Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung bei nicht ausreichender Liquidität; Ablauf der Festsetzungsfrist nach Aufhebung eines Haftungsbescheids
Leitsatz (NV)
1. Zur Haftung eines Vorstandsmitglieds bei Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft und Auswahl in der Erfüllung der Überweisungsaufträge durch die kreditgebende Bank.
2. Hat das FG einen Haftungsbescheid wegen fehlender Ermessensausübung aufgehoben, so läuft die Festsetzungsfrist für den Haftungsanspruch nicht ab, bevor der neue Haftungsbescheid, mit dem das FA nach Ergehen der gerichtlichen Entscheidung seine Ermessensausübung nachgeholt hat, unanfechtbar geworden ist.
3. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 im Falle 1. gilt aber nur in dem Umfang der nachgeholten Ermessensentscheidung. Soweit im übrigen Verjährung eingetreten ist, kann das FA nicht später durch einen weiteren Haftungsbescheid den Haftungsumfang über die zunächst getroffene Entscheidung hinaus erweitern.
Normenkette
AO 1977 § 171 Abs. 3, § 191 Abs. 3; FGO § 100 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und X waren gemeinsam vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder einer AG, deren Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens 1983 mangels einer die Kosten des Konkursverfahrens deckenden Masse abgelehnt worden ist. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm zunächst nur den Kläger wegen Lohnsteuerrückständen der AG für die Monate September bis November 1982 mit Haftungsbescheid vom ... 1985 als Haftungsschuldner in Anspruch. Die den Steuerrückständen zugrunde liegenden Lohnsteueranmeldungen sind von beiden Vorstandsmitgliedern unterschrieben. Die AG befand sich bereits während des Haftungszeitraums in Zahlungsschwierigkeiten. Ab Oktober 1982 löste die Hausbank keine Schecks der AG mehr ein; das Postgiroamt führte ab November 1982 keine Überweisungsaufträge mehr aus.
Auf die Klage des Klägers hob das Finanzgericht (FG) die Einspruchsentscheidung und den Haftungsbescheid mit der Begründung auf, daß das FA das Auswahlermessen bezüglich der beiden Vorstandsmitglieder nicht ausgeübt habe. Die Nichtzulassungsbeschwerde des FA gegen das Urteil des FG wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) als unbegründet zurückgewiesen.
Daraufhin erließ das FA 1988 gegen den Kläger und gegen X je einen Haftungsbescheid, durch den es jeden in Höhe von 50% der Haftungssumme in Anspruch nahm. Auf den Einspruch des X wurde der Haftungsbescheid gegen ihn zurückgenommen, weil Verjährung eingetreten sei. Das FA erließ daraufhin gegen den Kläger 1989 einen zweiten Haftungsbescheid, in dem nunmehr von diesem weitere 50% der Haftungssumme gefordert wurden.
Die nach erfolglosen Einsprüchen erhobene neue Klage des Klägers führte zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung und der Haftungsbescheide 1988 und 1989.
Das FG führte aus, der Kläger habe als gesetzlicher Vertreter (Vorstand) der AG den Haftungstatbestand des § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) zumindest grob fahrlässig erfüllt. Er habe sich um die Abführung der für die Monate September bis November 1982 einbehaltenen und angemeldeten Lohnsteuern nicht ausreichend gekümmert, obwohl er dazu besondere Veranlassung gehabt habe. Da sich die AG seit längerem in Zahlungsschwierigkeiten befunden habe und die Löhne und Gehälter im Rahmen eines Kreditlimits der Bank gezahlt worden seien, habe der Kläger allen Grund gehabt, auf die tatsächliche Abführung der Lohnsteuerbeträge durch die Bank zu achten. Auf die Nichtausführung der Überweisungsaufträge hinsichtlich der Lohnsteuer durch die Bank könne er sich nicht berufen (BFH-Beschluß vom 12. Juli 1983 VII B 19/83, BFHE 138, 424, BStBl II 1983, 655). Die vom Kläger behauptete Aufteilung der Geschäfte zwischen ihm und dem anderen Vorstandsmitglied X sei nicht anhand des Gesellschaftsvertrages oder eines Beschlusses der Gesellschaft dargelegt worden. Selbst eine wirksame Aufteilung der Geschäfte hätte den Kläger nicht von seiner Verpflichtung zur Überwachung der Steuerzahlungen befreien können, weil im Haftungszeitraum die laufende Erfüllung aller Verbindlichkeiten der AG nicht mehr gewährleistet gewesen sei, was der Kläger gewußt habe (Hinweis auf BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776). Auch die sonstigen Einwendungen des Klägers gegen seine Inanspruchnahme - fehlerhafte Verbuchung von Abschlußzahlungen, mangelnde Realisierung abgetretener Forderungen durch das FA, fehlerhafte Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, fehlende Aufteilung der Lohnsteuern, Stundung - griffen nicht durch.
