Leitsatz (amtlich)
1. Das FG kann die Entscheidung über die Steuerfestsetzung für einen Veranlagungszeitraum abtrennen und gesondert treffen, auch wenn derselbe Streitpunkt in mehreren beim FG schwebenden Verfahren für andere Veranlagungszeiträume zu beurteilen ist.
2. Das Einspruchsverfahren, das nach den bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Vorschriften der AO beim FA durchgeführt wurde, verletzte nicht die Grundsätze der Gewaltenteilung und der demokratischen Rechtsordnung.
2. Das Berufungsverfahren vor den Finanzgerichten in Nordrhein-Westfalen nach den bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Vorschriften der AO war nicht deswegen verfassungswidrig, weil die Finanzgerichte nach § 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 175 der britischen Militärregierung der Dienstaufsicht des Finanzministers unterstanden.
2. Zur steuerlichen Beurteilung von Darlehnsverträgen unter Ehegatten.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20, 95 Abs. 3, Art. 96 Abs. 2, Art. 97-98, 100 Abs. 1; EStG §§ 4-5; FGO §§ 32, 74, 121; AO a.F. § 228 ff., § 259 Abs. 1; Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit vom 22. Oktober 1957 §§ 1, 2 Abs. 2; DRiG § 4 Abs. 2, §§ 25-26; Verordnung Nr. 175 der britischen Militärregierung § 4 Abs. 1-2; Überleitungsvertrag i.d.F. vom 23. Oktober 1954 Art. 1
Tatbestand
Der Steuerpflichtige, ein Handelsvertreter, ermittelt seinen Gewinn nach § 5 EStG. Seine Frau erwarb in den Jahren 1950 und 1952 zwei kriegsbeschädigte Grundstücke, die in den folgenden Jahren wiederaufgebaut wurden. Nach den Feststellungen des Betriebsprüfers entfallen 3,5 % der Baukosten des einen Gebäudes auf das Büro des Steuerpflichtigen. Die Mittel zum Erwerb und zur Bebauung der Grundstücke sowie zur Verzinsung und Tilgung der Hypotheken entnahm der Steuerpflichtige seinem Betrieb und buchte sie als Privatentnahmen.
Nach der Einreichung der Steuererklärung 1961 beantragte er, die Bilanzen der Jahre 1958 bis 1961 zu berichtigen und ihm die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10a EStG zu gewähren. Er behauptete, er habe die in den Jahren 1958 bis 1961 aufgewandten Beträge von jährlich rund 28 000 DM bis 52 000 DM ebenso wie in den Vorjahren nicht privat seinem Betrieb entnommen, sondern auf Grund eines ernsthaften Schuldverhältnisses seiner Ehefrau als Darlehen gegeben.
Das FA erkannte auf Grund einer vom Steuerpflichtigen beantragten Betriebsprüfung die Bilanzberichtigungen nicht an und lehnte auch eine Änderung der Bilanzen ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG trennte die Berufung in den Einkommensteuersachen 1958 bis 1960 ab, da in diesen Verfahren auch noch nicht entscheidungsreife Punkte streitig waren. Es wies die Berufung in der Einkommensteuersache 1961 als unbegründet zurück und führte aus, die Grundstücksaufwendungen seien keine Darlehen gewesen, da die Eheleute keine schriftlichen Abmachungen getroffen hätten; es fehlten auch klare Abreden, wie die Beträge zu verzinsen und wann sie zurückzuzahlen seien; der Steuerpflichtige habe die Ausgaben stets als Privatentnahmen gebucht. Im übrigen könnten die behaupteten Darlehnsforderungen kein notwendiges Betriebsvermögen sein, da sie keine wesentliche Grundlage des Betriebs bildeten.
