Leitsatz (amtlich)
Ist jemand zu mindestens 95 v. H. an einer Gesellschaft beteiligt, erwirbt die Gesellschaft sodann ein Grundstück in Berlin, so tritt hinsichtlich dieses Grundstücks keine Grunderwerbsteuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG 1969 (Berlin) ein, wenn der Anteilsinhaber einen weiteren Anteil erwirbt.
Normenkette
GrEStG 1969 (Berlin) § 1 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin hatte 1963 Aktien der X-AG im Nennwert von ... DM erworben und im Anschluß daran von der Y-AG weitere Aktien der X-AG übertragen erhalten. Damit verfügte die Klägerin über 99,8 v. H. des Aktienkapitals. Dies hatte das FA Z zum Anlaß genommen, um Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin wegen Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG 1940 festzusetzen.
In der Folgezeit erwarb die Klägerin die restlichen Anteile an der inzwischen in eine GmbH umgewandelten Gesellschaft. Den letzten Anteil im Nennwert von 1 000 DM erwarb die Klägerin nach Inkrafttreten des Berliner Grunderwerbsteuergesetzes vom 18. Juli 1969 (GVBl 1969, 1034) - GrEStG 1969 - durch Kaufvertrag vom Juni 1970. Durch Vertrag vom Mai 1970 hatte die Gesellschaft ein in Berlin belegenes Grundstück gekauft.
Das beklagte FA nahm an, daß durch den Kaufvertrag über den letzten Anteil an der Gesellschaft im Nennwert von 1 000 DM der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1969 verwirklicht worden sei und setzte wegen des dadurch ausgelösten Erwerbsvorganges in bezug auf das in Berlin belegene Grundstück Grunderwerbsteuer nach dessen Einheitswert fest.
Einspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheides einschließlich der Einspruchsentscheidung.
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1969 sind entgegen der Auffassung des FG und des FA hinsichtlich des 1970 erworbenen Grundstückes nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift unterliegt ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines oder mehrerer Anteile einer Gesellschaft begründet, hinsichtlich eines in Berlin belegenen Grundstückes u. a. dann der Grunderwerbsteuer, wenn durch die Übertragung mindestens 95 v. H. aller Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers vereinigt werden. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall bereits 1963 eingetreten, als das Grunderwerbsteuergesetz 1969 noch nicht in Kraft getreten war, das Grunderwerbsteuergesetz 1940 vielmehr noch die Vereinigung aller Anteile forderte. Nach dem Inkrafttreten des Grunderwerbsteuergesetzes 1969 konnte deshalb § 1 Abs. 3 Nr. 1 dieses Gesetzes nicht mehr erfüllt werden.
Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Vorschrift des § 1 Abs. 3 GrEStG 1969 zu entnehmen wäre, daß jeder weitere Erwerb eines Anteils über die Vereinigung von 95 v. H. der Anteile hinaus einen weiteren Grunderwerbsteuerfall hinsichtlich der Grundstücke erzeugt, die in der Zwischenzeit, d. h. seit dem Erwerb von 95 v. H. aller Anteile, von der Gesellschaft erworben worden sind. Eine derartige Auffassung läßt sich jedoch dem Wortlaut und dem Wortsinn des § 1 Abs. 3 GrEStG 1969 nicht entnehmen. Auch nach bisherigem Recht führte der Erwerb eines Grundstückes durch die Gesellschaft nach Eintritt der Anteilsvereinigung nicht mehr zu einem fingierten Grundstückserwerb durch den Inhaber der Anteile. Begnügt sich der Gesetzgeber mit der Vereinigung von 95 v. H. der Anteile für die Annahme einer Anteilsvereinigung, so kann nichts anderes gelten, wenn nach Eintritt einer solchen Anteilsvereinigung ein weiteres Grundstück durch die Gesellschaft erworben und sodann durch den Anteilsinhaber ein weiterer Anteil gekauft wird.
Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zu dem Urteil des Senats vom 12. Juli 1972 II 81/65 (BFHE 107, 53, 55, BStBl II 1972, 913). Dort hatte der Senat für den Fall eines Grundstückserwerbs in der Zeit zwischen dem Verpflichtungsgeschäft nach Nr. 1 und dem Erfüllungsgeschäft nach Nr. 2 des § 1 Abs. 3 GrEStG 1940 angenommen, daß hinsichtlich dieses Grundstückes kein schuldrechtliches Geschäft im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1940 vorausgegangen, und deshalb § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG 1940 anwendbar war. Diese Grundsätze können jedoch nicht auf den Fall übertragen werden, daß zunächst mindestens 95 v. H. der Anteile schuldrechtlich und dinglich vereinigt werden, sodann von der Gesellschaft ein Grundstück erworben wird und daraufhin von dem Anteilsinhaber ein weiterer Anteil hinzu erworben wird. In diesem Fall ist bereits die Anteilsvereinigung auch dinglich vollzogen und damit abgeschlossen.
Eine Steuerpflicht kann auch nicht aus den Übergangsvorschriften des § 34 GrEStG 1969 hergeleitet werden. Dort ist der vorliegende Fall, daß eine Anteilsvereinigung nach den Vorschriften des neuen Rechts bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten wäre, wenn das neue Recht damals bereits gegolten hätte, nicht geregelt worden. Ob und inwieweit hier eine Gesetzeslücke vorliegt, bedarf hier für die Fälle, in denen die Gesellschaft die Grundstücke bereits vor dem Inkrafttreten des Grunderwerbsteuergesetzes 1969 erworben hat, keiner Entscheidung. Für den Fall des Grundstückserwerbs nach dem Inkrafttreten des Grunderwerbsteuergesetzes 1969 jedenfalls ist eine Lücke nicht erkennbar. Hinsichtlich des im hier zu entscheidenden Fall in Betracht kommenden Grundstückes wäre eine Steuerpflicht auch dann nicht eingetreten, wenn die Anteilsvereinigung auf mindestens 95 v. H. der Anteile erst nach dem Inkrafttreten des Grunderwerbsteuergesetzes 1969, aber vor dem Erwerb des Grundstückes durch die AG eingetreten wäre. Nichts anderes kann unter diesen Umständen für den Fall gelten, daß die Anteilsvereinigung bereits vor dem Inkrafttreten des Grunderwerbsteuergesetzes 1969 erfolgt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 72345 |
BStBl II 1977, 565 |
BFHE 1978, 162 |