Die Ansprüche des FA seien jedoch verjährt. Die vierjährige Festsetzungsfrist für die Lohnsteueransprüche (§ 169 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977), die mit Ablauf des Jahres 1982, in dem die streitbefangenen Lohnsteueranmeldungen September bis November 1982 eingereicht worden seien, zu laufen begonnen habe (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977), sei am 31. Dezember 1986 abgelaufen. Die angefochtenen Haftungsbescheide 1988 und 1989 seien somit erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung erlassen worden. Der Einspruch des Klägers gegen den ursprünglichen Haftungsbescheid 1985, der Gegenstand des vorausgegangenen Urteils gewesen sei, habe keine wirksame Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 bewirkt. Über diesen Einspruch (Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung) sei mit Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BFH bestandskräftig entschieden worden. Die Ablaufhemmung der Festsetzungsverjährung nach § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 sei somit vor dem Erlaß der neuen Haftungsbescheide 1988 und 1989 erfolgt, so daß die Verjährung der Ansprüche eingetreten sei.
Die Vorschrift des § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977, wonach in den Fällen des § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, § 101 der Finanzgerichtsordnung (FGO) über den Antrag erst dann unanfechtbar entschieden sei, wenn ein auf Grund der genannten Vorschriften erlassener Steuerbescheid unanfechtbar sei, sei im Streitfall nicht anwendbar. Die Haftungsbescheide 1988 und 1989 seien nicht auf Grund der genannten Vorschriften erlassen worden. Nach § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO könne das Gericht den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es wesentliche Verfahrensmängel feststelle und eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernde Aufklärung für nötig halte. Das FG habe aber in dem ersten Urteil keinen wesentlichen Verfahrensmangel festgestellt und auch nicht eine weitere Aufklärung im Sinne der Vorschrift für notwendig gehalten. Es fehle auch an einem Ausspruch der Verpflichtung der Finanzbehörde durch das FG nach § 101 FGO, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen oder den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die zehnjährige Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) greife nicht ein, weil eine vorsätzliche Steuerverkürzung nicht vorliege. Die fünfjährige Festsetzungsfrist bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) sei bereits mit Ablauf des 31. Dezember 1987 und damit vor Erlaß der Haftungsbescheide abgelaufen. Schließlich sei auch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 vor dem Erlaß der Haftungsbescheide 1988 und 1989 eingetreten, weil die strafrechtliche Verfolgungsverjährung gegen den Kläger und gegen X (Einstellung der Verfahren gegen Auflagen nach § 153a Abs. 1 der Strafprozeßordnung) mit dem die Erfüllung der Auflagen feststellenden Beschluß des Landgerichts geendet habe.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977. Es ist der Auffassung, entgegen der Vorentscheidung sei bei Bekanntgabe der angefochtenen Haftungsbescheide die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten gewesen. Der Ablauf der Festsetzungsverjährung sei nach § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO gehemmt, weil über den Antrag des Klägers auf Aufhebung des (ursprünglichen) Haftungsbescheids noch nicht unanfechtbar entschieden sei. Das FG habe verkannt, daß der Wortlaut des § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 drei Fälle der hinausgezögerten Unanfechtbarkeit unterscheide: § 100 Abs. 1 Satz 1, § 100 Abs. 2 Satz 2 und § 101 FGO. Das FG reduziere zu Unrecht die Anwendbarkeit der Vorschrift auf zwei Fälle, indem es § 100 Abs. 1 Satz 1 und § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO zu einem Fall zusammenschweiße. Der Normzweck des § 171 Abs. 3 AO 1977 spreche aber gegen eine Einengung des vom Gesetzeswortlaut