Mit der Revision rügt der Steuerpflichtige Verfahrensmängel und unrichtige Anwendung von Bundesrecht. Er trägt vor, er fühle sich dadurch benachteiligt, daß das FG das Verfahren für die Jahre 1958 bis 1960 abgetrennt habe; er beantragt, die Entscheidung auszusetzen, bis das FG auch über diese Jahre entschieden und er gegen das Urteil des FG Revision eingelegt habe. Er führt ferner aus, das Rechtsmittelverfahren beim FA und FG habe nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, dem Grundsatz der Gewaltenteilung sowie der demokratischen Rechtsordnung entsprochen; denn das FA sei keine Rechtsmittelinstanz, da es in eigener Sache entscheide; das FG als zweite Spruchstelle unterstehe dem Ressort des Finanzministers und sei darum kein Gericht, das in Steuersachen Recht sprechen könne. Das Urteil des FG sei auch sachlich unrichtig. Das FG habe sich mit seinem Vorbringen teilweise nicht befaßt, seine Beweisanträge nicht beachtet und besonders auch nicht berücksichtigt, daß das FA im Einheitswertbescheid zum 1. Januar 1963 und bei den Einkommensteuerveranlagungen 1962 und 1963 die Darlehen an seine Frau anerkannt habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
1. Zur Abtrennung des Verfahrens für 1961 und zum Antrag auf Aussetzung der Entscheidung des Senats
Das FG konnte ohne Rechtsverstoß die Berufung bezüglich der Einkommensteuersachen 1958 bis 1960 abtrennen und vorab über die Berufung in der Einkommensteuersache 1961 entscheiden. Die Verbindung und Trennung von Verfahren sind prozeßleitende Verfügungen des FG, die der Senat im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht nachprüfen kann. Solche Anordnungen begründen allenfalls einen Verfahrensmangel im Sinne von § 118 Abs. 3 FGO, wenn das FG sie willkürlich, also ohne sachlich vernünftigen Grund, erlassen hat oder wenn der Steuerpflichtige dadurch prozessual in der Wahrnehmung seiner Rechte behindert wird (Urteile des BFH II 248/60 U vom 11. April 1962, BFH 75, 143, BStBl III 1962, 320; IV 161/63 vom 20. Februar 1964, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 286, Rechtsspruch 52). Die Trennung war hier, wenn auch nicht zwingend, so doch sachlich vertretbar, weil das FG in den Einkommensteuersachen 1958 bis 1960 noch Ermittlungen zu anderen Streitpunkten treffen mußte. Der Steuerpflichtige hat auch nicht dargetan, inwiefern er durch die Trennung der Verfahren in der Wahrung seiner Rechte behindert worden sein kann, z. B. dadurch, daß er nicht alle für seine Rechtsverfolgung wesentlichen Gesichtspunkte dem FG und dem Senat zur Würdigung unterbreiten konnte.
Der Senat kann auch dem Aussetzungsantrag nicht stattgeben. Nach den ab 1. Januar 1966 geltenden Vorschriften der FGO kann der BFH das Verfahren nur aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet (§§ 121, 74 FGO; Beschluß des Senats VI B 8/67 vom 21. Juli 1967, BFH 90, 90, BStBl III 1967, 783). Für die Entscheidung des Streitfalls ist es aber nicht wesentlich, ob das FG für die Vorjahre die Darlehen anerkennt; denn der Senat muß für jedes Jahr insoweit die Rechtslage selbständig prüfen.
2. Zur Verfassungsmäßigkeit des Einspruchsverfahrens für die Zeit bis zum 31. Dezember 1965
Entgegen der Ansicht des Steuerpflichtigen verletzte das Einspruchsverfahren beim FA nach den bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) a. F.) nicht die Grundsätze einer rechtsstaatlichen Ordnung, der Gewaltenteilung sowie der demokratischen Rechtsordnung.
Nach § 229 AO a. F. war gegen Steuerbescheide, Feststellungsbescheide und Steuermeßbescheide das Berufungsverfahren gegeben. Der Steuerpflichtige konnte gegen solche Bescheide Einspruch einlegen. Über den Einspruch entschied das FA, soweit der Steuerpflichtige nicht gemäß dem - zum 31. Dezember 1965 außer Kraft getretenen - § 24 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über die Finanzverwaltung in der Fassung vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981, BStBl I 1961, 444) eine Entscheidung durch den Steuerausschuß beantragt hatte. Die Einspruchsentscheidung des FA konnte der Stpfl. beim FG mit der Berufung anfechten. Gegen die Berufungsentscheidung des FG stand ihm die Rb. an den BFH zu.
