Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit
Leitsatz (NV)
Wird ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) damit begründet, daß der Prozeßbevollmächtigte des Steuerpflichtigen die Frist für die Beibringung der Prozeßvollmacht infolge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit versäumt habe, so sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft zu machen; dies geschieht durch das Anbieten präsenter Beweismittel, wie z. B. dadurch, daß ein Sachverständiger zur mündlichen Verhandlung vor dem FG gestellt wird.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, wurde früher durch die Steuerbevollmächtigte Frau Z vertreten. Da sie trotz mehrfacher Erinnerung keine Steuererklärungen abgab, wurde der Gewinn der Klägerin für das Jahr 1980 im Wege der Schätzung festgestellt; ebenfalls im Wege der Schätzung wurden der Gewerbesteuermeßbetrag 1980 festgesetzt und der Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1980 festgestellt. Der von Frau Z erhobene Einspruch wurde nicht begründet und blieb daher erfolglos.
Nunmehr erhob Frau Z Klage zum Finanzgericht (FG). Da sie trotz Erinnerung ihre Vollmacht nicht nachwies und die Klage nicht begründete, setzte ihr der Berichterstatter durch Verfügung vom 21. Januar 1983 für die Vorlegung der Vollmacht eine Ausschlußfrist bis zum 20. April 1983. Nachdem auch diese Frist verstrichen war, wies das FG die Klage durch Vorbescheid als unzulässig ab. Noch vor Zustellung des Vorbescheids legte Frau Z mit Schriftsatz vom 29. Juli 1983 ihre Prozeßvollmacht sowie auch die Steuererklärungen nebst Anlagen vor.
In der Folge stellten die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 18. August 1983 Antrag auf mündliche Verhandlung und beantragten gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist zur Vorlegung der Vollmacht. Zur Begründung führten sie an, daß Frau Z wegen ungewöhnlicher Belastungen schuldlos die Frist zur Beibringung der Prozeßvollmacht versäumt habe. Ihr Ehemann, der ein eigenes Steuerberatungsbüro unterhalten habe, sei 1980 verstorben. Sie habe danach versucht, diese Praxis abzuwickeln, zu deren Klientel auch die Klägerin gehört habe. 1982 sei auch die Mutter der damals bereits über 60 Jahre alten Bevollmächtigten verstorben, deren Haushalt sie habe auflösen müssen. Diese vielfältigen Belastungen hätten bei Frau Z zu Gallenbeschwerden, Migräneanfällen und Depressionen geführt. Frau Z habe deshalb die Ausschlußfrist nicht im Terminkalender notiert. Mit einem am 8. November 1983 eingegangenen Schriftsatz trugen die Prozeßbevollmächtigten zusätzlich vor, daß Frau Z infolge einer krankhaften Veränderung ihrer Geistestätigkeit nicht in der Lage gewesen sei, die Bedeutung einer Frist zu erfassen. Sie habe in der beim FG anhängigen Umsatzsteuersache 1981 wiederum die zum 17. Oktober 1983 gesetzte Frist zur Beibringung der Vollmacht verstreichen lassen; auch die Klage in dieser Sache sei durch Vorbescheid als unzulässig abgewiesen worden. Zum Nachweis der behaupteten Störung der Geistestätigkeit werde die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt.
Das FG wies die Klage ab, weil Frau Z die ihr gesetzte Ausschlußfrist zur Vorlegung der Vollmacht versäumt habe. Wiedereinsetzung gegen die Fristversäumung könne nicht gewährt werden. Die angeführten Gesundheitsbeschwerden könnten nicht während der gesamten Dauer der Ausschlußfrist von fast drei Monaten bestanden haben. Frau Z sei während dieser Zeit ständig ihrer Arbeit nachgegangen; es könne sich nur um ein gelegentliches Unwohlsein gehandelt haben. Daß Frau Z auch in einem anderen Fall die gesetzte Frist versäumt habe, gestatte nur den Schluß, daß sie Fristen nicht sorgfältig beachte. Für eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit spreche nichts. Es sei nichts dafür vorgetragen, daß sie sich in ihrem beruflichen und privaten Leben nicht wie ein geistig gesunder Mensch verhalte. Sie habe sich auch im anhängigen Verfahren, abgesehen von der Fristversäumnis, sachgerecht verhalten. In der noch anhängigen Gewinnfeststellungssache 1981 habe sie auch rechtzeitig ihre Prozeßvollmacht vorgelegt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, daß das FG den Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen habe.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; das FG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.
