Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachaufklärung des Finanzgerichts bei Streit über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 EStG
Leitsatz (NV)
Zur Sachaufklärungspflicht des Finanzgerichts, wenn Streit darüber besteht, ob der Kläger im Veranlagungszeitraum von seiner Ehefrau dauernd getrennt gelebt hat.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1; EStG § 26 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde bis einschließlich 1987 mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er wohnte mit seiner Familie in B. Im Laufe des Jahres 1987 verlegte er seinen Wohnsitz nach W, während die Ehefrau mit den Kindern in B blieb. Im Streitjahr (1988) zog der Kläger wegen einer beruflichen Veränderung nach A; seine Ehefrau übersiedelte mit den drei Kindern nach N, in ihre ursprüngliche Heimat.
Für das Streitjahr gab der Kläger eine Einkommensteuererklärung ab, die nur die ihn selbst betreffenden Angaben enthielt und auch nur von ihm unterschrieben worden war. Die Frage nach der Veranlagungsart ließ er unbeantwortet. Auf die Bitte hin, die Unterschrift seiner Ehefrau beizubringen, teilte der Kläger mit, seine Frau habe keine eigenen Einkünfte. Nach einer Auskunft seines Steuerberaters sei daher deren Unterschrift nicht notwendig. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ermittelte die festzusetzende Einkommensteuer 1988 mit Bescheid vom 29. Januar 1991 nach der Grundtabelle.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der der Kläger weiterhin die Durchführung einer Zusammenveranlagung begehrte und die räumliche Trennung von seiner Ehefrau näher erläuterte (Blockdienste in A; dadurch mehr Freizeit für seine berufliche Neuorientierung als ... ; Übersiedlung der Ehefrau nach N in deren frühere Heimat), wies das Finanzgericht (FG) ab. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus: Das Wahlrecht für eine Zusammenveranlagung stehe dem Kläger nicht zu, weil nach den Umständen davon auszugehen sei, daß er und seine Ehefrau im Streitjahr dauernd getrennt gelebt hätten. Bei einer bestehenden Ehe könne zwar grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß ein Getrenntleben i. S. von § 26 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorliege, wenn die Ehegatten aufgrund einer beruflichen Veränderung verschiedene Wohnsitze begründet hätten. Lägen aber -- wie im Streitfall -- wesentliche Indizien für ein Getrenntleben vor, so habe derjenige, der eine Zusammenveranlagung begehre, den das Zusammenleben begründenden Sachverhalt nachzuweisen.
Für eine dauerhafte Trennung spreche die Tatsache, daß die Ehefrau des Klägers ihren Wohnsitz in das noch weiter entfernte N verlegt habe, eine Maßnahme, die durch die berufliche Neuorientierung des Klägers nicht veranlaßt gewesen sei. Gegen einen ständigen Kontakt zwischen den Eheleuten spreche auch, daß der Kläger die fehlende Unterschrift seiner Ehefrau unter die Einkommensteuererklärung nicht beigebracht, sondern damit argumentiert habe, nach Angaben seines Steuerberaters sei diese nicht erforderlich. Die spätere Erklärung der Ehefrau im Klageverfahren, sie sei mit der steuerlichen Veranlagung gemeinsam mit ihrem Ehemann einverstanden, beseitige diesen Eindruck nicht.
Die vom Kläger angegebenen Motive, warum kein gemeinsamer Wohnsitz in A begründet worden sei, stellten die Wiedergabe einer inneren Einstellung dar, die anhand objektiver Anhaltspunkte nachvollziehbar gemacht werden müsse. Daran fehle es im Streitfall, denn der Kläger habe keine Sachverhalte vorgetragen, die trotz der Trennung auf ein Zusammenleben, d. h. auf eine zwischen den Ehe gatten bestehende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft, schließen ließen, obwohl er dazu vom Gericht schriftlich aufgefordert worden sei. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger eher ein weiteres Indiz dafür gegeben, daß er keinen wirtschaftlichen Beitrag zum Unterhalt seiner Familie geleistet habe. Er habe die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des sog. Realsplittings nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG mit dem Hinweis abgelehnt, daß dies zu einer Steuerpflicht bei seiner Ehefrau führen würde. Wenn die Ehefrau im Streitjahr tatsächlich keine eigenen Einkünfte gehabt hätte und der Abzugsbetrag auf den bei ihr steuerfreien Betrag begrenzt worden wäre, hätte die Inanspruchnahme der Vergünstigung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG den gleichen steuerlichen Effekt gehabt wie eine Zusammenveranlagung. Darauf, ob im Streitjahr eine Trennungsabsicht bestanden habe oder nicht, sei es nicht angekommen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger mangelhafte Sachaufklärung sowie die Verletzung materiellen Rechts.
Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor: Das FG habe den in § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz verletzt. Mit Schriftsatz vom 23. Januar 1992 sei die Vernehmung der Ehefrau zur Frage des Zusammenlebens beantragt worden. Das FG habe in einem Schreiben vom 28. April 1993 zwar darauf hingewiesen, daß die Angaben über das Zusammenleben bisher nicht konkret genug seien, um eine Beweisaufnahme zu rechtfertigen. Nach § 76 FGO wäre das FG jedoch gehalten gewesen, den Sachverhalt von sich aus aufzuklären und die angebotene Zeugin zu laden und zu befragen. Die Ehefrau hätte bezeugt, daß noch eine intakte -- wenn auch räumlich getrennte -- Ehe geführt worden sei, insbesondere, daß bei keinem der Ehepartner der Wille zu einer endgültigen Trennung bestanden habe. Sie hätte die konkreten Umstände des Zusammenlebens schildern können, insbesondere die regelmäßigen gemeinsamen Aufenthalte an den entsprechenden Wohnsitzen, und darauf hinweisen können, daß die räumliche Trennung allein auf rein beruflichen Gründen beruht habe.
Das FG habe auch die Vorschrift des § 26 EStG falsch angewendet und sei von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (Urteil vom 16. April 1993 VI R 6/89, BFHE 171, 231, BStBl II 1993, 640) abgewichen. Es habe seiner Entscheidung, die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung seien mangels eines Zusammenlebens nicht gegeben, ausschließlich objektive Merkmale zugrunde gelegt. Nach allgemeiner Auffassung spielten jedoch subjektive Merkmale wie die Trennungsabsicht eine gleichwertige Rolle. Schriftsätzlich und auch in der mündlichen Verhandlung sei dargelegt worden, daß die räumliche Trennung allein aus beruflichen Gründen notwendig gewesen sei. Eine beruflich bedingte räumliche Trennung könne aber kein Anzeichen für eine endgültige Trennung der Ehepartner sein. Auch die fehlende Unterschrift seiner Ehefrau unter der Steuer erklärung sei kein Indiz für eine Trennungsabsicht. Unbestritten sei vorgetragen worden, daß die Unterschrift allein wegen der Belehrung des Steuerberaters nicht für erforderlich gehalten worden sei. Zudem belege die dem FG vorgelegte Erklärung der Ehefrau vom 9. Oktober 1991, daß zwischen ihnen auch noch eine wirtschaftliche Einheit bestanden habe. Über das ehegemeinschaftliche Konto seien beide Ehepartner verfügungsberechtigt gewesen. Seine Ehefrau habe sein, des Klägers, Einkommen gekannt und von dem gemeinsamen Konto die finanziellen Mittel zur Bestreitung des eigenen Unterhalts und jenes der Kinder genommen.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung, des Einkommensteuerbescheids 1988 und der Einspruchsentscheidung vom 18. März 1991 das FA zu verpflichten, für das Streitjahr eine Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau durchzuführen.
Das FA beantragt, die Revision -- im wesent lichen aus den Gründen der Vorentscheidung -- zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und dadurch gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.
Voraussetzung für eine Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer nach § 26 EStG ist u. a., daß sie nicht dauernd getrennt leben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein dauerndes Getrenntleben i. S. der vorgenannten Vorschrift dann gegeben, wenn die zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft endgültig aufgehoben worden ist. Der Beurteilung, ob Ehegatten getrennt leben, sind in erster Linie die äußerlich erkennbaren Umstände zugrunde zu legen, wobei dem räumlichen Zusammenleben der Ehegatten besondere Bedeutung zukommt (vgl. BFH-Entscheidungen vom 15. Juni 1973 VI R 150/69, BFHE 109, 363, BStBl II 1973, 640, m. w. N.; vom 13. Dezember 1985 VI R 190/82, BFHE 145, 549, BStBl II 1986, 486, und vom 18. Juli 1985 VI R 100/83, BFH/NV 1987, 431). Leben Ehegatten zwar für eine nicht absehbare Zeit räumlich voneinander getrennt und halten sie die eheliche Wirtschaftsgemeinschaft dadurch aufrecht, daß sie die sie berührenden wirtschaftlichen Fragen gemeinsam erledigen und gemeinsam über die Verwendung des Familieneinkommens entscheiden, so kann dies -- ggf. zusammen mit anderen Umständen -- dazu führen, daß ein nicht dauerndes Getrenntleben anzunehmen ist (BFH-Urteile vom 27. August 1971 VI R 206/68, BFHE 104, 51, BStBl II 1972, 173, und in BFH/NV 1987, 431).
