Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer im Beitrittsgebiet
Leitsatz (NV)
Auf einen ein Grundstück im Beitrittsgebiet betreffenden Grundstückskaufvertrag, der im Jahr 1990 abgeschlossen wurde, für den aber die erforderliche Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung erst im Jahre 1991 erteilt wurde, ist insgesamt das GrEStG 1983 anzuwenden. Der Steuersatz beträgt mithin 2 v.H.
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 8; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1; GrEStG DDR § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 38; Grundstücksverkehrsverordnung § 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 7. November 1990 erwarben der Kläger und seine Ehefrau ein bebautes Grundstück in ... als Miteigentümer je zur Hälfte. Der Kaufpreis für das Grundstück betrug 100500 DM. Die erforderliche Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung der ehemaligen DDR vom 15. Dezember 1977 (Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - 1978, I Nr. 5, S. 73) wurde im Juli 1991 erteilt.
Am 3. Januar 1991 setzte das beklagte Finanzamt (FA) gegen den Kläger und seine Ehefrau 7035 DM Grunderwerbsteuer fest. Den dagegen erhobenen Einspruch wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 1991 als unbegründet zurück.
Mit der Klage strebte der Kläger zunächst an, die Grunderwerbsteuer von 7035 DM auf 2010 DM herabzusetzen, d.h. anstelle des Steuersatzes von 7 v.H. den von 2 v.H. anzuwenden. Während des Klageverfahrens änderte das FA den Bescheid vom 3. Januar 1991 gemäß § 172 der Abgabenordnung (AO 1977) gegenüber dem Kläger und legte dem Änderungsbescheid vom 1. Oktober 1991 nunmehr eine Bemessungsgrundlage von 50250 DM zugrunde und setzte die Grunderwerbsteuer nunmehr auf 3517,50 DM fest. Gegen die Ehefrau des Klägers erging ein gesonderter Grunderwerbsteuerbescheid gleichen Inhalts.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 1991 beantragte der Kläger, den Bescheid vom 1. Oktober 1991 nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Materiell-rechtlich vertrat der Kläger die Auffassung, daß sein Erwerb mit 2 v.H. zu versteuern sei.
Das Bezirksgericht (BG) - Senat für Finanzrecht - hat mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 357 veröffentlichten Urteil der Klage stattgegeben und die Grunderwerbsteuer auf 1005 DM festgesetzt. Die Klage sei begründet, denn auf den Erwerbsvorgang sei § 11 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) anzuwenden. Die Grunderwerbsteuer sei erst mit Genehmigung im Juli 1991 entstanden. Es sei sicher, daß der Bundesgesetzgeber bei Erkenntnis der eintretenden Lücke (Fehlen einer den § 14 GrEStG 1983 entsprechenden Regelung) dieselbe durch Aufnahme einer Art. 97 § 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) früherer Fassung entsprechenden Vorschrift überbrückt hätte. Das BG schließe dementsprechend die entstandene planwidrige Gesetzeslücke durch dahingehende ergänzende Auslegung von Art. 97a § 2 EGAO 1977 letzter Fassung.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Mit dieser wird Verstoß gegen materielles Recht gerügt. Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist zulässig, aber unbegründet.
1. Gegen das Urteil eines Finanzgerichts (FG) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof (BFH) nach § 115 Abs. 1 FGO zu. Für Sachen, für die nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) die Finanzgerichte zuständig sind, sind im Beitrittsgebiet (zunächst) die für Finanzrecht eingerichteten Senate der Bezirksgerichte zuständig (Art. 8 mit Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. a Abs. 3 Buchst. t und v des Einigungsvertrages). Gegen das Urteil des Senats für Finanzrecht des BG ist daher die Revision zum BFH statthaft.