Der Gesetzgeber betrachtete die drei Verfahrensabschnitte als Teile eines einheitlichen Rechtsmittelverfahrens, des sogenannten "Berufungsverfahrens". "Rechtsmittelbehörde" im Sinne von §§ 243, 244, 252 AO a. F. waren nicht nur das FG und der BFH, sondern auch das FA im Einspruchsverfahren. Unter den Begriff "Rechtsmittel" nach §§ 232a ff. AO a. F. fielen der Einspruch ebenso wie die Berufung und Rb. Es ist dem Steuerpflichtigen zuzugeben, daß das Einspruchsverfahren kein eigentliches Rechtsmittelverfahren, sondern ein Rechtsbehelfsverfahren eigener Art war, da über den Einspruch kein unabhängiges Gericht, sondern das FA zu entscheiden hatte, das den Steuerbescheid erlassen hatte. Das FA befand, wie der Stpfl. betont, gewissermaßen als Organ des Steuergläubigers "in eigener Sache". Es hatte nach § 259 Abs. 1 Satz 1 AO a.F. "auf den Einspruch hin ... die Sache erneut zu prüfen".
Durch den geschilderten Aufbau des Berufungsverfahrens wurden der Grundsatz der Gewaltenteilung oder andere rechtsstaatliche Grundsätze nicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG besteht der Sinn der Gewaltenteilung nicht darin, die Funktionen der Staatsgewalt scharf zu trennen, sondern darin, daß die Organe der Legislative, Exekutive und Justiz sich gegenseitig kontrollieren und begrenzen, damit die Staatsmacht gemäßigt und die Freiheit des einzelnen geschützt wird. Die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten muß aufrechterhalten bleiben. Keine Gewalt darf ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über die andere Gewalt erhalten und keine Gewalt darf der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden (BVerfG-Urteil 2 BvF 2/58 vom 27. April 1959, BVerfGE 9, 268 [279 f.] mit weiteren Nachweisen; BVerfG-Beschluß 2 BvL 10/64 vom 20. Juni 1967, BVerfGE 22, 106, HFR 1967, 466 [467 rechte Spalte]).
Das Einspruchsverfahren vor dem FA gab der Finanzverwaltung kein Übergewicht gegenüber der Rechtsprechung und schränkte auch nicht die Zuständigkeit der Finanzgerichte ein. Es erweiterte vielmehr den in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutz vor unberechtigten Eingriffen der öffentlichen Gewalt, weil das FA verpflichtet wurde, die Sach- und Rechtslage noch einmal zu prüfen, bevor der Steuerpflichtige das FG anrief. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch Beschluß des BVerfG 1 BvR 328/52 vom 29. April 1954, BVerfGE 3, 377 [383] betreffend die Beschwerde nach § 21 Abs. III des Schwerbeschädigtengesetzes, und Beschluß 2 BvL 10/64, a. a. O., betreffend § 263 Abs. 2 Satz 1 AO a. F.). Daß das Einspruchsverfahren tatsächlich den Rechtsschutz für die Steuerpflichtigen förderte, zeigte sich darin, daß die FÄ oft dem Einspruch stattgaben und dadurch dem Steuerpflichtigen ersparten, sein Recht bei den Steuergerichten zu erstreiten.
Das Einspruchsverfahren verletzte auch nicht den rechtsstaatlichen Grundsatz, daß niemand in eigener Sache Richter sein kann. Dieser Grundsatz gilt nach dem Beschluß des BVerfG 1 BvR 328/52 (a. a. O.) nur für die richterliche Tätigkeit, nicht aber für das behördliche Einspruchsverfahren; denn Einspruchsentscheidungen sind nicht Akte der Rechtsprechung, sondern Verwaltungsakte, die der Selbstkontrolle der Verwaltung zu dienen bestimmt sind (vgl. auch BVerfG-Beschluß 2 BvL 10/64, a. a. O.).
3. Zur verfassungsmäßigen Errichtung der Finanzgerichte in Nordrhein-Westfalen
Das Berufungsverfahren vor dem FG widersprach - entgegen der Auffassung des Steuerpflichtigen - nicht deshalb der Verfassung, weil das FG der Dienstaufsicht des Landesfinanzministers unterstand.