abgesteckten Regelungsbereichs. Nach Satz 1 dieser Vorschrift solle es dem FA ermöglicht werden, einen dort aufgeführten, vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellten Antrag ohne Rücksicht auf den Ablauf dieser Frist zu bearbeiten und in der Sache zu entscheiden. Daraus folge für die Auslegung des § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977, daß die Verwaltungsentscheidung in der Sache auch dann gewährleistet werden solle, wenn sich die Verwaltungsverfahrensdauer durch ein zwischengeschaltetes Gerichtsverfahren über das Ende der regulären Festsetzungsfrist hinaus verlängere. Eine in das Verwaltungsverfahren eingebettete Gerichtsentscheidung habe immer dann den Charakter einer Zwischenstation, wenn nach Ergehen der Gerichtsentscheidung noch ein objektiv feststellbarer Entscheidungs- und Regelungsbedarf des FA bestehe. Dies sei u.a. immer dann der Fall, wenn eine Ermessensentscheidung des FA wegen Ermessensfehlers vom Gericht gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufgehoben werde. Im Streitfall sei der ursprüngliche Haftungsbescheid durch Urteil des FG aufgehoben worden, weil das Auswahlermessen nicht ausgeübt worden sei. Das sei ein typischer Anwendungsfall des § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO; § 100 Abs. 2 FGO stehe dem nicht entgegen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FG habe zu Recht die Verjährung der Steueransprüche angenommen. Ein Fall des § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 liege nicht vor, weil die streitigen Haftungsbescheide nicht auf Grund der dort genannten Vorschriften erlassen worden seien. Eine Anwendung des § 100 Abs. 1 FGO komme nicht in Betracht. Bei den angegriffenen Bescheiden handele es sich um Verwaltungsakte, die auf eine Geldleistung gerichtet gewesen seien. Insoweit sei § 100 Abs. 2 FGO als Spezialbestimmung anzusehen. Das gehe auch aus § 100 Abs. 2 letzter Halbsatz FGO hervor, wonach § 100 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO, nicht aber § 100 Abs. 1 1. Halbsatz FGO sinngemäß anzuwenden sei. Das FA habe nach der Verkündung des ersten FG-Urteils ausreichend Gelegenheit gehabt, den fehlerhaften Haftungsbescheid zu ersetzen. Die Aufhebung jeder Festsetzungsverjährung bei allen Fällen die vor Gericht gebracht worden seien, sei systemwidrig. Das zeige besonders der Haftungsbescheid 1989, der erst gegen ihn (den Kläger) erlassen worden sei, nachdem sich herausgestellt habe, daß die Ansprüche gegen X verjährt waren. Das hätte das FA aber schon vorher feststellen können. Die Ablaufhemmung der Festsetzungsverjährung dürfe nicht dahin ausgelegt werden, daß das FA ohne jede Bindung an eine Frist eigene Fehler zu Lasten desjenigen ausbügeln könne, der das Gericht zunächst mit Erfolg angerufen habe.
Im übrigen sei auch - entgegen der Vorentscheidung - der Haftungsanspruch des FA nicht begründet. Dem Kläger könne nicht als grob fahrlässige Pflichtverletzung vorgeworfen werden, daß er sich um die Abführung der Steuern nicht gekümmert habe. Für ihn sei unabhängig von der Kenntnis von dem Kreditlimit und den Zahlungsschwierigkeiten nicht offenkundig gewesen, daß die Bank entgegen der Anweisung der AG lediglich die Gehälter, nicht aber die Lohnsteuern überweisen würde. Das FG berufe sich insoweit zu Unrecht auf den Beschluß des Senats in BFHE 138, 424, BStBl II 1983, 655, denn in dem dort entschiedenen Fall habe die Bank ausdrücklich erklärt, daß sie die Lohnsteuern nicht abführen werde.
Außerdem sei - wie er unter Beweis gestellt habe und vom FG gemäß § 76 FGO hätte aufgeklärt werden müssen - zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, daß im Vorstand der AG eine Aufgabenverteilung bestanden habe, wonach X für den Lohnbereich und die Abführung der Lohnsteuern zuständig gewesen sei. Auch eine nicht schriftlich festgehaltene Aufgabenverteilung sei bei der Frage des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit zu beachten. Anhaltspunkte dafür, daß X nicht ordnungsgemäß arbeiten würde, habe es nicht gegeben.