2. Im Ergebnis zutreffend hat das BG die Zulässigkeit der Klage bejaht. Mit dem Grunderwerbsteuerbescheid vom 1. Oktober 1991 wurde derselbe Lebenssachverhalt der Besteuerung unterworfen wie durch den Bescheid vom 3. Januar 1991. Im Ergebnis ersetzt der Bescheid vom 24. Oktober 1991 den ursprünglich mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 3. Januar 1991. Aufgrund des im übrigen zulässigen Antrags des Klägers nach § 68 FGO ist der Bescheid vom 1. Oktober 1991 Gegenstand des Verfahrens geworden.
3. Aufgrund der Revision des FA ist im Revisionsverfahren lediglich darüber zu befinden, ob das BG zu Recht den Bescheid vom 1. Oktober 1991 insoweit abgeändert hat, als mit diesem eine höhere Grunderwerbsteuer als 1005 DM festgesetzt wurde. Dies ist zu bejahen.
Das BG hat im Ergebnis zu Recht erkannt, daß auf den Erwerb der Kläger das GrEStG 1983 anzuwenden und nach dessen § 11 Abs. 1 Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 v.H. der Bemessungsgrundlage entstanden ist.
a) Der Kaufvertrag vom 7. November 1990 hat nicht dazu geführt, daß Grunderwerbsteuer nach dem Grunderwerbsteuergesetz der ehemaligen DDR vom 18. Dezember 1970 (Sonderdruck Nr. 677) - GrEStG DDR - entstanden ist.
Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags war allerdings das GrEStG DDR im Beitrittsgebiet noch anzuwenden. Dies folgt aus Art. 8 i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 des Einigungsvertrags. Nach Satz 1 dieser Vorschrift trat das Recht der Bundesrepublik u.a. auf dem Gebiet des Rechts der Besitz- und Verkehrsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer (erst) am 1. Januar 1991 in Kraft. Für die Steuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden, war nach Satz 2 der Regelung das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht weiter anzuwenden. Diese Regelung erfaßt auch die Grunderwerbsteuer. Diese bundesgesetzliche Anordnung der (befristeten) Weiteranwendung des GrEStG DDR ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. II. 3. a des Senatsurteils vom heutigen Tag II R 29/92, BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630).
b) Der Kaufvertrag bedurfte nach § 2 der Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken (Grundstücksverkehrsverordnung) der ehemaligen DDR vom 15. Dezember 1977 (GBl 1978 I Nr. 5, S. 73) der Genehmigung. Die Grundstücksverkehrsverordnung galt in der Fassung des Einigungsvertrags nach dem 3. Oktober 1990 fort (Anlage II Kapitel III Sachgebiet B Abschn. II Nr. 1 des Einigungsvertrags). Genehmigungsbedürftig war nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Buchst. a der Grundstücksverkehrsverordnung in der damals geltenden Fassung die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück durch Vertrag. Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist diese Formulierung dahin zu verstehen, daß sich die Genehmigungspflicht zumindest auch auf die schuldrechtliche Verpflichtung zur Eigentumsübertragung bezieht. Ohne diese Genehmigung ist der Grundstückskaufvertrag (zumindest) schwebend unwirksam, d.h. die Parteien sind zwar gebunden, es bestehen aber keine Erfüllungsansprüche.
c) Das GrEStG DDR ist revisibles Recht i.S. des § 118 Abs. 1 FGO, das vom erkennenden Senat überprüft werden kann (II. 3. b des Senatsurteils vom heutigen Tag II R 29/92). Ohne die erforderliche Genehmigung des Kaufvertrags konnte Grunderwerbsteuer nach dem GrEStG DDR nicht entstehen. Nach § 1 Abs. 1 GrEStG DDR unterliegt ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründet, der Grunderwerbsteuer. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG DDR ist dahingehend auszulegen, daß er nur erfüllt ist, wenn die zur Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrags erforderliche Genehmigung erteilt ist. Dazu bedarf es keines Rückgriffs auf eine ggf. durch Rechtsprechung zu schließende Regelungslücke, die dadurch entstanden sein könnte, daß für das Grunderwerbsteuerrecht der DDR im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses eine dem § 14 GrEStG 1983 entsprechende Vorschrift fehlt (vgl. Senatsurteil vom heutigen Tag II R 23/92, BFHE 171, 357, BStBl II 1993, 628. Der zum Entstehen der Steuer zu erfüllende Tatbestand i.S. § 38 AO 1977 setzt daher bei einem schwebend unwirksamen Erwerbsvorgang die Erteilung der notwendigen Genehmigung voraus. Da bis zum Ablauf des Jahres 1990 die Genehmigung im Streitfall nicht erteilt wurde, ist während des zeitlichen Anwendungsbereichs des GrEStG DDR eine Grunderwerbsteuer nicht entstanden.
