Entscheidungsstichwort (Thema)
Nacherhebung von Eingangsabgaben
Leitsatz (NV)
1. Bindende Auskünfte i. S. von Art. 5 Abs. 1 1. Anstrich VO (EWG) Nr. 1697/79 sind im Tarifbereich nach deutschem Recht nur verbindliche Zolltarifauskünfte.
2. Zur Frage, ob der Irrtum der Zollstelle vom Beteiligten hätte erkannt werden können (Art. 5 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1697/79).
Normenkette
EWGV 1697/79 Art. 5 Abs. 1 und 2
Tatbestand
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), die Firma C. (C), führte seit Jahren fortlaufend Tennissaiten aus Drittländern ein und ließ sie über Spediteure zum freien Verkehr abfertigen. Nach anfänglicher Abfertigung der Tennissaiten unter Zuweisung zur Tarifst. 39.02 C XIV b) des Gemeinsamen Zolltarifs - GZT - änderte der Beklagte und Revisionskläger (Hauptzollamt - HZA -) nach zollamtlicher Feststellungen mit Änderungsbescheid . . . die Tarifierung zugunsten der C in ,,Gimpen" i. S. der Tarifst. 58.07 B GZT. Dementsprechend wurden die Tennissaiten bei den Einfuhren in der Folgezeit ,,Gimpen" angemeldet und entsprechend abgefertigt. Mit Ausnahme der Anmeldungen . . . verwies die C jeweils auf den Änderungsbescheid. Die Ware wurde jeweils wie angemeldet abgefertigt.
Mit verbindlicher Zolltarifauskunft (vZTA) . . . stellte die Oberfinanzdirektion (OFD) der C gegenüber fest, die Tennissaiten gehörten zur Tarifstr. 39.01 C IV GZT. Das HZA änderte daraufhin die ursprüngliche Tarifierung (Gimpen) mit Steueränderungsbescheiden . . . und forderte den Unterschiedsbetrag an Zoll nach.
Die Klage führte zur Aufhebung der Steueränderungsbescheide sowie der dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen.
Das Finanzgericht (FG) unterstellte die Richtigkeit der den angefochtenen Steueränderungsbescheiden zugrunde gelegten Tarifierung.
Die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 (VO Nr. 1697/79) des Rates vom 24. 7. 1979 betreffend die Nacherhebung von . . . (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 197/1) lägen zwar nicht vor, weil es keine Anhaltspunkte dafür gebe, daß sich die Zollbehörden in ihren Bescheiden unter Aufgabe aller Änderungsmöglichkeiten i. S. einer Tarifierung als Gimpen binden wollten.
Dagegen seien die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 1697/79 gegeben, so daß die sich aus der (letzten) Tarifierung ergebenden Eingangsabgaben nicht nachgefordert werden dürften. Es habe ein ,,aktiver Irrtum" der Zollverwaltung vorgelegen, weil die unrichtige Abfertigung (Tarifierung) als ,,Gimpen" nicht aus der ungeprüften Übernahme der für die Tarifierung maßgeblichen Angaben der C, sondern aus der unrichtigen Annahme des HZA folge, die seit dem Erlaß des Änderungsbescheides in den Vorjahren bereits wiederholt angewandte Tarifierung sei richtig. Das gelte insbesondere für die Zollanmeldungen, in denen die C ausdrücklich auf den Änderungsbescheid hingewiesen habe, aber auch für die Zollanmeldungen . . ., in denen ausnahmsweise der Hinweis auf den Änderungsbescheid unterlassen worden sei. Insoweit werde der Irrtum fortgesetzt, weil der fehlende Hinweis keine wesentliche Sachverhaltsänderung darstelle.
Hinsichtlich der Erkennbarkeit des Irrtums komme es nicht allein auf die objektive Erkennbarkeit, sondern darauf an, ob der Abgabenschuldner den Irrtum erkennen konnte. Die C bzw. die sie vertretende Spedition habe den Irrtum nicht erkennen können, weil beide nicht über besser Erkenntnismöglichkeiten als die Zollstelle bzw. die Zollehranstalt verfügten. Wenn diese trotz Prüfung zu einem unzutreffenden Tarifierungsergebnis gekommen seien, könne von der C nicht verlangt werden, dies zu erkennen.
Im übrigen habe die C auch gutgläubig gehandelt u. alle geltenden Bestimmungen hinsichtlich der Zollerklärung beachtet.
Das HZA macht mit der Revision geltend, das FG habe zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 1697/79 bejaht. Bei der Zollverwaltung habe insbesondere kein ,,aktiver Irrtum" vorgelegen, weil die Zollstelle die Angaben in den Zollanmeldungen nur hingenommen, nicht aber ausdrücklich bestätigt habe. Sie habe die eingeführten Tennissaiten nur einmal am . . . - also zu einem Zeitpunkt vor den hier in Rede stehenden Einfuhren - beschaut, danach aber immer nur die Angaben in der Zollanmeldung wie angemeldet als richtig angenommen.
