Leitsatz (amtlich)
Die Überlassung eines sog. Praxiswerts kann eine nach § 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980 steuerfreie Lieferung eines Gegenstandes sein.
Orientierungssatz
1. § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 verlangt u.a., daß der Unternehmer die gelieferten oder entnommenen Gegenstände ausschließlich für eine nach den Nummern 7 bis 27 (oder nach Buchst. b) steuerfreie Tätigkeit verwendet hat. Verwendung eines Gegenstandes für eine --hier in Betracht kommende-- nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 steuerfreie Tätigkeit als Zahnarzt setzt grundsätzlich voraus, daß der Gegenstand zur Ausführung der Umsätze aus freiberuflicher Tätigkeit eingesetzt wurde; das ist auch dann der Fall, wenn er nur Auswirkungen hinsichtlich dieser Tätigkeit hat.
2. § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 deckt sich inhaltsgleich mit den der Vorschrift zugrunde liegenden Bestimmungen (Art. 13 Teil B Buchst. c) der 6. EG-Richtlinie.
3. Da § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 für die verwendeten Begriffe "Lieferung von Gegenständen" keine eigenständige Begriffsumschreibung enthält, ist der allgemeine Lieferungsbegriff i.S. von § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 UStG 1980 maßgeblich.
Normenkette
UStG 1980 § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 28 Buchst. a, Nr. 28a, § 1 Abs. 1; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil B Buchst. c
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb seit Anfang 1977 eine Zahnarztpraxis. Ab 1980 ging er im Hinblick auf eine Beteiligung an einer Bauherrengemeinschaft zur Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 über.
Nach einem Unfall veräußerte der Kläger seine Praxis zum 3.Januar 1981. Im Praxisübergabevertrag vom 23.September 1980 war vereinbart, daß vom "Nettokaufpreis" in Höhe von 1 Mio DM ein Teilbetrag von 400 000 DM auf die organisatorische und technische Einrichtung der Praxis sowie auf vorhandene Materialien und ein Teilbetrag von 600 000 DM auf den (immateriellen) Praxiswert entfielen. Der Gesamtkaufpreis sollte in fünf gleichen Raten in Höhe von je 200 000 DM zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer geleistet werden.
In der Umsatzsteuererklärung 1981 behandelte der Kläger den Kaufpreis von 1 Mio DM als steuerfrei nach § 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980. Die Umsatzsteuer wurde zunächst erklärungsgemäß festgesetzt.
Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr.28 UStG 1980 erfasse nicht den mitveräußerten Praxiswert. Es handle sich dabei um keinen "Gegenstand" i.S. der Vorschrift, der im allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr wie ein körperlicher Gegenstand geliefert werden könne. Anders als der Geschäftswert eines gewerblichen Betriebs beruhe er mehr auf ideellen Faktoren, so daß die Merkmale einer sonstigen Leistung i.S. des § 3 Abs.9 UStG 1980 überwögen.
Diese Auffassung vertrat das FA auch im Einspruchsverfahren gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1981; es rechnete lediglich in der Einspruchsentscheidung die Umsatzsteuer aus dem Kaufpreisanteil von 600 000 DM heraus (Bemessungsgrundlage 530 974 DM, Umsatzsteuer 58 110 DM).
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980.
Das FA hält an seiner Auffassung fest, daß der Praxiswert bei Angehörigen freier Berufe kein Gegenstand i.S. des UStG sei. Der Ertrag einer freiberuflichen Praxis werde in der Regel vorrangig nicht durch Einsatz materieller Mittel (wie beim Geschäftswert gewerblicher Betriebe), sondern durch die persönliche Leistung des Inhabers erzielt. Somit könne der Praxiswert nicht wie der Geschäftswert als die über die normale Rendite des Betriebsvermögens hinausgehende Ertragskraft der Praxis oder die durch sachliche Faktoren bedingten, nicht in einzelnen Wirtschaftsgütern verkörperten Gewinnaussichten definiert werden (dazu Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 6 EStG Anm.869). Die persönliche Leistungsfähigkeit des bisherigen Inhabers, sein persönliches Vertrauensverhältnis zu Mandanten oder Patienten könne nicht übertragen werden; es könne nur mit dem neuen Inhaber ein neues Vertrauensverhältnis begründet werden. Was als Praxiswert veräußert werde, könne nur als die rechtliche und wirtschaftliche Möglichkeit gewertet werden, eine eigene Praxis zu schaffen (Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.; Korn, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1982, 510; Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 26.Oktober 1972 VII ZR 232/71, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1973, 307). Diese Position sei mehr einem Recht gleichzusetzen; sie könne keinesfalls --wie das FG meine-- mit der Gewinnaussicht eines Loses verglichen werden, die mehr auf sachlichen Faktoren beruhe. Die Übertragung des Praxiswerts sei daher nicht im Rahmen einer Lieferung, sondern nur einer sonstigen Leistung möglich (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16.Juli 1970 V R 95/66, BFHE 99, 429, BStBl II 1970, 706; Moeren, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1960, 50).
