Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben bei der Entscheidung über die Stundung
Leitsatz (NV)
1. Neben dem mit der gesetzlichen Ermächtigung verfolgten Zweck sind für die Ermessensentscheidung (hier Stundung) auch allgemeine Rechtsgrundsätze, u.a. der Grundsatz von Treu und Glauben, zu beachten.
2. Hat das FA über einen längeren Zeitraum bei einer Ermessensentscheidung wiederholt einen Sachverhalt in bestimmter Weise tatsächlich und rechtlich beurteilt, und hielt sich diese Beurteilung im Rahmen des rechtlich Möglichen, ist eine Entscheidung ermessensfehlerhaft, wenn sie die für die bisherigen Ermessensentscheidungen maßgeblichen Gesichtspunkte völlig außer Betracht läßt.
Normenkette
AO 1977 § 222
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Die Klägerin erzielte nach ihren Angaben Verluste aufgrund einer Kommanditbeteiligung... (im folgenden KG). Diese Verluste berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bei den Einkommensteuerveranlagungen nicht bzw. nicht mehr, weil das für die Besteuerung der KG zuständige FA (Betriebs-FA) am 3. Dezember 1976 negative Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1970 bis 1975 erlassen hatte.
Die KG hat die negativen Gewinnfeststellungsbescheide angefochten. Entsprechend der Empfehlung des Betriebs-FA an die Wohnsitz-FÄ berücksichtigte das FA die geltend gemachten Verlustanteile für die Streitjahre (Einkommensteuer 1970, 1971, 1973 bis 1975, Ergänzungsabgabe 1970, 1971, 1973 und 1974, Stabilitätszuschlag 1973 und 1974) von insgesamt 63009 DM vorläufig im Wege der Aussetzung der Vollziehung gemäß § 361 der Abgabenordnung (AO 1977), zuletzt bis zum 30. Juni 1978.
Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluß vom 10. November 1977 IV B 33-34/76 (BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15) entschieden hatte, vorläufiger Rechtsschutz bei negativen Gewinnfeststellungsbescheiden könne nicht im Wege der Aussetzung der Vollziehung, sondern nur durch einstweilige Anordnung nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gewährt werden, vertrat das Betriebs-FA am 18. April 1978 gegenüber den Wohnsitz-FÄ die Auffassung, im Hinblick auf das zu erwartende und tatsächlich am 14. Juni 1978 von der KG auch eingeleitete Antragsverfahren beim Finanzgericht (FG) komme eine Stundung der bisher ausgesetzten Beträge in Betracht. Das FA stundete daraufhin - stets den Empfehlungen des Betriebs-FA folgend - jeweils unter Verzicht auf Stundungszinsen die bisher ausgesetzten Beträge mit Verfügungen vom 5. und 16. Juni 1978 (bis 31. Januar 1979) und vom 7. Februar 1979 (bis 31. Dezember 1979).
Am 28. Februar 1979 wies das FG den Antrag der KG auf einstweilige Anordnung zurück, weil es bereits einen Anordnungsanspruch verneinte. Hiergegen erhob die KG Beschwerde.
Das Betriebs-FA empfahl daraufhin mit Rücksicht auf die anhängige Beschwerde bis zur Entscheidung des BFH in der Beschwerdesache die Verlängerung der Stundung. Dementsprechend verlängerte das FA die Stundung mit weiteren Verfügungen vom 31. Januar 1980 (bis zum 31. Januar 1981, verlängert bis 31. Dezember 1981), vom 1. März 1982 (bis 30. Juni 1983) und vom 11. Juli 1983 (bis 31. Dezember 1984). Diese Bescheide enthielten den Hinweis: Wegen der Stundungszinsen ergeht ein besonderer Bescheid.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens der KG legte der I.Senat des BFH mit Beschluß vom 17. Februar 1982 I B 24/79 (BFHE 135, 78, BStBl II 1982, 295) die für die begehrte Regelungsanordnung entscheidungserheblichen materiellrechtlichen Rechtsfragen dem Großen Senat zur Entscheidung vor (Az. GrS 1/82). Zur Klärung dieser Rechtsfragen kam es in einem nicht die KG betreffenden Parallelverfahren (Beschluß des Großen Senats vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751).
