Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Steuerliche Betriebsprüfung
Leitsatz (amtlich)
Zur Rechtsstellung der Betriebsprüfer in der Organisation der Finanzverwaltungsbehörden.
Der VI. Senat tritt der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 587/55 U vom 2. August 1956 (BStBl 1956 III S. 340, Slg. Bd. 63 S. 375) nicht bei, soweit dort die Vermutung aufgestellt ist, daß bei kleineren Betrieben der Lohnsteuerprüfer für den Prüfungszeitraum alle rechtserheblichen Tatsachen erkannt und die Steuerberechnungsmethode des Arbeitgebers gebilligt habe, soweit er keine Beanstandungen erhoben hat.
Hat sich ein Arbeitgeber in einem entschuldbaren Rechtsirrtum über seine Pflicht zur Einbehaltung von Lohnsteuer befunden und ist er in diesem Rechtsirrtum dadurch bestärkt worden, daß ein Lohnsteuerprüfer seine Methode der Steuerberechnung nicht beanstandet hat, so kann es bei Abwägung aller Umstände unbillig sein, den Arbeitgeber wegen der Nichteinbehaltung der Lohnsteuer in Anspruch zu nehmen.
StAnpG § 2 Abs. 2, § 7 Abs. 3; AO § 162 Abs. 10, § 193; EStG 1955 § 19, § 38; LStDV 1955 § 2 Abs.
Normenkette
StAnpG § 2 Abs. 2, § 7/3; AO § 162 Abs. 10-11, § 193; EStG §§ 19, 38/1, § 38 Abs. 3; LStDV § 2 Abs. 3 Ziff. 2, § 30/1, §§ 46, 50
Tatbestand
Die Bfin., eine Industrie- und Handelskammer, zahlte für ihre Arbeitnehmer Beiträge zur Zusatzversicherung in der Angestelltenversicherung und ließ diese entgegen § 2 Abs. 3 Ziff. 2 LStDV steuerfrei, auch soweit sie über 312 DM jährlich hinausgingen. Das Finanzamt forderte auf Grund einer im Jahre 1960 vorgenommenen Lohnsteuer-Außenprüfung von der Bfin. als Arbeitgeberin durch Haftungsbescheid Lohnsteuer, Kirchensteuer und Abgabe "Notopfer Berlin" für 1955 bis 1957 nach. Die Bfin. erkennt an, daß ihre Steuerberechnung fehlerhaft war, macht aber geltend, der Fehler sei auf das Verhalten des amtlichen Prüfers bei der vorausgegangenen Prüfung, die im Jahre 1954 stattfand, zurückzuführen. Der Prüfer habe nämlich damals, obwohl er den Fehler leicht hätte erkennen können, ihr Verfahren nicht beanstandet. Das Finanzamt verstoße gegen Treu und Glauben, wenn es jetzt für die der damaligen Prüfung nachfolgenden Jahre 1955 bis 1957 Lohnsteuer nachfordere. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück und führte im wesentlichen aus: Das Verhalten des Finanzamts verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Zwar könne es nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 587/55 U vom 2. August 1956 (BStBl 1956 III S. 340, Slg. Bd. 63 S. 375) dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen, den Arbeitgeber nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung auf Grund einer späteren neuen Prüfung noch für Lohnsteuer aus dem erstgeprüften Zeitraum nachträglich in Anspruch zu nehmen. Nach der späteren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in den Entscheidungen VI 22/56 vom 3. Mai 1957 ("Der Betrieb" 1957 S. 737) und VI 168/56 U vom 18. Oktober 1957 (BStBl 1958 III S. 16, Slg. Bd. 66 S. 40) gelte das aber nur, wenn die Verhältnisse etwa ebenso lägen, als wenn der Arbeitgeber bei dem Finanzamt eine Anrufungsauskunft im Sinne des § 56 LStDV eingeholt hätte. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt. Der Prüfer habe bei der Prüfung im Jahre 1954 aus den Lohnkonten nicht erkennen können, daß die Bfin. die streitigen Beiträge für ihre Angestellten bezahlt habe. Ob der Prüfer den Sachverhalt nicht erkannt habe, weil er nicht sorgfältig geprüft habe, könne dahingestellt bleiben; denn jedenfalls habe die Bfin. auch nicht alles zur Klarstellung Erforderliche getan. Nach § 31 LStDV sei sie verpflichtet gewesen, alle - auch die vermeintlich steuerfreien - Bezüge der Arbeitnehmer in den Lohnkonten aufzuführen. Sie habe auch die Frage, ob die Beiträge lohnsteuerpflichtig seien, während der Prüfung nicht angeschnitten. Aus dem Schweigen des Prüfers im Prüfungsbericht habe sie unter diesen Umständen nicht folgern können, daß der Prüfer und das Finanzamt die Steuerfreiheit für die streitigen Beiträge billigten. Die Bfin. müsse sogar gewußt haben, daß die Beiträge zum Arbeitslohn gehörten; denn sie habe ihren Angestellten Bescheinigungen über diese Leistungen ausgestellt, damit diese beim Finanzamt entsprechende Sonderausgaben geltend machen könnten.