Das FG habe die Frage der Stundung der Steuern sowie die Tatsache, daß ihn nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft und des LG kein Verschulden treffe, übergangen. Nach der Rechtsprechung des BFH sei aber der Inhalt strafrechtlicher Ermittlungsakten zu berücksichtigen. Das habe das FG auch getan; die angeblich vorliegende grobe Fahrlässigkeit habe es aber ohne bessere Kenntnis unterstellt.
Entgegen der Vorentscheidung treffe das FA ein Mitverschulden, weil es die von der AG abgetretenen Forderungen weder beigetrieben noch zurückabgetreten habe. Unerheblich sei, ob dem FA zuzumuten gewesen sei, insoweit Prozesse zu führen; denn die abgetretenen Forderungen seien noch nicht einmal außergerichtlich geltend gemacht worden. Ein Mitverschulden bestehe auch insoweit, als das FA den Anspruch gegen X zu seinen (des Klägers) Lasten habe verjähren lassen. Jedenfalls sei das Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt worden, wenn der Kläger nunmehr wegen der Teilforderung, die gegen X verjährt sei, in Anspruch genommen werde. Schließlich sei auch die Höhe der durch die Haftungsbescheide festgesetzten Steuern fehlerhaft geschätzt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist teilweise begründet.
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger als gesetzlicher Vertreter der AG (Mitglied des Vorstands) hinsichtlich der streitigen Steuerabzugsbeträge den Haftungstatbestand des § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977 erfüllt hat, weil er sich nicht ausreichend um die Abführung der Lohnsteuern an das FA gekümmert hat, die in den Monaten September bis November 1982 von den Löhnen der Arbeitnehmer der AG einbehalten und dem FA angemeldet worden sind (§ 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Der Senat nimmt wegen der Begründung des Haftungstatbestandes im einzelnen und der Höhe der durch die angefochtenen Haftungsbescheide festgesetzten Haftungssumme auf die Vorentscheidung Bezug. Das Urteil des FG beruht insoweit auf zutreffenden rechtlichen Erwägungen. Das gilt auch hinsichtlich des für die Haftung vorgeschriebenen Verschuldensmaßstabs der groben Fahrlässigkeit. Die Annahme des FG, daß im Streitfall eine (zumindest) grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers vorliege, beruht auf der Sachverhaltsfeststellung und der tatsächlichen Würdigung des Gerichts, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen des Klägers nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist.
Die mit der Revisionserwiderung vorgebrachten Einwendungen des Klägers gegen die Erfüllung des Haftungstatbestands greifen nicht durch. Die Feststellungen des FG reichen auch insoweit für eine abschließende Entscheidung durch den Senat aus, so daß kein Anlaß besteht, die Sache - entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers - an das FG zurückzuverweisen.
a) Das FG hat die grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers zu Recht darin gesehen, daß er sich nicht um die Ausführung der Überweisungsaufträge hinsichtlich der Lohnsteuer durch die angewiesene Bank gekümmert hat, obwohl ihm die Liquiditätsschwierigkeiten der AG und die Zahlungsbereitschaft der Bank nur im Rahmen eines Kreditlimits bekannt waren.
