Leitsatz (amtlich)
Das Halten von Fahrzeugen mit fest aufmontierten Tanks, die zur Beförderung von Schlempe in einem landwirtschaftlichen Betrieb verwendet werden, ist nicht von der Kraftfahrzeugsteuer befreit, weil solche Fahrzeuge geeignet sind, auch außerhalb eines landwirtschaftlichen Betriebs verwendet zu werden. Landwirtschaftlicher Betrieb in diesem Sinne ist eine Wirtschaftseinheit, in der die Produktionsfaktoren Boden, Betriebsmittel und menschliche Arbeit zusammengefaßt sind und, aufeinander abgestimmt, planmäßig eingesetzt werden, um Güter zu erzeugen und zu verwerten oder Dienstleistungen bereitzustellen.
Normenkette
KraftStG 1972 § 2 Nr. 6 S. 1 Buchst. a, S. 2, § 9 S. 1; KraftStG 1979 § 3 Nr. 7 S. 1 Buchst. a, S. 2; FGO § 100 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hält innerhalb seines landwirtschaftlichen Betriebs 200 bis 250 Rinder als Milchvieh. Die Rinder füttert er mit Schlempe (einem eiweiß-, fett- und mineralstoffreichen Rückstand der Spiritusbrennereien, der als Mastfutter für Rinder, zuweilen auch als Milchviehfutter, verwendet wird). Die Schlempe (6 000 I täglich) holt er von Brennereien aus der Umgebung ab und befördert sie zu seinem landwirtschaftlichen Betrieb. Hierfür verwendete er bis 1976 einen LKW (amtliches Kennzeichen ..., zwei Achsen, zulässiges Gesamtgewicht 11 000 kg) und bis 1977 einen Kfz-Anhänger (amtliches Kennzeichen ...). Beide Fahrzeuge waren im November 1974 für den Kläger zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen worden. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) waren auf den Ladeflächen beider Fahrzeuge Kunststofftanks aufmontiert und "jeweils mittels fünf 12 cm breiten Stahlbändern fest mit den Ladeflächen verschraubt und verschweißt". Die Braken und die Einrichtungen für deren Anbringung waren auf Anordnung des TÜV entfernt worden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hatte die beiden Fahrzeuge zunächst als Sonderfahrzeuge i. S. des § 2 Nr. 6 Satz 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG 1972) beurteilt und ihr Halten gemäß § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. a KraftStG 1972 als steuerfrei angesehen. Der LKW wurde im Oktober 1976 infolge eines Motorschadens unbrauchbar. Die noch brauchbaren Aufbauten befestigte der Kläger auf einem neuerworbenen LKW (amtliches Kennzeichen ..., zwei Achsen, zulässiges Gesamtgewicht 14 600 kg), der am 13. Oktober 1976 für ihn zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen worden war.
Inzwischen hatte das FA erkannt, daß seine rechtliche Beurteilung nicht übereinstimmte mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Dezember 1973 II R 180/72 (BFHE 111, 188, BStBl II 1974, 182 ). Dort hatte der BFH entschieden, daß das Halten eines zur Beförderung von Schlempe verwendeten Kfz mit aufgebautem, 3 000 I fassenden Tank nicht gemäß § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. a Satz 2 KraftStG von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist. Es setzte die Kraftfahrzeugsteuer
a) für das Halten des vom Kläger neuerworbenen Fahrzeugs durch Bescheid vom 19. November 1976 unbefristet für die Zeit ab 13. Oktober 1976 auf 2 609,50 DM fest (bei jährlicher Entrichtung der Steuer);
b) für das Halten des Anhängers - nach Fehleraufdeckung durch die Oberfinanzdirektion (OFD) - durch Bescheid vom 22. Dezember 1976 befristet für die Zeit vom 15. November 1974 bis 14. November 1977 auf 4 207,50 DM fest;
c) für das Halten des unbrauchbar gewordenen Fahrzeugs durch Bescheid vom 21. Januar 1977 unbefristet für die Zeit ab 1. Januar 1977 auf 425,30 DM fest (bei vierteljährlicher Entrichtung der Steuer). Nachdem der Kläger am 16. Februar 1977 dieses Fahrzeug abgemeldet hatte, erließ es am 4. April 1977 einen Abrechnungsbescheid.