Die Bfin. rügt unrichtige Anwendung von § 38 Abs. 3 EStG - § 46 LStDV - und führt aus, das Finanzgericht hätte prüfen müssen, ob der Prüfer den Sachverhalt erkannt oder ob sein Nichterkennen nicht wenigstens auf einem Sorgfaltsmangel beruht habe. Es hätte diese Frage nicht offenlassen dürfen. Für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben sei nur von Bedeutung, ob der Prüfer bei gehöriger Sorgfalt den Fehler hätte erkennen können. Das sei hier der Fall. Sie habe während der Prüfung keine Rückfrage an den Prüfer gestellt, weil sie über die lohnsteuerliche Behandlung gar keinen Zweifel gehabt habe. Die Arbeitgeberanteile seien zwar nicht in den Lohnkonten der Angestellten eingetragen gewesen. Das Finanzamt lege aber auch sonst auf solche Eintragungen keinen Wert. Das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 587/55 U a. a. O. gelte nach wie vor; die beiden späteren Urteile, auf die sich das Finanzgericht berufe, stünden dem ersten Urteil nicht entgegen. Das Urteil IV 587/55 U a. a. O. aber spreche aus, daß bis zur Darlegung des Gegenteils davon ausgegangen werden könne, daß bei Betrieben mit einer verhältnismäßig geringen Zahl von Arbeitnehmern der Prüfer den Sachverhalt erkannt und als rechtlich richtig befunden habe, soweit er ihn nicht beanstandet habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die Bfin. konnte, da sie den Steuerabzug nicht den §§ 19, 38 Abs. 1 EStG (§§ 2 Abs. 3 Ziff. 2, 30 Abs. 1 LStDV) entsprechend vorgenommen hat, vom Finanzamt grundsätzlich als Arbeitgeberin gemäß § 38 Abs. 3 EStG (§ 46 LStDV) in Anspruch genommen werden.
Die Bfin. wendet ein, ihrer Inanspruchnahme stehe entgegen, daß sie schon vor der Lohnsteuer-Außenprüfung 1954 den Steuerabzug in der gleichen Weise unrichtig vorgenommen, der Prüfer aber ihre Methode der Steuerberechnung damals nicht beanstandet habe, obwohl er bei angemessener Sorgfalt die fehlerhafte Sachbehandlung hätte erkennen können; sie habe sich deshalb darauf verlassen dürfen, daß ihre Sachbehandlung vom Finanzamt anerkannt werde.
