Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 26 Satz 2 der Landgemeindeordnung für die Provinz Schleswig-Holstein vom 4. Juli 1892 (GS S. 155) war die Freiheit der Dienstgrundstücke der Geistlichen von den Gemeindeauflagen die Regel. Diese Regel erlitt eine Ausnahme nur soweit, als jene Grundstücke vor dem Inkrafttreten der Landgemeindeordnung (1. April 1893) observanzmäßig zu den Gemeindeauflagen herangezogen worden waren.

Bei Dienstgrundstücken von Geistlichen im Sinne des Preußischen Kommunalabgabengesetzes ist mit der Entziehung des Nießbrauchs für den Stelleninhaber die Steuerfreiheit weggefallen. Das gilt dann nicht, wenn die Entziehung des Nießbrauchs auf Art. 8 Abs. 2 des Gesetzes betreffend das Diensteinkommen der evangelischen Pfarrer vom 2. Juli 1898 (GS S. 155) und § 12 Abs. 1 des Kirchengesetzes betreffend das Diensteinkommen der Geistlichen der evangelisch-lutherischen Kirche der Provinz Schleswig-Holstein vom 2. Juli 1898 (GS S. 189) beruht.

 

Normenkette

GrStG § 4/5/c

 

Tatbestand

Die Evang.-luth. Kirchengemeinde M. ist Eigentümerin des sogenannten Pastorallands in M. Dieses umfaßt das Pastorat mit Pfarrwohnung, Wirtschaftsgebäude, Hofraum und Garten sowie 18,20 ha landwirtschaftlich genutzte Grundstücksflächen. Die letzteren sind an verschiedene Landwirte verpachtet. Bis zum 31. März 1938 war das Pastoralland von der preußischen Grundvermögensteuer freigestellt; ab 1. April 1938 wurde es nach dem Grundsteuergesetz (GrStG) vom 1. Dezember 1936 zur Grundsteuer herangezogen.

Der für das Pastoralland zuletzt festgestellte Einheitswert beträgt 24.200 RM. Er ist wie folgt ermittelt worden:

Wohnungswert (Pfarrwohnung) -------------------------- 8.280 RM Wirtschaftswert: 18,20 ha (Fläche) x 1.096 RM (Hektarsatz) = -------------- 19.947 RM abzuziehen für Wohnräume 20 v. H. = ------------------- 3.989 RM ------------ 15.958 RM Summe ----------------------------------------------- 24.238 RM Einheitswert ---------------------------------------- 24.200 RM. Dieser Wert wurde in der Weise aufgeteilt, daß 19.300 RM auf die Kirchengemeinde und 4.900 RM auf alle Pächter entfielen. Der Grundsteuermeßbetrag wurde nach dem Einheitswert von 24.200 RM auf 222 RM festgesetzt.

Nach Erlaß des Gesetzes zur änderung des Grundsteuergesetzes vom 10. August 1951 beantragte die Kirchengemeinde, das ganze Pastoralland ab 1. April 1951 wieder von der Grundsteuer zu befreien, da es nach den vor dem 1. April 1938 geltenden landesgesetzlichen Vorschriften befreit gewesen sei. Das Finanzamt gab dem Antrag nur hinsichtlich der Pfarrwohnung statt und setzte demgemäß zum 1. Januar 1951 den Einheitswert von 24.200 DM auf 15.900 DM (davon Anteil der Kirchengemeinde 11.000 DM sowie Pächteranteil 4.900 DM) und den Grundsteuermeßbetrag von 222 DM auf 139 DM herab. Der Einspruch der Kirchengemeinde hatte keinen Erfolg. Das Finanzamt stellte sich auf den Standpunkt, daß für die landwirtschaftlich genutzten Grundstücksflächen und das Wirtschaftsgebäude die Grundsteuerfreiheit zu versagen sei, weil es sich nicht um Dienstgrundstücke eines Geistlichen handle. Unter diesen Begriff fielen alle Grundstücke der Kirchengemeinden, die unmittelbar zum Unterhalt des Stelleninhabers bestimmt seien, an denen dem Stelleninhaber der Nießbrauch sowie diejenige Verwaltung zustehe, die für den Nießbrauch unentbehrlich sei, und über deren Nutzungsart und Erträgnisse folgeweise ausschließlich er selbst zu befinden habe. Als Dienstgrundstücke insbesondere der Geistlichen könnten daher Grundstücke der Kirchengemeinden nicht schon deshalb gelten, weil deren Ertrag von den Kirchengemeinden zum Unterhalt der Geistlichen verwandt werde; auch dann nicht, wenn die Grundstücke ehemals Dienstgrundstücke gewesen, jedoch unter Gewährung einer entsprechenden Vergütung in verfassungsmäßiger Weise von den Kirchengemeinden eingezogen worden seien. Im Streitfall verpachte die Kirchengemeinde selbst die Grundstücke, so daß es sich nicht um Dienstgrundstücke eines Geistlichen handle.