Gegen jeden der Steuerbescheide hat der Kläger nach erfolglos gebliebenem Vorverfahren Klage erhoben und jeweils begehrt, den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FG hat die drei Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und durch Urteil vom 18. März 1982 die Steuerbescheide und Einspruchsentscheidungen aufgehoben. Diese Verwaltungsakte seien rechtswidrig. Denn der neuerworbene LKW und der Anhänger seien als Sonderfahrzeuge i. S. des § 2 Nr. 6 Satz 2 KraftStG 1972 zu beurteilen. Die gegenteilige Auffassung des FA, die auf dem erwähnten Urteil des BFH beruhe, sei zu eng. Die Steuerfestsetzung für das unbrauchbar gewordene Fahrzeug sei rechtswidrig, weil dieses Fahrzeug nach der "Demontage des Tankaufbaues im Oktober 1976 ... im veränderten Zustand nicht wieder benutzt" worden sei, so daß die Steuerbefreiung für dieses Fahrzeug fortdauere bis zu dessen Abmeldung am 16. Februar 1977. Das folge aus § 9 Satz 1 KraftStG 1972. Das FG hat die Revision zugelassen, weil sein Urteil abweicht von dem erwähnten BFH-Urteil in BFHE 111, 188, BStBl II 1974, 182 .
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. a KraftStG 1972. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG muß aufgehoben werden, weil es - soweit es das Halten der Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen ... und ... betrifft - auf einer Verletzung des früheren § 2 Nr. 6 KraftStG 1972 (jetzt § 3 Nr. 7 KraftStG 1979) und - soweit es das Halten des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen ... betrifft - auf einer Verletzung des § 9 Satz 1 KraftStG 1972 beruht.
1. Nach Satz 1 Buchst. a des § 2 Nr. 6 KraftStG 1972 ist von der Steuer befreit "das Halten von ... Sonderfahrzeugen ..., solange diese Fahrzeuge ausschließlich ... in land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden". Verletzt hat das FG diese Vorschrift insofern, als es den Begriff "Sonderfahrzeug" nicht richtig angewendet hat. Als Sonderfahrzeuge gelten "Fahrzeuge, die nach ihrer Bauart und ihren besonderen, mit ihnen fest verbundenen Einrichtungen nur für die bezeichneten Verwendungszwecke geeignet und bestimmt sind" (Satz 2 der Vorschrift). Entgegen der Ansicht des FG erfüllen die vom Kläger gehaltenen Fahrzeuge nicht die Merkmale eines Sonderfahrzeugs. Denn diese Fahrzeuge sind und waren nicht "nur" für die Verwendung in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb "geeignet" (d. h. tauglich, brauchbar), sondern auch zur Verwendung außerhalb eines solchen Betriebs, z. B. zur Beförderung von Schlempe für gewerblich betriebene Viehmästereien. Im gleichen Sinne hat der BFH entschieden in dem vom FG angeführten Urteil in BFHE 111, 188, BStBl II 1974, 182 .
Er hat dort ausgeführt: "Die Auslegung der Vorschrift nach ihrem Wortlaut führt dazu, daß ihr Wirkungsbereich eng begrenzt ist. Das entspricht ihrem Sinn und Zweck. Die Vorschrift soll soweit wie nur möglich auf den Bereich der Land- und Forstwirtschaft beschränkt bleiben (vgl. Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses vom 3. Dezember 1963, BT-Drucks. 4/1690, S. 2, linke Spalte; BFH-Urteil vom 24. Januar 1973 II R 2/72, BFHE 109, 282, 283, BStBl II 1973, 599 ). Eine Erweiterung der Befreiungsvorschrift in dem vom Kläger erstrebten Umfang wäre nicht mehr Gesetzesauslegung, sondern Gesetzesänderung. Hierfür sind die Finanzverwaltungsbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit nicht zuständig (Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes - GG -)."
