Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Berechtigung eines Betreibers einer Bauschuttrecyclinganlage, für Recyclingkosten eine Rückstellung zu bilden
Leitsatz (NV)
1. Bei Unternehmen, die gegen Bezahlung von Bau- und Abbruchunternehmen Bauabfälle annehmen, diese aufbereiten und die dadurch gewonnenen Stoffe veräußern (Bauschuttrecyclinganlagen), wird angesichts der konkreten umweltrechtlichen Vorschriften in der Regel eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung gegeben sein, die zur Bildung einer Rückstellung für Bauschuttverarbeitung berechtigt.
2. Für die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Rückstellung gegeben sind, stellt die Notwendigkeit, eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung in einem bestimmten Zeitraum erfüllen zu müssen, nur noch ein Indiz unter mehreren für die Annahme einer ernstlichen Inanspruchnahme dar.
3. Rückstellungsfähig ist nur der Teil der Recyclingkosten, der entsteht, wenn der Steuerpflichtige die Abfälle durch Ablagerung entsorgen müsste.
Normenkette
EStG § 5 Abs. 1 S. 1; HGB § 249 Abs. 1 S. 1; AbfG 1986 Art. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
A. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb im Streitjahr 1995 ein Recycling-Unternehmen mit ca. 20 Mitarbeitern. Unternehmensgegenstand ist die Annahme angelieferten Bauschutts, Müllverbrennungsschlacke und sonstiger Abfälle gegen Entgelt sowie die anschließende Aufbereitung und der Verkauf der aufbereiteten Abfälle. Der Kläger führte ein Betriebstagebuch, in dem sämtliche angenommenen Abfälle EDV-gestützt erfasst wurden und aus dem sich auch die Auslieferungen lückenlos erkennen ließen. Das Unternehmen wurde regelmäßig durch Vertreter der Abfall-, Emissionsschutz- und Wasserbehörden kontrolliert.
Im Jahresabschluss für das Streitjahr 1995, aus dem sich insgesamt ein Verlust ergab, bildete der Kläger Rückstellungen in Höhe von insgesamt 379 900 DM für noch nicht aufbereiteten Bauschutt (314 600 DM), für Rohschlacke (22 500 DM), für Abbruchholz (30 200 DM) und Baustellenmischabfälle (12 600 DM). Die Abfälle waren vor dem 31. Dezember 1995 angekauft worden und waren am Jahresende noch vorhanden. Die Rückstellungen hierfür wurden mit den voraussichtlich in 1996 anfallenden Recycling-Kosten (Aufwand pro Tonne je nach Material) bemessen. Die Berechnung der Höhe ist nicht im Streit.
Im Jahre 1996 löste der Kläger die Rückstellungen gewinnerhöhend auf. Verträge über den späteren Verkauf des aufzubereitenden Materials existierten im Streitjahr noch nicht. Nach einer Betriebsprüfung versagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Bildung der Rückstellungen, da es sich um sog. "Aufwandsrückstellungen" handele; es bestehe ein steuerliches Passivierungsverbot. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1527 veröffentlichten Urteil stattgegeben.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB).
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Zwar hat das FG zutreffend erkannt, dass der Kläger zu Recht eine Rückstellung zur Bauschuttentsorgung bilden durfte (unten I.). Aufgrund der Feststellungen des FG ist aber keine Aussage darüber möglich, in welcher Höhe diese Rückstellung zulässig ist (unten II.).
I. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Steuerbilanz für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden.
1. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) das Bestehen einer dem Betrage nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer Verbindlichkeit dem Grunde nach --deren Höhe zudem ungewiss sein kann-- und ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Zudem ist erforderlich, dass der Schuldner ernsthaft mit der Inanspruchnahme rechnen muss.
2. Auch für Verpflichtungen, die sich aus öffentlichem Recht ergeben (Geld- oder Sachleistungsverpflichtungen), können Rückstellungen gebildet werden, wenn die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist, weil sie auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums zielt. Dies ist regelmäßig bei Erlass einer behördlichen Verfügung oder bei Abschluss einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung der Fall. Bei einem entsprechend konkreten Gesetzesbefehl kann sich auch allein aus dem Gesetz eine Verpflichtung ergeben, die zur Bildung einer Rückstellung führt. Weiter ist erforderlich, dass an die Verletzung der Verpflichtung Sanktionen geknüpft sind, so dass sich der Steuerpflichtige der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen kann (BFH-Urteile vom 8. November 2000 I R 6/96, BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570; vom 19. August 2002 VIII R 30/01, BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131; vom 19. November 2003 I R 77/01, BFHE 204, 135, und vom 25. März 2004 IV R 35/02, BFHE 206, 25).
