Leitsatz (amtlich)
Zum Erfordernis tatsächlicher Feststellungen im Verhältnis der Besteuerungstatbestände des Erwerbs auf Grund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs und des Erwerbs als Abfindung für den Verzicht auf einen entstandenen Pflichtteilsanspruch, und zu den möglichen Auswirkungen der tatbestandlichen Unterscheidung auf die Besteuerungsgrundlage.
Normenkette
ErbStG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Nr. 4
Tatbestand
Der Vater des Klägers hatte durch Testament Fräulein N. N. zur Alleinerbin eingesetzt. Er ist am 31. Juli 1954 verstorben. Der Kläger hatte zunächst die Gültigkeit des Testaments bestritten. Die eingesetzte Alleinerbin (die nach der Behauptung des Klägers mit ihm nicht verwandt ist) hatte widerklagend gegen ihn ein Urteil des Landgerichts H. vom 19. Oktober 1955 erwirkt, wonach er nicht Erbe geworden ist. Im Anschluß an dessen Verkündung gaben die Prozeßparteien einen "Vergleich" zu gerichtlichem Protokoll. Dieser enthält Vereinbarungen über die "Abfindung der Pflichtteilsansprüche" des Klägers (u. a. durch Bewilligung einer Rentenschuld an einem Grundstück, durch Übernahme einer Schuld und Zahlung eines Geldbetrags). Der Kläger bestreitet die Wirksamkeit dieser Vereinbarungen. Er macht ferner geltend, die Erbin habe ihre Verpflichtungen aus dem Vergleich nicht erfüllt.
Das FA (Beklagter) hat am 14. Dezember 1955 gegen den Kläger vorläufig 3 180 DM Erbschaftsteuer festgesetzt. In der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 1965 hat es die Erbschaftsteuer auf 2 124 DM herabgesetzt und diese Festsetzung für endgültig erklärt.
Der Steuerberechnung sind die Ansätze der im Vergleich zugesagten Leistungen zugrunde gelegt. Sie ergeben in der Einspruchsentscheidung einen "Rohwert des steuerbaren Pflichtteilsanspruchs" von 90 183,38 DM abzüglich der Kosten der Rechtsverfolgung von 16 725,64 DM, somit einen "steuerbaren Erwerb" von 73 457,74 DM und abzüglich des Freibetrags von 30 000 DM einen "steuerpflichtigen Erwerb" von 43 457,74 DM.
Der Steuerbetrag von 2 124 DM ist errechnet aus einem Grundbetrag von 228 DM und zehn Jahresbeträgen von insgesamt 1 896 DM.
Im Verfahren vor dem FG hatte der Kläger geltend gemacht, die Erbin sei ausweislich einer - bei den Akten des FA befindlichen - Auskunft des Beklagten unbesteuert geblieben, weil das nach Steuerwerten bewertete Nachlaßvermögen infolge der Pflichtteilsverbindlichkeit eine Überschuldung aufgewiesen habe. Aus dem Tatbestand das angefochtenen Urteils ist diese Behauptung nicht zu ersehen; die Entscheidungsgründe gehen auf sie nicht ein.
Der Kläger hatte beantragt, ihn von der Steuer freizustellen.
Das FG hat die Anwendung des § 33 ErbStG 1951 - weil für einen abgeschlossenen Zeitraum zu einer höheren Steuer führend - für fehlerhaft erachtet und ist nach Änderung einzelner Ansätze zu einer Steuer von 681 DM gekommen. Es hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen.
In der Steuerberechnung hat das FG - ausgehend von den im Vergleich vereinbarten Leistungen - angesetzt: eine Rentenleistung im Ablösungswert von 20 000 DM, eine Schuldübernahme in Höhe von 37 990,90 DM, eine Barzahlungsverpflichtung von 7 000 DM und den Wert einer Zimmereinrichtung mit 380 DM. Von dem Rohwert von 65 370,90 DM hat es Rechtsverfolgungskosten von 12 369,23 und weitere Verbindlichkeiten mit 250 DM abgezogen; von dem "steuerbaren Erwerb" von 52 751,67 DM blieb nach Abzug des Freibetrags von 30 000 DM ein abgerundeter steuerpflichtiger Erwerb von 22 700 DM. Das FG vermerkt, daß der Kläger anstelle der Zimmereinrichtung einen Geldbetrag entgegengenommen habe. Welche Leistungen der Kläger tatsächlich erhalten hat, und welche Leistungen die Erbin für seine Rechnung erbracht hat, ist nicht festgestellt.