Dieser rechtlichen Beurteilung liegt die aus dem Wortsinn der Befreiungsvorschrift abzuleitende Auffassung zugrunde, daß ein land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb eine Wirtschaftseinheit ist, in der die drei Produktionsfaktoren Boden, Betriebsmittel und menschliche Arbeit zusammengefaßt sind und, aufeinander abgestimmt, planmäßig eingesetzt werden, um Güter (z. B. Nahrungsmittel, Rohstoffe, Pflanzen, Zuchttiere) zu erzeugen und zu verwerten oder Dienstleistungen bereitzustellen. Die Rindermast kann Gegenstand eines solchen Betriebs sein. Aber auch außerhalb eines landwirtschaftlichen Betriebs (etwa dort, wo der Produktionsfaktor Boden nicht eingesetzt werden kann) können Rinder gemästet und zu diesem Zweck mit Schlempe gefüttert werden. Dies geschieht - wie dem einschlägigen Schrifttum zu entnehmen ist - beispielsweise bei Altrindern, die während einer vom Herbst bis zum Frühjahr dauernden Mastperiode in Ställen ausschließlich mit gekauftem Futter (Schlempe, Pülpe, Biertreber u. a. ) gemästet werden (vgl. Pareys Landwirtschafts-Lexikon, 7. Aufl., 1957, Stichwort "Mast des Rindes"; Blohm, Angewandte landwirtschaftliche Betriebslehre, 4. Aufl., 1964, 244). Die Verwendung eines "Schlempefahrzeugs" auch in Fällen dieser Art ist - entgegen der nicht näher belegten Ansicht des FG - keine nur entfernt denkbare, statistisch wenig wahrscheinliche und deshalb außer Betracht zu lassende, sondern eine übliche Nutzung.
Nicht zustimmen kann der erkennende Senat auch der Auffassung des FG, die vom BFH gefundene Auslegung der Befreiungsvorschrift führe "zum Ausschluß der Steuerbefreiung bei nahezu allen für die Anwendung der Vorschrift des § 2 Nr. 6 Buchst. a KraftStG a. F. in Betracht kommenden landwirtschaftlichen Fahrzeugen", was "nicht Sinn des Gesetzes sein" könne. Einwendungen dieser Art hat der erkennende Senat schon früher zurückgewiesen, z. B. durch Urteil vom 20. März 1974 II R 76/73 (BFHE 112, 419, BStBl II 1974, 589 , betreffend ein zur Beförderung von Geflügel besonders hergerichtetes Fahrzeug). Gegen sie spricht zudem die Tatsache, daß die Finanzverwaltungsbehörden zahlreiche Fahrzeuge als Sonderfahrzeuge i. S. des jetzigen § 3 Nr. 7 KraftStG 1979 anerkannt haben (vgl. das Verzeichnis solcher Fahrzeuge im Erlaß des Finanzministers Baden-Württemberg, Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst - DStZ/E - 1980, 12) und daß auch von den Gerichten Fahrzeuge als Sonderfahrzeuge beurteilt worden sind, z. B. Milchtankfahrzeuge mit sog. Kannenbahnen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Januar 1973 II R 53/68, BFHE 109, 78, BStBl II 1973, 461 ), oder daß von ihnen eine solche Beurteilung für möglich erachtet worden ist, z. B. bei einer Sattelzugmaschine, die nach ihrer Bauart und ihren besonderen mit ihr fest verbundenen Einrichtungen nur zum Ziehen eines auf sie technisch abgestimmten Milchtankanhängers geeignet und bestimmt ist (BFH-Urteil vom 26. September 1979 II R 171/75, BFHE 129, 76, 78, BStBl II 1980, 30 ), bei Futtererntewagen und ähnlichen Fahrzeugen (BFH-Urteil vom 20. März 1974 II R 76/73, BFHE 112, 419, 420, BStBl II 1974, 589 ). Die Auslegung des Begriffs "Sonderfahrzeuge" durch den BFH - wie sie sich außer in den angeführten Urteilen widerspiegelt z. B. in den Urteilen vom 17. Januar 1973 II R 26/69 (BFHE 109, 81, BStBl II 1973, 463 , betreffend das Halten eines Fahrzeugs zur Beförderung von