Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur doppelten Haushaltsführung eines Gastarbeiterehepaares; zur Würdigung ausländischer Bescheinigungen
Leitsatz (NV)
1. Hat ein Gastarbeiterehepaar, dessen eigenes Haus im Heimatland von den erwachsenen Töchtern mit deren Familien bewohnt wird, am Beschäftigungsort in Deutschland eine gemeinsame Wohnung, so liegt eine steuerlich anzuerkennende doppelte Haushaltsführung auch dann nicht vor, wenn sich die Eltern zwei Räume in ihrem Haus für ihre Aufenthalte im Heimatland vorbehalten haben.
2. Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Würdigung ausländischer Bescheinigungen.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Nr. 5, § 33a Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau sind jugoslawische Staatsangehörige, die seit 1971 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) arbeiten. Sie bewohnen in X eine Zweizimmerwohnung. In Jugoslawien besitzt der Kläger ein Haus mit insgesamt 130 qm Wohnfläche (6 Räume und 1 Küche) mit einem 30 Ar großen Hof und Garten sowie landwirtschaftliche Grundstücke von rd. 7 ha Größe. In diesem Haus, das der Kläger von seinem Vater geerbt hat, wohnen die beiden verheirateten Töchter des Klägers (geboren 1953 und 1956) mit ihren Familien. Zwei Räume haben sich der Kläger und seine Ehefrau für ihre Aufenthalte im Heimatland vorbehalten.
Die beiden Töchter hatten zunächst in Jugoslawien eine Hoch- bzw. Fachschulausbildung begonnen, diese aber wegen der Geburt ihrer Kinder abgebrochen. Die Schwiegersöhne sollen eine kleine Landwirtschaft betreiben. Der Kläger unterstützt die Töchter durch laufende Geldzahlungen; der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat insoweit je 2 000 DM als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Der Kläger hat vorgetragen, auch für die Enkelkinder sorgen zu müssen, weil die Töchter und Schwiegersöhne kein eigenes Einkommen hätten und für die Kinder kein Kindergeld bezogen worden sei.
Im Klageverfahren begehrt der Kläger neben anderen nicht mehr streitigen Kosten für sämtliche Streitjahre (1977-1980) steuermindernd zu berücksichtigen:
a) Kosten einer doppelten Haushaltsführung,
b) Außergewöhnliche Belastung gemäß § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Unterstützung der drei Enkelkinder.
Für das Streitjahr 1977 begehrt er ferner,
c) seine Tochter A, die bis zum 31. August 1977 Studentin in Belgrad gewesen sei, bei der Berechnung der Sonderausgabenhöchstbeträge (900 DM) zu berücksichtigen und für sie einen Ausbildungsfreibetrag von 2 800 DM nach § 33a Abs. 2 EStG sowie
d) Kosten für die Beerdigung der Schwiegermutter in Höhe von 6 026 DM als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.
Für das Streitjahr 1978 beantragt der Kläger zusätzlich,
e) Kosten für einen Unfall auf einer Familienheimfahrt nach Jugoslawien als Werbungskosten (doppelte Haushaltsführung) und
f) Kosten des Grabsteins für das Grab der Schwiegermutter in Höhe von 6 322 DM als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage in den vorstehenden Punkten mit der folgenden Begründung ab:
Zu a) und e) Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in seiner den Kläger für die Jahre 1974 und 1975 betreffenden Entscheidung . . . ausgeführt, bei seiner doppelten Haushaltsführung müßten der Ort des eigenen Hausstandes und der Beschäftigungsort auseinanderfallen, wenn der Steuerpflichtige am Beschäftigungsort wohne. Der Kläger bewohne mit seiner Ehefrau in X eine angemessene Wohnung und führe hier während der meisten Zeit des Jahres seinen Hausstand. Daß die Eheleute im Haus in Jugoslawien ständig zwei Zimmer zur Verfügung hätten und, so oft sie dort weilten, mit den Familien der Töchter als eine Großfamilie zusammenlebten, könne eine doppelte Haushaltsführung im steuerlichen Sinne nicht begründen.