Die Finanzgerichte waren nach § 1 des bis zum 31. Dezumber 1965 geltenden Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit vom 22. Oktober 1957 (BGBl I 1957, 1746, BStBl I 1957, 525) "unabhängige, von den Verwaltungsbehörden getrennte Gerichte der Länder". Das entsprach dem Grundsatz der Gewaltenteilung, wie er übrigens auch für die Zeit ab 1. Januar 1966 nach § 1 FGO gilt. Die Rechtsstellung der Richter ergibt sich für die Zeit vor dem 1. Januar 1966 aus Art. 97 und 98 GG in Verbindung mit dem Deutschen Richtergesetz (DRiG) vom 8. September 1961 (BGBl I 1961, 1665) und den §§ 2-4 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit. Hiernach waren die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG; § 25 DRiG); ihnen durften keine Verwaltungsgeschäfte außerhalb der Gerichtsverwaltung übertragen werden (§ 2 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit; vgl. ab 1. Januar 1966 § 32 FGO). Nach § 26 Abs. 1 DRiG unterliegen die Richter der Dienstaufsicht, soweit nicht die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Die Dienstaufsicht erstreckt sich auf die außerrichterliche Tätigkeit und auf die den Richtern nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG übertragenen Geschäfte der Gerichtsverwaltung. Sie ist aber bei der richterlichen Tätigkeit nach § 26 Abs. 2 DRiG darauf beschränkt, dem Richter "die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäftes vorzuhalten und ihn zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen".
Die Dienstaufsicht als solche widerspricht nach Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil 6 R Ka 14/55 vom 17. Februar 1956, Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 2 S. 201 [206/207]= Deutsches Verwaltungsblatt 1956 S. 872 - DVBl 1956, 872 - = Die öffentliche Verwaltung 1957 S. 213 - DÖV 1957, 213 -) nicht dem GG. Die Richter stehen nach § 3 DRiG in einem Dienst verhältnis zum Staat. Sie stehen nicht außerhalb des Rechts oder über dem Recht, sondern sie haben "Recht zu sprechen", wobei sie an Gesetz und Recht gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Volk, von dem nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG alle Staatsgewalt ausgeht, kann auf eine Kontrolle über die Rechtspflege nicht vollständig verzichten. Die Dienstaufsicht soll das pflichtgemäße Handeln der Richter sicherstellen; denn die Unabhängigkeit des Richters gibt keinen Freibrief "für menschliche Schwächen, die in der Art und Weise, wie die Amtsgeschäfte erledigt werden, auftreten und von der Amtsführung eines gewissenhaften Richters peinlich abweichen" (Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode; Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf des DRiG, Drucksache 2785 S. 13 rechte Spalte).
In der AO a. F. und im Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit war nicht festgelegt, welche Stelle die Dienstaufsicht über die Richter der Finanzgerichte auszuüben hatte. Die Dienstaufsicht war und ist in den Ländern der Bundesrepublik unterschiedlich geregelt. Nach dem im Streitfall maßgebenden und zum 1. Januar 1966 außer Kraft getretenen § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 175 der Militärregierung Deutschland - Britisches Kontrollgebiet - betreffend die Wiedererrichtung von Finanzgerichten (Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 385 - VOBl BZ 1948, 385 -) führte in Nordrhein-Westfalen der Präsident des FG die Dienstaufsicht über alle am Gericht tätigen Personen. Oberste Dienstbehörde war der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen (vgl. v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Finanzgerichtsordnung, Einführung, Bem. 53 Abs. 1 und 2).