Rennpferden); in BFHE 109, 282, 283, BStBl II 1973, 599 , betreffend das Halten eines zur Beförderung von Zuchttieren besonders hergerichteten Fahrzeugs; vom 16. Januar 1974 II R 41/68 (BFHE 112, 83, BStBl II 1974, 432 , betreffend das Halten eines zur Beförderung von Reitpferden besonders eingerichteten Fahrzeugs) - entspricht nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn des Gesetzes. Das ist zu schließen aus dem bereits in dem angeführten Urteil in BFHE 111, 188, BStBl II 1974, 182 erwähnten Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses, ferner aus der Tatsache, daß durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 22. Dezember 1978 (BGBl I 1978, 2063, BStBl I 1979, 65) mehrere der bisher in § 2 KraftStG 1972 enthalten gewesenen Befreiungstatbestände neu gefaßt und erweitert worden sind, der Befreiungstatbestand des § 2 Nr. 6 KraftStG 1972 dagegen unverändert geblieben ist und wortgleich fortgilt als § 3 Nr. 7 KraftStG 1979 in der vom Bundesminister der Finanzen (BMF) aufgrund gesetzlicher Ermächtigung in neuer Paragraphenfolge bekanntgemachten Gesetzesfassung (vgl. § 17 Abs. 2 KraftStG 1961, BGBl I 1961, 1, BStBl I 1961, 21, 26, i. d. F. der Bekanntmachung vom 1. Dezember 1972, BGBl I 1972, 2209, BStBl I 1972, 551).
2. Nach § 9 Satz 1 KraftStG 1972 beginnt die Steuerpflicht für ein von der Steuer befreites Fahrzeug, das während der Dauer der Steuerpflicht verändert und "infolge der Veränderung" steuerpflichtig wird, mit seiner Wiederbenutzung. Verletzt hat das FG diese Vorschrift insofern, als es davon ausgegangen ist, das Fahrzeug sei "infolge der Veränderung" steuerpflichtig geworden. Indes war ursächlich für die Steuerpflicht nicht die Veränderung des Fahrzeugs, sondern die Berichtigung des (aus den zu 1. dargelegten Gründen) fehlerhaften Freistellungsbescheids gemäß dem durch Ausfüllen einer Gesetzeslücke gefundenen Recht (BFH-Urteil vom 28. Januar 1976 II R 98/74, BFHE 118, 246, 249, BStBl II 1976, 390 ).
Das Urteil des FG beruht auf den bezeichneten Rechtsverletzungen, denn es ist nicht auszuschließen, daß das FG ohne sie anders entschieden hätte.
3. Der erkennende Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Soweit es sich um die Sachen FG ... (Fahrzeug ...) und FG ... (Fahrzeug ...) handelt, sind die Klagen abzuweisen, weil sie unbegründet sind. Die angefochtenen Steuerbescheide vom 19. November 1976 und vom 22. Dezember 1976 sind rechtmäßig. Das Halten der bezeichneten Fahrzeuge zum Verkehr auf öffentlichen Straßen unterliegt der Kraftfahrzeugsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1972) und ist nicht gemäß § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. a KraftStG 1972 von der Steuer befreit.
Soweit es sich um die Sache FG ... (Fahrzeug ...) handelt, ist der angefochtene Bescheid insoweit rechtswidrig, als das FA Steuer auch für die Vergangenheit (1. Januar bis 20. Januar 1977) festgesetzt hat. Es hätte die Kraftfahrzeugsteuer mit Wirkung nur für die Zukunft, d. h. für die Zeit ab 21. Januar 1977, festsetzen dürfen. Diesen "anderen Betrag" setzt der erkennende Senat selbst fest (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO; BFHE 118, 246, 250, BStBl II 1976, 390 ). Die Auswirkungen dieser Entscheidung auf den Abrechnungsbescheid vom 4. April 1977 sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Fundstellen
Haufe-Index 426064 |
BStBl II 1985, 108 |
BFHE 1985, 181 |