Mit der Revision rügt der Kläger unter anderem Verletzung des Art. 3 GG, weil er besteuert wurde, obwohl die Erbin wegen "Überschuldung" des Nachlasses unbesteuert geblieben sei; unter Anführung des Art. 17 GG rügt er als Verfahrensverstoß, daß das FG auf die diesbezügliche Behauptung seines Schriftsatzes vom 28. Dezember 1968 nicht eingegangen sei und den Bestand des Nachlasses nicht ermittelt habe.
Für die Revisionsentscheidung zuständig ist nach der Geschäftsverteilung des BFH dessen II. Senat. Seine "Ablehnung" im ganzen ist unbeachtlich (Reichsgericht - RG - in Warneyer, Sammlung zivilrechtlicher Entscheidungen des Reichsgerichts, 1918 Nr. 146; RG in Höchstrichterliche Rechtsprechung 1929 S. 1695; RG in JW 1935, 2884; RGSt 40, 438 und 56, 49; Beschluß des BVerfG vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, MDR 1961, 26/27 unter Hinweis auf BVerfGE 2, 295 [297]; Beschluß des BFH vom 2. März 1967 VII R 42/66, BFHE 88, 194, BStBl III 1967, 320; Beschluß des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen vom 2. August 1958 St 2/58, MDR 1958, 901; Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Januar 1969 V TG 3/69, NJW 1969, 1400).
Die Revision des Klägers ist zulässig. Zwar genügen die Ausführungen der Revisionsbegründung nur in dem einen, oben angeführten Punkte den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO. Dieser reicht aber aus, die Zulässigkeit der Revision zu bewirken. Für die Zulässigkeit der Revision ist es daher unerheblich, daß zur Mehrzahl der materiellen Rügen die verletzte Rechtsnorm nicht bezeichnet ist und die Mehrzahl der Verfahrensrügen sich entweder gegen solche angeblichen Verfahrensverstöße richtet, auf denen das angefochtene Urteil nicht beruhen kann (§ 118 Abs. 1 FGO), oder daß mit den Rügen die verletzte Rechtsnorm oder die Tatsachen, die den Mangel ergeben, nicht hinreichend bezeichnet sind (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO), und daß sich die Revision im übrigen und hauptsächlich gegen tatsächliche Feststellungen des FG und dessen Beweiswürdigung richtet, die mangels zulässiger und begründeter Revisionsangriffe nicht nachprüfbar sind.
Für sich allein wäre auch die aus Art. 3 GG erhobene Rüge unbeachtlich. Denn sie unterstellt einen Sachverhalt, der im angefochtenen Urteil nicht festgestellt ist (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116 [119], BStBl II 1969, 84). Unterstützt und zum Erfolg geführt wird sie aber durch die weitere Rüge, das FG hätte sich über den Bestand des Nachlasses, aus dem der Pflichtteil zu errechnen war, Gewißheit verschaffen müssen. Diese Rüge ist als Ermittlungsrüge (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) zulässig erhoben. Die Verfahrensrüge führt unbeschadet des § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO auch zur Nachprüfung der materiellrechtlichen Beurteilung des FG insoweit, als sich aus dieser erst ergibt, ob die Ermittlungsrüge durchgreift.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Nicht eindeutig ist, ob das FG den Besteuerungsgrund in § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG (geltend gemachter Pflichtteil) oder in § 2 Abs. 2 Nr. 4, § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe f ErbStG (Abfindung des Pflichtteilsanspruchs) gesehen hat; keine dieser Vorschriften ist zitiert. Den tatsächlichen Feststellungen ist nicht zu entnehmen, ob die eine oder die andere dieser beiden Vorschriften eingreift.