Wer vor den Steuergerichten als Bevollmächtigter auftritt, muß seine Vollmacht nachweisen (§ 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Wird dieser Nachweis nicht erbracht, sind Klageerhebung und Prozeßführung für den materiell beteiligten Steuerpflichtigen unwirksam und muß die ohne Vertretungsmacht erhobene Klage als unzulässig abgewiesen werden. Für die Einreichung der Vollmacht kann nach § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO eine Frist bestimmt werden. Nach Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 - VGFGEntlG - (BGBl I, 446) kann dafür eine Ausschlußfrist gesetzt werden. Eine solche Frist ist Frau Z gesetzt worden; sie hat sie nicht beachtet. Da die Folgen einer Versäumung der Ausschlußfrist nicht durch die Bestellung eines neuen Prozeßbevollmächtigten beseitigt werden, könnte die Klage nur durch die in der genannten Bestimmung des VGFGEntlG vorgesehene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO zulässig werden.
Ein dahingehender Antrag ist erst von den neuen Prozeßbevollmächtigten gestellt worden. Soweit der Antrag auf akute Erkrankungen von Frau Z gestützt wurde, konnte ihm das FG schon aus formellen Gründen nicht folgen. Der Wiedereinsetzungsantrag muß binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Das behauptete Krankheitshindernis war spätestens am 29. Mai 1983 fortgefallen, als Frau Z dem Gericht ihre Vollmacht übersandte. Der Wiedereinsetzungsantrag ist aber erst am 18. August 1983 gestellt worden. Wiedereinsetzung könnte danach allenfalls wegen der behaupteten geistigen Störungen gewährt werden, sofern sie von Frau Z nicht bemerkt und nicht zum Gegenstand eines Wiedereinsetzungsantrags gemacht werden konnten. Das Vorbringen der jetzigen Prozeßbevollmächtigten kann in diesem Sinne verstanden werden.
Zu Unrecht rügt die Revision jedoch, das FG hätte in diesem Zusammenhang ein Sachverständigengutachten über den Geisteszustand von Frau Z einholen müssen. Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO müssen die Tatsachen für die begehrte Wiedereinsetzung vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden. Er kann hierfür nur präsente Beweismittel anbieten, aufgrund deren der Beweis sofort und unmittelbar erhoben werden kann (§ 155 FGO, § 294 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die Klägerin konnte deshalb einen Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung stellen. Sie konnte aber nicht erwarten, daß das FG aufgrund des am Tage vor dem Termin eingegangenen Schriftsatzes einen Sachverständigen lädt. Das FG mußte den Termin auch nicht zwecks weiterer Beweiserhebung verlegen. Ein Sachverständigengutachten, das noch vom Gericht eingeholt werden soll, stellt kein präsentes Beweismittel dar.
Das FG mußte sich deshalb aus den von den Prozeßbevollmächtigten geschilderten Umständen und dem bisherigen Verhalten von Frau Z ein Urteil darüber bilden, ob die behauptete geistige Behinderung vorlag. Es hat diese Frage verneint; dies ist revisionsrichterlich nicht zu beanstanden. Das FG konnte insbesondere berücksichtigen, daß Frau Z sich innerhalb des anhängigen Verfahrens, abgesehen von der Fristversäumnis, sachgerecht verhalten und schließlich auch die Steuererklärungen mit den Bilanzen vorgelegt hat. Eine lediglich auf die Wahrung von Fristen beschränkte Störung der Geistestätigkeit besitzt geringe Wahrscheinlichkeit. Art. 3 § 1 VGFGEntlG ist im Hinblick auf die häufig nachlässige Prozeßführung durch Bevollmächtigte vor den Steuergerichten eingeführt worden. Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG die Klägerin zu diesem Personenkreis gerechnet hat. Unter diesen Umständen lag der Gedanke fern, die Nachlässigkeit beruhe auf einer partiellen Störung der Geistestätigkeit.
Fundstellen
Haufe-Index 414358 |
BFH/NV 1987, 451 |