Ob der Steuerpflichtige ernstlich mit einer Inanspruchnahme aus der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung rechnen muss, kann nur anhand der erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalles geprüft werden (BFH-Urteile vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44; in BFHE 204, 135, und in BFHE 206, 25).
3. Bei Unternehmen, die --wie der Betrieb des Klägers-- gegen Bezahlung von Bau- und Abbruchunternehmen Bauabfälle annehmen, diese aufbereiten und die dabei gewonnenen Stoffe als Füllmaterial veräußern, wird angesichts der umweltrechtlichen Vorschriften in der Regel eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der vorstehend beschriebenen Art gegeben sein, die zur Bildung einer Rückstellung für Bauschuttverarbeitung berechtigt (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 206, 25).
a) Die im Streitfall in Betracht kommenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften finden sich im Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen vom 27. August 1986 (AbfG 1986) --BGBl I 1986, 1410-- und im Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge i.d.F. vom 14. Mai 1990 (BImSchG). Die Vorschriften des in Art. 1 AbfG 1986 enthaltenen Abfallgesetzes (AbfallG) sind im Streitfall deswegen von Bedeutung, weil das Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen vom (KrW-/AbfG) als Nachfolgegesetz, auf das sich das FG im angefochtenen Urteil gestützt hat, im Wesentlichen erst am 6. Oktober 1996 in Kraft getreten ist (Art. 1 und Art. 13 des Gesetzes zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen vom 27. September 1994, BGBl I 1994, 2705).
aa) Das AbfallG versteht als Entsorgung von Abfällen deren Beseitigung und Verwertung. Es erklärt programmatisch die Abfallvermeidung als oberstes Ziel (§ 1a Abs. 1 AbfallG) und statuiert für die Abfallentsorgung einen klaren Vorrang der Verwertung vor der Ablagerung (§ 1a Abs. 2; § 3 Abs. 2 Satz 3 AbfallG). Für Bauabfälle ist dieser Vorrang der Verwertung ausdrücklich in Tz. 5.2.6 der Dritten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz (Technische Anleitung Siedlungsabfall) vom 14. Mai 1993 (Bundesanzeiger Nr. 99a) konkretisiert.
Der Abfallbesitzer hat mithin die Pflicht, Abfälle vorrangig zu verwerten und darf sie nur nachrangig ablagern. Dies gilt insbesondere für einen Abfallbesitzer, der fremde Abfälle mit der Zielsetzung annimmt, sie in einer genehmigten Anlage wieder aufzubereiten und einer neuen Verwertung zuzuführen.
bb) Dass dies in einer angemessenen Zeit geschieht und nicht "auf die lange Bank geschoben" werden kann, folgt, ohne dass in einer gesetzlichen Bestimmung ein bestimmter Zeitraum besonders angeordnet sein müsste, zum einen aus der allgemeinen Verpflichtung, Abfälle derart zu entsorgen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AbfallG), zum anderen aus den Bedingungen (Art der zu behandelnden Abfälle, räumliche Begrenztheit) der konkreten Abfallentsorgungsanlage, die sich aus der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ergeben. Die dazu vom FG aufgrund der Umstände des zu entscheidenden Einzelfalls getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind vom FA nicht angegriffen worden und halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
cc) Im Übrigen hat der BFH in seinem Urteil in BFHE 204, 135 das Erfordernis des Tätigwerdens in einem bestimmten Zeitraum nicht mehr als unabdingbare Voraussetzung für die Konkretisierung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung angesehen, sondern nur noch als ein Indiz unter mehreren dafür gewertet, dass der Steuerpflichtige mit seiner Inanspruchnahme ernstlich rechnen muss.
b) Ob und wie der Kläger die übernommenen Abfälle entsorgt, stand nicht in seinem Belieben. Dies ergibt sich auch daraus, dass er nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AbfallG die als Ordnungswidrigkeit sanktionsbewehrte (§ 18 Abs. 1 Nr. 7 AbfallG) Pflicht hat, Nachweisbücher über Art, Menge und Entsorgung der Abfälle zu führen und der zuständigen Behörde vorzulegen, deren Überwachung er nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AbfallG unterliegt. Außerdem würde der Kläger ordnungswidrig handeln, wenn er Abfälle außerhalb einer Entsorgungsanlage ablagern würde (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfallG).
c) Aus dem AbfallG und den jeweiligen Umständen des Einzelfalls eine hinreichend konkrete Verpflichtung des Klägers zu bestimmten Handlungen abzuleiten, steht nicht in Widerspruch zum Urteil des I. Senats des BFH in BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570. Denn während in dieser Entscheidung die steuerliche Behandlung der Pflicht zur Entsorgung der eigenen Abfälle des Unternehmens zu beurteilen war, ist im Streitfall die Frage zu entscheiden, ob der Kläger für die Entsorgung fremder Abfälle eine Rückstellung bilden kann. Auch wenn man wie der I. Senat keine bestimmte Handlungsanforderung annimmt, wenn es um die Behandlung eigener Abfälle des Steuerpflichtigen geht, so muss im Streitfall berücksichtigt werden, dass der Kläger fremde Abfälle übernommen hat, um die Verpflichtungen deren ursprünglicher Besitzer zu erfüllen. Aus dem darin liegenden Unternehmenszweck ergibt sich im Zusammenspiel mit den Regelungen des AbfallG und der Betriebsgenehmigung für das Unternehmen des Klägers die ernsthafte Wahrscheinlichkeit, wegen der Verwertungspflicht in Anspruch genommen zu werden.