Nach Ansicht der Klägerin scheidet eine Nacherhebung schon nach Art. 5 Abs. 1 1. Anstrich VO Nr. 1697/79 aus, weil neben der vZTA nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auch andere Äußerungen und Verhaltensweisen die Verwaltung binden könnten, wenn sie beim Abgabenschuldner das berechtigte Vertrauen auf ein gleichbleibendes Verhalten begründeten. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall erfüllt. Im übrigen hält die Klägerin wie das FG die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 1697/79 für gegeben.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des HZA wird die Vorentscheidung aufgehoben und die nicht spruchreife Sache an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Rechtsfehlerfrei hat das FG erkannt, daß die Nacherhebung nicht auf Grund des Art. 5 Abs. 1 1. Anstrich VO Nr. 1697/79 ausgeschlossen ist. Welche Auskünfte im Sinne dieser Vorschrift bindend sind, kann sich aus Gemeinschaftsrecht oder nationalem Recht ergeben. Nach deutschem Recht sind dies im Tarifbereich vZTA (§ 23 des Zollgesetzes - ZG -), nicht aber in Einzelfällen getroffene Tarifentscheidungen. Sofern insoweit eine Bindung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben geltend gemacht wird, kann dies nach der VO Nr. 1697/79 nur noch im Rahmen von Art. 5 Abs. 2 berücksichtigt werden. Dies ergibt sich aus dem Aufbau des Art. 5 VO Nr. 1697/79, der den Vertrauensschutz abschließend regelt und unter Absatz 1, 1. Anstrich nur solche Auskünfte meint, deren Bindungswirkung sich ausdrücklich aus einer Rechtsvorschrift ergibt (Müller, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1980, 98, 101; Worms in Bail/Schädel/Hutter, Zollgesetz, Kommentar, F IX 5/5, Rn. 4).
Keinen rechtlichen Bedenken begegnet die Vorentscheidung auch insoweit, als das FG nach den von ihm getroffenen Feststellungen einen für die Nichterhebung ursächlich ,,aktiven Irrtum" der Zollstelle i. S. von Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 1697/79 angenommen hat.
Der Änderungsbescheid vom HZA . . . hat sich bei den folgenden Anmeldungen in der Weise ausgewirkt, daß die weiteren Einfuhren entsprechend dem Änderungsbescheid angemeldet wurden und mit zwei Ausnahmen in den Anmeldungen ausdrücklich auf ihn hingewiesen wurde. Weil die Tarifierungsfrage für das HZA durch den Änderungsbescheid entschieden war, akzeptierte die Zollstelle die Anmeldungen. Deshalb ist die Ursächlichkeit des ersten Irrtums der Behörde für die unrichtige zu niedrige Festsetzung in der Folgezeit gegeben (vgl. Urteil des Senats vom 2. Mai 1991 VII R 117/89, NV). Dies gilt auch, wie das FG zutreffend ausführt, im Falle der beiden Anmeldungen, in denen die C ausnahmsweise nicht auf den Änderungsbescheid verwiesen hatte.
Rechtlich unbedenklich ist auch, daß das FG die Einhaltung der Bestimmungen über die Zollerklärung durch die C bzw. deren Vertreterin sowie deren Gutgläubigkeit bejaht hat. Insoweit bringt die Revision auch keine Angriffe vor.
Dagegen vermögen die Feststellungen der Vorinstanz nicht die Entscheidung zu rechtfertigen, daß der Irrtum der Zollstelle vom Abgabenschuldner nicht hätte erkannt werden können. Das FG hat in diesem Zusammenhang lediglich ausgeführt, die C habe keine besseren Erkenntnismöglichkeiten als die Zollstelle bzw. die Zollehranstalt gehabt; daher könne von ihr das Erkennen des Irrtums nicht verlangt werden, weil die Verwaltung selbst trotz Prüfung zu einem unzutreffenden Tarifierungsergebnis gekommen sei. Mit dieser Begründung durfte sich das FG nicht begnügen.
Nach dem auf den Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 24. Januar 1989 VII R 65/86 (BFHE 156, 294) ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 26. Juni 1990 Rs. 64/89 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1990, 711) bedarf es vielmehr einer konkreten Beurteilung aller Umstände des Einzelfalls, um zu entscheiden, ob der Irrtum für den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer erkennbar war (Tz. 18 des EuGH-Urteils). Dabei sind namentlich die Art des Irrtums, die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen (Tz. 19 des EuGH-Urteils). Jedenfalls besteht kein Grundsatz derart, daß von einem Importeur keine weitergehenden Kenntnisse als von den Zollbeamten selbst erwartet werden könnten (Tz. 17 des EuGH-Urteils).
Im vorliegenden Fall kommt es entscheidend darauf an, ob die C die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen, als sie sich bei der Tarifierung der Tennissaiten auf die Entscheidung des HZA in dem Änderungsbescheid verließ und nicht schon vorher z. B. eine vZTA einholte, obwohl sie über eine lange Zeit Tennissaiten einführte und deren Tarifierung nicht zweifelsfrei war, wie sich aus dem Umstand ergibt, daß sie zunächst der Tarifst. 39.02 C XIV b GZT zugeordnet wurden.
Da das FG nähere Feststellungen im Sinne des vorbezeichneten EuGH-Urteils nicht getroffen hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
Das FG wird im zweiten Rechtsgang die für die Beurteilung erforderlichen Feststellungen nachzuholen und ggf. auch zu prüfen haben, ob die den angefochtenen Änderungsbescheiden zu Grunde gelegte Tarifierung zutreffend war. Auf dieser Grundlage wird es erneut über die Rechtmäßigkeit der Nacherhebungen zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 417965 |
BFH/NV 1992, 285 |