Dieser Einwand greift nicht durch. Die Bfin. verkennt dabei das Wesen und den Zweck einer Betriebsprüfung im Sinne von § 162 Abs. 10 und § 193 AO sowie die Stellung des Betriebsprüfers. Auch die Lohnsteuer-Außenprüfung im Sinne des § 50 LStDV ist eine Betriebsprüfung. Betriebsprüfungen sind Maßnahmen im Steuerermittlungs- oder Steueraufsichtsverfahren, durch die dem Finanzamt Unterlagen für seine Entscheidungen bei der Steuerfestsetzung beschafft werden. Der Betriebsprüfer erhält seinen Auftrag vom Finanzamt und hat ihn nach den Weisungen des Finanzamts auszuführen. Er entscheidet nicht über den Steueranspruch, sondern hat nur als Ermittlungsgehilfe dem Finanzamt in den Grenzen des ihm erteilten Auftrags Besteuerungsgrundlagen herbeizuschaffen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 276/60 U vom 27. März 1961, BStBl 1961 III S. 290, Slg. Bd. 73 S. 58). Die Betriebsprüfung hat zwar im Laufe der Entwicklung für die Besteuerung der Unternehmen zunehmend mehr Bedeutung gewonnen. Das letzte Wort über die Steuerfestsetzung bei Unternehmen wird jetzt sogar gewöhnlich erst gesprochen - gegebenenfalls durch Berichtigungsveranlagungen (siehe § 100 Abs. 2 AO) -, nachdem eine Betriebsprüfung stattgefunden hat. Der Betriebsprüfer hat eine zentrale Stellung im Besteuerungsverfahren, weil er durch Einsicht in die Unterlagen des Steuerpflichtigen dem Finanzamt die Kenntnis von Tatsachen vermittelt, die es sonst nicht erfahren würde. Erfahrungsgemäß kommen denn auch Tatsachen, die der Betriebsprüfer nicht aufdeckt, später nur noch selten zur steuerlichen Auswirkung. Trotz dieser bedeutsamen Stellung der Betriebsprüfung und des Betriebsprüfers ist aber die Entscheidung über den Steueranspruch dem Vorsteher des Finanzamts und den von ihm damit beauftragten Beamten des Innendienstes vorbehalten, die für die Steuerfestsetzung zuständig sind (vgl. dazu z. B. die Urteile des Bundesfinanzhofs IV 199/57 U vom 20. Februar / 23. Oktober 1958, BStBl 1959 II S. 85, Slg. Bd. 68 S. 219; V 218/59 U vom 30. November 1961, BStBl 1962 III S. 94, Slg. Bd. 74 S. 250; V 166/59 U vom 6. September 1962, BStBl 1962 III S. 494). Der Betriebsprüfer ist nur ausnahmsweise zur Sachentscheidung berufen, wenn er gleichzeitig Sachgebietsleiter des Finanzamts ist, wie z. B. im Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs I 145/59 vom 28. Juni 1960 ("Der Betrieb" 1961 S. 156).
Bei der Prüfung der Rechtswirkungen einer Betriebsprüfung kann man zwischen solchen für die Vergangenheit und solchen für die Zukunft unterscheiden. Für die Vergangenheit ist vor allem von Bedeutung, ob Tatsachen, die der Betriebsprüfer festgestellt hat, als dem Finanzamt bekannt gelten müssen, so daß sie später im Zusammenhang mit Berichtigungsveranlagungen nicht "neue Tatsachen" im Sinne von § 222 Abs. 1 AO für das Finanzamt sind. Damit hängt auch zusammen, ob das Finanzamt Tatsachen, die der Prüfer bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt bei der Prüfung hätte aufdecken können, gegen sich als bekannt gelten lassen muß. Bei der Lohnsteuer spielt allerdings § 222 Abs. 1 AO keine Rolle, weil gemäß § 223 AO Lohnsteuer innerhalb der Verjährungsfrist unbeschränkt nachgefordert werden kann, auch wenn keine neuen Tatsachen vorliegen. Bei der Beurteilung der Rechtswirkungen für die Zukunft erhebt sich vor allem die Frage, ob, wenn der Prüfer ein bestimmtes Verfahren des Steuerpflichtigen für die Vergangenheit nicht beanstandet hat, darin eine Zusage des Finanzamts gesehen werden kann, daß es dasselbe Verfahren auch für die Zukunft steuerlich anerkennen werde.