§ 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG scheidet nicht deshalb aus, weil nach dieser Vorschrift die Abfindung "von dritter Seite" gewährt sein muß. Denn wer "Dritter" ist (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG, § 328 Abs. 1 BGB) oder sein kann, läßt sich nur dem Zusammenhang der einzelnen Vorschrift entnehmen (vgl. auch § 317 BGB). In § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ist es jeder, der nicht Erblasser oder Abgefundener ist; der mit dem Pflichtteil oder dem Vermächtnis Belastete kann davon nicht ausgenommen werden. Zwar mag sich allenfalls noch behaupten lassen, daß der, der sich für seinen Pflichtteilsanspruch vom Erben abfinden läßt, diesen damit "geltend gemacht" habe und damit der Besteuerung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliege. Doch zeigt das Beispiel der Abfindung für die Ausschlagung eines Vermächtnisses (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG), daß diese Betrachtung nicht zutreffen kann. Denn das ausgeschlagene Vermächtnis gilt rückwirkend als nicht entstanden (§§ 2180, 1953 Abs. 1 BGB); die Abfindung, die der Erbe dem Bedachten für die Ausschlagung des Vermächtnisses gewährt, kann - auch wegen § 2186 BGB - nicht der Erfüllung des Vermächtnisses durch Leistung eines anderen Gegenstandes (§ 364 Abs. 1 BGB) gleichgesetzt werden. Insbesondere aber wird die Abfindung für die Ausschlagung einer Erbschaft - die ebenfalls von § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG erfaßt ist - regelmäßig von dem gewährt, der zufolge der Ausschlagung Erbe wird (§ 1953 Abs. 2 BGB), also in anderer Betrachtung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) nicht Dritter wäre.
Der Regierungsentwurf eines Zweiten Steuerreformgesetzes vom 4. Mai 1972 - Bundestagsdrucksache VI/3418 - hat ersichtlich die in § 2 Abs. 2 Nr. 4 des geltenden Erbschaftsteuergesetzes enthaltenen Worte "von dritter Seite" als gegenstandslos erachtet. Denn sie sind in dem sonst - vom Wegfall einer erläuternden Paragraphenbezeichnung abgesehen - wortgleichen § 3 Abs. 2 Nr. 4 des Entwurfs (Art. 2 der Regierungsvorlage) nicht enthalten, ohne daß die Begründung der Regierungsvorlage eine Ausführung darüber enthielte.
Sowohl der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als auch der Tatbestand des § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG verfolgt zwar den Zweck, die Bereicherung zu erfassen (§ 10 Abs. 3 ErbStG 1951), die zufolge Erwerbes von Todes wegen eingetreten ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Der Vermögensanfall (§ 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1951) und damit der Ausgangspunkt für die Feststellung der Besteuerungsgrundlage ist aber in beiden Fällen verschieden. Im einen Fall geht es um den "Erwerb auf Grund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs" (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG); die Steuerschuld entsteht "mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung" (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b ErbStG) aus dem geltend gemachten (und gegebenen) Pflichtteilsanspruch (vgl. für das Vermächtnis BFH-Urteil vom 15. Juni 1966 II 32/63, BFHE 86, 386 [388], BStBl III 1966, 507). Im anderen Fall dagegen geht es um die "Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch" (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG); die Steuerschuld entsteht "mit dem Zeitpunkt des Verzichts" (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe f ErbStG) aus der Abfindung.
Damit ist nicht nur der Vorgang, der die Besteuerung auslöst, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und des Absatzes 2 Nr. 4 des § 2 ErbStG unterschiedlich; vielmehr kann auch die Besteuerungsgrundlage in beiden Fällen abweichen. Denn im einen Falle (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG) ist von der Abfindung auszugehen, im anderen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) dagegen von dem Pflichtteilsanspruch (§§ 2303, 2317 BGB), begrenzt durch die Höhe, in dem dieser "geltend gemacht" worden ist. Die tatsächlichen Feststellungen, an die der BFH auf Grund und nach Maßgabe des § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, müssen daher ergeben, ob der eine oder der andere Besteuerungstatbestand erfüllt ist.
Dieser Anforderung genügt das angefochtene Urteil nicht. Ihm ist nicht zu entnehmen, ob der Kläger aus dem "geltend gemachten Pflichtteilsanspruch" (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) besteuert und nur für dessen Bemessung "mangels anderer Unterlagen von den im Vergleich Teil B aufgeführten Vermögensgegenständen ausgegangen" werden sollte, oder ob - wie das FG im Satz zuvor sagt -, "der Teil B des Vergleichs die Leistungen beinhaltet, die die Erbin zur Abfindung des Pflichtteilsanspruchs zu machen" hatte.
Einerseits spricht das FG von der "Abfindung des Pflichtteilsanspruchs" und geht "für die Besteuerung von den im Vergleich festgelegten Werten aus"; andererseits sagt es aber, daß "die Höhe des Pflichtteilsanspruchs aus dem Wert des gesamten Nachlasses ermittelt" werde, daß "der Streit und die Ungewißheit darüber, was" dem Kläger "als Pflichtteilsberechtigten zusteht," durch den Vergleich "beseitigt" worden sei, und daß das dem Kläger im Vergleich Zugesprochene "zur Tilgung des Pflichtteilsanspruchs und aus keinem anderen Rechtsgrund zu leisten war".