Die Kirchengemeinde hat demgegenüber in der Berufung vorgebracht, daß die begehrte Steuerfreiheit auf das Preußische Gesetz über die Erhebung einer vorläufigen Steuer vom Grundvermögen vom 14. Februar 1923 (Preußische Gesetzsammlung - GS - S. 29) als das maßgebende Landesgesetz gestützt werde. Nach § 15 Abs. 1 dieses Gesetzes werde die Steuer nicht erhoben von allen denjenigen Grundstücken oder Grundstücksteilen, die nach § 24 Abs. 1 Buchstabe b bis k und Abs. 3 des Preußischen Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 (GS S. 152) den Steuern vom Grundbesitz nicht unterlägen. Dienstgrundstücke der Geistlichen seien aber nach § 24 Abs. 1 Buchstabe k des genannten Gesetzes den Steuern vom Grundbesitz nicht unterworfen, soweit ihnen bisher Steuerfreiheit zugestanden habe. Das Preußische Kommunalabgabengesetz sei am 1. April 1895 in Kraft getreten. Bis dahin seien in der Provinz Schleswig-Holstein für Stadtgemeinden die Städteordnung vom 14. April 1869 (GS S, 589) und für Landgemeinden die Landgemeindeordnung vom 4. Juli 1892 (GS S. 155) maßgebend gewesen. Nach § 26 Satz 2 der Landgemeindeordnung, die am 1. April 1893 in Kraft getreten sei, seien Dienstgrundstücke der Geistlichen von den Gemeindeauflagen befreit gewesen, soweit nicht die Dienstgrundstücke der Geistlichen observanzmäßig bisher zu denselben herangezogen worden seien. Die Kirchengemeinde M. sei mit den strittigen Grundstücken bis dahin nicht observanzmäßig zu den Gemeindeauflagen herangezogen worden. Es sei auch nicht richtig, daß diese Grundstücke später die Eigenschaft von Dienstgrundstücken eines Geistlichen verloren hätten. Durch das Pfarrbesoldungsgesetz vom 2. Juli 1898 (GS S. 189) sei den Geistlichen zwar der Nießbrauch am Pfarrvermögen entzogen und den Kirchengemeinden übertragen worden. Durch besondere Vorschrift (Artikel 8 Abs. 2 des Pfarrbesoldungsgesetzes vom 2. Juli 1898 - GS S. 155 -) seien aber in diesen Fällen die steuerlichen Vorrechte des Pfarrvermögens bestehen geblieben. Grundsätzlich sei bei dem Grundbesitz der Kirchengemeinden in Schleswig-Holstein zu unterscheiden zwischen zweckgebundenem und nicht zweckgebundenem Grundbesitz. Die Einnahmen aus nicht zweckgebundenem Grundbesitz gingen in die Kirchenkasse; dieser Grundbesitz sei nicht von der Grundsteuer befreit. Bei dem zweckgebundenen Grundbesitz müsse Pfarrland und Land von Kirchendienern unterschieden werden. Die Einnahmen aus dem Pfarrland gingen ebenfalls in die Kirchenkasse, dienten aber der Besoldung des Geistlichen, auch seitdem der Geistliche selbst nicht mehr unmittelbar über die Einnahmen zu verfügen habe; dieser Grundbesitz sei von der Grundsteuer zu befreien.

Demgegenüber machte das Finanzamt geltend, daß im Streitfall der Nießbrauch des Stelleninhabers bereits vor dem 1. April 1899 (Tag des Inkrafttretens des Pfarrbesoldungsgesetzes vom 2. Juli 1898 und des Kirchengesetzes vom gleichen Tage) nicht mehr bestanden habe; demgemäß liege auch kein steuerbefreites Grundstück vor.