Zu b) Voraussetzung für die Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung im Hinblick auf die Unterstützung der Enkelkinder sei, daß weder der Kläger noch andere Personen Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) oder auf andere Leistungen für Kinder hätten. Diese Voraussetzung sei nach Überzeugung des FG nicht dargetan. Es bestünden bereits Zweifel, ob der Kläger seinen Enkelkindern Unterhalt geleistet habe. Möglicherweise sei das Existenzminimum der Enkelkinder bereits aus den landwirtschaftlichen Einkünften ihrer Väter gesichert. Der Kläger habe jedenfalls nicht dargetan, daß die Töchter und Schwiegersöhne in Jugoslawien für ihre Kinder kein Kindergeld oder keine ähnlichen Leistungen erhalten hätten. Zwar habe der Kläger ein Schreiben der ,,selbstverwaltenden Interessengemeinschaft des unmittelbaren Kinderschutzes der Gemeinde . . ." in serbo-kroatischer Sprache mit deutscher Übersetzung vorgelegt, wonach die Töchter und Schwiegersöhne in Jugoslawien kein Kindergeld bekämen, weil sie in keinem Arbeitsverhältnis gestanden hätten. Diese Bescheinigung reiche aber als Nachweis nicht aus. Einmal besage sie nichts über Aufgaben und Befugnisse der Interessengemeinschaft. Es sei unklar geblieben, ob diese das Kindergeld in Jugoslawien verwalte und deshalb die gegebene Auskunft aus eigener Kenntnis erteilt habe. Außerdem sei in der Bescheinigung erwähnt, daß der Kläger für den Unterhalt seiner Kinder und Enkelkinder sorge, was die Interessengemeinschaft aus eigener Kenntnis heraus kaum erklären könne. Es sei daher nicht auszuschließen, daß der Kläger eine ,,Gefälligkeitsbescheinigung" vorgelegt habe.
Zu c) Ebensowenig habe der Kläger dargetan, daß die Tochter A (geboren 1953) bis Ende August 1977 in Belgrad studiert und dort gewohnt habe. Er habe zwar Ablichtungen aus einem Studienbuch in serbo-kroatischer Sprache vorgelegt. Selbst wenn man unterstelle, daß es sich um Seiten handele, die sich auf das Streitjahr 1977 bezögen, werde dadurch nicht bewiesen, daß die Tochter tatsächlich bis Ende August 1977 studiert habe. Die Eintragungen besagten lediglich, daß sich die Tochter zu Beginn des Semesters (Sommersemester 1977?) für die genannten Fächer eingetragen habe. Ob sie sich bis zum Semesterende auch in Belgrad aufgehalten habe, sei offengeblieben.
Zu d) und f) Da die Klage in den vorstehenden Punkten unbegründet sei, komme der begehrte Abzug der Kosten für die Beerdigung und den Grabstein als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG nicht in Betracht; die Abzugsbeträge lägen noch innerhalb der zumutbaren Eigenbelastung (§ 33 Abs. 3 EStG).
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Hierzu trägt er im einzelnen vor:
Zu a) (und damit auch zu e) Er habe in Jugoslawien in seinem eigenen Haus zwei Zimmer zur Verfügung, die er und seine Ehefrau zu jeder Zeit als eigene Wohnung benutzen könnten. Die Folgerungen des FG, daß derjenige keinen doppelten Haushalt führen könne, der als Steuerpflichtiger am Beschäftigungsort einen eigenen Hausstand unterhalte, sei widersprüchlich . . .
Zu b) Durch die Versagung der Freibeträge nach § 33a EStG für die Enkelkinder sei er überrascht worden. Er habe geglaubt, durch die vorgelegte Bescheinigung unter Beweis gestellt zu haben, daß die Enkelkinder nicht über ausreichende eigene Einkünfte verfügt hätten und daß für sie kein Kindergeld oder ähnliche Leistungen bezogen worden seien. In der mündlichen Verhandlung vom . . . habe er auf Befragen erklärt, die Funktion der selbstverwaltenden Interessengemeinschaft sei die gleiche wie hier die der Kindergeldkasse. Seit dieser mündlichen Verhandlung bis zur nächsten mündlichen Verhandlung am . . . habe das FG ihm, dem Kläger, keinen Hinweis darauf gegeben, daß die Bescheinigung eventuell nicht würde ausreichend sein können. Man hätte ihm aufgeben können und müssen, eine behördliche Bescheinigung des Konsulats oder der Botschaft zur Frage des Kindergeldbezuges vorzulegen. Das FG habe somit den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt.
Zu c) Das gleiche (ungenügende Sachverhaltsaufklärung) gelte auch für die Frage, ob die Tochter A bis Ende August 1977 in Belgrad studiert und dort gewohnt habe. Völlig überraschend sei, daß das FG erstmals in der Vorentscheidung Zweifel geäußert habe, ob die Tochter trotz der Vorlage der Kopie des Studienbuches tatsächlich bis August in Belgrad gewohnt und studiert habe. Hätte das Gericht einen Hinweis in dieser Richtung verlauten lassen, so hätte er eidesstattliche Versicherungen vorlegen können.
Zu d) und f) Bei Anerkennung der geltend gemachten Werbungskosten und außergewöhnlichen Belastung nach § 33a EStG werde die zumutbare Eigenbelastung soweit gemindert, daß ein Abzug der Kosten für die Beerdigung und den Grabstein in Frage komme. Das FA beantragt, die Revision abzuweisen. Es führt im wesentlichen aus: Der Kläger habe nicht nachgewiesen, daß die Töchter und Schwiegersöhne in Jugoslawien für ihre Kinder kein Kindergeld oder ähnliche Leistungen erhalten hätten. Bereits in der Einspruchsentscheidung wegen Einkommensteuer 1977 sei der Kläger auf die Rechtslage hingewiesen worden. Im übrigen seien Steuerpflichtige bei Auslandssachverhalten im besonderen Maße zur Aufklärung und zur Beschaffung geeigneter Beweismittel verpflichtet. Ebenso habe sich der Kläger nicht ausreichend um die Nachweise der kindbedingten steuerlichen Erleichterungen für die Tochter A bemüht.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die Vorentscheidung ist entgegen der Auffassung des Klägers allerdings nicht zu beanstanden, soweit das FG die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung nicht für gegeben erachtet hat.
