Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer
Leitsatz (amtlich)
Ist der Gewerbesteuermeßbescheid gemäß § 35 b GewStG wegen einer änderung des Gewinns im Einkommensteuerbescheid, Körperschaftsteuerbescheid oder Feststellungsbescheid zu berichtigen, so führt dies nicht schlechthin zu einer Wiederaufrollung der bei der früheren Ermittlung des Gewerbeertrags vorgenommenen Hinzurechnungen und Kürzungen nach §§ 8 und 9 GewStG. Die änderung nach § 35 b GewStG erfaßt jedoch die Hinzurechnungen und die Kürzungen insoweit, als diese nach Grund und Höhe von der Gewinnänderung unmittelbar berührt werden.
Normenkette
GewStG § 35b
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der nach § 35 b GewStG durchgeführten Berichtigung des Gewerbesteuermeßbescheids 1955 der Gewerbeertrag um Hinzurechnungen nach § 8 Ziff. 6 GewStG zu mindern ist.
Gegen die Bgin. erging am 28. Mai 1957 für das Streitjahr ein Gewerbesteuermeßbescheid, der unanfechtbar wurde. In diesem wurden gemäß § 8 Ziff. 6 GewStG Vergütungen an wesentlich beteiligte Gesellschafter in Höhe von 34.887 DM dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzugerechnet.
Nachdem im Rechtsmittelverfahren gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1955 das Finanzgericht in weitergehendem Umfang Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen für die Gesellschafter-Geschäftsführer anerkannt hatte, die eine Minderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb ergaben, erließ das Finanzamt am 29. November 1963 gemäß § 35 b GewStG einen Berichtigungsbescheid über den Gewerbesteuermeßbetrag. In diesem änderte es den Gewinn aus Gewerbebetrieb entsprechend dem Ergebnis des Rechtsmittelverfahrens in der Körperschaftsteuersache von bisher 56.209 DM auf 42.664 DM. In Höhe des Unterschieds zwischen den ursprünglich gemäß § 8 Ziff. 6 hinzugerechneten und den später im Rechtsmittelverfahren vom Finanzgericht anerkannten Vergütungen an die Gesellschafter-Geschäftsführer nahm es im Hinblick auf das inzwischen ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 845/58 vom 24. Januar 1962 (BStBl 1962 I S. 500), durch das § 8 Ziff. 6 GewStG teilweise für nichtig erklärt wurde, keine Hinzurechnungen vor. Dagegen ließ es unter Berufung auf § 234 AO die ursprüngliche Hinzurechnung in Höhe von 34.887 DM bestehen.
Hiergegen wandte sich die Bgin. mit ihrem Einspruch und begehrte, den Hinzurechnungsbetrag nach § 8 Ziff. 6 GewStG gemäß § 36 a GewStG 1962 in Wegfall zu bringen. § 36 a gehe als lex specialis der Vorschrift des § 234 AO vor.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht gab der Berufung der Bgin. statt. Es vertrat die Ansicht, daß § 36 a Abs. 1 GewStG 1962 zwar nach seinem Wortlaut nur die Berichtigung der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur änderung des Gewerbesteuerrechts (GewStändG) vom 30. Juli 1963 erlassenen, nach dem 24. Januar 1962 rechtskräftig gewordenen Gewerbesteuermeßbescheide zulasse. Dies könne aber nur bedeuten, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, nach dem Inkrafttreten des GewStändG würden ohnehin keine Gewerbesteuermeßbescheide unter Anwendung des § 8 Ziff. 6 GewStG ergehen. Nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit einer Rechtsnorm für alle Behörden und Gerichte bindend. Ergehe aus anderen Gründen ein Berichtigungsbescheid, so dürfe hierbei die Nichtigkeit einer bisher angewandten Norm nicht unberücksichtigt bleiben. Der Grundsatz des § 31 Abs. 1 BVerfGG sei stärker als die sich aus § 35 GewStG ergebende Beschränkung der Berichtigung auf den Gewinn aus Gewerbebetrieb. Dem stehe auch § 234 AO nicht entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, mit der dieser unrichtige Rechtsanwendung rügt, führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung des Finanzamts.
Der Senat vermag die Auffassung der Vorinstanz, daß im Rahmen jeder Berichtigung, durch die ein früherer unanfechtbarer, auf einer für verfassungswidrig erklärten Norm beruhender Bescheid geändert werde, die Verfassungswidrigkeit der angewandten Norm zwingend berücksichtigt werden müsse, nicht zu teilen. Die Vorinstanz verkennt hierbei das systematische Verhältnis des § 31 BVerfGG zu den Verfahrensvorschriften des Steuerrechts. Wenn § 31 Abs. 2 BVerfGG vorschreibt, daß bestimmten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft zukommt, so werden hierdurch die in den einzelnen Rechtsgebieten geltenden Verfahrensvorschriften nicht berührt, sondern vorausgesetzt. Der Umstand, daß das Bundesverfassungsgericht eine Norm des materiellen Steuerrechts für verfassungswidrig erklärt hat, kann daher von einer Behörde oder einem Gericht nur insoweit berücksichtigt werden, als die verfahrensrechtlichen Vorschriften ein Eingehen auf die in verfassungswidriger Weise beurteilte Frage zulassen. Im Rahmen eines nach § 35 b GewStG erlassenen Berichtigungsbescheids kann daher die Verfassungswidrigkeit einer ursprünglich angewandten Vorschrift nur insoweit berücksichtigt werden, als die Berichtigungsmöglichkeit nach § 35 b GewStG reicht.