Die Vorinstanz ist in ihrer Entscheidung im wesentlichen den Ausführungen der Kirchengemeinde gefolgt und hat den strittigen Grundbesitz ab 1. April 1951 in vollem Umfange (einschließlich des Pächterinventars) von der Grundsteuer befreit. Nach der Auffassung der Vorinstanz könne die Behauptung der Kirchengemeinde, daß der Grundbesitz vor dem 1. April 1893 observanzmäßig zu den Gemeindeauflagen nicht herangezogen worden sei, nicht widerlegt werden. Es müsse daher unterstellt werden, daß der betreffende Grundbesitz vor dem 1. April 1893 (Tag des Inkrafttretens der Landgemeindeordnung vom 4. Juli 1892) von den Gemeindeauflagen befreit gewesen sei. Nach dem Wortlaut des § 26 Satz 2 der Landgemeindeordnung spreche eine gesetzliche Vermutung für die Steuerbefreiung. Nach der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zum Preußischen Grundvermögensteuergesetz seien zwar ursprünglich nur solche Grundstücke als Dienstgrundstücke der Geistlichen angesehen worden, die unmittelbar zum Unterhalt des Stelleninhabers bestimmt gewesen seien, und über deren Nutzungsart und Erträgnisse der Stelleninhaber selbst zu befinden gehabt habe. Dieser Grundsatz scheine aber doch nicht ausnahmslos überall zwingende Geltung gehabt zu haben; denn es komme darauf an, ob die Frage der unmittelbaren Nutzung für die Beurteilung nach dem früheren Landesrecht überhaupt von Einfluß gewesen sei oder nicht. Das sei aber jedenfalls für Schleswig-Holstein zu verneinen; denn durch das Gesetz betreffend Diensteinkommen der Geistlichen der evang.-luth. Kirche vom 2. Juli 1898 sei trotz der Aufhebung des Pfarrnießbrauchs die bisherige Steuerfreiheit aufrechterhalten worden. Der Umstand, daß die streitigen Grundstücke schon vor dem 1. April 1899 von der Kirchengemeinde verpachtet worden seien, schließe ein Nießbrauchsrecht des Stelleninhabers nicht aus. Einmal könne die Kirchengemeinde sehr wohl auch nur im Auftrage des Stelleninhabers gehandelt haben; zum anderen spreche auch der Inhalt des vorliegenden Auszugs aus dem Verpachtungsprotokoll vom 19. Februar 1897 eindeutig dafür, daß der damals amtierende Pastor noch Nutznießer gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts. Er rügt unrichtige Anwendung bestehenden Rechts und mangelnde Sachaufklärung. Die Auffassung des Finanzgerichts, § 26 Satz 2 der Landgemeindeordnung vom 4. Juli 1892 habe eine gesetzliche Vermutung für die Steuerfreiheit aufgestellt, sei rechtsirrig. Das Finanzgericht hätte zumindest den Versuch tatsächlicher Feststellungen machen müssen, bevor es seiner Entscheidung eine Vermutung zugrunde gelegt habe. Dies gelte um so mehr, als grundsätzlich davon auszugehen sei, daß die Dienstgrundstücke der ländlichen Geistlichen in Schleswig-Holstein vor dem Inkrafttreten der Landgemeindeordnung von 1892 observanzmäßig zur Grundsteuer herangezogen worden seien. Auch verkenne das Finanzgericht die unterschiedliche Begriffsbestimmung für Dienstgrundstücke der Geistlichen vor und seit dem 1. April 1899, dem Tag des Inkrafttretens der Pfarrbesoldungsgesetze und des Gesetzes betreffend Diensteinkommen der Geistlichen der evang.-luth. Kirche. Demzufolge habe es auch das Finanzgericht unterlassen, hinreichende Feststellungen darüber zu treffen, ob die Erträgnisse aus dem strittigen Grundbesitz vor dem 1. April 1899 unmittelbar dem damaligen Pastor oder der Kirchengemeinde zugeflossen seien. Das der Entscheidung zugrunde gelegte Sitzungsprotokoll gebe hierüber keine stichhaltige Auskunft, da es mit Auszügen aus den Patronatsakten, die dem Finanzgericht bei seiner Entscheidung schon vorgelegen hätten, im Widerspruch stehe. Durch genaue Sachaufklärung (kirchliches Grundbuch, Inventar der Kirchengemeinde) müsse die Feststellung möglich sein, ob der strittige Grundbesitz zum nichtzweckgebundenen Land oder zum zweckgebundenen Land (Pfarrland) gehöre.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Die Entscheidung der vorliegenden Streitsache hängt, wie sich aus dem Vortrag der Beteiligten ergibt, von der Beantwortung der folgenden zwei Fragen ab:

Ist der streitige Grundbesitz vor dem 1. April 1893 (Tag des Inkrafttretens der Landgemeindeordnung 1892) als Dienstgrundstück eines Geistlichen observanzmäßig nicht zu den Gemeindeauflagen herangezogen worden?