Der erkennende Senat hat die steuerliche Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung wiederholt davon abhängig gemacht, daß der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort allein wohnt, er dort jedenfalls nicht einen eigenen Hausstand unterhält, und daß sich der Mittelpunkt der gemeinsamen Lebensinteressen der Familie an dem vom Beschäftigungsort entfernt liegenden Ort des Familienhausstandes befindet. Der Ort des Familienhausstandes und der Beschäftigungsort müssen also auseinanderfallen. Denn nur, wenn der Arbeitnehmer getrennt von seiner Familie und seinem Hausstand am Beschäftigungsort wohnt, tritt eine Aufsplitterung der normalerweise gemeinsamen Haushaltsführung auf zwei verschiedene Haushalte ein, die die Anerkennung der sich hieraus ergebenden Mehraufwendungen als Werbungskosten rechtfertigt. Daher hat der Senat eine doppelte Haushaltsführung verneint, wenn Eheleute am Beschäftigungsort in einer familiengerechten Wohnung einen eigenen Hausstand unterhalten und daneben noch die frühere Familienwohnung beibehalten (Urteile vom 21. Januar 1972 VI R 95/71, BFHE 104, 193, BStBl II 1972, 262, und vom 29. November 1974 VI R 77/73, BFHE 115, 23, BStBl II 1975, 459).
Das FG hat revisionsrechtlich unangreifbar festgestellt, daß der Kläger und seine Ehefrau in X eine angemessene Wohnung bewohnen und hier ihren Hausstand begründet haben. Von ihrer Wohnung in X gehen die Eheleute ihrer Arbeit nach. Hier gestalten sie ihre privaten Belange. Der gemeinsame Lebensmittelpunkt des Klägers und seiner Ehefrau befindet sich damit in X.
Dem steht nicht entgegen, daß in dem Haus des Klägers in Jugoslawien dessen Töchter mit ihren Familien leben. Die Töchter sind dort nicht etwa in einen Hausstand des Klägers integriert. Sie führen vielmehr mit ihren Familien ihren eigenen Hausstand. Selbst wenn man davon ausgeht, daß in Jugoslawien noch das Leben in Großfamilien verbreitet ist, so sind der Kläger und seine Ehefrau für die Zeit ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland aus der gemeinsamen Lebensgestaltung der Großfamilie ausgeschieden.
2. Soweit das FG die vorgelegte Bescheinigung der ,,selbstverwaltenden Interessengemeinschaft des unmittelbaren Kinderschutzes der Gemeinde" als Gefälligkeitsbescheinigung bewertet hat und soweit es den vorgelegten Auszug aus dem Studienbuch nicht als ausreichenden Nachweis eines auswärtigen Studiums der Tochter A angesehen hat, ist die die Klage abweisende Entscheidung des FG unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers zustande gekommen.
Nach dem Verlauf des Verfahrens mußte der Kläger nicht damit rechnen, daß das FG die vorbezeichneten Unterlagen nicht als ausreichenden Nachweis ansehen würde. Der Kläger hatte keine Veranlassung, von sich aus weitere Beweismittel vorzulegen oder Beweisanträge zu stellen. Vielmehr war das FG gehalten, den Kläger zum weiteren Nachweis aufzufordern, falls ihm die Bescheinigungen nicht als ausreichend erschienen. Die Entscheidung des FG stellt sich für den Kläger als eine dessen rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar.
3. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG auch der Frage nachgehen können, ob überhaupt eine Verpflichtung des Klägers zur Unterstützung seiner Töchter und seiner Enkelkinder bestand. Eine solche Verpflichtung könnte unter Umständen dann zu verneinen sein, wenn das Existenzminimum der Familien der Töchter des Klägers aus der von den Schwiegersöhnen betriebenen Landwirtschaft gesichert gewesen wäre (BFH-Urteile vom 20. Januar 1978 VI R 193/74, BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338, und VI R 170/76, BFHE 124, 585, BStBl II 1978, 342). Eine Notwendigkeit der Unterstützung der Enkelkinder könnte im übrigen dann entfallen, wenn die Überweisungen an die Töchter und/oder die kostenlose Überlassung der Wohnungen ausgereicht haben, das Existenzminimum der Familien der Töchter zu sichern (BFH-Urteil vom 20. Januar 1978 VI R 123/77, BFHE 124, 513, BStBl II 1978, 340).
Fundstellen
Haufe-Index 414265 |
BFH/NV 1986, 339 |