d) Für eine im Jahre 1991 entstandene Steuer ist jedoch nach der Überleitungsvorschrift des Einigungsvertrags (Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1) das am 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet in Kraft getretene Recht der Bundesrepublik anzuwenden. Da der der Steuer unterliegende Tatbestand erst nach dem 31. Dezember 1990 durch wirksame Erteilung der erforderlichen Genehmigung erfüllt wurde, findet im Streitfall das GrEStG 1983 Anwendung. Das gilt auch in bezug auf § 14 Nr. 2 GrEStG 1983, weil hinsichtlich des zum 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet in Kraft getretenen Rechts insoweit keine Einschränkung vorgesehen ist. Erst aufgrund und - insoweit als Folge der Anwendung des § 14 Nr. 2 GrEStG 1983 - zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung ist die Grunderwerbsteuer entstanden.
Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der grundsätzlich zwischen Erwerbsvorgang und Erwerb zu unterscheiden und ein Erwerbsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 bereits dann verwirklicht ist, wenn die Vertragspartner im Verhältnis zueinander gebunden sind, eine erforderliche behördliche Genehmigung aber noch nicht erteilt ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 1989 II R 31/88, BFHE 159, 260, BStBl II 1990, 234, m.w.N.). Ausgehend von dieser Unterscheidung ist es für die Frage, ob auf einen der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang (zeitlich) das frühere (landesrechtliche) Grunderwerbsteuerrecht oder das GrEStG 1983 anzuwenden ist, entscheidend, wann der Erwerbsvorgang in diesem Sinne verwirklicht, d.h. Bindungswirkung im Verhältnis der Vertragspartner zueinander eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom 17. September 1986 II R 136/84, BFHE 147, 538, BStBl II 1987, 35). Dies ist jedoch eine Folge der (Übergangs-)Regelung des § 23 GrEStG 1983, der ausdrücklich auf die Verwirklichung des Erwerbsvorgangs als maßgeblichen Zeitpunkt abstellt. Da die Übergangsregelung des Einigungsvertrags im Gegensatz dazu auf den Zeitpunkt des Entstehens der Steuer abstellt, lassen sich die Grundsätze zur Abgrenzung des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG 1983 gegenüber dem davor geltenden Recht auf den Streitfall nicht übertragen. Für die Grunderwerbsteuer mag es zwar regelmäßig sinnvoller sein, bezüglich des zeitlichen Anwendungsbereichs verschiedener Rechtsvorschriften auf die Verwirklichung des Erwerbsvorgangs abzustellen, da nur dieser Zeitpunkt der Disposition der Parteien und damit der Steuerpflichtigen unterliegt. Die dem entgegenstehende, aber eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers des Einigungsvertrags ist jedoch auch für die Grunderwerbsteuer hinzunehmen. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestehen nicht.
Auf einen ein Grundstück im Beitrittsgebiet betreffenden Grundstückskaufvertrag, der zwar während des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG DDR abgeschlossen wurde, für den aber eine erforderliche behördliche Genehmigung erst im zeitlichen Awendungsbereich des GrEStG 1983 wirksam erteilt wurde, ist daher insgesamt das GrEStG 1983 anzuwenden. Dies hat zur Folge, daß für diesen Rechtsvorgang die Steuer nach § 11 Abs. 1 GrEStG 1983 mit 2 v.H. der Bemessungsgrundlage zu berechnen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 419227 |
BFH/NV 1994, 192 |