Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ersetzt ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit den Mitgliedervertretern die ihnen durch die Teilnahme an der Vertreterversammlung entstandenen Kosten, so sind die Aufwendungen des Vereins nichtabzugsfähige Einkommensverwendungen.
Normenkette
KStG § 6 Abs. 1, § 8b Abs. 7 S. 1; EStG § 4 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist, ob die von dem beschwerdeführenden Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (im folgenden als Bf. oder Verein bezeichnet) im Streitjahr 1956 den Mitgliedervertretern für die Teilnahme an Vertreterversammlungen erstatteten Fahrkosten und gezahlten Tagegelder in Höhe von 8.300 DM nichtabzugsfähige Ausgaben darstellen.
Der Bf. bezweckte die Versicherung seiner Mitglieder und deren Familienangehörigen für den Fall der Erkrankungen nach Maßgabe der allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen und Versicherungstarife. Daneben versicherte er auch Nichtmitglieder gegen feste Prämien. Die Rechte der Mitglieder in den Mitgliederversammlungen wurden durch von den Mitgliedern gewählte Vertreter wahrgenommen. Diesen Vertretern erstattete der Bf. nach § 11 Ziff. 9 der Satzung die durch die Teilnahme an den Vertreterversammlungen entstandenen Fahrkosten und zahlte ihnen außerdem ein angemessenes Tagegeld. Das Finanzamt sah in diesen Beträgen unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 12/55 U vom 16. Dezember 1955 (BStBl 1956 III S. 43, Slg. Bd. 62 S. 111) verdeckte Gewinnausschüttungen an die Mitglieder und ließ die Aufwendungen für Fahrkosten und Tagegelder bei dem Bf. nicht als Betriebsausgaben zum Abzug zu.
Der Bf. ist der Auffassung, daß bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit verdeckte Gewinnausschüttungen an die Mitglieder nicht möglich seien, weil die Mitglieder auf Grund des Gesetzes und der Satzungen keine anderen Zahlungen als Beitragsrückerstattungen erhalten dürfen. Das Finanzamt beziehe sich zu Unrecht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 12/55 U, in dem die den Genossen erstatteten Fahrkosten zur Genossenschaftsversammlung als verdeckte Gewinnausschüttungen angesehen seien. Ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit unterscheide sich in vieler Hinsicht von einer Genossenschaft. Die Vertreterversammlung habe als Organ des Vereins umfassendere Befugnisse als die Versammlung der Genossen, weil sie besonders über die Gestaltung der allgemeinen Versicherungsbedingungen und Versicherungstarife und damit über eine dem Wesen nach die Geschäftsführung betreffende Angelegenheit zu entscheiden habe. Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung scheitere auch daran, daß weder den Mitgliedervertretern noch den Mitgliedern ein geldwerter Vorteil in ihrer Eigenschaft als Mitglieder zugewendet worden sei. Die Mitgliedervertreter nähmen in erster Linie nicht eigene Belange, sondern Interessen der Mitglieder ihres Wahlbezirkes wahr. Bei den Mitgliedern fehle es an der Gewährung eines Vorteils, weil sie zur Erstattung der den Mitgliedervertretern entstandenen Auslagen weder gesetzlich noch auf Grund der Satzung verpflichtet seien und weil sie in den Beiträgen die allgemeinen Unkosten des Vereins decken müßten, zu denen auch die von dem Verein den Mitgliedervertretern erstatteten Auslagen gehörten. Was die Mitglieder über den Verein den Mitgliedervertretern zahlten, könne bei den Mitgliedern keine verdeckte Gewinnausschüttung sein.
Einspruch und Berufung des Bf. waren erfolglos. Das Finanzgericht begründete seine in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1960 S. 356 veröffentlichte Entscheidung im wesentlichen wie folgt. Die Kammer habe keine Bedenken, die durch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs für Kapitalgesellschaften und Genossenschaften entwickelten Grundsätze auch auf Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit anzuwenden. Ebenso wie Genossen und Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft seien weder die Mitglieder noch die Mitgliedervertreter des Vereins zum Erscheinen in der Mitgliedervertretung verpflichtet. Auch die Beschlußfassung der Mitglieder oder Mitgliedervertreter über änderungen der allgemeinen Versicherungsbedingungen und Versicherungstarife liege vorwiegend im Interesse der Gesamtheit der Mitglieder und könne bei Genossenschaften etwa mit Beschlüssen über die Festsetzung von Höchstbeträgen für Anleihen und Kreditgewährungen (ß 49 des Genossenschaftsgesetzes - GenG -) verglichen werden. Auch die Mitglieder und Mitgliedervertreter dürften ebensowenig wie die Genossen und Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft in die dem Vorstand und Aufsichtsrat obliegende Geschäftsführung eingreifen und seien durch die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Aktiengesetzes (ß 36 des Versicherungsaufsichtsgesetzes - VAG -) im wesentlichen für Entscheidungen über den verfassungsmäßigen und wirtschaftlichen Aufbau des Vereins zuständig. Diese Gleichstellung finde ihren Ausdruck auch darin, daß für die Teilnahme der Mitglieder oder Mitgliedervertreter an den Versammlungen keine Vergütung vorgesehen sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vereins ist nicht begründet.
