Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Für Teilzahlungszuschläge, die der letzte Erwerber an ein Kreditinstitut entrichtet, kann auch der Fabrikant der die Ware über den Einzelhandel abgesetzt hat, nicht zur Umsatzsteuer herangezogen werden, wenn er nur die Delkrederehaftung gegenüber dem Kreditinstitut übernommen hat.
Werden neben neuen Tatsachen, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen, auch solche bekannt, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen (ß 222 Abs. 1 Ziff. 1 bzw. Ziff. 2 AO), so steht die Anfechtungsbeschränkung gemäß § 234 AO der Streichung der für nichtig erklärten Zusatzsteuer (ß 58 UStDB) im Berichtigungsbescheid nicht entgegen.
Normenkette
AO §§ 234, 232/1; UStG § 1 Ziff. 1, § 5/1/1; UStDB § 10; UStG § 10/1; AO § 222 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
In der Rb. geht es um die umsatzsteuerliche Behandlung von Finanzierungskosten bei Teilzahlungsgeschäften unter Einschaltung eines Kreditinstituts. Im Betriebsprüfungsbericht wurde ausgeführt, die Bfin. habe mit der Finanzierungsgesellschaft X. "einen Kreditabschluß getätigt, der ihr die Möglichkeit gab, Erzeugnisse über den Einzelhandel an die Verbraucher auf Ratenzahlung zu verkaufen". Das Finanzamt hat in der Stellungnahme zur Berufung den Tatbestand dahin berichtigt, daß die Bfin. ihre Waren an Einzelhändler verkaufe, ohne daß bereits beim Verkauf irgendwelche Vereinbarungen mit dem Einzelhändler hinsichtlich einer Ratenzahlung oder Teilfinanzierung getroffen werden. Das Geschäft wickelt sich im übrigen wie folgt ab: Der Kunde des Einzelhändlers hat eine Mindestanzahlung von - v. H. des Kaufpreises zu leisten und stellt für den Restkaufpreis einen Kreditantrag über den Einzelhändler an die Bfin. (Vertragsfirma), die die Weiterleitung an X. durchführt und auf Grund ihres Kreditabschlusses eine entsprechende Gutschrift erhält. Der letzte Erwerber hat ausschließlich an X. zu zahlen. Die Bfin. ist nicht berechtigt, von ihm Zahlungen auf die Darlehnsschuld entgegenzunehmen oder ihm Geld zur Abdeckung seiner Verpflichtung zur Verfügung zu stellen. Gerät der Käufer mit zwei aufeinanderfolgenden Raten und einem bestimmten Teil des Gesamtkreditbetrags in Verzug, kann der gesamte offene Betrag der Forderung von X. für fällig erklärt werden. Zahlt der Käufer den geforderten Betrag, gleich aus welchem Grund, ganz oder teilweise innerhalb der ihm von X. gesetzten Frist nicht, so ist die Bfin. verpflichtet, den Schuldbetrag des Käufers einschließlich der entstandenen Kosten und Gebühren unter Verzicht auf Einrede und Aufrechnung an X. zu zahlen. Geschieht dies, so gehen alle Rechte von X. aus dem Darlehnsvertrag und das Eigentum an der gelieferten Ware unter Abtretung des Herausgabeanspruchs von X. gegen den Käufer auf die Bfin. über. Diese übernimmt auch die selbstschuldnerische Bürgschaft für alle Verpflichtungen aus den Darlehnsverträgen mit den Käufern.
Das Finanzamt hat auf Grund dieses Sachverhalts einen einheitlichen Kreditkauf angenommen, der nicht in einen Kaufvertrag und einen Kreditvertrag aufgespalten werden könne. Die Finanzierungskosten seien ein Teil des Entgelts, das der Kunde aufwenden müsse, um in den Besitz der Waren zu gelangen. Mit den Finanzierungsgebühren begleiche der Kunde eine Schuld der Bfin. an X. Durch Berichtigungsveranlagung forderte das Finanzamt für 1952 die Umsatzsteuer für die Finanzierungskosten von der Bfin. nach.
