Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Werbungskostenabzug bei einem einheitlichen Ausbildungsdienstverhältnis vor Zahlung von Ausbildungsvergütungen
Leitsatz (NV)
Im Rahmen eines einheitlichen dreijährigen Ausbildungsdienstverhältnisses zum Steuerbeamten des mittleren Dienstes in Bremen führen Aufwendungen im sog. Berufsgrundbildungsjahr auch dann zu Werbungskosten, wenn in diesem Jahr noch kein steuerpflichtiger Unterhaltszuschlag gezahlt wird (Anschluß an BFH-Urteil vom 24. September 1985 IX R 96/82, BFHE 144, 442, BStBl II 1986, 184).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 7
Tatbestand
Der im Jahre 1952 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) nahm zur Vorbereitung seiner Ausbildung als Steueranwärter in Bremen vom 2. September 1985 bis zum 31. Juli 1986 an einem Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) teil. Dieses BGJ ist als landesspezifische Einstellungsvoraussetzung der Steuerbeamtenausbildung in Bremen zwingend vorgeschrieben; sein erfolgreicher Abschluß ist Voraussetzung für die Teilnahme an der weiteren Steueranwärterausbildung. Während dieses BGJ wird von der Finanzverwaltung keine Ausbildungsvergütung gezahlt. Der Unterricht im BGJ setzt sich aus einem fachtheoretischen und einem praktischen Bereich zusammen; letzteren hat der Kläger in der Zeit vom 4. November 1985 bis 31. Januar 1986 und vom 28. April 1986 bis 2. Juli 1986 beim Finanzamt X abgeleistet. Nach einer Bescheinigung der Oberfinanzdirektion (OFD) Bremen sind die Kerninhalte im BGJ identisch mit der früher dem Vorbereitungsdienst vorangestellten Ausbildung als Dienstanfänger, die früher im Beamtenverhältnis auf Widerruf abgeleistet wurde. Die gesamte Ausbildung zum Steueranwärter einschließlich des BGJ werde als Einheit aufgefaßt, was dadurch deutlich werde, daß sie -- die OFD -- die Auswahl der Bewerber selbst vornehme, daß die Bewerber während des BGJ ihr als Auszubildende außerhalb des Beamtenverhältnisses angehörten und daß sie ihnen gegenüber weisungsbefugt sei. Der Klassenverband der Auszubildenden bleibe an der Verwaltungsschule und ab dem eigentlichen Beginn der Steueranwärterausbildung an der Landesfinanzschule in gleicher Zusammensetzung bestehen.
Der Kläger begehrte bei der Einkommensteuerveranlagung 1985, die im Rahmen dieses BGJ angefallenen Kosten in Höhe von 4 702 DM zum Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu zulassen. Bei den geltend gemachten Aufwendungen handelt es sich überwiegend um Kosten für Fahrten mit dem Kfz zur Schule und zum Ausbildungs-Finanzamt; hierfür hat der Kläger einen Kilometersatz von 0,42 DM je gefahrenem Kilometer angesetzt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) lehnte den begehrten Werbungskostenabzug ab und gewährte lediglich einen Sonderausgabenabzug in Höhe von 900 DM nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Die Klage, mit der der Kläger den Werbungskostenabzug in Höhe von ... DM abzüglich der bereits angesetzten Sonderausgaben in Höhe von 900 DM begehrte, hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im wesentlichen aus: Das vom Kläger absolvierte BGJ sei der erste Abschnitt der Ausbildung zum Beruf des Steuerbeamten des mittleren Dienstes. Aufwendungen für eine Ausbildung zu einem Beruf seien grundsätzlich Ausbildungskosten und keine vorweggenommenen Werbungskosten. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen bildeten die sog. Ausbildungsdienstverhältnisse. Um ein solches handele es sich im Streitfall deshalb nicht, weil der Teilnehmer an dieser Ausbildung trotz Vorliegens eines Dienstverhältnisses keinen Anspruch auf eine Vergütung habe. Damit fehle es an Einnahmen aus einem Dienstverhältnis. Etwas anderes folge auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur steuerlichen Beurteilung von Rechtspraktikantenverhältnissen im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung. Der Rechtspraktikant erhalte als solcher, wenn auch nicht während der gesamten Praktikantenzeit, sondern erst vom Beginn des 37. Monats vor Ende der Ausbildung an einen Unterhaltszuschuß, der es rechtfertige, die Veranlassung vorher entstandener Werbungskosten durch diese Einnahmen zu bejahen.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 24. September 1985 IX R 96/82 (BFHE 144, 442, BStBl II 1986, 184) seinen Klageantrag weiter.