Der Senat stimmt im wesentlichen der Auffassung des Finanzgerichts zu. Läßt man zunächst die Vertretung der Mitglieder durch Mitgliedervertreter außer Betracht, so besteht zwischen den Rechten der Genossen auf Teilnahme an der Organisation und Verwaltung der Genossenschaft und zwischen den entsprechenden Rechten und Pflichten der Mitglieder des Vereins kein ins Gewicht fallender Unterschied. Die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die nicht die das Versicherungsverhältnis angehende gesellschaftliche Stellung, sondern die Teilnahme an der Organisation und Verwaltung des Vereins betreffen, haben genossenschaftsähnlichen Charakter. Es ist zwar richtig, daß die Mitglieder durch ihre Beschlußfassung über Versicherungsbedingungen und Versicherungstarife (ß 13 Ziff. 7 der Satzung) eine sachlich die Geschäftsführung betreffende Angelegenheit regeln. Die übertragung dieser Aufgabe auf die Mitgliederversammlung ergibt sich einmal aus der grundsätzlichen verfassungs- und organisationsmäßigen Bedeutung dieser Bedingungen und zum anderen daraus, daß nach § 10 VAG die allgemeinen Versicherungsbedingungen einen Teil der Satzungen des Vereins bilden können. Da in diesem Fall die änderung der allgemeinen Versicherungsbedingungen gleichzeitig eine Satzungsänderung enthält und deshalb zur Zuständigkeit der Mitgliederversammlung gehört, ist es folgerichtig, daß die Mitgliederversammlung auch dann über die änderung der allgemeinen Versicherungsbedingungen beschließt, wenn sie nicht in der Satzung enthalten sind (ß 41 Abs. 1 VAG). Daß damit aber die Mitgliederversammlung nicht zu einem neben dem Vorstand bestehenden Organ der Verwaltung und Geschäftsführung bestellt werden soll, ergibt sich u. a. daraus, daß die Nichtmitglieder betreffenden allgemeinen Versicherungsbedingungen auch vom Vorstand geändert werden dürfen. Jedenfalls gibt die Beschlußfassung der Mitgliederversammlung über die Gestaltung der allgemeinen Versicherungsbedingungen keine Veranlassung, der Mitgliederversammlung eine grundsätzlich andere Stellung als der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft oder der Versammlung der Genossen im Genossenschaftsrecht zuzuweisen. Dem Finanzgericht ist deshalb darin zuzustimmen, daß die die Erstattung von Fahrkosten betreffende Entscheidung des Senats I 12/55 U auch auf Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit angewendet werden muß, wenn der Verein Mitgliedern Fahrkosten zur Mitgliederversammlung erstattet oder ihnen Tagegelder gewährt. Die Mitgliederversammlung dient ebenso wie die Versammlung der Genossen überwiegend den Interessen der Mitglieder, weil sie ihnen die Gelegenheit gibt, die gesetzlichen und satzungsmäßigen Gesellschaftsrechte, soweit es sich nicht um das Versicherungsverhältnis selbst handelt, auszuüben.
Es ist zutreffend, daß die Mitgliederbeiträge grundsätzlich so hoch bemessen sein müssen, daß sie den Verein instandsetzen, die ihn auf Grund des Gesetzes oder der Satzung treffenden Ausgaben zu decken. Zu diesen Ausgaben gehören auch die Fahrkosten und Tagegelder, die er satzungsgemäß den Mitgliedern erstatten muß. Für die steuerliche Beurteilung, ob eine bestimmte Ausgabe des Vereins eine Betriebsausgabe oder eine nichtabzugsfähige Ausschüttung darstellt, ist es unerheblich, ob der Verein bürgerlich-rechtlich zu dieser Ausgabe verpflichtet ist. Körperschaftsteuerlich kommt es nur darauf an, ob die Ausgabe zur Wahrnehmung der betrieblichen Interessen des Vereins oder der persönlichen Interessen der Mitglieder gemacht wird.