4. Die Richtigkeit der Annahme, eine hinreichend konkrete Verpflichtung des Klägers zu Maßnahmen der Verwertung des von ihm angenommenen Abfalls und damit die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aus dieser Verpflichtung zu bejahen, bestätigt auch die vom IV. Senat des BFH in BFHE 206, 25 angestellte Überlegung, dass es sich hierbei nicht um bloße Obliegenheiten zur Erhaltung der eigenen Betriebsbereitschaft --Aufwandsrückstellungen-- (vgl. BFH-Urteil in BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570) handelt. Der Zeitpunkt der durch die Verwertungsmaßnahmen ausgelösten Gewinnminderung ist --wie dargelegt-- nicht in das Belieben des Klägers gestellt. Vielmehr hat er gleichzeitig mit der die Verwertungsverpflichtung auslösenden Anlieferung des Bauschutts einen Erlös erzielt. Ginge dieser Erlös ungeschmälert in das Jahresergebnis ein, würde ein Gewinn ausgewiesen, den das Unternehmen nicht erwirtschaftet hat.
5. Die hinlänglich konkretisierte öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Klägers, die angelieferten Bauabfälle zu verarbeiten, ist bereits im Jahr der jeweiligen Rückstellungsbildung wirtschaftlich verursacht; denn das Gesetz knüpft die Pflicht zur Verwertung an die Anlieferung des Bauschutts.
II. Entgegen der Auffassung des FG können jedoch nicht sämtliche im Jahre 1996 entstehenden Recyclingkosten für Abfälle, die der Kläger im Streitjahr angenommen hat, einer Rückstellung zugeführt werden.
1. Eine solche Betrachtung sieht die Ursache der Recyclingkosten allein in der Annahme der Abfälle zur Entsorgung durch Verwertung. Sie lässt jedoch außer Acht, dass der Kläger mit der Aufbereitung der Abfälle auch weitere Einnahmen erzielen will. Während die durch die Annahme der Abfälle erzielten Erlöse bereits im Streitjahr erfasst werden, fallen die Erlöse aus der im Folgejahr durchgeführten Verwertung erst im Folgejahr an, so dass kein Grund besteht, für die damit verbundenen Aufwendungen im Jahr zuvor eine Rückstellung zu bilden.
2. Rückstellungsfähig ist infolgedessen nur ein Teil der auf den Kläger im Folgejahr zukommenden Recyclingkosten. Der Senat erachtet es mit der Entscheidung des BFH in BFHE 206, 25 für angemessen, diesen Teil nach den Kosten zu bemessen, die der Kläger bei einer Entsorgung der Abfälle durch Ablagerung aufwenden müsste, weil er aus dieser Art der Entsorgung keine weiteren Einnahmen mehr erzielt. Es ist sachgerecht, die übrigen im Folgejahr aufzuwendenden Recyclingkosten dem zur Verwertung bestimmten Teil der Abfälle zuzuordnen, mit dem der Kläger weitere Erlöse in dem auf die Abnahme der Abfälle folgenden Jahr anstrebt. Dies hat das FG verkannt, wenn es sämtliche vom Kläger errechneten, im Folgejahr für die Entsorgung der im Streitjahr angenommenen Abfälle entstehenden Recyclingkosten der Rückstellung zugeführt hat. Insoweit ist die Feststellung im angefochtenen Urteil, die Berechnung der Höhe dieser Kosten sei nicht umstritten, nicht bindend, weil mit dieser Feststellung keine Aussage darüber getroffen ist, für welche Entsorgungskosten eine Rückstellung gebildet werden kann. Diese Ermittlung hat das FG unter Beachtung des Maßstabs aus der Entscheidung des BFH in BFHE 206, 25 (unter II. 2. b) im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Fundstellen
Haufe-Index 1457378 |
BFH/NV 2006, 1546 |
BFH/NV 2006, 515 |
BStBl II 2006, 647 |
BFHE 2007, 439 |
BB 2006, 1616 |
BB 2006, 1678 |
BB 2007, 36 |
DB 2006, 1466 |
DB 2007, 26 |
DStRE 2006, 964 |
DStZ 2006, 498 |
HFR 2006, 16 |
HFR 2006, 865 |