Wenn der Kläger sich darauf beruft, die Nichtüberweisung der Lohnsteuer durch die Bank sei nicht offenkundig gewesen, so kann ihn dies angesichts der Verpflichtung des gesetzlichen Vertreters zur Überwachung der Steuerzahlung nicht entlasten. Wie der Senat bereits entschieden hat, verletzt der verantwortliche Geschäftsführer seine öffentlich-rechtliche Pflicht, für die Abführung der einbehaltenen Steuern zu sorgen, auch dann, wenn er es stillschweigend hinnimmt, daß die Bank durch Auswahl der ihr erteilten Überweisungsaufträge den Fiskus schlechter stellt als die Arbeitnehmer. Ein Geschäftsführer, der auf anderem Wege keine Möglichkeit findet, seine rechtliche Stellung zu verwirklichen und seine Pflicht zu erfüllen, muß entweder von seinem Amt zurücktreten oder den Konkursantrag stellen (BFH-Beschlüsse vom 5. November 1991 VII B 116/91, BFH/NV 1992, 575, 576, und vom 19. November 1985 VII S 13/85, BFH/NV 1986, 266). Jedenfalls stellt es eine grob fahrlässige Pflichtverletzung dar, wenn der Kläger es hinnahm bzw. es nicht bemerkte, daß über mehrere Monate hinweg (September bis November 1982) zwar die Nettolöhne an die Arbeitnehmer überwiesen, die Steuerabzugsbeträge aber nicht an das FA abgeführt wurden. Der Kläger hat noch nicht einmal vorgetragen, daß er sich bei der kreditgebenden Bank unter Hinweis auf die bestehenden steuerlichen Verpflichtungen darum gekümmert hat - ggf. unter Kürzung der Nettolöhne -, eine Überweisung der einbehaltenen Abzugsteuern zu erreichen.
b) Die angebliche Aufgabenverteilung zwischen den Vorstandsmitgliedern kann den Kläger schon deshalb nicht entlasten, weil sich die AG - wie das FG festgestellt hat - bereits während des Haftungszeitraums in Zahlungsschwierigkeiten befand und dem Kläger dies bekannt war. Nach der Rechtsprechung des BFH wird die Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer (hier Vorstandsmitglieder) u.a. spätestens dann wirksam, wenn die laufende Erfüllung aller Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet ist und infolgedessen Unregelmäßigkeiten in der Erfüllung der Steuerschulden zu besorgen sind (BFH-Urteil in BFHE 141, 443, 447, BStBl II 1984, 776). Es kommt deshalb im Streitfall nicht darauf an, ob die vom Kläger behauptete Aufgabenverteilung tatsächlich bestand, ob für deren Berücksichtigung Schriftform erforderlich ist und ob für den Kläger Anhaltspunkte dafür bestanden, daß X seinen Geschäftsführungspflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen werde.
c) Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat das FG die Frage der Stundung der streitigen Lohnsteuern nicht übergangen, sondern seine Entscheidung zu Recht darauf abgestellt, daß eine Stundungsverfügung nicht erlassen worden ist (vgl. Urteil des Senats vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521). Ein vom Kläger im Verhandlungswege mit dem FA erreichter Vollstreckungsaufschub schließt die grob fahrlässige Pflichtverletzung, die bereits zu den Fälligkeitszeitpunkten (§ 41a Abs. 1 EStG) verwirklicht worden ist, nicht aus.
d) Die Frage des Verschuldens des Haftungsschuldners ist vom FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dabei darf - soweit der Betroffene nicht widerspricht - der Inhalt strafrechtlicher Ermittlungsakten berücksichtigt werden, ohne daß das FG an die tatsächliche und rechtliche Würdigung der Staatsanwaltschaft oder des Strafgerichts gebunden ist, zumal sich die strafrechtliche Beurteilung regelmäßig auch nicht auf das Verschulden i.S. des § 69 AO 1977 bezieht. Da Verfahrensrügen im Hinblick auf die Feststellung des Verschuldens nicht erhoben worden sind, ist insoweit die tatsächliche Würdigung des FG für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
e) Ein Mitverschulden des FA, das nach der Rechtsprechung des Senats allenfalls im Rahmen der Ermessensentscheidung, die bei der Geltendmachung der Haftung zu treffen ist (§ 191 Abs. 1 AO 1977), eine Rolle spielen könnte (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Januar 1986 VII S 30/85, BFH/NV 1986, 518, 520), liegt nach den Feststellungen des FG nicht vor. Denn die von der AG an das FA abgetretenen Forderungen, deren Nichtrealisierung der Kläger dem FA zum Vorwurf macht, haben nach der Vorentscheidung entweder nicht bestanden oder sie waren in ihrem Bestande zumindest umstritten. Auch an diese tatsächliche Festsellung ist der Senat mangels Verfahrensrügen gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Ebensowenig wie unterlassene Vollstreckungsmaßnahmen ein mitwirkendes Verschulden des FA darstellen (Senat in BFH/NV 1986, 518, 520, m.w.N.), kann von diesem erwartet werden, daß es versucht, ihm abgetretene zweifelhafte Forderungen gegen Dritte zu realisieren, bevor es einen Haftungsschuldner in Anspruch nimmt. Hier ist auch zu berücksichtigen, daß die abgetretenen Forderungen nur im Zivilsrechtswege und nicht - wie die Haftungsforderung - im Verwaltungsvollstreckungsverfahren verfolgt werden können.
