Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Veräußerungsgeschäfte, durch die im Zusammenhang mit einer Betriebsspaltung nur der Gegenstand oder der Umfang des Unternehmens verändert, das Unternehmen als solches jedoch fortgeführt wird, stellen nicht die Veräußerung eines Geschäfts im ganzen dar.

 

Normenkette

UStG § 1 Ziff. 1, § 2/1, § 3/1; UStDB § 2/1, § 85; UStG § 10/4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Voraussetzungen des § 85 UStDB - steuerbegünstigte Veräußerung eines Geschäfts im ganzen - gegeben sind.

Die Bfin. ist eine Personengesellschaft. Sie betrieb bis Ende 1953 in der Rechtsform einer KG die Herstellung und den Verkauf von Werkzeugen, sowie ein Preß- und Stanzwerk. Mit Wirkung vom 1. Januar 1954 wandelte sie sich in eine OHG um und beschränkte sich auf "die Verpachtung des unbeweglichen und beweglichen Anlagevermögens" an die neugegründete Produktionsgesellschaft "A. X.-GmbH, Werkzeugbau, Preß- und Stanzwerk" (im folgenden GmbH). Sie verkaufte an die GmbH im Januar 1954 das gesamte Umlaufsvermögen und im Dezember 1954 einige Maschinen des Preßwerks. Im Dezember 1955 schließlich verkaufte sie auf Grund eines Gesellschafterbeschlusses vom 28. Oktober 1955 das restliche bewegliche Anlagevermögen für 1.415.080 DM an die GmbH und beschränkte sich fortan auf die Verpachtung des ihr verbliebenen unbeweglichen Anlagevermögens. Die Bfin. ist der Ansicht, die Veräußerung des beweglichen Anlagevermögens an die GmbH im Dezember 1955 stelle die Veräußerung ihres Unternehmens im ganzen dar und unterliege deshalb der Umsatzsteuer mit nur 1 v. H. des Entgelts.

Finanzamt und Finanzgericht teilten die Auffassung der Bfin. nicht. Das Finanzgericht führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus, "die übertragung des Betriebs der Bfin. auf die GmbH" sei "in einer Reihe zeitlich weit auseinanderfallender Maßnahmen" erfolgt. Während dieser Zeit sei die Bfin. "von einem Betriebs- zu einem Verpachtungsunternehmen geworden" und bestehe als "Grundbesitz-Verpachtunternehmen" weiter. Von der Veräußerung eines Unternehmens im ganzen könne deshalb nicht die Rede sein.

Mit der Rb. rügt die Bfin. unrichtige Anwendung bestehenden Rechts und Verfahrensmängel. Das Finanzgericht habe sich mit ihren rechtlichen Ausführungen kaum auseinandergesetzt. Zu Unrecht habe es angenommen, ihr Charakter als "Verpachtungsunternehmen" habe sich durch die Veräußerung des beweglichen Anlagevermögens nicht geändert; in Wahrheit sei erst in diesem Augenblick ihre gewerbliche Tätigkeit erloschen, habe sich ihr Unternehmen "von einem gewerbesteuerpflichtigen Gewerbebetrieb in eine reine Vermögensverwaltung verwandelt". "Inwiefern es sich bei den veräußerten Anlagewerten um die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens" handelte, habe das Finanzgericht nicht festgestellt. Schließlich sei ihr eine vom Finanzamt im Verfahren vor dem Finanzgericht abgegebene Stellungnahme nicht bekanntgegeben worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Das Verfahren vor dem Finanzgericht leidet zwar insofern an einem Mangel, als das Finanzgericht die Stellungnahme des Vorstehers des Finanzamts zu der Berufungsbegründung der Bfin. nicht mitgeteilt hat, so daß die Bfin. nicht in der Lage war, zu den vom Finanzamt vorgetragenen Tatsachen und den daraus gezogenen Schlußfolgerungen Stellung zu nehmen. Der Mangel ist jedoch nicht wesentlich , weil das Finanzgericht seine Entscheidung nicht auf diese Tatsachen gestützt hat, so daß die Möglichkeit, daß ohne den Mangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre, verneint werden muß.