Sinn und Zweck des § 4 Nr.28 UStG 1980 sei es im übrigen, die Lieferung von Gegenständen, die Unternehmer ausschließlich für nach § 4 Nr.7 bis 27 UStG 1980 steuerfreie Umsätze verwendet hätten, zu begünstigen. Da solche Gegenstände gemäß § 15 UStG 1980 nicht von der Vorsteuer entlastet worden seien, seien sie bei Weiterveräußerung nicht nochmals zu versteuern. Selbst wenn der Praxiswert zu den Gegenständen i.S. des § 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980 zählte, wäre eine Steuerbefreiung des originär erworbenen Praxiswerts mangels Vorsteuerbelastung nicht möglich.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen. Er verweist weiterhin darauf, daß der Praxiswert als handelbares Wirtschaftsgut angesehen werde und daß insbesondere in seinem Fall der Praxiserwerber vor allem an der Patientenkartei interessiert gewesen sei, also an der Überlassung des Kundenstammes.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat zutreffend die Überlassung des Praxiswerts als steuerfrei nach § 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980 beurteilt.
Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei (soweit für den Streitfall von Bedeutung) die Lieferungen von Gegenständen und der Eigenverbrauch i.S. des § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.a UStG 1980, wenn der Unternehmer die gelieferten oder entnommenen Gegenstände ausschließlich für eine nach den Nummern 7 bis 27 steuerfreie Tätigkeit verwendet hat.
§ 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980 enthält für die verwendeten Begriffe "Lieferungen von Gegenständen" keine eigenständige Begriffsumschreibung. Damit ist der allgemeine Lieferungsbegriff i.S. von § 1 Abs.1 i.V.m. § 3 Abs.1 UStG 1980 maßgeblich. Nach § 3 Abs.1 UStG 1980 sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nach ständiger Rechtsprechung bereits des Reichsfinanzhofs --RFH-- (vgl. Urteil vom 21.November 1941 V 109/40, RStBl 1942, 285, mit Nachweisen) sollte mit der Verwendung des Wortes "Gegenstand" als Lieferungsmerkmal in § 3 Abs.1 UStG 1934 keine wesentliche Änderung gegenüber dem zuvor verwendeten Wort "Sachen" (körperliche Gegenstände, § 90 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) vorgenommen werden. Das Wort "Gegenstand" wurde nur deswegen gewählt, damit auch Wirtschaftsgüter, die im Verkehr wie körperliche Sachen behandelt werden, mitumfaßt werden, z.B. der elektrische Strom, die Wasserkraft, der Firmenwert, die Kundschaft (wobei zwischen dem "Geschäftswert" bei Gewerbebetrieben und dem "Praxiswert" bei freiberuflichen Praxen nicht unterschieden wurde).
Diese Auslegung des Begriffs "Gegenstand" durch die Rechtsprechung hat sich seither in der Praxis eingebürgert. Bei den Änderungen des UStG (1951, 1967, 1980) blieb die Begriffsbestimmung der Lieferung in § 3 Abs.1 jeweils unverändert. Das Schrifttum hat dieser Rechtsprechung, soweit ersichtlich, im wesentlichen nicht widersprochen (vgl. u.a. Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 5.Aufl., § 3 Anm.107, 119 "Firmenwert/Praxiswert"); jedenfalls wurde eine gewisse gewohnheitsrechtliche Verfestigung angenommen (vgl. Mathiak, UR 1970, 209, 211).
Der Senat sieht daher keinen Anlaß, der Auffassung der Finanzverwaltung zu der mit dem UStG 1980 neu geschaffenen Vorschrift des § 4 Nr.28 zu folgen, der Geschäftswert (Praxiswert) eines Unternehmens gehöre nicht zu den Gegenständen im Sinne der Vorschrift; für die Veräußerung des Geschäftswerts (Praxiswerts) komme die Steuerbefreiung daher nicht in Betracht (Umsatzsteuer- Richtlinie --UStR-- Abschn.122 Abs.2; vorher Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 4.Februar 1980, Steuererlasse in Karteiform --StEK--, Umsatzsteuergesetz 1980, § 4 Ziff.28 Nr.1; Betriebs-Berater --BB-- 1980, 244).
§ 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980 verlangt ferner, daß der Unternehmer die gelieferten oder entnommenen Gegenstände ausschließlich für eine nach den Nummern 7 bis 27 (oder nach Buchst.b) steuerfreie Tätigkeit verwendet hat. Verwendung eines Gegenstands für eine --hier allein in Betracht kommende-- nach § 4 Nr.14 UStG 1980 steuerfreie Tätigkeit als Zahnarzt setzt grundsätzlich voraus, daß der Gegenstand zur Ausführung der Umsätze aus freiberuflicher Tätigkeit eingesetzt wurde; das ist auch dann der Fall, wenn er nur Auswirkungen hinsichtlich dieser Tätigkeit hat.