f) Soweit das FG in seinem Urteil die Steuerschätzung des FA gebilligt und übernommen hat (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO 1977), ist auch diese tatsächliche Würdigung für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Einwendungen des Klägers gegen die Höhe der Haftungssumme können auch deshalb nicht berücksichtigt werden, weil diese auf den Lohnsteueranmeldungen der AG beruht, die vom Kläger als Vorstandsmitglied mitunterschrieben worden sind. Der Kläger muß die unanfechtbar gewordenen Lohnsteueranmeldungen (§ 168 AO 1977) gegen sich gelten lassen, weil er als Vertreter der AG in der Lage gewesen wäre, sie anzufechten (§ 166 AO 1977).
2. Entgegen der Vorentscheidung war die Festsetzungsfrist für den Haftungsanspruch im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids 1988 noch nicht abgelaufen. Der Haftungsbescheid 1989 ist jedoch erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung erlassen und deshalb zu Recht vom FG aufgehoben worden.
Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlaß von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden (§ 191 Abs. 3 Satz 1 AO 1977). Die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren, die mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Haftungstatbestand verwirklicht worden ist (§ 191 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AO 1977), wäre im Streitfall (Lohnsteuer September bis November 1982) mit Ablauf des Kalenderjahres 1986 abgelaufen. Wegen der Anfechtung des ursprünglichen Haftungsbescheids 1985 durch den Kläger ist jedoch gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 171 Abs. 3 AO 1977 eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist eingetreten. Von dieser Ablaufhemmung wird allerdings nur der Haftungsbescheid 1988, nicht aber auch der nachfolgende Haftungsbescheid 1989 erfaßt.
a) Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt, so läuft nach § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. In den Fällen des § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, § 101 FGO (ab 1. Januar 1993 auch im Falle des § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO lt. FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl I, 2109, Art. 4 Nr. 1, Art. 9) ist über den Antrag erst dann unanfechtbar entschieden, wenn ein auf Grund der genannten Vorschriften erlassener Steuerbescheid (bzw. Haftungsbescheid, § 191 Abs. 3 Satz 1 AO 1977) unanfechtbar geworden ist (§ 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977). Im Streitfall ist der Tatbestand der Ablaufhemmung nach den §§ 191 Abs. 3 Satz 1, 171 Abs. 3 Sätze 1 und 3 AO 1977, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO erfüllt.
Der Kläger hat den vor Ablauf der Festsetzungsfrist gegen ihn erlassenen ursprünglichen Haftungsbescheid 1985 mit dem Antrag auf Aufhebung dieses Bescheids angefochten (§ 171 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO 1977). Über den Aufhebungsantrag ist letztinstanzlich durch Beschluß des Senats vom 19. Juli 1988 entschieden worden, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde des FA gegen das erste FG-Urteil als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Das FG hatte den ursprünglichen Haftungsbescheid wegen Nichtausübung des Auswahlermessens aufgehoben (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Nachdem seine Nichtzulassungsbeschwerde ohne Erfolg geblieben war, hat das FA sein Ermessen dahin ausgeübt, den Kläger und das andere Vorstandsmitglied X je zur Hälfte der Haftungssumme als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen (§ 191 Abs. 1 AO 1977), und demgemäß den Haftungsbescheid 1988 über die Hälfte des rückständigen Steuerbetrags gegen den Kläger erlassen. Die Festsetzungsfrist läuft deshalb insoweit auf Grund der genannten Vorschriften nicht ab, bevor über den Haftungsbescheid 1988, mit dem das FA sein Auswahlermessen im Anschluß an das kassatorische erste Urteil des FG ausgeübt hat, unanfechtbar entschieden worden ist.
