Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung über Änderungsbescheid; einseitige Erledigungserklärung des Beklagten
Leitsatz (NV)
1. Tritt während des Revisionsverfahrens ein Änderungsbescheid nach § 68 FGO an die Stelle des angefochtenen Bescheids, muss das FG-Urteil aufgehoben werden, weil ihm ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt. Der BFH kann anhand der Feststellungen des FG über die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids entscheiden.
2. Bei einseitiger Erledigungserklärung des beklagten Finanzamts hat das Gericht zu prüfen, ob die Hauptsache tatsächlich erledigt ist. Trifft dies nicht zu, ist über das aufrechterhaltene Klagebegehren zu entscheiden.
Normenkette
FGO §§ 68, 138 Abs. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 29.10.2002; Aktenzeichen 8 K 125/02) |
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden für das Streitjahr 1997, in dem sie jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hatten, entsprechend ihrer Steuererklärung zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Durch eine Kontrollmitteilung erhielt der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon Kenntnis, dass der Kläger von der Urlaubs- und Ausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) im Streitjahr einen unversteuerten Betrag von 1 361 DM als Entschädigung für verfallene Urlaubsansprüche aus dem Jahr 1995 erhalten hatte. Das FA erließ deshalb am 8. Januar 2001 einen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1997, in welchem der Arbeitslohn des Klägers um die Entschädigungszahlung erhöht wurde.
Einspruch und Klage gegen den Änderungsbescheid waren erfolglos. Das Finanzgericht (FG) begründete seine klageabweisende Entscheidung damit, die Urlaubsabgeltung gehöre zu den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit, weil sie durch sein (früheres) Arbeitsverhältnis veranlasst sei.
Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter, die Urlaubsabgeltung von der Besteuerung freizustellen. Sie beantragen, den Einkommensteuerbescheid, die Einspruchsentscheidung und das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid mit Bescheid vom 6. Juni 2003 geändert, indem es unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 21. Februar 2003 VI R 74/00 (BFHE 201, 300, BStBl II 2003, 496) auf die streitige Entschädigungszahlung den Härteausgleich nach § 46 Abs. 3, 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 70 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung angewendet hat. Dadurch verringert sich das zu versteuernde Einkommen der Kläger um (1 600 ./. 1 361 =) 239 DM. Das FA hat den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Kläger treten der Erledigungserklärung des FA entgegen. Sie bringen vor, mit dem Änderungsbescheid seien die Klagegründe nicht ausgeräumt.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision der Kläger führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Denn Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war der Einkommensteuerbescheid 1997 vom 8. Januar 2001. An dessen Stelle ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 6. Juni 2003 getreten. Damit liegt dem Urteil des FG ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).
2. Der Bescheid vom 6. Juni 2003 ist nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) "automatisch" Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Eine Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 127 FGO ist nicht erforderlich, da die Sache spruchreif ist. Die Feststellungen des FG reichen aus, um abschließend prüfen zu können, ob der zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordene Änderungsbescheid rechtmäßig ist. Denn hinsichtlich der streitigen Rechtsfrage, ob die Entschädigungszahlung der ULAK steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellt, hat sich durch die Bescheidänderung kein neuer Sachverhalt ergeben. Die Kläger haben auch keine weiter gehenden Anträge gestellt. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die Sachverhaltsfeststellungen des FG bis zur Beendigung des Prozesses fortwirken und bestehen bleiben (BFH-Urteil vom 14. November 1990 II R 126/87, BFHE 163, 218, BStBl II 1991, 556).
3. Obwohl das FA eine Erledigungserklärung abgegeben hat, ist in der Sache --über das von den Klägern aufrecht erhaltene Klagebegehren-- zu entscheiden. Erklärt das beklagte FA die Hauptsache für erledigt, widerspricht aber der Kläger dieser Erledigungserklärung, so hat das Gericht zu prüfen, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten ist (BFH-Urteil vom 22. Januar 1976 IV R 169/71, BFHE 118, 521, BStBl II 1976, 495). Dies ist hier nicht der Fall. Ein Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn nach Rechtshängigkeit ein Ereignis eingetreten ist, durch das das gesamte im Klageantrag zum Ausdruck kommende, in dem Verfahren streitige Klagebegehren objektiv gegenstandslos geworden ist (BFH-Urteil vom 17. April 1996 I R 82/95, BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608, m.w.N.). Mit dem Änderungsbescheid vom 6. Juni 2003 hat das FA jedoch lediglich den Härteausgleich (§ 46 Abs. 3, 5 EStG) auf den streitigen Entschädigungsbetrag angewendet und somit die darauf entfallende Steuer ermäßigt, ohne aber seinen Rechtsstandpunkt hinsichtlich der Lohneigenschaft der Zahlung aufzugeben. Demgegenüber wenden sich die Kläger weiterhin grundsätzlich gegen die Besteuerung des Betrages.
4. Die Klage ist unbegründet. Die Entschädigungszahlung der ULAK für verfallene Urlaubsansprüche des Klägers stellt steuerpflichtigen Arbeitslohn dar. Zum Arbeitslohn gehören auch Entschädigungen, die der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für nicht gewährten Urlaub zahlt (vgl. auch Abschn. 70 Abs. 2 Nr. 6 der Lohnsteuer-Richtlinien 1996). Es handelt sich dabei um nachträgliche Lohnzahlungen. Eine solche ist auch dann anzunehmen, wenn ein Dritter, wie hier die ULAK, an den Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Tarifvertrags eine Entschädigung für verfallene Urlaubsansprüche zahlt. Dies hat der Senat in einem gleich gelagerten Fall mit seinem Urteil in BFHE 201, 300, BStBl II 2003, 496 entschieden. Auf die dortigen Entscheidungsgründe unter 2. a wird Bezug genommen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1, § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO. Die Verfahrenskosten waren den Beteiligten wegen der im Laufe des Revisionsverfahrens durch den Erlass des Änderungsbescheids vom 6. Juni 2003 eingetretenen Streitwertminderung für die verschiedenen Zeitabschnitte getrennt aufzuerlegen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 6. Juni 1984 II R 184/81, BFHE 141, 333, BStBl II 1985, 261, unter 3.). Soweit der genannte Änderungsbescheid durch eine Herabsetzung der festgesetzten Steuer dem Klagebegehren teilweise entsprochen hat, sind dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 FGO; vgl. BFH-Urteil vom 29. März 2000 I R 85/98, BFH/NV 2000, 1247). Dieser Anteil beläuft sich, da der Klageantrag auf Herabsetzung der Steuer von 4 378 DM (im angefochtenen Bescheid vom 8. Januar 2001) um 370 DM auf 4 008 DM (entsprechend dem ursprünglichen Bescheid vom 10. März 1998) gerichtet war und der Änderungsbescheid vom 6. Juni 2003 die Steuer auf 4 311 DM festgesetzt hat, auf 4 378 DM ./. 4 311 DM = 67 DM und damit auf 18 v.H. des Streitwerts von 370 DM. Im Übrigen haben die unterlegenen Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 135 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 1581442 |
BFH/NV 2006, 2109 |