Dabei ist nicht zu verkennen, daß unter bestimmten Umständen sich trotz grundsätzlich verschiedenen Ausgangspunktes die Besteuerungsgrundlage im Falle des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG an die des § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG angleichen kann. Denn wenn der Pflichtteilsberechtigte nach ernstlichem Streit über die Höhe seines Pflichtteils sich vergleichsweise mit weniger zufrieden gibt, als er beansprucht hat und ihm zusteht, kann er nur aus diesem niedrigeren Wert besteuert werden (vgl. für das umstrittene Erbrecht BFH-Urteil vom 24. Juli 1972 II R 35/70, BFHE 106, 555, BStBl II 1972, 886), während umgekehrt - je nach (hier nicht abschließend zu beurteilender) Rechtsauffassung - eine die gesetzliche Verpflichtung übersteigende Mehrleistung des mit dem Pflichtteil Belasteten, sofern sie weder Schenkung (§ 516 BGB) noch freigebige Zuwendung (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) ist oder eine Abfindung aus anderem Rechtsgrund darstellt, als Empfang auf den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch beim Pflichtteilsberechtigten versteuert werden könnte. Aus diesem Grund kann auch bei einer Leistung an Erfüllungs Statt (§ 364 BGB) unter Umständen die Höhe des gesetzlichen Pflichtteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB) dahingestellt bleiben. Doch setzt das entweder voraus, daß dem Pflichtteilsberechtigten die entsprechenden Leistungen tatsächlich erbracht worden sind (§ 5 StAnpG) - sei es auch (z. B. nach Abtretung; §§ 398, 2317 Abs. 2 BGB) durch eine auf seine Rechnung gehende Leistung an Dritte -, oder daß der Vertrag, durch den solche Leistungen zugesagt worden sind, wirksam ist.
Entsprechendes gilt für den Fall einer Abfindung (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG). Ein unwirksamer Vertrag kann der Besteuerung allenfalls dann zugrunde gelegt werden, wenn er trotz seiner Unwirksamkeit erfüllt worden ist (§ 5 StAnpG).
Demzufolge hätte sich das FG mit der Rechtsansicht des Klägers, er "halte den Vergleich zur Abfindung seines Pflichtteilsanspruchs für unwirksam", und seinen ebenfalls aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ersichtlichen Behauptungen, "die Erbin habe ihre Verpflichtungen aus dem Vergleich in wesentlichen Punkten nicht erfüllt", und er "habe deshalb Werte versteuert, die er nie erhalten habe", auseinandersetzen müssen. Das ist nur unvollkommen geschehen.
Das FG erwähnt dazu das Urteil des Landgerichts H. vom 6. April 1956, durch das auf Klage der Erbin eine Zwangsvollstreckung des Klägers aus dem gerichtlichen Vergleich vom 19. Oktober 1955 hinsichtlich der Rentenschuld, des Bargeldbetrages und der Zimmereinrichtung für unzulässig erklärt wurde. Die Rechtsgültigkeit des Vergleichs und seinen Bestand sieht es dadurch nicht für betroffen an, da "nach Abschluß des Vergleichs eingetretene Ereignisse" die Steuerfestsetzung nicht berührten; die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung beruhe auf einer "nachträglichen Verfügung über das mit der Geltendmachung des Pflichtteils Erworbene".
Diese Auffassung stimmt zumindest nicht durchweg mit dem Urteil des Landgerichts H. überein, auf welches das FG Bezug nimmt. Denn die Entscheidungsgründe dieses Urteils sind ausdrücklich auf § 797 Abs. 4 ZPO gestützt, kraft dessen bei einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 Abs. 1 ZPO) gegen einen gerichtlichen Vergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) die beschränkende Vorschrift des § 767 Abs. 2 ZPO nicht anzuwenden ist, also auch Einwendungen erhoben werden können, welche die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit des Vergleichs selbst betreffen. Als solche Gründe waren ausweislich des Tatbestandes des landgerichtlichen Urteils (§§ 314, 313 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) vor allem vorgetragen, der Kläger habe am 7. September 1954 einen Teilbetrag von 15 000 DM, am 5. Oktober 1954 einen Teilbetrag von 7 000 DM und am 11. Oktober 1955 einen Teilbetrag von 1 875 DM seines Pflichtteilsanspruchs abgetreten; der damalige Beklagte - nunmehrige Kläger - hatte dazu behauptet, die Zessionare hätten die Forderungen gegen die Erbin nicht geltend gemacht.