Das FG hat einen Fall der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 mit der Begründung verneint, daß die Haftungsbescheide 1988 und 1989 nicht auf Grund der dort genannten Vorschriften erlassen worden seien. Dabei hat es zu Unrecht den hier vorliegenden Fall des § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO (echte Kassation) mit dem nicht gegebenen Fall des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO (wesentlicher Verfahrensmangel) vermengt. Das FA weist mit Recht darauf hin, daß der Wortlaut des § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 (i.d.F. bis zum 31. Dezember 1992) drei selbständige Fälle der verlängerten Ablaufhemmung bei Ergehen neuer Steuer- bzw. Haftungsbescheide enthält, nämlich Bescheide, die auf Grund einer vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidung nach § 100 Abs. 1 Satz 1, § 100 Abs. 2 Satz 2 oder § 101 FGO erlassen werden (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, 16. Aufl., § 171 Anm. 3c). Im Streitfall hat das vorausgegangene gerichtliche Verfahren zu einer echten Kassation des ursprünglichen Haftungsbescheids 1985 und der zugehörigen Einspruchsentscheidung wegen Ermessensfehlers nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO geführt. Das Verwaltungsverfahren über die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner war damit nicht abgeschlossen. Dem FA verblieb vielmehr die Möglichkeit, einen neuen Haftungsbescheid zu erlassen, wobei es nach § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO an die rechtliche Beurteilung des FG gebunden war. Auch in diesem Falle bleibt nach § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 die mit der Anfechtung des ursprünglichen Bescheids gegebene Ablaufhemmung bestehen, bis der neue Bescheid erlassen und (ggf. nach Durchführung eines weiteren Gerichtsverfahrens) unanfechtbar geworden ist (ebenso: Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 171 Anm. 13, 14).
Die vorstehende Auslegung folgt auch aus der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der Regelungen über die Ablaufhemmung in § 171 Abs. 3 AO 1977. Nach den Sätzen 1 und 2 der Vorschrift sollen Anträge auf Steuerfestsetzung, Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung sowie Rechtsbehelfe gegen eine Steuerfestsetzung nicht durch Ablauf der regulären Festsetzungsfrist gegenstandslos werden, sondern unabhängig von der Dauer der Bearbeitungszeit einer Sachentscheidung durch die Verwaltung zugänglich bleiben. § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 erstreckt für die Fälle eines zwischengeschalteten gerichtlichen Verfahrens, das nicht mit einer abschließenden Entscheidung des Gerichts in der Sache endet und damit einen behördlichen Regelungsbedarf bestehen läßt, die Festsetzungsfrist bis zum Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit der (neuen) Verwaltungsentscheidung, die im Anschluß und auf Grund der gerichtlichen Entscheidung ergeht. Wie die Revision zutreffend ausführt, stellt die Aufhebung eines angefochtenen Ermessensverwaltungsakts - hier des ursprünglichen Haftungsbescheids - wegen fehlender oder fehlerhafter Ermessensausübung durch das FA einen typischen Anwendungsfall der echten Aufhebung nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO dar (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 100 FGO Tz. 7). Die wegen des fortbestehenden Regelungsbearfs nunmehr nachgeholte Ermessensentscheidung der Behörde ergeht dann auf Grund des § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO, so daß sie der verlängerten Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 unterliegt.
Dem steht - entgegen der Auffassung des Klägers - bei einem Haftungsbescheid nicht entgegen, daß dieser einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt darstellt. Die für solche Verwaltungsakte geltende Spezialregelung des § 100 Abs. 2 FGO (Satz 1: Betragsfestsetzung durch das Gericht) findet hier keine Anwendung, weil es nicht um die anderweitige Festsetzung des Geldbetrags, sondern um die fehlerfreie Ermessensausübung geht, die dem Gericht entzogen ist und die - nach Aufhebung des ursprünglichen Haftungsbescheids - nur von der Verwaltungsbehörde getroffen werden kann (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 100 Rz. 23, m.w.N.). Das FG muß also den Haftungsbescheid, wenn es eine fehlende oder fehlerhafte Ermessensausübung feststellt, nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufheben, ohne hierfür an die zusätzlichen Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO (wesentlicher Verfahrensfehler, kosten- und zeitaufwendiger Aufklärungsbedarf) gebunden zu sein.