Hat im Falle der observanzmäßigen Steuerfreiheit (Ziff. 1) der betreffende Grundbesitz in der Zeit vom 1. April 1893 bis 31. März 1899 (das heißt bis zum Inkrafttreten des Kirchengesetzes 1899 und des Gesetzes betreffend Diensteinkommen der Geistlichen der evang.-luth. Kirche) die Eigenschaft als Dienstgrundstück eines Geistlichen verloren?

Zu 1: Der Auffassung der Vorinstanz, nach dem Wortlaut des § 26 Satz 2 der Landgemeindeordnung 1892 spreche eine gesetzliche Vermutung für die Steuerfreiheit der Dienstgrundstücke von Geistlichen, kann nicht beigetreten werden; eine gesetzliche Vermutung für die Steuerfreiheit dieser Grundstücke enthält die genannte Vorschrift nicht. Auch in der Entscheidung vom 18. Juni 1897 (Preußisches Verwaltungsblatt XIX S. 249) hat das Preußische Oberverwaltungsgericht sich in dem Sinn ausgesprochen, daß vor der Einführung der Landgemeindeordnung 1892 in der Provinz Schleswig-Holstein ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, wonach eine Heranziehung des Kirchenguts zu den Gemeindeabgaben unzulässig wäre, nicht bestanden hat. Abzulehnen ist aber auch die Meinung des Beschwerdeführers, es sei grundsätzlich davon auszugehen, daß die Dienstgrundstücke der ländlichen Geistlichen in Schleswig-Holstein vor dem Inkrafttreten der Landgemeindeordnung 1892 observanzmäßig zur Grundsteuer herangezogen worden seien. Das Gegenteil trifft zu. Vielmehr ist, wie das Preußische Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 7. Dezember 1897 (Preußisches Verwaltungsblatt XIX S. 540) hervorhebt, nach § 26 der Landgemeindeordnung die Freiheit der Dienstgrundstücke der Geistlichen die Regel. Diese erleidet eine Ausnahme nur soweit, als jene Grundstücke vorher observanzmäßig zu Gemeindeauflagen herangezogen worden sind. Ob eine solche Ausnahme für die Dienstgrundstücke des Geistlichen in M. bestanden hat, wird die Vorinstanz bei der neuerlichen Entscheidung noch nachzuprüfen haben.

Zu 2: Ergibt die Prüfung zu 1), daß die strittigen Grundstücke vor der Einführung der Landgemeindeordnung 1892 als Dienstgrundstücke von Geistlichen observanzmäßig von den Gemeindeauflagen befreit waren, so bleibt noch zu prüfen, ob sie nicht ihre Eigenschaft als Dienstgrundstücke eines Geistlichen nachher etwa verloren haben. Rechtlich wäre das möglich gewesen. Insbesondere konnte dadurch, daß einem Geistlichen der Nießbrauch am Dienstgrundstück entzogen wurde, die Eigenschaft als Dienstgrundstück verloren gehen. Nur soweit einem Geistlichen in Schleswig-Holstein auf Grund der Gesetze vom 2. Juli 1898 der Nießbrauch entzogen wurde, blieb die bisherige Steuerfreiheit aufrechterhalten. Dem Schluß der Vorinstanz hieraus, daß auch schon vor dem Inkrafttreten dieser Gesetze die Entziehung des Nießbrauchs die Steuerfreiheit wohl nicht beseitigt zu haben scheine, kann nicht beigetreten werden. Nach der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. Bd. 50 S. 103 und Bd. 72 S. 156) ist, wenn die Entziehung des Nießbrauchs nicht auf Grund des Kirchengesetzes erfolgt ist, mit der Entziehung auch die Steuerfreiheit fortgefallen. Auch wegen Verkennung der Rechtslage in diesem Punkt war die Vorentscheidung aufzuheben. Bei der neuerlichen Entscheidung wird es darauf ankommen, an Hand der offenbar noch vorhandenen Unterlagen festzustellen, ob der strittige Grundbesitz vor dem 1. April 1899 auf Grund besonderer Umstände etwa seine Eigenschaft als Dienstgrundstück eines Geistlichen verloren hat. Außerdem müßte die Feststellung möglich sein, ob der Grundbesitz zum zweckgebundenen Vermögen der Kirchengemeinde (Pfarrland) oder zu ihrem nichtzweckgebundenen Vermögen gerechnet wird; hierauf wird es - darin stimmen die Beteiligten auch in ihrem Vortrag überein - entscheidend ankommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407984

BStBl III 1954, 283

BFHE 1955, 192

BFHE 59, 192

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