Sämtliche drei Abtretungen liegen vor Vergleichsabschluß, lediglich eine Pfändung des Pflichtteilsanspruchs durch das FA wegen einer Forderung von 3 205 DM nach ihm. Weder die Abtretungen noch die Pfändung betrafen den Anspruch auf Einräumung einer Rentenschuld (§ 1199 BGB) oder den Anspruch auf Übereignung einer Zimmereinrichtung, wegen derer die Zwangsvollstreckung ebenfalls eingestellt wurde. Es spricht demnach manches dafür, daß das Landgericht H. davon ausgegangen ist, daß der Vergleich vom 19. Oktober 1955 unwirksam sei, weil der Kläger bei dessen Abschluß - sei es ganz, sei es teilweise - nicht mehr berechtigt war, über den Pflichtteilsanspruch zu verfügen (§ 398 Satz 2 BGB).
Die Rechtskraft dieses Urteils (§ 322 Abs. 1 ZPO) geht allerdings, wie das FG richtig erkannt hat, nur dahin, daß die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich in den dort aufgeführten Beziehungen unzulässig ist, nicht aber dahin, daß der Vergleich unwirksam ist. Angesichts der Tatsachen, die sich durch die Bezugnahme des angefochtenen Urteils auf das Urteil des Landgerichts H. vom 6. April 1956 ergeben, kann aber nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Vergleich vom 19. Oktober 1955 materiellrechtlich wirksam war und die Besteuerung aus § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG rechtfertigt.
Damit ist nicht auszuschließen, daß es auf das Ergebnis der Ermittlungen ankommt, deren Unterlassung der Kläger rügt. Er kann allerdings diese Rüge nicht mit dem Ziele verfolgen, in die Steuerakten der Erbin Einsicht zu erhalten; dem steht das Steuergeheimnis entgegen (§ 22 AO). Dieses wird nicht dadurch aufgehoben, daß der Kläger gegen die Erbin einen - allerdings der Verjährung (§ 222 Abs. 1 BGB) unterliegenden (§ 2332 BGB) - Auskunftsanspruch (§ 2314 BGB) hat oder hatte. Denn dieser Anspruch richtet sich gegen die Erbin und nicht gegen das FA. Der Anspruch ist ein bürgerlichrechtlicher im Sinne des § 13 GVG und kann zufolge § 33 FGO im Finanzrechtsweg nicht geltend gemacht werden.
Dadurch wird der Kläger hinsichtlich seiner eigenen Besteuerung nicht beschwert. Die gerichtliche Entscheidung darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen er sich äußern konnte (§ 96 Abs. 2 FGO). Akten, in die er wegen des Steuergeheimnisses keine Einsicht nehmen dürfte (§ 22 AO), dürfen dem Gericht nicht vorgelegt werden. Wenn und soweit es für die Besteuerung des Klägers auf die Höhe seines gesetzlichen Pflichtteils und damit auf den Wert des Nachlasses (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB) ankommen sollte, trägt das FA die (materielle) Beweislast für dessen Bestand und Umfang. Was es wegen des Steuergeheimnisses (§ 22 AO) und des Rechts des Klägers auf Akteneinsicht (§ 78 Satz 1 FGO) und rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) dem FG nicht vortragen kann, kann nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden.
Der bislang festgestellte Sachverhalt läßt es jedoch zweifelhaft erscheinen, ob es in Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf die Höhe des gesetzlichen Pflichtteils ankommt. Denn es ist nicht zu ersehen, ob und wie der Pflichtteilsanspruch vor Abschluß des Vergleichs "geltend gemacht" wurde. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ging es bei der vom Kläger beim Landgericht erhobenen Klage "um die Gültigkeit des Testaments", im Zweifel also um die Feststellung seines in Anspruch genommenen Erbrechts; jedenfalls war mit ihr sein Pflichtteilsanspruch nicht rechtshängig geworden. In der am 23. November 1955 beurkundeten Vereinbarung über die Abfindung des Pflichtteils kann zumindest bei Wirksamkeit kein "Geltendmachen" des Pflichtteils mit den Wirkungen der § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b ErbStG gesehen werden. Andernfalls wäre § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG, soweit er die Abfindung des Pflichtteilsanspruchs betrifft, inhaltslos.