Auch diese Voraussetzung ist zu bejahen.
Dabei kann der Senat offenlassen, ob der Kläger im Streitfall einen (schon von ihm) entgeltlich erworbenen (derivativen) oder einen selbst geschaffenen (originären) Praxiswert übertragen hat. Zwar darf handels- und ertragsteuerrechtlich nur ein entgeltlich erworbener, nicht aber ein selbst geschaffener Praxiswert aktiviert werden (vgl. Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 7.Aufl., § 6 Anm.75, mit Nachweisen). Daß ein entgeltlich erworbener (als Wirtschaftsgut aktivierter) Praxiswert der Ausführung der Umsätze im Rahmen der Praxis dient, bestätigen die Bilanzierungsgrundsätze. Dabei ist aber --im Hinblick auf die hier zu entscheidende umsatzsteuerrechtliche Frage-- zu beachten, daß ein entgeltlich erworbener, aktivierter Praxiswert regelmäßig in kurzer Zeit verbraucht ist und abgeschrieben werden kann (vgl. Schmidt/Glanegger, a.a.O.); daneben bildet sich ein neuer, kraft eigener Tätigkeit des Praxisinhabers geschaffener Praxiswert, der allerdings als Bewertungsgegenstand erst bei einer Praxisübertragung zutage tritt.
Der originäre Praxiswert erweist sich damit zwar im Zeitpunkt der Praxisübertragung als ein Ergebnis der Tätigkeit des Praxisverkäufers. Maßgeblich für die vorliegende Frage ist aber, daß --bis zu diesem Zeitpunkt-- die Grundlagen für die Entstehung eines Praxiswerts, insbesondere die Pflege des Kundenstamms, eine wesentliche Voraussetzung für eine laufende Nachfrage nach Leistungen des Praxisinhabers sind. Da es sich beim Ansatz des Praxiswerts beim Praxisverkauf somit um die wertmäßige Erfassung der vom Praxisinhaber während seiner Tätigkeit aufgebauten Vertrauensstellung handelt, welche eine der Grundlagen für den geschäftlichen Umfang der verkauften Praxis gebildet hat, kann auch der übertragene, selbst geschaffene Praxiswert als ein für die freiberufliche Tätigkeit "verwendeter Gegenstand" i.S. von § 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980 angesehen werden.
Nach Auffassung des Senats deckt sich § 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980 inhaltlich mit den der Vorschrift zugrunde liegenden Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates (der Europäischen Gemeinschaften) zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 7.Mai 1977 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 145/1) --6.EG-Richtlinie--, so daß eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art.177 Abs.1 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) nicht einzuholen war (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 6.Oktober 1982 Rs.283/81, EuGHE 1982, 3415; BFH-Urteil vom 2.Dezember 1986 VII R 53/83, BFHE 149, 332).
§ 4 Nr.28 Buchst.a UStG 1980 beruht auf Art.13 Teil B Buchst.c der 6.EG-Richtlinie. Nach der genannten Richtlinienbestimmung sind steuerbefreit die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine aufgrund dieses Artikels (hier Art.13 Teil A Abs.1 Buchst.c --Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden--) ... von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte ...
Als Lieferung eines Gegenstands gilt nach Art.5 Abs.1 der 6.EG-Richtlinie (mangels eigener Definition in Art.13) die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung gelten als Gegenstand: Elektrizität, Gas, Wärme, Kälte und ähnliche Sachen.
In einer sog. Protokollerklärung (zum Protokoll über die Ratstagung am 17.Mai 1977, abgedruckt z.B. bei Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 10.Aufl., Bd.I, unter C 60, S.59/61) haben der Rat und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu Art.13 der 6.EG-Richtlinie erklärt, "daß das Überlassen eines Kundenstamms im Zusammenhang mit einer von der Steuer befreiten Tätigkeit unter die in Art.13 Teil B Buchst.c enthaltene Bestimmung fällt".
Diese Protokollerklärung ist zwar kein für die Gerichte verbindlicher Rechtsakt. Sie verdeutlicht jedoch den Willen des Richtliniengebers hinsichtlich des Inhalts der Richtlinienbestimmung.
Aus dieser Sicht --bei einer dem Wortlaut nach vergleichbaren Regelung des Lieferungs-Gegenstands in Richtlinie und Umsatzsteuergesetz-- bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beurteilung der Überlassung eines Praxiswerts als Lieferung --wegen Ähnlichkeit mit der Übertragung eines körperlichen Gegenstandes-- dem Gemeinschaftsrecht widerspreche.
Fundstellen
Haufe-Index 62184 |
BStBl II 1989, 430 |
BFHE 156, 273 |
BFHE 1989, 273 |
BB 1989, 972-973 (LT1) |
DB 1989, 1010-1011 (LT) |
DStR 1989, 289 (KT) |
HFR 1989, 393 (LT) |