Am 27. Dezember 1984 und 23. Januar 1985 beantragten die Kläger weitere Stundung. Sie verwiesen insoweit auf ein Schreiben des Betriebs-FA vom 9. Januar 1985, in dem den Wohnsitz-FÄ eine Stundung bis zur Entscheidung des Großen Senats über den Vorlagebeschluß des I.Senats (die KG betreffend) mit der Begründung empfohlen wurde, die Entscheidung des Großen Senats in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 betreffe zwar einen ähnlichen Fall, sei auf das vorliegende Verfahren der KG aber nicht anwendbar.
Das FA lehnte die Stundung ab. Die Beschwerde der Kläger hatte keinen Erfolg. Die Oberfinanzdirektion (OFD) vertrat in der Beschwerdeentscheidung vom 5. Juni 1985 die Auffassung, eine Stundung aus sachlichen Billigkeitsgründen komme nur in Fällen in Betracht, in denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe, daß der einzuziehende Betrag alsbald wieder erstattet werden müsse. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor: Das FG habe den Antrag der KG zurückgewiesen, weil es die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Verluste verneint habe. Zwar würden zu dieser Frage in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen vertreten. Der Ausgang des von der KG betriebenen Verfahrens auf einstweilige Anordnung, dessen Erfolg Grundlage für eine Erstattung der streitigen Beträge sei, sei jedoch völlig offen. Mit einer Entscheidung des Großen Senats über die Vorlage des I.Senats - im Rahmen des Verfahrens über den Antrag auf einstweilige Anordnung der KG - sei vorerst nicht zu rechnen. Die Kläger hätten - auch wenn das FA wiederholt zu Unrecht gestundet habe - wegen der zeitlichen Befristung der bisherigen Stundungen keine schützenswerte Rechtsposition. Die Empfehlung des Betriebs-FA sei für das allein für die Stundung zuständige FA nicht bindend.
Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihrer Klage.
Kurze Zeit nach Ergehen der Beschwerdeentscheidung hat der Große Senat das Verfahren über die Vorlage des I.Senats für erledigt erklärt (Beschluß vom 24. Juni 1985 GrS 1/82, BFHE 144, 325, BStBl II 1985, 711). Der I.Senat konnte indes wegen der Vorlage des IV.Senats (Beschluß vom 17. Januar 1985 IV B 65/84, BFHE 143, 10, BStBl II 1985, 299) zur Frage, auf welche Weise bei negativen Gewinnfeststellungsbescheiden vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren sei, über das Beschwerdeverfahren der KG zunächst nicht entscheiden. Erst nachdem der Große Senat mit Beschluß vom 14. April 1987 GrS 2/85 (BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637) entschieden hatte, dies habe im Wege der Aussetzung der Vollziehung zu geschehen, wies der zwischenzeitlich zuständige VIII.Senat die Beschwerde der KG gegen den in einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung umgedeuteten Antrag als unbegründet zurück.
Während des Klageverfahrens ist der überwiegende Teil der Rückstände durch Umbuchung getilgt worden. Den Restbetrag hat das FA aus persönlichen Billigkeitsgründen gestundet.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG hob die angefochtenen Entscheidungen auf und verurteilte das FA, über den Stundungsantrag der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 222 AO 1977 und Abweichung von dem BFH-Beschluß in BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
I. Zutreffend hat das FG entschieden, daß das Klageverfahren sich hinsichtlich der zwischenzeitlich durch Umbuchungen getilgten Beträge nicht erledigt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. Juli 1986 I R 39/83, BFH/NV 1987, 696; vom 22. April 1988 III R 269/84, BFH/NV 1989, 428, jeweils m.w.N.).
II. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die angefochtenen Entscheidungen ermessensfehlerhaft waren, weil sie nicht alle für die Entscheidung über die weitere Stundung maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt haben.