§ 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 bestimmt keine Frist, innerhalb deren die neue Verwaltungsentscheidung getroffen werden muß. Das FA war deshalb im Streitfall nicht gezwungen, unmittelbar nach Aufhebung des ursprünglichen Haftungsbescheids einen neuen Haftungsbescheid zu erlassen. Vielmehr war es befugt, gegen das zu seinen Ungunsten ergangene (erste) FG-Urteil zunächst Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen und erst nach deren Zurückweisung durch den BFH sein Ermessen hinsichtlich der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner neu auszuüben. Der im Anschluß an die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde ergangene Haftungsbescheid 1988 ist also innerhalb der nach § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 verlängerten Festsetzungsfrist erlassen worden. Er ist vom FG zu Unrecht aufgehoben worden.
b) Mit dem Haftungsbescheid 1988 hat das FA sein Auswahlermessen, dessen Nichtausübung im ursprünglichen Haftungsbescheid vom FG beanstandet worden war, dahin ausgeübt, den Kläger (neben dem anderen Vorstandsmitglied X) nur wegen der Hälfte des rückständigen Steuerbetrags in Anspruch zu nehmen. Die spätere erneute Betätigung des Auswahlermessens durch den Haftungsbescheid 1989, mit dem der Haftungsanspruch gegen den Kläger nunmehr auch auf die andere Hälfte der rückständigen Lohnsteuer erstreckt wurde, weil diese wegen Verjährung gegen X nicht mehr geltend gemacht werden konnte, wird von der verlängerten Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 nicht erfaßt. Denn dieser Haftungsbescheid ist nicht aufgrund des § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO erlassen worden. Das FA hat vielmehr dem nach Aufhebung des ursprünglichen Haftungsbescheids durch das FA (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO) verbleibenden Regelungsbedarf dadurch entsprochen, daß es den Kläger nur wegen der Hälfte der Haftungssumme in Anspruch nahm. Nur in Höhe dieses Betrages ist bis zum Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit des Haftungsbescheids 1988 der Ablauf der Festsetzungsfrist verlängert worden, da nur insoweit der in § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 vorausgesetzte unmittelbare Zusammenhang zwischen der (aufhebenden) gerichtlichen Entscheidung und der dadurch gebotenen Neuregelung durch die Verwaltung gegeben ist. § 171 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 gibt der Verwaltungsbehörde unabhängig vom Ablauf der regulären Festsetzungsfrist nur die Befugnis, auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung nach § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 (jetzt auch Abs. 3 Satz 1) oder § 101 FGO eine neue Entscheidung über den weiter regelungsbedürftigen Sachverhalt durch Steuer- bzw. Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 3 Satz 1 AO 1977) zu erlassen. Dabei ist eine abschließende Regelung zu treffen. Die Vorschrift läßt aber keinen Raum, den auf Grund einer dieser Vorschriften erlassenen Bescheid in der Folgezeit wegen Veränderung der Sachlage oder anderweitiger Ermessensausübung über den in ihm getroffenen Regelungsumfang hinaus zu erweitern oder einen weiteren Bescheid zu erlassen.
Die Richtigkeit dieser Auslegung folgt auch daraus, daß im Falle einer nur eingeschränkten Haftungsinanspruchnahme diese nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist trotz Anfechtung des ergangenen Haftungsbescheids nicht durch einen neuen Haftungsbescheid erweitert werden kann (§ 171 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO 1977). Wegen des Haftungsbetrages, mit dem das FA nach Ergehen des kassatorischen FG-Urteils zunächst den X in Anspruch genommen hat, ist somit der Haftungsanspruch gegen den Kläger ab dem Zeitpunkt seiner nur eingeschränkten Haftungsinanspruchnahme durch den Bescheid 1988 verjährt (§ 171 Abs. 3 Sätze 1 und 3 AO 1977). Der Haftungsbecsheid 1989 ist damit nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen und deshalb von der Vorentscheidung zu Recht als rechtswidrig aufgehoben worden.
Andere Verjährungstatbestände - Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977), Ablaufhemmung entsprechend der Strafverfolgungsverjährung (§ 171 Abs. 7 AO 1977) - finden keine Anwendung; insoweit wird auf das Urteil des FG Bezug genommen.
Fundstellen
Haufe-Index 419111 |
BFH/NV 1994, 71 |