig erscheinen läßt.
Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an. Allein der Umstand, daß der Kläger nicht etwa seine Spontanidee veräußert hat, sondern daß im Laufe von mehr als zwei Jahren allein in Deutschland vier Patente nach Erprobung und Ausarbeitung der Erfindungen durch die A auf seinen, des Klägers, Namen angemeldet wurden, führt dazu, daß die Nachhaltigkeit seiner Erfindertätigkeit gegeben ist. Es kann nicht entscheidend sein, ob der Erfinder die bis zur Patentreife erforderlichen Arbeiten selbst durchführt oder von einem anderen für sich durchführen läßt. Vergibt der Erfinder die nötigen Entwicklungsarbeiten an einen anderen, so kann das bedeuten, daß seine Tätigkeit mangels Eigenverantwortlichkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG) nicht mehr als wissenschaftlich i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG anzusehen ist. Es ändert aber nichts an der Nachhaltigkeit seiner Beschäftigung als Erfinder, die dann zwar nicht mehr als freiberuflich, wohl aber als sonstige selbständige Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG oder als Gewerbebetrieb zu qualifizieren ist.
Fundstellen
Haufe-Index 67379 |
BFH/NV 1998, 1425 |
BFH/NV 1998, 1425-1426 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 567 |
BFHE 186, 351 |
BFHE 1999, 351 |
BB 1998, 1782 |
BB 1998, 1782 (Leitsatz) |
BB 1998, 2190 |
DB 1998, 2145 |
DStRE 1998, 747 |
DStRE 1998, 747-749 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 2000, 345 |
HFR 1998, 910 |
StE 1998, 551 |