Die gegen die Berichtigungsveranlagung eingelegte Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht nahm wegen der engen Verflechtung der Kreditgewährung mit einem Kaufgeschäft einen echten Kreditkauf als einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang an. Der Tatbestand decke sich weitgehend mit dem des Urteils des Bundesfinanzhofs V 202/53 S vom 22. Juli 1954 (BStBl 1954 III S. 278, Slg. Bd. 59 S. 182). Danach sind bei Großhändlern, die sich in die Finanzierung des Absatzes ihrer an Einzelhändler gelieferten Waren dadurch einschalten, daß sie Abzahlungsverkäufe durch Kreditgewährungen eines Finanzierungsinstituts ermöglichen, die von den Käufern an dieses Institut zu zahlenden Finanzierungskosten Teile des von den Großhändlern vereinnahmten Entgelts. Die Kreditbeschaffungsmöglichkeit haftet nach Auffassung des Finanzgerichts auch den Waren an, die der Einzelhändler zunächst auf Lager genommen hat. Die Bfin. vermittle die Darlehen, wirke selbst bei der Kreditgewährung durch Auskünfte über den Käufer mit und bürge sogar X. gegenüber selbstschuldnerisch für alle Verpflichtungen aus dem Käuferdarlehen. Die Leistungen der Bfin. bestünden demnach nicht nur in der Lieferung der Waren an den Einzelhändler, sondern auch in der Beschaffung des Kredits für den Käufer. Die Finanzierungskosten erhöhten den Kaufpreis dafür, daß der Käufer nicht bar bezahle; sie gehörten deshalb zum umsatzsteuerlichen Entgelt (ß 10 UStDB). Wirtschaftlich betrachtet bildeten Finanzierungsunternehmen, Bfin., Einzelhändler und Käufer für den Gesamtrestkaufpreis eine untrennbare Kette. Nach § 10 Satz 2 UStDB sei es ohne Bedeutung, daß die Haftungsbefreiung durch Schuldtilgung nicht durch den Vertragspartner der Bfin., den Einzelhändler, sondern durch einen Dritten, den Kunden des Einzelhändlers, eintrete. Bei dieser klaren gesetzlichen Regelung des Entgeltsbegriffs könne es auf eine etwa abweichende Verkehrsauffassung nicht ankommen. Das Finanzgericht ließ auch den Einwand der Bfin., die Finanzierungskosten würden nicht von ihr vereinnahmt und könnten deshalb nicht Entgelt sein, nicht gelten. Durch die Buchung der Kreditbeträge im Soll und Haben des Abrechnungskontos von X. und die regelmäßige Erteilung von Kontenauszügen an die Bfin. vereinnahme diese über die Haftungsbefreiung auch die Finanzierungskosten.
Mit der Rb. wird unrichtige Rechtsanwendung geltend gemacht. Bei der Beurteilung des Vorgangs als eines einheitlichen Kreditverkaufs innerhalb einer untrennbaren Kette werde übersehen, daß die Finanzierungszuschläge nur dann steuerbar sein könnten, wenn sie die Gegenleistung für eine Leistung der Bfin. bildeten. Das Finanzgericht sei dagegen einseitig vom Verpflichtungsgeschäft ausgegangen. Sicherlich bestehe auch zwischen dem Verkauf eines Geräts durch den Einzelhändler und der Entgegennahme des Darlehnsantrags durch den Kunden ein gewisser wirtschaftlicher Zusammenhang. Bürgerlich-rechtlich und umsatzsteuerrechtlich handle es sich bei dem Kaufvertrag und dem Darlehnsvertrag nicht um eine Einheit, sondern um verschiedene Leistungen von verschiedenen Unternehmern. Der Aufbau des Darlehnsvertrags sei hier fast genauso wie im Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs V 86/56 S vom 30. Oktober 1958, BStBl 1958 III S. 455, Slg. Bd. 67 S. 478. Wenn nach diesem Urteil schon der Einzelhändler nicht mit den Finanzierungszuschlägen steuerbar sei, so könnten die Zuschläge bei der Bfin. als Großhändlerin noch viel weniger steuerlich erfaßt werden. Die Bfin. beliefere den Einzelhändler zu normalen Verkaufsbedingungen. Innerlich und äußerlich bestehe kein Zusammenhang mit der etwaigen späteren Finanzierung der Verkäufe durch die Einzelhändler. Zur Steuerpflicht der Finanzierungszuschläge genüge nicht der Umstand, daß die Umsätze des Herstellers im weitesten Sinne durch die Finanzierung gefördert würden. Wenn das Finanzgericht die Heranziehung der Finanzierungszuschläge zur Umsatzsteuer auf § 10 UStDB stütze, so sei das rechtsirrig. Diese Vorschrift sei keine selbständige von § 5 Abs. 1 UStG losgelöste Norm. Ob eine empfangene Zahlung Entgeltscharakter trage, könne nur unter dem Gesichtspunkt des Leistungsaustausches beurteilt werden. Erst wenn feststehe, daß die Zahlung die Gegenleistung für eine eindeutig bestimmbare Leistung des Unternehmers darstelle, sei sie steuerbares Entgelt. Was nicht gegenüber dem Leistenden aufgewendet werde, könne deshalb keine Gegenleistung sein. Da der Leistungsaustausch