Entscheidungsstichwort (Thema)
Häusliches Arbeitszimmer eines angestellten Entwicklungsleiters
Leitsatz (NV)
1. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß die nicht berufstätige Ehefrau einen vom Ehemann als häusliches Arbeitszimmer genutzten Raum mitbenutzt. Das Finanzgericht verletzt den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn es ohne Anhörung des Klägers von einer solchen Annahme ausgeht.
2. Zur Schädlichkeit privater Mitbenutzung bei häuslichem Arbeitszimmer.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 12 Nr. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist nach einer Bescheinigung seiner Arbeitgeberin als Leiter der Entwicklung für den Produktionsbereich tätig. Daneben hält er nach eigenem Vortrag noch Vorlesungen. Er bewohnt mit seiner Familie ein Reiheneinfamilienhaus mit einer Wohnfläche von ca. 110 qm, in dessen Dachgeschoß er einen ca. 16 qm großen Raum als Arbeitszimmer nutzt. Das Zimmer ist mit einem Schreibtisch und dem dazugehörenden Schreibtischsessel, mit einem ca. 4 m langen Bücherregal und einem Sofa ausgestattet. Im Dachgeschoß des Hauses befindet sich ferner ein Gästezimmer, das von der auswärts studierenden Tochter des Klägers bei ihren Besuchen bewohnt wird. Die beiden anderen Kinder des Klägers haben jeweils eigene Zimmer.
Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1977 machte der Kläger Aufwendungen für das Arbeitszimmer in Höhe von 1 140 DM als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ohne Erfolg geltend. Im Verlauf des Klageverfahrens legte er Bescheinigungen der Arbeitgeberin vom 28. Februar 1980 und 25. Oktober 1982 des folgenden Inhalts vor:
,,Zur Vorlage beim Finanzamt
Wir bescheinigen hiermit, daß Herr . . . zur Erfüllung seiner Aufgaben als Leiter der Entwicklung für den Produktionsbereich in seinem Haus ein Arbeitszimmer benötigt.
Die Art seiner Tätigkeit erfordert neben der Arbeitszeit in der Firma einen nicht unerheblichen Zeitaufwand für Fachliteratur und andere vorbereitende Arbeiten außerhalb der normalen Arbeitszeit."
,,Bestätigung
Wir bestätigen Herrn . . ., Entwicklungsleiter des Produktionsbereiches, daß er nach Belieben und Bedarf berechtigt ist, betriebliche Vorgänge und Literatur in seinem Haus aufzubewahren und zu bearbeiten.
In seiner Position besteht die Notwendigkeit, auch außerhalb der 40stündigen, betrieblichen Wochenarbeitszeit und insbesondere an den Wochenenden, für die Firma tätig zu sein."
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte zur Begründung im wesentlichen aus: Es werde nicht in Zweifel gezogen, daß der Kläger ein umfangreiches Arbeitsprogramm zu bewältigen habe und einen Teil dieser Arbeiten außerhalb der 40stündigen Wochenarbeitszeit in seinem häuslichen Arbeitszimmer erledige. Dennoch könnten die strittigen Kosten nicht zum Abzug als Werbungskosten zugelassen werden, da nicht auszuschließen sei, daß das Arbeitszimmer auch privat genutzt werde. In den vorgelegten Plänen sei für die Ehefrau des Klägers kein zusätzlicher Arbeitsraum ausgewiesen. Es könne deshalb nach der Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen werden, daß die Ehefrau des Klägers in dessen Abwesenheit das Arbeitszimmer zur Erledigung eigener Schreibarbeiten nutze. Der Kläger habe das Gericht nicht davon überzeugen können, daß die sich im Arbeitszimmer befindliche Möblierung auch während seiner Tätigkeit in den Räumen der Arbeitgeberin ausschließlich ihm vorbehalten geblieben sei. Rechne man zu dieser privaten Nutzung durch die Ehefrau noch die Erledigung der privaten Schreibarbeiten durch den Kläger, die erfahrungsgemäß in einem separat gelegenen und damit ruhigen Zimmer durchgeführt würden, so könne nicht mehr davon ausgegangen werden, daß das Arbeitszimmer entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nahezu ausschließlich beruflich genutzt worden sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das FG, so führt er aus, sei ohne vorherigen entsprechenden Hinweis davon ausgegangen, seine Ehefrau benutze das Arbeitszimmer zur Erledigung eigener Schreibarbeiten. Diese Annahme sei falsch. Seine Ehefrau habe das Arbeitszimmer nicht genutzt. Im übrigen komme es für die steuerliche Anerkennung eines Arbeitszimmers nicht darauf an, ob das Zimmer eine bestimmte Mindestzeit beruflich genutzt werde. Entscheidend sei, daß das Zimmer fast ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt werde. Diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Das FG ist bei seiner Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, nach der Lebenserfahrung könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Ehefrau des Klägers dessen Arbeitszimmer zur Erledigung von Schreibarbeiten mitbenutzt habe. Es kann weder auf eine Lebenserfahrung, daß die nicht berufstätige Ehefrau eines Steuerpflichtigen überhaupt Schreibarbeiten zu erledigen hat, noch auf eine solche Lebenserfahrung zurückgegriffen werden, daß evtl. doch anfallende Schreibarbeiten im häuslichen Arbeitszimmer des Ehemannes erledigt werden. Der Kläger mußte daher nicht damit rechnen, daß das FG seine abweisende Entscheidung hierauf gründen könnte. Das FG hat seine Entscheidung auf eine Annahme gestützt, zu der sich der Kläger nicht zuvor hat äußern können (§ 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); es hat damit dessen rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -, § 119 Nr. 3 FGO) verletzt.
2. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG ggf. durch Vernehmung der Ehefrau des Klägers aufklären müssen, ob diese das Arbeitszimmer zur Erledigung eigener Schreibarbeiten genutzt hat. Das Ausschöpfen dieses Beweismittels bedeutet kein unzumutbares Eindringen in die Privatsphäre eines Steuerpflichtigen. Sollte sich eine private Mitbenutzung des Arbeitszimmers durch die Ehefrau herausstellen, so stellt sich die weitere Frage, ob diese Mitbenutzung einen Umfang erreicht hat, der der steuerlichen Anerkennung des Raumes als Arbeitszimmer entgegensteht. Hierzu wird es unerläßlich sein festzustellen, in welchem Umfang das Arbeitszimmer tatsächlich vom Kläger beruflich genutzt wird. Denn erst das Gegenüberstellen der tatsächlichen beruflichen und der tatsächlichen privaten Nutzung läßt erkennen, ob ein Arbeitszimmer nahezu ausschließlich beruflich genutzt wird. Je geringer die tatsächliche berufliche Nutzung ist, desto mehr kann eine private Nutzung ins Gewicht fallen. Zeiten der Nichtbenutzung des Raumes können dabei aber nicht als eine private Nutzung angesetzt werden. Der Senat weist noch darauf hin, daß die Erledigung normal anfallender privater Post allein durch den Kläger dann nicht ins Gewicht fällt, wenn das Arbeitszimmer regelmäßig in den Abendstunden und an den Wochenenden beruflich genutzt wird. Ebenso nimmt allein das Vorhandensein eines Sofas in dem Arbeitszimmer diesem nicht den Charakter als steuerlich anzuerkennendes Arbeitszimmer (BFH-Beschluß vom 10. März 1970 VI B 69/69, BFHE 98, 462, BStBl II 1970, 459).
Fundstellen
Haufe-Index 413923 |
BFH/NV 1986, 202 |