Leitsatz (amtlich)
Die Gewährung des Freibetrages für Gewinne aus der Veräußerung von zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Boden nach § 14 a Abs. 4 EStG i. d. F. des EStG 1971 hing nicht davon ab, ob die mit dem Veräußerungserlös getilgten Schulden des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes schon eine gewisse Zeit bestanden oder in einem Zusammenhang mit der Veräußerung standen.
Normenkette
EStG 1971 § 14a Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Eigentümer eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes.
Er veräußerte durch notariellen Vertrag vom 29. Januar 1973 Teilflächen des zu diesem Betrieb gehörenden Grund und Bodens zu einem Preis von 26 650 DM. Nach dem Inhalt des Vertrages gingen der Besitz an den veräußerten Flächen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und das bürgerlich-rechtliche Eigentum am 24. Januar 1974 auf die Erwerber über.
Am 19. Juli 1973 veräußerte der Kläger eine weitere Teilfläche zu einem Preis von 18 960 DM. Nach dem Inhalt des Vertrages gingen der Besitz im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und das bürgerlich-rechtliche Eigentum am 27. November 1973 auf die Erwerber über.
Die Veräußerungserlöse verwendete der Kläger teilweise zur Tilgung von Schulden, die durch Umbauund Renovierungsarbeiten und durch Käufe von Betriebsmitteln entstanden waren.
Für die Wirtschaftsjahre 1972/73 und 1973/74 erfaßte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Veräußerungsgewinne in voller Höhe, ohne den Freibetrag nach § 14 a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 1971 (EStG 1971) anteilig zu gewähren. Entsprechend veranlagte das FA den Kläger für die Streitjahre 1972 und 1973. Es berief sich unter Hinweis auf den Erlaß des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen (BMWF) vom 29. Februar 1972 F/IV B 2 -- S 2 000 -- 5/72 (BStBl I 1972, 102) darauf, daß die Entstehung der getilgten Verbindlichkeiten in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Grundstücksveräußerungen gestanden habe und die Verbindlichkeiten auch nicht eine gewisse Zeit bestanden hätten. Der Kläger habe die Grundstücke veräußert, um die Renovierung des Betriebsgebäudes finanzieren zu können.
Mit seiner Klage beantragte der Kläger weiterhin die anteilige Gewährung des Freibetrages nach § 14 a Abs. 4 EStG 1971.
Die Klage hat z. T. Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1980, 179 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es führt im wesentlichen aus: Für den Beginn des Begünstigungszeitraums komme es auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an. Das FG habe nicht geprüft, ob die Veräußerungserlöse unmittelbar zur Schuldentilgung verwendet worden seien, sondern habe lediglich den Umfang der Schuldentilgung in den für begünstigt erachteten Zeiträumen festgestellt. Darüber hinaus habe das FG den Begriff der Schuldentilgung im Sinne der Vorschrift unzutreffend ausgelegt.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger den Freibetrag nach § 14 a Abs. 4 EStG 1971 anteilig in Anspruch nehmen kann. Nach dieser Vorschrift konnte ein Steuerpflichtiger, der nach dem 30. Juni 1970 und vor dem 1. Januar 1974 Teile des zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens veräußerte und den Veräußerungspreis innerhalb von sechs Monaten nach der Veräußerung zur Tilgung von Schulden des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes oder zur Abfindung weichender Erben verwendete, beantragen, daß der Veräußerungsgewinn nur insoweit zur Einkommensteuer herangezogen wurde, als dieser den Betrag von 60 000 DM überstieg.
1. Das FG geht davon aus, daß bei der Frage, ob Grundstücksveräußerungen vor oder nach dem 1. Januar 1974 stattgefunden haben, auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages abzustellen ist. Diesen Ausgangspunkt der Entscheidung hält der Senat für zutreffend.
2. Das FG hat festgestellt, daß der Kläger innerhalb von sechs Monaten nach den Veräußerungen Erlösanteile in Höhe von 18 089,98 DM zur Tilgung von Schulden seines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes verwendet hat. Die hierbei vom FG zugrunde gelegte Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 14 a Abs. 4 EStG 1971 sowie deren Anwendung auf den Streitfall lassen Rechtsfehler nicht erkennen.