Das FA tritt der Revision im wesentlichen mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen sind dem Grunde nach Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und nicht beschränkt abziehbare Sonderausgaben i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erzielung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG); dies sind nach der Rechtsprechung des BFH solche Aufwendungen, die durch die Erzielung von Einkünften im Rahmen der Überschußeinkünfte veranlaßt sind. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
Der Kläger hat die Aufwendungen tätigen müssen, um die Voraussetzungen für die Teilnahme an der weiteren Steueranwärterausbildung zu erfüllen und damit steuerpflichtigen Lohn zu beziehen. Er stand bereits im Streitjahr in einem Ausbildungsdienstverhältnis, so daß die im Rahmen dieses Ausbildungsdienstverhältnisses für den Kläger angefallenen Aufwendungen nach der Rechtsprechung des BFH als Werbungskosten abziehbar sind (Urteile vom 28. August 1984 VI R 127/80, BFHE 142, 255, BStBl II 1985, 87, und VI R 144/83, BFHE 142, 258, BStBl II 1985, 89).
Der Umstand, daß vorliegend während des der eigentlichen Ausbildung zum Steueranwärter vorgeschalteten BGJ keine Ausbildungsvergütung gezahlt wurde, steht dem Abzug der strittigen Aufwendungen als Werbungskosten nicht entgegen. Der BFH hat bereits zu der ähnlichen Fallgestaltung bei Rechtspraktikanten im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung entschieden, daß den Rechtspraktikanten auch bereits im ersten Teil der Ausbildung der Werbungskostenabzug zusteht, obwohl in diesem Ausbildungsabschnitt noch kein steuerpflichtiger Unterhaltszuschuß gezahlt wird (Urteil in BFHE 144, 442, BStBl II 1986, 184). Entscheidend für den BFH war, daß der Rechtspraktikant bereits mit Beginn der einstufigen Juristenausbildung in einem Dienstverhältnis stand und daß damit die während der entgeltlosen Anfangsphase der Ausbildung aufgewendeten Kosten durch die in der späteren Ausbildungsphase gezahlten steuerpflichtigen Unterhaltszuschüsse veranlaßt waren.
Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des IX. Senats an. Die Ausbildung des Klägers zum Steuerbeamten des mittleren Dienstes beträgt im Land Bremen, wie die OFD zutreffend bemerkt hat, insgesamt drei Jahre. Sie setzt sich zusammen aus einer einjährigen Ausbildungsphase in Form des kooperativen BGJ ohne Unterhaltszahlung und der sich anschließenden zweijährigen zweiten Ausbildungsphase. Beide Phasen sind Teil der einheitlichen Steueranwärterausbildung und damit Teil eines einheitlichen Ausbildungsdienstverhältnisses. Dies wird durch die oben zitierte Bescheinigung der OFD belegt. Damit sind die vom Kläger während des BGJ für die Ausbildungstätigkeit aufgewendeten Kosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar.
2. Das FG hat -- von seinem Standpunkt zu Recht -- keine Feststellungen zur Höhe der Fahrtkosten getroffen. Dieses wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein. Dabei wird zu beachten sein, daß die Ausbildungsstätten (Finanzamt X und Verwaltungsschule) als Arbeitsstätten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen sind. Damit kommt für die Fahrten mit dem Kfz zwischen Wohnung und diesen Ausbildungsstätten ein Werbungskostenabzug nur in Höhe der Kilometerpauschbeträge der genannten Vorschrift in Betracht. Dieser Werbungskostenabzug ist zu mindern um etwaige Fahrtkostenzuschüsse und etwaige sonstige steuerfrei belassene öffentlich-rechtliche Ausbildungszuschüsse, sofern solche gezahlt worden sein sollten.
Fundstellen
Haufe-Index 421446 |
BFH/NV 1996, 742 |