Die Verordnung Nr. 175 war sogenanntes "einfaches Besatzungsrecht", das nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen - Überleitungsvertrag - in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. März 1955 (BGBl II 1955, 405) von den Organen der Bundesrepublik und der Länder aufgehoben oder geändert werden durfte. Nach dem Urteil des BVerfG 1 BvR 505/59 vom 20. März 1963 (BVerfGE 15, 337) galt das einfache Besatzungsrecht "zunächst" fort, so daß die Verwerfungskompetenz des BVerfG "insoweit" ausgeschlossen war. Der Gesetzgeber war nach diesem Urteil gemäß Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, besatzungsrechtliche Vorschriften in angemessener Frist an das GG anzupassen, wobei das BVerfG prüfen kann, ob der Gesetzgeber dieser Pflicht nachgekommen ist. Zweifelhaft kann es sein, ob einfaches Besatzungsrecht, das mit dem GG nicht vereinbar ist, stets solange fortgilt, bis der Gesetzgeber es an das GG angepaßt hat (so Maunz-Sigloch-Schmidt-Bleibtreu-Klein, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Art. 80 Randnr. 61 und 63), oder ob seine Gültigkeit erlischt, wenn der Gesetzgeber es nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht geändert oder aufgehoben hat. Fraglich kann auch sein, ob es den Gerichten verwehrt ist, wegen der Unvereinbarkeit von einfachem Besatzungsrecht mit dem GG das Verfahren auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des BVerfG einzuholen (so Maunz-Sigloch-Schmidt-Bleibtreu-Klein, a. a. O.) oder ob die Gerichte zur Vorlage an das BVerfG zumindest dann verpflichtet sind, wenn nach ihrer Ansicht die Frist zur Anpassung an das GG abgelaufen ist (vgl. auch BVerfG-Beschluß 1 BvL 3, 18, 99/58 vom 21. März 1961, BVerfGE 12, 281, in dem das BVerfG die Vorlagen betreffend die Gültigkeit des Art. I der Devisenwirtschaftsgesetze der früheren Besatzungsmächte für unzulässig erklärt hat). Diese Zweifelsfragen können dahingestellt bleiben, da jedenfalls die Dienstaufsicht des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen, wie sie der inzwischen aufgehobenen § 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 175 vorsah, nicht dem GG widersprach.
Es ist fraglich, ob nicht die Schöpfer des GG selbst davon ausgegangen sind, daß die oberen Bundesgerichte der Dienstaufsicht des für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Bundesministers unterliegen können. Nach Art. 96 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 95 Abs. 3 GG hat der zuständige Bundesminister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuß die Wahl der Richter der oberen Bundesgerichte zu betreiben. Wenn aber das GG an der Entscheidung über die Wahl der Bundesrichter den zuständigen Fachminister beteiligt, so kann man mit Süsterhenn (DVBl 1956, 739) und v. Wallis-List (a. a. O., § 1 FGO Anm. 12 Abs. 2) durchaus der Ansicht sein, daß es dem GG nicht widersprechen kann, wenn auch andere Aufgaben der Gerichtsverwaltung, vor allem die oberste Dienstaufsicht, von dem zuständigen Fachminister ausgeübt werden. Aber auch diese Frage mag auf sich beruhen, da jedenfalls schon aus anderen Erwägungen die Dienstaufsicht des Finanzministers Nordrhein-Westfalen dem GG nicht widersprach.
Der Senat stimmt dem Bundessozialgericht im Urteil 6 R Ka 14/55 (a. a. O.) darin zu, daß es der in Art. 97 Abs. 1 GG geschützten richterlichen Unabhängigkeit nicht widerspricht, wenn die mit der Dienstaufsicht betraute Behörde (Finanzminister) auch als Prozeßpartei vor dem Gericht (FG) auftreten kann oder die Dienstaufsicht über einen Prozeßbeteiligten (FA) führt. Die Dienstaufsicht über Richter gewährt, wie erwähnt, nur die Befugnis, einem Richter die etwaige ordnungswidrige Führung seiner Amtsgeschäfte vorzuhalten und ihn zu ordnungsmäßiger unverzüglicher Erledigung seiner Amtsgeschäfte zu ermahnen. Die Dienstaufsicht bezieht sich also nur auf äußere Umstände der richterlichen Amtsausübung, etwa die pünktliche oder äußerlich korrekte Führung der Sitzungen oder den gehörigen Umgangston mit den am Verfahren Beteiligten (Gerner-Decker-Kauffmann, DRiG § 26 Anm. 4), nicht aber auf den Inhalt der richterlichen Tätigkeit. Weder Fehler eines Richters bei der Vorbereitung, der Durchführung oder dem Erlaß einer Entscheidung legitimieren zu Maßnahmen der Dienstaufsicht oder zu disziplinärer Verfolgung (Disziplinarsenat für Richter in Nordrhein-Westfalen, Urteil Y 1/58 vom 11. Dezember 1958, Deutsche Richterzeitung 1961 S. 350 - DRiZ 1961, 350 -). Dienstvorgesetzte der Richter dürfen in Ausübung der Dienstaufsicht nicht auf das Zustandekommen richterlicher Entscheidungen Einflüs nehmen noch an ergangenen Entscheidungen Kritik üben; sie dürfen auch einem Richter für seine Entscheidung keine Weisungen oder Empfehlungen geben oder ihm Vorhalte machen (Gerner-Decker-Kauffmann, a. a. O., Anm. 5; Schmidt-Räntsch, Kommentar mit DRiG, § 26 Anm. 18 ff.). Fühlt sich ein Richter in seiner Unabhängigkeit durch Maßnahmen der Dienstaufsicht beeinträchtigt, so kann er nach § 26 Abs. 3 DRiG das Dienstgericht anrufen.