Ein Geschäft ist im ganzen veräußert (ß 85 UStDB), wenn das gesamte lebende Unternehmen, d. h. die organische Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die einem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentliche Grundlage ausmachen, übergeht, so daß der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortsetzen kann. Durch die Veräußerung des restlichen beweglichen Anlagevermögens im Dezember 1955 hat die Bfin. ihr Unternehmen, das seit Januar 1954 die Verpachtung von Anlagevermögen zum Gegenstande hatte, nicht "im ganzen", sondern nur zum Teil veräußert. Sie hat, indem sie einen Teil der verpachteten Gegenstände an die Pächterin veräußerte, nur den Umfang ihres Unternehmens verkleinert, sich aber des Unternehmens als solchen nicht entäußert, sondern es mit den ihr verbliebenen Gegenständen fortgeführt. Veräußerungsgeschäfte aber, durch die nur der Gegenstand oder der Umfang des Unternehmens verändert, das Unternehmen als solches (ß 2 Abs. 1 Satz 2 UStG) jedoch fortgeführt wird, stellen nicht die Veräußerung eines Geschäfts im ganzen dar. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet worden wäre (ß 85 Abs. 1 Satz 2 UStDB). Diesen Tatbestand hat das Finanzgericht jedoch ohne Rechtsirrtum nicht für gegeben erachtet. Weder aus dem Vorbringen der Beteiligten, noch aus dem sonstigen Inhalt der Akten geht hervor, daß die Bfin. die Verpachtung des im Dezember 1955 an die GmbH veräußerten beweglichen Anlagevermögens bisher nach außen hin erkennbar als selbständigen Geschäftszweig geführt hat.

Zu einem entsprechenden Ergebnis würde man gelangen, wenn über die Anwendung des § 116 Abs. 1 AO, der die gleichen Begriffsbestimmungen wie § 85 Abs. 1 UStDB enthält, zu entscheiden wäre. Durch § 116 Abs. 1 AO soll verhindert werden, daß die Sicherung der Steuer, die in dem Unternehmen als Haftungsgegenstand gegeben ist, dadurch verlorengeht, daß das Unternehmen in andere Hände übergeht. Einer solchen Sicherung bedarf es nicht, solange das Unternehmen - wie im Streitfalle - vom Unternehmer fortgeführt wird, also in den gleichen Händen bleibt. Demnach wären auch die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 AO nicht gegeben.

Selbst wenn man die Veräußerungsgeschäfte der Bfin. vom Januar 1954, Dezember 1954 und Dezember 1955 als Teilhandlungen einer von vornherein beabsichtigten Veräußerung des beweglichen Anlage- und des Umlaufsvermögens ihres damaligen (bis Ende 1953 betriebenen) Unternehmens betrachtete, vermöchte der Senat darin keine Veräußerung des damaligen Unternehmens "im ganzen" zu erblicken, weil so wesentliche Gegenstände wie die Fabrikgrundstücke nicht mit veräußert wurden. Zudem spricht gegen die Annahme, daß die Bfin. die Veräußerung des gesamten beweglichen Anlage- und des Umlaufsvermögens ihres Unternehmens von vornherein beabsichtigt gehabt habe, die Tatsache, daß das Veräußerungsgeschäft vom Dezember 1955 (auf das die Bfin. allein abstellt) erst auf Grund eines Gesellschafterbeschlusses vom Oktober 1955 erfolgt ist, und ferner die Tatsache, daß die einzelnen Veräußerungsgeschäfte zeitlich weit auseinandergefallen sind und nicht erkennbar ist, daß dies durch außergewöhnliche Umstände bedingt war.

Die Rb. ist sonach als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409990

BStBl III 1961, 219

BFHE 1961, 602

BFHE 72, 602

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