1. Nach § 222 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn deren Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch Stundung nicht gefährdet erscheint. Die Stundung setzt mithin voraus, daß die Einziehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis für den Steuerpflichtigen eine momentane besondere - erhebliche - Härte bedeutet. Bei der Prüfung (§ 5 AO 1977), ob eine erhebliche Härte i.S. des § 222 AO 1977 vorliegt, hat die Finanzbehörde zwischen dem Interesse des Steuergläubigers an einer vollständigen und gleichmäßigen Steuererhebung und dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem Aufschub der Fälligkeit der Steuerzahlung abzuwägen (z.B. BFH-Urteile vom 7. März 1985 IV R 161/81, BFHE 143, 397, 399, BStBl II 1985, 449; vom 30. Mai 1990 I R 115/86, BFH/NV 1990, 757, 758).
Die Entscheidung der Finanzbehörden ist eine Ermessensentscheidung (BFH-Beschluß vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587); eine ablehnende Entscheidung darf von den FG nur daraufhin überprüft werden, ob die Finanzbehörden ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt haben (BFH-Urteil vom 6. Oktober 1982 I R 98/81, BFHE 138, 1, BStBl II 1983, 397).
2. Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO 1977). Neben dem mit der gesetzlichen Ermächtigung verfolgten Zweck sind für die Ermessensentscheidung auch allgemeine Rechtsgrundsätze von Bedeutung (vgl. BFHE 143, 397, BStBl II 1985, 449; BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 V R 105/84, BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 5 AO 1977 Rz. 24ff., bes. Rz. 30). So ist insbesondere der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten (z.B. BFHE 138, 1, BStBl II 1983, 397; BFH/NV 1990, 757 m.w.N. zur sog. Verrechnungsstundung). Dieser gebietet u.a., daß im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren (nachhaltigen) Verhalten, auf das der andere vertrauen durfte, nicht in Widerspruch setzt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 19. November 1985 VIII R 25/85, BFHE 146, 32, 38, BStBl II 1986, 520; vom 6. Februar 1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673 m.w.N.; z.B. Tipke/ Kruse, a.a.O., § 4 AO 1977 Rz. 57ff. m.w.N.). Hat das FA über einen längeren Zeitraum bei einer Ermessensentscheidung wiederholt einen Sachverhalt in bestimmter Weise tatsächlich und rechtlich beurteilt, und hielt sich diese Beurteilung im Rahmen des rechtlich Möglichen, ist eine Entscheidung ermessensfehlerhaft, wenn sie die für die bisherigen Ermessensentscheidungen maßgeblichen Gesichtspunkte völlig außer Betracht läßt. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor.
3. Das FA hatte zunächst auf Empfehlung des Betriebs-FA die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide der Kläger nach § 361 AO 1977 ausgesetzt, soweit es um die Folgerungen aus den negativen Feststellungsbescheiden betreffend die Beteiligung der Kläger an der KG ging. Es ist mit dem Betriebs-FA davon ausgegangen, daß die Nichtberücksichtigung der Verluste materiellrechtlich im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zweifelhaft war. Nachdem der IV.Senat des BFH (BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15) entschieden hatte, auch für negative Feststellungsbescheide könne vorläufiger Rechtsschutz nur durch einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) gewährt werden, und zwar unabhängig davon, ob für die betreffenden Personen bereits Einkommensteuerbescheide ergangen sind und ob die geltend gemachten Verluste darin berücksichtigt worden sind oder nicht, hat das FA die auf die geltend gemachten Verlustanteile entfallenden Steuern weiter gestundet. Es ist dabei wiederum dem Hinweis des Betriebs-FA gefolgt, mit Rücksicht auf das zu erwartende und tatsächlich auch eingeleitete Antragsverfahren der KG sei eine Stundung angezeigt. Es ist danach für die Beteiligten erkennbar davon ausgegangen, daß es den vorläufigen Rechtsschutz in Form der einstweiligen Anordnung für unzureichend hielt und vorläufigen Rechtsschutz im Wege der Stundung gewähren wollte.