Der Sachverhalt ist demnach in entscheidungserheblichen Punkten so unklar, daß das angefochtene Urteil allein schon wegen dieses Mangels gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden muß (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1968 II 36/67, BFHE 92, 416, BStBl II 1968, 610). Der BFH kann nur über die rechtliche Würdigung festgestellter Sachverhalte urteilen (§ 118 FGO) und nicht eine unbestimmte Vielzahl denkmöglicher Sachverhalte begutachten (BFH-Urteil vom 3. März 1970 II 158/64, BFHE 99, 130, BStBl II 1970, 543).
Zwar ist der BFH grundsätzlich gehalten, einen entscheidbaren Fall, sei es im Sinne des § 126 Abs. 2 oder 4 FGO, sei es im Sinne des § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO, abschließend zu entscheiden und in den Fällen des § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO die Prüfung so weit zu erstrecken, wie es unter Beachtung der §§ 118, 119 FGO möglich ist. Er ist aber nicht befugt, Aussagen zu machen, deren Bedeutung für den behandelten Fall völlig ungewiß ist, so daß sich erst nach weiterer Aufklärung ergibt, ob sie für diesen überhaupt von Belang sind. Denn bei solchen Ausführungen wäre, soweit sie sich hernach als einschlägig herausstellen sollten, kaum festzustellen, ob sie das Revisionsurteil tragen und demzufolge gemäß § 126 Abs. 5 FGO binden, oder ob es sich nur um unverbindliche Bemerkungen - ohnehin problematische sogenannte obiter dicta - im Zuge einer allgemeineren Gedankenführung handelt.
Die Ungewißheit in bezug auf tatsächliche Vorfragen muß also abgrenzbar sein. Daran fehlt es hier. Daher muß sich der BFH versagen, zu den Fragen Stellung zu nehmen, unter welchen Voraussetzungen ein noch nicht rechtshängiger (§ 263 Abs. 1 ZPO) Pflichtteilsanspruch "geltend gemacht" ist, ob § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG hinsichtlich des abgefundenen Pflichtteilsanspruchs dem § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nur dann vorgeht, wenn der Pflichtteil vor Abfindung nicht "geltend gemacht" war oder auch bei dessen nachträglicher - im besonderen vergleichsweiser - Abfindung, ob der Besteuerung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG die "gewährte" Abfindung zugrunde zu legen ist oder die vereinbarte Abfindung, sofern der Verzicht nach Vereinbarung, aber vor Gewährung der Abfindung erfolgt und damit die Steuer entsteht (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe f ErbStG), und wie die Fälle zu behandeln sind, in denen nach begründet geltend gemachtem Pflichtteilsanspruch - und damit Entstehen der Steuer (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b ErbStG) - sich herausstellt, daß dieser Anspruch nicht oder nicht in vollem Umfang durchgesetzt werden kann.
Diese Fragen betreffen den Besteuerungsgrund und die Besteuerungsgrundlage (im engeren Sinn); erst nach Beantwortung der hier etwa einschlägigen Vorfragen würde sich die Bewertungsfrage erheben, wegen derer der Beklagte im Hinblick auf den Beschluß des BFH vom 18. Dezember 1972 II R 87-89/70 (BFHE 108, 393 [410 ff.], BStBl II 1973, 329) die Aussetzung des Verfahrens beantragt hat. Deshalb muß dahingestellt bleiben, ob der im Vorlegungsbeschluß vom 18. Dezember 1972 für das Jahr 1966 dargelegte Standpunkt bereits für das Jahr 1954 durchgreifen würde. Denn es ist nicht zu ersehen, ob unter den vielen möglichen Alternativen der Vorfragen diese Frage entscheidungserheblich werden kann. Ebensoweinig hat der BFH dazu Stellung zu nehmen, ob bei Verneinung verfassungsrechtlicher Bedenken für das Jahr 1954 dem Standpunkt der Revision durch Auslegung dieser Vorschrift Rechnung zu tragen oder § 23 ErbStG wortlautgemäß anzuwenden wäre, und ob - bei Beantwortung der Frage im zweitgenannten Sinne - etwa § 131 AO eingreifen könnte.
Die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO) waren demnach allein darauf zu stützen, daß wegen unzureichender tatsächlicher Feststellungen die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das angefochtene Urteil auf dem gerügten Verfahrensmangel beruht, weil es weder eine Entscheidung zwischen den Alternativen des Absatzes 1 Nr. 1 und des Absatzes 2 Nr. 4 des § 2 ErbStG noch von diesen Alternativen aus den Schluß auf die gegebene Besteuerungsgrundlage erlaubt.
Fundstellen
Haufe-Index 70580 |
BStBl II 1973, 798 |
BFHE 1974, 196 |