zwischen der Bfin. und ihren Abnehmern sich nicht auf die Finanzierung erstrecke, könne auch durch § 10 UStDB keine Steuerpflicht begründet werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Die Vorinstanz hat ihrer Entscheidung die frühere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - Urteile V 26/52 S und V 202/53 S, beide vom 22. Juli 1954, BStBl 1954 III S. 276 und 278, Slg. Bd. 59 S. 178 und 182 - zugrunde gelegt, nach der bei Kreditkäufen der hier vorliegenden Art die Finanzierungskosten als Teile des vom Einzelhändler bzw. Großhändler vereinnahmten Entgelts der Umsatzsteuer unterworfen werden. Inzwischen hat aber der Bundesfinanzhof in dem Urteil V 86/56 S vom 30. Oktober 1958, BStBl 1958 III S. 455, Slg. Bd. 67 S. 478, seine bisherige Rechtsprechung geändert. Die Heranziehung der Teilzahlungszuschläge zur Umsatzsteuer setzt voraus, daß ein Leistungsaustausch zwischen dem Steuerpflichtigen als Verkäufer und dem Käufer hinsichtlich der Finanzierungsgebühren erfolgte. Ferner muß der Steuerpflichtige die Zuschläge vereinnahmen (ß 5 Abs. 1 Satz 1 UStG, § 10 UStDB). Dabei kommt es entscheidend darauf an, wer Schuldner des Kreditinstituts ist: der Kunde allein, der Händler allein oder beide zusammen. Das Wagnis, das der Verkäufer bei Teilzahlungsgeschäften zugunsten des Käufers in irgendeiner Weise eingeht, bedeutet nach dem zuletzt erwähnten Urteil nur ein widerlegbares Beweisanzeichen für einen Leistungsaustausch auch hinsichtlich der Teilzahlungszuschläge. Wesentlich für die Bejahung des Leistungsaustausches ist der darauf gerichtete Wille der Beteiligten. Dieser Wille liegt hier nicht vor. In dem Falle des Urteils V 86/56 S hatte der Steuerpflichtige entgegen der im Vordruck des Darlehnsantrags verwendeten Bezeichnung "Gesamtschuldner" in Wirklichkeit nur eine Delkrederehaftung übernommen. Im vorliegenden Fall handelt es sich nach den Abmachungen um die übernahme der selbstschuldnerischen Bürgschaft durch die Bfin., die in dem hier entscheidenden wirtschaftlichen Gehalt gemäß § 773 BGB der Gesamtschuldnerschaft gleichzustellen wäre.
Aus dem Vertrag zwischen der Bfin. und X. geht hervor, daß ein echtes Gesamtschuldverhältnis nicht besteht. Insbesondere kann X. nicht nach ihrem Belieben die Leistung von der Bfin. fordern (ß 421 BGB). Vielmehr müssen zunächst die Käufer in Anspruch genommen werden und auch diese nur, wenn sie schon mit bestimmten Beträgen in Verzug geraten sind. Es handelt sich demnach ebenso wie in dem Urteil V 86/56 S nur um eine Delkrederehaftung, die wirtschaftlich viel schwächer wirkt als eine echte Gesamtschuldnerschaft.
Der Rb. war sonach in ihrem eigentlichen Streitpunkt stattzugeben.
Das Finanzgericht hat sich auf Grund seiner amtlichen Ermittlungs- und Nachprüfungspflicht veranlaßt gesehen, in dem berichtigten Umsatzsteuerbescheid für 1952 den Betrag von - DM für zusatzsteuerpflichtige Entgelte von - DM zu streichen, da die Zusatzsteuer (ß 58 UStDB) durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958 2 BvL 18/56 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 282, BGBl 1958 I S. 154, BStBl 1958 I S. 83) für nichtig erklärt worden ist. Die Umsatzsteuer 1952 der Bfin. ermäßigte sich sonach über den eigentlichen Berufungsantrag hinaus. Mit Recht hat das Finanzgericht in § 234 AO keinen Hinderungsgrund für sein Vorgehen erblickt. Die Betriebsprüfung hat bezüglich der Umsatzsteuerfestsetzung für 1952 sowohl neue Tatsachen festgestellt, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen, als auch solche, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen (ß 222 Abs. 1 Ziff. 1 bzw. Ziff. 2 AO). In einem solchen Falle bleibt die Anfechtungsbeschränkung des § 234 AO gänzlich außer Betracht (Urteile des Reichsfinanzhofs I A 183/33 vom 27. September 1933, RStBl 1933 S. 1158, und III e 53/39 vom 30. Januar 1941, RStBl 1941 S. 122; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs IV 363/54 U vom 6. Oktober 1955, BStBl 1955 III S. 356, Slg. Bd. 61 S. 410). Es kann demnach dahingestellt bleiben, ob mit Spitaler, Umsatzsteuer-Rundschau 1958 S. 113, die Nichtigkeitserklärung einer Vorschrift durch das Bundesverfassungsgericht stets eine stärkere Kraft hat als eine Rechtsmittelvorschrift wie die des § 234 AO. Da der ganze Steuerfall neu wiederaufgerollt werden konnte, mußte dabei auch dem Wegfall der Zusatzsteuer Rechnung getragen werden.
Fundstellen
BStBl III 1962, 228 |
BFHE 1962, 616 |
BFHE 74, 616 |
StRK, UStG:1/1 R 206 |