Nach der vorstehend beschriebenen Rechtsstellung der Betriebsprüfer in der Organisation der Finanzverwaltungsbehörden kann es für die Anwendung des § 222 Abs. 1 AO grundsätzlich nicht auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Betriebsprüfers ankommen; entscheidend ist vielmehr, ob die für die Entscheidung über den Steueranspruch zuständigen Beamten des Finanzamts eine Tatsache gekannt haben oder hätten kennen müssen (siehe die Urteile des Bundesfinanzhofs IV 143/56 U vom 10. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 365, Slg. Bd. 67 S. 239; I 155/57 U vom 20. Januar 1959, BStBl 1959 III S. 221, Slg. Bd. 68 S. 581). Zu diesen Beamten gehören aber, wie dargelegt, die Betriebsprüfer in der Regel nicht. Ebensowenig können sie für das Finanzamt verbindliche Zusagen über die künftige Sachbehandlung machen; denn solche Zusagen sind ebenfalls nur wirksam, wenn sie von den für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten gemacht werden, wie der Senat in der Entscheidung VI 269/60 S vom 4. August 1961 (BStBl 1961 III S. 562, Slg. Bd. 73 S. 813) ausgeführt hat. Es ist auch grundsätzlich unerheblich, ob ein Betriebsprüfer Tatsachen aufdeckt und mit dem Steuerpflichtigen erörtert hat oder ob er sie - sei es mit oder ohne sein Verschulden - nicht erkannt hat. Ob eine "neue Tatsache" im Sinne von § 222 Abs. 1 AO oder eine bindende Zusage des Finanzamts für die künftige Sachbehandlung vorliegt, kann nur nach objektiven Maßstäben bestimmt werden.
Eine andere Beurteilung greift allerdings ein, wenn die Tatsachenfeststellungen oder Erklärungen eines Prüfers tatsächlich in den Wissensbereich der zur Sachentscheidung berufenen Beamten des Finanzamts gelangt sind, z. B. dadurch, daß diese Beamten an der Prüfung oder an der Schlußbesprechung teilgenommen haben (z. B. im Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 281/54 U vom 27. Januar 1955, BStBl 1955 III S. 92, Slg. Bd. 60 S. 235), oder dadurch, daß der Prüfer seine Tatsachenfeststellungen oder seine Erklärungen in den Prüfungsbericht aufgenommen und damit zur Kenntnis der maßgebenden Beamten des Finanzamts gebracht hat (vgl. z. B. die Urteile des Bundesfinanzhofs I 145/59 a. a. O.; VI 168/56 U a. a. O.), oder dadurch, daß der Steuerpflichtige im Anschluß an die Betriebsprüfung bestimmte Feststellungen oder Erklärungen des Prüfers dem Finanzamt gegenüber schriftlich "bestätigt" hat (z. B. im Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs V 218/59 U a. a. O.). Den Inhalt eines Prüfungsberichts oder einer schriftlichen "Bestätigung" des Steuerpflichtigen muß das Finanzamt als bekannt gegen sich gelten lassen, sofern es nicht innerhalb angemessener Frist widerspricht und der Steuerpflichtige nach den allgemeinen Regeln über rechtserhebliches Verhalten das Schweigen des Finanzamts als Zustimmung auffassen durfte (Urteil des Senats VI 168/56 U a. a. O.).
Eine andere Frage ist es, ob schuldhafte Falschauskünfte eines Betriebsprüfers, durch die der Steuerpflichtige einen Vermögensschaden erlitten hat, den Steuerfiskus nicht nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zum Schadenersatz verpflichten können (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs III ZR 31/58 vom 6. April 1959, "Der Betrieb" 1959 S. 569). Der Betriebsprüfer ist ein Beamter, der dem Steuerpflichtigen gegenüber Amtspflichten zu erfüllen hat, die ihn bei schuldhafter Verletzung schadensersatzpflichtig machen können. Ein Verschulden des Prüfers hat aber der Steuerpflichtige darzulegen; sein eigenes Mitverschulden kann die Ersatzpflicht mindern oder ausschließen (§ 254 BGB). Vor allem hat er auch darzulegen, welchen Vermögensschaden er durch die Falschauskunft erlitten hat. Ein Vermögensschaden ist es jedenfalls in der Regel nicht, daß der Steuerpflichtige - sogar meist erst verspätet - zu der gesetzlich geschuldeten Steuer herangezogen wird. Es wird insoweit auf die Ausführungen in den Urteilen des Senats VI 157/60 U vom 18. November 1960 (BStBl 1961 III S. 141, Slg. Bd. 72 S. 381) und VI 269/60 S a. a. O. hingewiesen.