a) Soweit das FG entschieden hat, der Begriff der "Veräußerung" im Sinne der genannten Vorschrift bezeichne die Veräußerung im bürgerlich-rechtlichen Sinne, also die Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch, befindet es sich im Ergebnis und auch in den wesentlichen Teilen der Begründung in Übereinstimmung mit dem Urteil des Senats vom 24. Juli 1980 IV R 65/77 (BFHE 131, 466, BStBl II 1981, 124). Auf diese Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen hingewiesen. Das Abstellen auf den bürgerlich-rechtlichen Eigentumsübergang bei Berechnung der Sechsmonatsfrist bedeutet nicht, daß vor diesem Eigentumsübergang bezahlte Kaufpreisraten nicht auch vorher steuerlich wirksam zur Schuldentilgung verwendet werden könnten. Soweit das FG entsprechende Schuldentilgungen vor dem bürgerlichrechtlichen Eigentumsübergang nicht berücksichtigt hat, ist jedoch der Senat mangels eines Revisionsantrages des Klägers zu einer Änderung des FG-Urteils bzw. zur Aufhebung nicht befugt (§ 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
b) Auch soweit das FG an den Begriff der "Schulden" i. S. des § 14 a Abs. 4 EStG 1971 keine weiteren Anforderungen gestellt hat, als daß sie "Schulden des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes" sein müssen, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat teilt die Auffassung des FG, nach der die Schulden des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes zum Zeitpunkt der Veräußerung nicht bereits eine gewisse Zeit bestanden haben mußten und mit der Veräußerung in keinem wie auch immer gearteten Zusammenhang stehen durften. Die gegenteilige Auffassung des BMWF (vgl. BStBl I 1972, 102, 104 unter Nr. 8) findet weder im Wortlaut noch im erkennbaren Sinnzusammenhang des Gesetzes eine Stütze.
Ebensowenig finden sich in der Entstehungsgeschichte der Vorschrift Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe bereits bei der Schaffung des § 14 a Abs. 4 EStG 1971 allein die Entschuldung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben fördern wollen. Diese Ansicht wird im Schrifttum verbreitet vertreten (vgl. BMWF, a. a. O.; Söffing, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A -- DStZ/A -- 1971, 273, 278, und Die Information über Steuer und Wirtschaft -- Inf -- 1972, 121, 129; Felsmann, Inf 1972, 1, 10 in Lademann/ Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 14 a Anm. 46, sowie "Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte", Abschn. D Anm. 60 q; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 14 a EStG Anm. 74; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., 1972, § 14 a Anm. 3 d). Sie berücksichtigt indes weder die Umstände, die zur Schaffung der streitigen Vorschrift geführt haben, noch die einschlägigen Gesetzesmaterialien.
§ 14 a EStG wurde zusammen mit den seinerzeit neu geschaffenen Vorschriften über die Bodengewinnbesteuerung eingeführt. Diese waren erforderlich geworden, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit seinem Beschluß vom 11. Mai 1970 1 BvL 17/67 (BStBl II 1970, 579) entschieden hatte, daß die bis dahin bestehende Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar war. Erkennbarer Sinn und Zweck des § 14 a EStG war es, die neu zu regelnde Bodengewinnbesteuerung für Land- und Forstwirte abzumildern. Mit diesem Ziel stand es im Einklang, daß die Tatbestandsmerkmale des § 14 a Abs. 4 EStG sehr weit gefaßt waren und zunächst keine weiteren Einschränkungen, etwa hinsichtlich der Größe oder Ertragskraft des Betriebes, enthielten.
Dementsprechend enthält auch die Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. VI/1901) zu § 14 a EStG keinen Hinweis darauf, daß der Sinn und Zweck des § 14 a Abs. 4 EStG 1971 die Förderung des Abbaues einer zum Zeitpunkt der Grundstücksveräußerung bereits bestehenden Schuldenlast des landund forstwirtschaftlichen Betriebes gewesen sei. Vielmehr ist dort zu § 14 a EStG 1971 nur vermerkt: "Durch den neu eingeführten § 14 a des Entwurfs wird aus agrarstrukturpolitischen Gründen unter bestimmten Voraussetzungen ein Freibetrag für Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe nicht existenzfähiger Betriebe sowie aus der Veräußerung einzelner land- und forstwirtschaftlicher Grundstücksflächen eingeführt" (a. a. O. S. 9). Zu § 14a Abs. 4 EStG im besonderen ist lediglich ausgeführt: "Darüber hinaus erscheint es zweckmäßig, daß der Freibetrag von 60 000 DM allgemein in den Fällen gewährt wird, in denen nur Teile des zum land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens veräußert werden, sofern der Veräußerungspreis zur Tilgung von Betriebsschulden oder zur Abfindung weichender Erben verwendet wird" (a. a. O. S. 12).
Schon diese Ausführungen lassen erkennen, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung der streitigen Vorschrift die Gewährung des Freibetrages nicht an mehr Voraussetzungen geknüpft wissen wollte, als in ihrem Wortlaut zum Ausdruck kamen. Denn der so beschriebene Begünstigungszweck bezog auch solche Betriebe ein, bei denen die Notwendigkeit der Förderung nicht unbedingt auf der Hand lag. Auf diese Besonderheit der Vorschrift hat seinerzeit der Bundesrat (BT-Drucks. VI/1901, S. 16) hingewiesen. Er hat ausgeführt, die in § 14a Abs. 4 EStG vorgesehene Gewährung eines Freibetrages sei nicht vertretbar, weil unter anderem die Vergünstigung nicht nur agrarstrukturpolitisch förderungswürdige Fälle, sondern auch Großbetriebe und die Tilgung nichtlästiger Betriebsschulden einbeziehe. Diesen Bedenken trug die seinerzeitige Bundesregierung (BT-Drucks. VI/1901, S. 17) nicht Rechnung. Sie hielt die Vergünstigung weiterhin aus allgemein gehaltenen agrarpolitischen Erwägungen für erforderlich, ohne die Zielrichtung der Förderungsmaßnahme weiter zu präzisieren.