Nach § 35 b GewStG ist der Gewerbesteuerbescheid u. a. dann von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen, wenn der Körperschaftsteuerbescheid geändert wird und die änderung die Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb berührt. Die änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb ist in dem neuen Gewerbesteuermeßbescheid insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrags beeinflußt. Danach führt die Berichtigung nach § 35 b GewStG nicht schlechthin zu einer Wiederaufrollung der bei der ursprünglichen Ermittlung des Gewerbeertrags vorgenommenen Hinzurechnungen und Kürzungen nach §§ 8 und 9 GewStG. Die nach § 35 b GewStG gebotene änderung des Gewerbesteuermeßbescheids erfaßt jedoch die Hinzurechnungen und die Kürzungen insoweit, als diese nach Grund und Höhe von der Gewinnänderung unmittelbar berührt werden. Erreicht z. B. der Steuerpflichtige im Rechtsmittelverfahren gegen den Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerbescheid, daß gegenüber der bisherigen Veranlagung höhere Zinsbeträge als Betriebsausgaben anerkannt werden und haben diese den Charakter von Dauerschuldzinsen (ß 8 Ziff. 1 GewStG), so bewirkt die Verminderung des Gewinns eine Erhöhung des nach § 8 Ziff. 1 GewStG hinzuzurechnenden Betrags. Diese Auswirkung ist gemäß § 35 b GewStG zu berücksichtigen. Andernfalls wäre der in § 35 b Abs. 1 Satz 2 zum Ausdruck kommende Zweck der Vorschrift (Berücksichtigung aller Gewinnauswirkungen auf den Gewerbeertrag) nur unvollkommen erreicht.
Im Streitfall hat sich der bei der Gewerbesteuer anzusetzende Gewinn aus Gewerbebetrieb dadurch gemindert, daß das Finanzgericht im Rechtsmittelverfahren im Gegensatz zum Finanzamt eine höhere Zuführung zu den Pensionsrückstellungen für die Gesellschafter-Geschäftsführer zugelassen hat. Wäre § 8 Ziff. 6 GewStG noch anzuwenden gewesen, so hätte der Hinzurechnungsbetrag entsprechend der Gewinnminderung erhöht werden müssen. Da § 8 Ziff. 6 GewStG für verfassungswidrig erklärt worden ist, muß die Erhöhung der Hinzurechnung im Streitfall unterbleiben. Dagegen kann der im bisherigen rechtskräftigen Bescheid bereits angesetzte Hinzurechnungsbetrag nicht in Wegfall kommen, weil dieser Betrag nach Grund und Höhe von der Gewinnänderung nicht beeinflußt wird. Insoweit vermag § 35 b GewStG die Rechtskraftwirkung des früheren Bescheids, die nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unberührt bleiben, nicht zu durchbrechen (siehe zu der vergleichbaren Rechtslage nach § 218 Abs. 4 AO Urteile des Bundesfinanzhofs VI 23/62 U vom 12. Juli 1963, BStBl 1963 III S. 471, Slg. Bd. 77 S. 416; VI 78/63 S vom 3. Juli 1964, BStBl 1964 III S. 566 unter Ziff. IV). Deshalb ist die Vorentscheidung, die von abweichenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, aufzuheben.
Aber auch die Einspruchsentscheidung des Finanzamts unterliegt der Aufhebung. Das Finanzamt hat nach § 35 b GewStG einen Gewinn aus Gewerbebetrieb zugrunde gelegt, der zu hoch ist, weil ihm eine zu geringe Gewerbesteuerrückstellung zugrunde liegt. Die vom Finanzgericht im Rechtsmittelverfahren über den Körperschaftsteuerbescheid berechnete Gewerbesteuerrückstellung geht von der irrigen Voraussetzung aus, die Hinzurechnung nach § 8 Ziff. 6 GewStG komme in vollem Umfang in Wegfall. Dies ist nach den obigen Ausführungen nicht der Fall. Die Gewerbesteuerrückstellung ist daher entsprechend zu erhöhen. Dadurch ermäßigt sich bei der Gewerbesteuer anzusetzende Gewinn aus Gewerbebetrieb. Die Anwendung des § 35 b GewStG hat nicht zur Folge, daß sich körperschaftsteuerlicher und gewerbesteuerlicher Gewinn aus Gewerbebetrieb notwendig entsprechen müssen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 336/59 U vom 27. April 1961, BStBl 1961 III S. 281, Slg. Bd. 73 S. 34; IV 188/60 U vom 20. September 1962, BStBl 1963 III S. 10, Slg. Bd. 76 S. 25).
Der Rechtsstreit wird an das Finanzamt zur erneuten Entscheidung im Einspruchsverfahren zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 411509 |
BStBl III 1965, 228 |
BFHE 1965, 635 |
BFHE 81, 635 |