a) Die Überlegung, daß bei zweistufigen Steuerbescheiden der einstweilige Rechtsschutz erschwert war, wenn hierfür nur die einstweilige Anordnung zur Verfügung stand, und daß die Einziehung der auf nicht berücksichtigte Verlustanteile entfallenden Abgaben für den Betroffenen eine erhebliche sachliche Härte i.S. des § 222 AO 1977 darstellt, wenn ernstliche Zweifel daran bestehen, ob das FA sie zu Recht unberücksichtigt gelassen hat, hielt sich im Rahmen des rechtlich Möglichen. In Rechtsprechung und Literatur bestanden noch bis zur Entscheidung des Großen Senats im Jahr 1987 Zweifel, ob unterschiedliche Anforderungen für den einstweiligen Rechtsschutz zu rechtfertigen waren je nachdem, ob einstweiliger Rechtsschutz im Rahmen des einstufigen oder des zweistufigen Festsetzungsverfahrens begehrt wurde (ausf. BFH-Beschluß in BFHE 143, 10, 15f., BStBl II 1985, 299). Entgegen der Behauptung des FA hatte sich an dieser verfahrensrechtlichen Situation bis zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nichts geändert. Die vom FA hierzu und zur Begründung der Divergenzrüge zitierte Entscheidung des IV.Senats, wonach für die einstweilige Anordnung die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs ausreicht, war durch die spätere Rechtsprechung (BFH-Beschluß vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233), der der IV.Senat zugestimmt hat, überholt.
b) Auch nachdem das FG am 28. Februar 1979 den Antrag der KG auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen hatte, weil es bereits das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und nicht lediglich eines Anordnungsgrundes verneinte, hat das FA mehrfach, zuletzt am 11. Juli 1983 (jeweils befristet, zuletzt bis 31. Dezember 1984) die Rückstände weiter gestundet. Es hat sich insoweit ebenfalls der in der Stundungsempfehlung des Betriebs-FA vertretenen Auffassung angeschlossen und ist damit offensichtlich davon ausgegangen, die Nichtberücksichtigung der Verluste sei nach wie vor materiellrechtlich zweifelhaft.
Das FA ist danach in seinen Stundungsentscheidungen für die Kläger erkennbar davon ausgegangen,
- daß es vorläufigen Rechtsschutz bei negativen Gewinnfeststellungsbescheiden in Form der einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO für unzureichend und die Stundung für erforderlich hält zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und
- daß es materiellrechtlich für ernstlich zweifelhaft ansieht, ob der negative Gewinnfeststellungsbescheid zu Recht ergangen war.
Unter diesen Umständen konnte das FA ohne Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben nur dann eine weitere Stundung ablehnen, wenn
- festgestanden hätte, daß die Kläger durch Aussetzung der Vollziehung hätten vorläufigen Rechtsschutz erhalten können oder
- wenn neue Erkenntnisse über den Ausgang des Rechtsstreits im Verfahren gegen den negativen Gewinnfeststellungsbescheid vorgelegen hätten.
Beide Voraussetzungen waren im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung am 5. Juni 1985 nicht gegeben.
c) Über die Frage des vorläufigen Rechtsschutzes bei negativen Gewinnfeststellungsbescheiden ist erst durch Beschluß des Großen Senats in BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637 entschieden worden.