Das FG hat jedoch im wesentlichen daraus, daß die Eheleute in verschiedenen Orten lebten, aus der fehlenden Unterschrift der Ehefrau unter der Einkommensteuererklärung sowie aus den mangelnden Angaben des Klägers über das Zusammenleben mit seiner Frau geschlossen, daß die Voraussetzungen für eine Ehegattenveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorlägen. Es hat indessen nicht alle für den Streitfall bedeutsamen Umstände ausreichend aufgeklärt. Das FG hat es vor allem unterlassen, Ermittlungen zum Fortbestand einer Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den Eheleuten anzustellen.
Das FG ging offenbar davon aus, daß es mangels entsprechender Darlegungen durch den Kläger von einer weiteren Aufklärung von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) absehen durfte. Diese Auffassung wird jedoch der Amtsermittlungspflicht nicht gerecht. Zwar hängen der Umfang und die Intensität der vom FG anzustellenden Ermittlungen auch vom Vortrag und Verhalten der Beteiligten ab, denn das Gericht ist nicht verpflichtet, einen Sachverhalt ohne bestimmten Anlaß zu erforschen. Es muß aber von sich aus solchen tatsächlichen Zweifeln nachgehen, die sich ihm nach Lage der Akten und dem Vortrag der Beteiligten aufdrängen mußten (BFH-Urteil vom 3. November 1976 II R 43/67, BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 76 FGO Tz. 7 c, m. w. N.).
Der Kläger hat vorgetragen, trotz der beruflich (und finanziell) bedingten räumlichen Trennung von seiner Familie habe die häusliche Gemeinschaft weiter bestanden, was sich schon aus dem regelmäßigen Zusammensein mit der Familie ergebe. Da das FG selbst der Auffassung war, daß dieser Vortrag zu allgemein gehalten gewesen sei, als daß hieraus auf ein nicht dauerndes Getrenntleben hätte geschlossen werden können, hätte es nahegelegen, von Gerichts wegen Ermittlungen darüber anzustellen, wie die persönlichen Beziehungen sowie die wirtschaftlichen und finanziellen Fragen zwischen den Eheleuten geregelt waren; zumindest hätte das FG den Kläger durch gezielte Fragen auffordern müssen, die tatsächlichen Umstände der Wirtschaftsführung der Eheleute (gemeinsame Verteilung des verfügbaren Einkommens für die ganze Familie) und ihres persön lichen Umgangs miteinander näher darzu legen (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO, BFH- Urteil vom 13. März 1985 I R 7/81, BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318).
Das FG hat auch zu Unrecht die beantragte Einvernahme der Ehefrau des Klägers, die auch vom FA für erforderlich gehalten worden war, nicht durchgeführt. Der Kläger hat seine Ehefrau nicht nur zu der fehlenden Trennungsabsicht als Zeugin benannt, sondern auch dazu, daß er von seiner Ehefrau nicht dauernd getrennt gelebt habe. Die Zeugin hätte über ihr Zusammenleben mit dem Kläger, z. B. über die Häufigkeit und Länge seiner Besuche bei der Familie zunächst in B und nach dem Umzug in N, aussagen und Fragen nach der ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft beantworten können.
Das FG-Urteil mußte hiernach aufgehoben werden. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen dazu nachholt, ob der Kläger und seine Ehefrau nach dem Gesamtbild der äußerlich erkennbaren Merkmale (s. hierzu z. B. das Urteil in BFH/NV 1987, 431, m. w. N.) im Streitjahr dauernd getrennt gelebt haben.
Fundstellen
Haufe-Index 421644 |
BFH/NV 1997, 139 |