Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Geschäftsführer eines Unternehmens, der nur zur Anstellung oder Entlassung von Arbeitern, nicht aber von Angestellten berechtigt ist, gehört zu den leitenden Angestellten, auf die § 3 Ziff. 8 EStG 1953 (ß 6 Ziff. 6 LStDV 1954) keine Anwendung findet.
Normenkette
EStG § 3 Ziff. 8, § 3/9; LStDV § 6 Ziff. 6, § 6/7
Tatbestand
Streitig ist die Lohnsteuerpflicht einer Entlassungsentschädigung. Die Firma, bei der der Bf. seit dem 1. September 1942 als Geschäftsführer und Prokurist angestellt war, hatte ihm am 28. Juni 1954 zum 31. Dezember 1954 gekündigt. Am 12. Oktober 1954 schloß der Bf. mit der Firma vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, durch den das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einverständnis zum 20. Oktober 1954 gelöst wurde und der Arbeitgeber sich verpflichtete, dem Bf. nach Abschluß seiner Arbeiten am 20. Oktober 1954 eine Abfindung von 6.800 DM zu zahlen. Außerdem wurde ihm ein Darlehnsrest von 792,25 DM erlassen. Das Finanzamt forderte von dem Bf. die auf 7.592,25 DM entfallende Lohnsteuer durch Haftungsbescheid an. Einspruch und Berufung hiergegen wurden als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht lehnte die vom Bf. beantragte Lohnsteuerfreiheit nach § 6 Ziff. 6 LStDV 1954 ab, da die dem Bf. zugeflossenen Beträge keine Entlassungsentschädigung im Sinne dieser Vorschrift seien. Leitende Angestellte, zu denen der Bf. als Geschäftsführer gehört habe, hätten keinen Kündigungsschutz nach § 12 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) und könnten infolgedessen auch nicht in den Genuß der Steuerfreiheit nach § 6 Ziff. 6 LStDV kommen. Wenn der Bf. Angestellte auch nur im Einverständnis mit dem Firmeninhaber habe einstellen und entlassen dürfen, so sei er jedenfalls zur Einstellung und Entlassung von Arbeitern ohne Beschränkungen befugt gewesen. Daß er von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht habe, sei für die Anwendung des § 6 Ziff. 6 LStDV ohne Bedeutung. Aber selbst wenn § 12 KSchG auf ihn keine Anwendung finde, entfalle die Lohnsteuerfreiheit, weil das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen gelöst worden sei und deshalb eine Entlassung im Sinne dieser Vorschrift nicht vorliege.
Entscheidungsgründe
Die vom Bf. nicht begründete Rb. kann keinen Erfolg haben.
Entlassungsentschädigungen sind nach § 3 Ziff. 8 EStG 1953 (ß 6 Ziff. 6 LStDV 1954) nur steuerfrei, wenn sie auf Grund arbeitsrechtlicher Vorschriften geleistet werden. Es muß sich um Entschädigungen handeln, die ihre Grundlage im sozialen Kündigungsschutz haben (siehe Urteile des Bundesfinanzhofs IV 206/53 U vom 13. November 1953, BStBl 1954 III S. 13, Slg. Bd. 58 S. 257, und IV 26/54 U vom 28. Juli 1955, BStBl 1955 III S. 296, Slg. Bd. 61 S. 256). Die für das Streitjahr maßgebenden sozialen Schutzvorschriften enthält das KSchG vom 10. August 1951 (BGBl 1951 I S. 499). Die als Rechtsgrundlage für steuerfreie Entlassungsentschädigungen in Betracht kommenden Bestimmungen finden nach § 12 dieses Gesetzes jedoch keine Anwendung bei der Entlassung von gesetzlichen Vertretern juristischer Personen und von anderen leitenden Angestellten, die zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind. Der Bf. war Geschäftsführer und Prokurist. Angestellte konnte er zwar nur mit Einverständnis des Betriebsinhabers anstellen oder entlassen. Bei der Einstellung oder Entlassung von Arbeitern bestand aber diese Beschränkung nicht. Das Finanzgericht hat auf Grund dieser Befugnis angenommen, daß der Bf. zu den nach § 12 KSchG vom sozialen Kündigungsschutz ausgeschlossenen Personen gehört habe. Diese Beurteilung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist nicht erforderlich, daß ein leitender Angestellter zur Anstellung oder Entlassung aller Arbeitnehmer eines Betriebs berechtigt ist. Aus der Fassung des § 12 KSchG ("Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern") schließt die im Arbeitsrecht herrschende Meinung, daß eine beschränkte Befugnis zur Anstellung oder Entlassung von Arbeitnehmergruppen eines Betriebs ausreicht, um einen Angestellten zu einem solchen im Sinne des § 12 Buchstabe c KSchG zu machen. Die Anstellungs- oder Entlassungsbefugnis kann sich also nur auf Arbeiter oder nur auf Angestellte, oder auch nur auf bestimmte Arten von Arbeitern oder Angestellten erstrecken; sie muß aber generell bestehen und nicht nur für einen einzelnen Fall erteilt sein (so z. B. Hueck, Kündigungsschutzgesetz, 4. Aufl. 1961, Bem. 6 zu § 12; Auffarth-Müller, Kündigungsschutzgesetz 1960, Bem. 7, 9 zu § 12). Diese im Arbeitsrecht herrschende Auffassung legt der Senat auch der Anwendung des § 3 Ziff. 8 EStG 1953 (ß 6 Ziff. 6 LStDV 1954) zugrunde, da diese Vorschrift keine selbständige Abgrenzung vornimmt, sondern sich an den im Arbeitsrecht entwickelten Begriff des leitenden Angestellten anschließt. Davon geht auch das oben bereits angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs IV 206/53 U aus. Daß der Bf. von der ihm zustehenden Befugnis zur Anstellung oder Entlassung von Arbeitern keinen Gebrauch gemacht hat, ändert nichts an seiner Zugehörigkeit zu dem in § 12 Buchstabe c KSchG angeführten Personenkreis. Somit kann die dem Bf. zugeflossene Entlassungsentschädigung nicht nach § 3 Ziff. 8 EStG 1953 (ß 6 Ziff. 6 LStDV 1954) steuerfrei bleiben. Zu der weiteren Frage, ob die Steuerfreiheit auch entfällt, weil der Bf. durch den Abschluß des Vergleichs vom 12. Oktober 1954 bei seiner Entlassung mitgewirkt hat, braucht unter diesen Umständen nicht Stellung genommen zu werden.
Fundstellen
Haufe-Index 410334 |
BStBl III 1962, 71 |
BFHE 1962, 188 |
BFHE 74, 188 |