Nach alledem ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Einführung der Bodengewinnbesteuerung die Schaffung eines Ausgleichs für land- und forstwirtschaftliche Betriebe im Auge hatte, ohne zunächst ein bestimmtes Konzept vom Kreis der zu begünstigenden Personen oder Betriebe verwirklichen zu wollen. Die These, die ab 1. Januar 1974 geltende Gesetzesfassung des § 14a Abs. 4 Nr. 1 b EStG 1974, wonach die Schulden nicht mit der Veräußerung im Zusammenhang stehen dürfen, habe klarstellenden Charakter (so Felsmann in Lademann/Söffing/Brockhoff, a. a. O.), ist durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht gedeckt. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, daß durch die Gesetzesfassung des EStG 1974 die Gewährung des Freibetrages von dem Nichtüberschreiten bestimmter Einkommensgrenzen abhängig gemacht worden ist. Insoweit ist davon auszugehen, daß es sich nicht um eine Klarstellung, sondern um die erstmalige gesetzgeberische Verwirklichung eines Förderungskonzepts handelt. Entsprechendes hat in Anbetracht der aufgezeigten Entstehungsgeschichte für den Begriff der Schulden im Sinne der genannten Vorschrift zu gelten.
Damit steht fest, daß Sinn und Zweck der Einführung des § 14a Abs. 4 EStG 1971 die nicht näher bestimmte und eingegrenzte Förderung der Agrarstruktur war, durch die auch Fälle erfaßt wurden, die an sich nicht unbedingt förderungswürdig waren. Mit diesem sehr allgemein gefaßten Förderungszweck verträgt es sich, wenn -- dem Wortlaut des § 14a Abs. 4 EStG 1971 gemäß -- auch die Tilgung solcher Schulden ausreicht, die zum Zeitpunkt der Veräußerung noch nicht (längere Zeit) bestanden haben bzw. in zeitlichem Zusammenhang mit der Veräußerung entstanden sind. Denn vor dem Hintergrund des dargestellten weiten Förderungszweckes kann es keinen Unterschied ausmachen, ob der Land- und Forstwirt eine bereits getätigte Investition mit dem erst später erzielten Verkaufserlös abdeckt oder eine (evtl. längst fällige) Investition deswegen vornimmt, weil er Grundstücksflächen (steuerbegünstigt) veräußern kann.
c) Dem FG ist auch darin beizutreten, daß die vollständige Verwendung des Veräußerungserlöses nicht Voraussetzung für die Gewährung der Begünstigung nach § 14a Abs. 4 EStG 1971 ist (so Söffing, DStZ/A 1971, 273, 278; Hausen, Deutsche Notar-Zeitschrift -- DNotZ -- 1973, 6, 13). Eine solche Auslegung ließe sich zwar mit der Fassung der genannten Vorschrift (... "und der Veräußerungspreis ... verwendet wird") begründen. Sie ist jedoch abzulehnen, weil sie zu einer empfindlichen Störung des weiten Gesetzeszwecks führen würde. Im Extremfall könnte bei einem überschuldeten Betrieb nur deswegen die vom Gesetz erstrebte steuerbegünstigte Entschuldung nicht betrieben werden, weil der für das veräußerte Grundstück erzielte Erlös geringfügig höher ist als die zu tilgenden Schulden. Die unnötige Folge wäre, daß der Land- und Forstwirt in diesem Fall ein einheitliches Veräußerungsgeschäft aufspalten müßte (Felsmann, "Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte", Abschn. D Anm. 60 p, und in Lademann/Söffing/Brockhoff, a. a. O.; Blümich/Falk, a. a. O., Anm. 3b). Daher führt auch eine nur teilweise Verwendung des Veräußerungserlöses zur Gewährung eines Freibetrages, der sich nach dem Verhältnis bemißt, in dem der für begünstigte Zwecke verwendete Teil zum gesamten Erlös steht.
d) Das FA hat auch keinen Erfolg mit seinem Vorbringen, das FG habe nicht geprüft, ob die dem Kläger zugeflossenen Erlösanteile unmittelbar einem begünstigten Zweck zugeführt worden sind. § 14a Abs. 4 EStG 1971 enthält ein dahingehendes Tatbestandsmerkmal nicht. Nach Auffassung des Senats genügt es daher für die Gewährung des Freibetrages, wenn der Land- und Forstwirt den Veräußerungserlös auf sein laufendes Konto überweisen läßt oder bar vereinnahmt und -- ggf. auch nach einer Vermischung der Einnahmen mit Guthaben oder Bargeld -- Beträge zur Tilgung betrieblicher Schulden verwendet.
2. Im Streitfall hat das FG ohne Rechtsverstoß festgestellt, daß der Kläger die genannten Beträge in den zutreffend ermittelten Begünstigungszeiträumen zur Tilgung von Betriebsschulden verwendet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 74702 |
BStBl II 1983, 633 |
BFHE 1984, 45 |