Die Entscheidung des Großen Senats zur Gewinnerzielungsabsicht bei Verlustzuweisungsgesellschaften (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) betraf eine andere Gesellschaft. Ob sich daraus für die Beurteilung der Steuerrechtsverhältnisse der KG Folgerungen hätten ziehen lassen, kann offenbleiben. FA und OFD haben - offenbar dem Hinweis des Betriebs-FA folgend, diese Entscheidung habe auf die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts keine Auwirkung - die weitere Stundung nicht mit der Begründung abgelehnt, die Entscheidung des Großen Senats habe zu einer anderen materiellrechtlichen Beurteilung geführt. Sie haben sich in den ablehnenden Stundungsentscheidungen allein darauf berufen, bereits das FG habe den Antrag auf einstweilige Anordnung aus materiellrechtlichen Erwägungen abgelehnt und das Verfahren in der Hauptsache sei noch völlig offen, so daß mit einem fälligen Gegenanspruch nicht zu rechnen sei. Beide sind offenbar davon ausgegangen, daß sich die Rechtslage für den Streitfall durch die Entscheidung des Großen Senats zu den auch im Verfahren der KG streitigen materiellrechtlichen Fragen nicht geändert hat und die Erfolgsaussichten in der Hauptsache noch völlig offen sind. Im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung war schließlich auch noch nicht der Erledigungsbeschluß des Großen Senats über die Vorlage des I.Senats betreffend die materiellrechtlichen Fragen im Beschwerdeverfahren der KG ergangen.
Da sich ausgehend von der bis Ende 1984 von FA und OFD vertretenen Auffassung die Sach- und Rechtslage nicht verändert hatten, war die Ablehnung einer weiteren Stundung ermessensfehlerhaft.
d) Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung des FA auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die wiederholten Stundungen befristet waren.
Befristung ist als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt zulässig, der eine Vergünstigung gewährt (§ 120 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Der befristete Verwaltungsakt verliert seine Wirkung durch Fristablauf (vgl. § 124 Abs. 2 AO 1977). Wie jede Nebenbestimmung darf auch die Befristung dem Zweck des Verwaltungsakts nicht zuwiderlaufen (§ 120 Abs. 3 AO 1977). Sie muß deshalb insbesondere in sachlichem, d.h. inhaltlichem Zusammenhang stehen mit dem Verwaltungsakt, dessen Regelungswirkung sie zeitlich begrenzen soll (Tipke/ Kruse, a.a.O., § 120 AO 1977 Rz. 3; vgl. auch § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Ist wie im Streitfall eine Stundung zeitlich befristet, so kann eine weitere Stundung nicht allein mit der Begründung versagt werden, die vorausgehende Stundung sei befristet gewesen. Die Befristung als solche ist kein Grund für die Nichterteilung eines neuen Verwaltungsaktes, insbesondere dann, wenn die Verwaltungsbehörde mehrfach hintereinander befristete Verwaltungsakte gleichen Inhalts erlassen hat (zu sog. Kettenverwaltungsakten: Kloepfer, Deutsches Verwaltungsblatt 1972, 371, 378). Hat das FA wie im Streitfall gestundet, um einen der Aussetzung der Vollziehung vergleichbaren einstweiligen Rechtsschutz bei zweistufigen Steuerbescheiden zu gewährleisten, kann die Befristung im Zusammenhang mit dem Zweck der Stundung nur bedeuten, daß spätestens zu diesem Zeitpunkt die für die letzte Stundungsentscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage erneut überprüft werden soll. Bei dieser erneuten Ermessensentscheidung waren die vorstehend unter 3. ausgeführten Gesichtspunkte zu beachten. Ohne Bedeutung ist dabei, daß die vorausgehenden Stundungen befristet waren.
4. Der Senat weicht nicht vom Urteil des I.Senats des BFH vom 11. Oktober 1989 I R 149/85 (BFH/NV 1991, 14) ab. Der I.Senat geht davon aus, daß die Entscheidung darüber, ob Steueransprüche wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens zunächst nicht eingezogen werden dürfen, grundsätzlich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 361 AO 1977 und § 114 FGO) zu treffen sind und zumindest dann, wenn ein Antrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz abgelehnt worden ist, die Einziehung des Steueranspruchs keine erhebliche sachliche Härte darstellt. Anders als im entschiedenen Fall hat das FA im Streitfall die rückständigen Beträge auch noch weiter gestundet, nachdem das FG den Antrag auf einstweilige Anordnung aus materiellrechtlichen Gründen am 28. Februar 1979 abgelehnt hatte.
Fundstellen
Haufe-Index 419295 |
BFH/NV 1994, 517 |