Zieht man diese Rechtslage in Betracht, so ist es offensichtlich, daß die Richter durch eine so verstandene und gehandhabte Dienstaufsicht in ihrer richterlichen Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt werden. Eine gewisse Aufsicht ist, wie dargelegt, unentbehrlich und kann nur von einer staatlichen Stelle ausgeübt werden. Der Einwand, daß, weil eine staatliche Stelle die Dienstaufsicht führe, ein Richter in Streitigkeiten, an denen der Staat beteiligt sei, nicht unabhängig sein könne, weil er, wenn er zuungunsten des Staates entscheide, befürchten müsse, berufliche Nachteile zu erleiden, z. B. Zurücksetzung bei dienstlichen Beförderungen, geht fehl. Solche Vorstellungen entsprechen nicht der Wirklichkeit. Sie tragen weder dem Charakterbild, der Dienstauffassung und der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Richtertums noch der Praxis in der Handhabung der Dienstaufsicht durch höchste staatliche Stellen Rechnung. Im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit ist jedenfalls bisher kein Fall bekanntgeworden, in dem ein Finanzminister sich etwa der Beförderung eines Richters widersetzt oder ihn in anderer Weise benachteiligt hätte, weil der Richter in Rechtsstreitigkeiten zum Nachteil der Finanzverwaltung entschieden hatte. Im übrigen konnte sich die Dienstaufsicht des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen nach dem inzwischen aufgehobenen § 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 175 schon deshalb kaum zu Lasten der richterlichen Unabhängigkeit auswirken, weil das Finanzministerium nur selten unmittelbar am Berufungsverfahren beteiligt war. Es ist auch nicht bekanntgeworden, daß das Finanzministerium etwa auf die ihm unterstellten OFD oder FÄ Einfluß genommen hätte, um bei ihrem Auftreten vor dem FG einen unzulässigen Druck auf die Richter auszuüben. Dazu kommt, daß in Nordrhein-Westfalen die Finanzrichter nicht vom Finanzminister, sondern von der Landesregierung ernannt und befördert wurden (§ 1 der Verordnung der Landesregierung vom 7. September 1954, Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - Nordrhein-Westfalen 1954 S. 307 in der Fassung vom 10. Juni 1959, GVBl Nordrhein-Westfalen 1959 S. 111). Daß das Finanzministerium im Streitfall etwa auf die Richter des FG eingewirkt hätte oder die Richter wegen der Dienstaufsicht des Finanzministers in ihrer Entscheidung nicht frei gewesen seien, behauptet der Steuerpflichtige selbst nicht.
Die Dienstaufsicht des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen widersprach auch nicht, wie der Steuerpflichtige meint, dem Grundsatz der Trennung der Gewalten. Wie erwähnt, sieht das BVerfG den Sinn der Gewaltenteilung nicht darin, die Aufgaben der Staatsgewalt in jeder Hinsicht scharf zu trennen. Dieser Verfassungsgrundsatz wird vielmehr erst dann verletzt, wenn eine Gewalt "in den Kernbereich" der anderen Gewalt einzudringen vermag (BVerfG-Urteil 2 BvF 2/58, a. a. O., 280). Die Dienstaufsicht der Verwaltung über die Richter beeinträchtigt diesen Grundsatz nicht; denn er läßt, wie dargelegt, den Kernbereich der Rechtsprechung und die richterliche Unabhängigkeit unberührt.
Die angefochtene Entscheidung des FG ist vor dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 ergangen. Insoweit bestehen, wie dargelegt, wegen der Dienstaufsicht des Finanzministers keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Unabhängigkeit der Finanzgerichte in Nordrhein-Westfalen. Ob diese Frage für die Zeit nach dem Inkrafttreten der FGO etwa anders zu beurteilen wäre, braucht der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.