Nach diesen Grundsätzen hat das Finanzgericht zutreffend angenommen, daß der streitige Lohnsteuer-Anspruch für die Jahre 1955 bis 1957 durch die im Jahre 1954 vorgenommene Prüfung nicht beeinflußt worden sein kann. Die maßgebenden Beamten des Finanzamts konnten über diesen Anspruch schon deshalb nicht entscheiden, weil sie die den Steueranspruch begründenden Tatsachen gar nicht kannten. Daß aber der Prüfer ihr schuldhaft eine Falschauskunft gegeben habe und daß ihr dadurch ein Vermögensschaden entstanden sei, behauptet die Bfin. selbst nicht. Einen eigenen Schaden kann die Bfin. im übrigen schon deshalb nicht erlitten haben, weil sie nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (siehe dazu Hartz-Over, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort "Haftung für Lohnsteuer" unter 10) als Arbeitgeberin ein Rückgriffsrecht gegen ihre Angestellten wegen der verauslagten Lohnsteuer hat. Es braucht auch deshalb nicht erörtert zu werden, ob die Bfin. an einem etwaigen Vermögensschaden nicht ein Mitverschulden trüge.
Zu den vorstehenden Erörterungen über die allgemeinen Wirkungen einer Betriebsprüfung kommt für die Lohnsteuer noch ein zusätzlicher Gesichtspunkt, Gemäß §§ 38 Abs. 3 EStG 7 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer für die nicht richtig einbehaltene Lohnsteuer Gesamtschuldner. Das Finanzamt muß im Einzelfall nach Recht und Billigkeit (§ 2 Abs. 2 StAnpG) entscheiden, welchen von beiden es für die Lohnsteuer in Anspruch nehmen will. Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß diese Abwägung jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen ist (zuletzt Urteil VI 183/59 S vom 24. November 1961 - unter III -, BStBl 1962 III S. 37, Slg. Bd. 74 S. 97). So kann es z. B. unbillig sein, einen Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen, der in entschuldbarem Rechtsirrtum den Steuerabzug unterlassen hat. Das gilt besonders, wenn er in seinem Rechtsirrtum durch äußerungen eines amtlichen Prüfers bestärkt worden ist. In solchen Fällen kann es darum im Einzelfall der Billigkeit entsprechen, daß das Finanzamt unmittelbar an den Arbeitnehmer als den eigentlichen Steuerschuldner herantritt. Auf dieser Erwägung beruht auch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 587/55 U a. a. O. Sie geht allerdings zu weit, wenn sie die Vermutung aufstellt, daß bei kleineren Betrieben der Prüfer alle rechtserheblichen Tatsachen erkenne und die Steuerberechnungsmethode des Arbeitgebers billige, soweit er keine Beanstandungen erhebe. Diese Auffassung hat, wie das Finanzgericht zutreffend bemerkt, der Senat bereits in den Entscheidungen VI 22/56 und VI 168/56 U a. a. O. eingeschränkt, weil sie den tatsächlichen Verhältnissen und der Stellung des Betriebsprüfers in der Behördenorganisation nicht voll gerecht wird. Im übrigen lag der Fall IV 587/55 U a. a. O. insofern anders als der Streitfall, weil damals der bereits geprüfte Zeitraum nochmals geprüft wurde.
Die Feststellungen des Finanzgerichts und der Inhalt der Akten rechtfertigen die Entscheidung des Finanzgerichts, daß die Inanspruchnahme der Bfin. nicht der Billigkeit widerspreche. Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 Ziff. 2 LStDV über die lohnsteuerliche Behandlung von Aufwendungen des Arbeitgebers für die Zukunftsicherung seiner Arbeitnehmer gilt seit langer Zeit und wird oft angewandt. Wenn die Bfin. in dieser Hinsicht einem Rechtsirrtum unterlegen ist, so kann das nur darauf beruhen, daß sich ihre Sachbearbeiter nicht mit der gebotenen Sorgfalt über die steuerlichen Pflichten eines Arbeitgebers informiert haben. Die Bfin. hat im übrigen dem Prüfer die Feststellung dadurch erschwert, daß sie die Lohnkonten nicht dem § 31 LStDV entsprechend geführt hat. Unter diesen Umständen bedeutete es keinen Fehlgebrauch des Ermessens im Sinne von § 2 Abs. 2 StAnpG, wenn das Finanzamt die Bfin. als Arbeitgeberin in Anspruch nahm.
Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410523 |
BStBl III 1963, 23 |
BFHE 1963, 64 |
BFHE 76, 64 |