Ob die Beiträge tatsächlich um den auf jedes Mitglied entfallenden Teil dieser Ausgaben niedriger wären, wenn die Fahrkosten und Tagegelder den Mitgliedern nicht erstattet würden, läßt sich in tatsächlicher Hinsicht nicht prüfen. Denn einmal handelt es sich um so geringfügige Ausgaben, daß sie sich auf die Höhe des einzelnen Beitrags kaum auswirken; zudem besteht durchaus die Möglichkeit, daß der Verein Teile seiner Verwaltungsausgaben aus anderen Einnahmen, z. B. aus den überschüssen des Nichtmitgliedergeschäfts oder aus Kapitalerträgen, deckt und deshalb sich nicht jede Verwaltungsausgabe auf die Höhe der Beiträge auswirkt. Selbst wenn man aber unterstellen wollte, daß die Beiträge um einen entsprechenden Teil niedriger wären, wenn die Mitglieder ihre Fahrkosten und Auslagen selbst trügen, so ist es steuerlich ein Unterschied, ob das Mitglied oder der Gesellschafter einer juristischen Person die ihn persönlich treffenden Ausgaben selbst trägt oder sie von der juristischen Person tragen läßt, nachdem er die juristische Person durch vertragliche Zahlungen oder gesellschaftsrechtliche Einlagen zur Zahlung instandgesetzt hat. Körperschaftsteuerlich kann eine Zahlung über die juristische Person einer unmittelbaren Zahlung durch das Mitglied oder den Gesellschafter nicht gleichgesetzt werden. Der Hinweis des Bf., daß die Beiträge entsprechend niedriger bemessen sein würden, ist deshalb körperschaftsteuerlich unerheblich. Die körperschaftsteuerliche Betrachtung kann nur von dem ausgehen, was das Mitglied tatsächlich auf Grund des zwischen ihm und dem Verein bestehenden Gesellschaftsverhältnisses an den Verein zahlt.
Werden, wie im vorliegenden Fall, die Interessen der Mitglieder durch besonders gewählte und bestellte Mitgliedervertreter wahrgenommen, so ändert sich nicht die körperschaftsteuerliche Beurteilung der Ausgaben des Bf. Denn wenn die Mitglieder in der Mitgliederversammlung im wesentlichen ihre persönlichen Interessen wahrnehmen, so geschieht dies bei der Bestellung von Mitgliedervertretern durch die Mitgliedervertreter. Daraus folgt, daß sich durch die Wahl von Mitgliedervertretern der Charakter der Ausgaben des Bf. nicht ändert. Die Ausgaben werden durch das Bestehen von Mitgliedervertretern bei dem Bf. nicht zu Betriebsausgaben.
Es ist richtig, daß die Mitglieder des Bf. nicht verpflichtet sind, den Mitgliedervertretern die durch die Wahrnehmung ihrer Rechte in der Mitgliederversammlung entstehenden Ausgaben zu erstatten. Der Mangel dieser Verpflichtung beruht aber nur darauf, daß die Satzung des Bf. die Deckung dieser sonst die Mitglieder treffenden Ausgaben durch den Bf. vorsieht. Wenn die Satzung des Bf. nicht die Verpflichtung zur Deckung dieser Ausgaben enthielte, müßten die Mitglieder ihren Vertretern die durch die Vertretung entstehenden Auslagen ersetzen. Denn zutreffend weist der Bf. darauf hin, daß die Mitgliedervertreter in erster Linie die Interessen der Mitglieder wahrnehmen, von denen sie gewählt sind. Daraus folgt, daß die durch die Vertretung erwachsenen Ausgaben nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht von den Vertretern, sondern nur von den Vertretenen gedeckt werden müßten. Dadurch, daß der Bf. satzungsgemäß die Vertretungskosten übernimmt, hat er eine Regelung verhütet, auf Grund deren die Mitglieder mit den Vertretungskosten belastet worden wären. Ob der hierin für die Mitglieder liegende Vorteil zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (ß 20 EStG) gehört, braucht hier nicht entschieden zu werden.
Fundstellen
Haufe-Index 410288 |
BStBl III 1962, 89 |
BFHE 1962, 236 |
BFHE 74, 236 |
BB 1962, 210 |
DB 1962, 493 |