4. Zu den sachlichen Einwendungen des Steuerpflichtigen
Nach der Rechtsprechung des BFH werden Vereinbarungen unter Ehegatten steuerrechtlich nur anerkannt, wenn sie klar, eindeutig und leicht nachprüfbar sind und dem entsprechen, was unter sonst gleichen Umständen auch zwischen fremden Personen hätte vereinbart werden können. Diese Beurteilung hat das BVerfG anerkannt (Beschluß 1 BvL 23/57, 1 BvL 34/57 vom 14. April 1959, BStBl I 1959, 204 Abschn. C II 1; Urteil 1 BvR 232/60 vom 24. Januar 1962, BStBl I 1962, 506 Abschn. III 2).
Das FG hat einwandfrei festgestellt, daß der Steuerpflichtige keine eindeutigen und leicht nachprüfbaren Vereinbarungen mit seiner Frau über die Gewährung von Darlehen sowie über deren Verzinsung, Kündigung und Rückzahlung getroffen hat. Daran ist der Senat gebunden. Gegen die Annahme von Darlehen spricht auch, daß der Steuerpflichtige die Aufwendungen für die Grundstücke, jedenfalls bis zum 31. Dezember 1961, zunächst als Privatentnahme gebucht hatte. Dem steht nicht entgegen, daß der Steuerpflichtige in einem Schreiben vom 11. November 1953 und - wie er behauptet - auch bei späteren Besprechungen mit dem FA vergeblich die Anerkennung der Darlehen als Betriebsforderungen begehrt hatte. Diese Verhandlungen hätten den Steuerpflichtigen erst recht veranlassen müssen, eindeutige Verträge mit seiner Frau zu schließen. Die Ansicht des FA hätte ihn nicht daran zu hindern brauchen, die Aufwendungen in seiner Buchführung nicht als Privatentnahmen, sondern als Darlehen auszuweisen und schon in früheren Jahren wegen der dann geringeren Entnahmen die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns (§ 10a EStG) zu verlangen. Das FG konnte unter diesen Umständen ohne Rechtsverstoß von einer Beweiserhebung über die früheren Verhandlungen des Steuerpflichtigen mit dem FA absehen.
Der Senat tritt dem FG auch darin bei, daß die Bilanz zum 31. Dezember 1961 selbst dann nicht hätte berichtigt werden können, wenn der Steuerpflichtige seiner Frau Darlehen gegeben hätte. Die Bilanz wäre nur fehlerhaft gewesen, wenn die Darlehen Teile des notwendigen Betriebsvermögens gewesen wären, ihrer Natur nach also zwangsläufig zum Betrieb gehört hätten. Der Gewerbebetrieb des Steuerpflichtigen war aber mit den Grundstücken der Frau nicht so eng verbunden, daß die Anschaffung und Bebauung der Grundstücke und der Schuldendienst der Hypotheken notwendig zum Betrieb des Steuerpflichtigen gehörten. Ein solcher Zusammenhang ist auch nicht dadurch gegeben, daß die Mittel aus dem Betrieb stammten und das eine Gebäude zu einem geringen Teil dem Steuerpflichtigen als Büro diente (Urteil des Senats VI 390/65 vom 30. Juni 1966, BFH 86, 556, BStBl III 1966, 583). Wie im BFH-Urteil IV 109/63 vom 5. März 1964 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 651) ausgeführt, kann die Unverzinslichkeit, Unkündbarkeit und die fehlende grundbuchmäßige Sicherung der behaupteten Darlehen dafür sprechen, daß nicht betriebliche, sondern verwandtschaftliche Gründe bei der Hergabe des Geldes eine Rolle spielten. Hier liegt die Annahme nahe, daß der Steuerpflichtige die Mittel zur Anschaffung und Bebauung des Grundstücks aufgewandt hat, um seine Frau vermögensmäßig zu sichern.
Unerheblich ist demgegenüber, ob das FA bei der Einheitsbewertung des gewerblichen Betriebs zum 1. Januar 1963 und bei den Einkommensteuerveranlagungen 1962 und 1963 die Darlehen anerkannt hat; denn das FA muß die Rechtslage bei jeder Veranlagung und Einheitsbewertung neu prüfen. Es hat bei der streitigen Einkommensteuerveranlagung 1961 auch nicht etwa gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, da die oben genannten Bescheide erst nachher ergangen sind.
Fundstellen
Haufe-Index 67923 |
BStBl II 1968, 289 |
BFHE 1968, 67 |