Leitsatz (amtlich)
Die Einwirkung des Straßenverkehrslärms auf ein in einer Großstadt gelegenes Wohngrundstück, die sich innerhalb der üblichen Schwankungsbreite des Straßenverkehrslärms in Großstädten bewegt, ist nicht eine ungewöhnlich starke Beeinträchtigung durch Lärm, die zu einer Wertermäßigung führen könnte.
Normenkette
BewG 1965 § 82 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines Einfamilienhauses in einem Villenvorort Hamburgs, der von einer Hauptausfallstraße begrenzt wird. 200 m davon entfernt liegt das Grundstück der Klägerin an einer Straßenkreuzung mit hohem Verkehrsaufkommen. Das Gebäude ist vom Fahrbahnrand der einen Straße etwa 12 m und vom Fahrbahnrand der anderen Straße etwa 8 m entfernt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) ermittelte im Zuge der Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundvermögens zum 1. Januar 1964 den Grundstückswert im Ertragswertverfahren. Das FA setzte die Miete an, die sich aus dem Mietspiegel für ein in der Zeit von 1950 bis 1956 bezugsfertig gewordenes Gebäude ohne Grundsteuervergünstigung ergab.
Die Klägerin war der Meinung, der Grundstückswert müsse wegen erheblicher Lärmbelästigung durch den Straßenverkehr ermäßigt werden. Einspruch und Klage führten aus anderen Gründen als der Lärmbelästigung zu einer Ermäßigung des Einheitswerts.
Das FG verneinte eine Wertminderung wegen Lärmbelästigung, weil nach dem Gutachten eines Sachverständigen der Lärm das in Vororten mit Ausfallstraßen übliche Maß nicht übersteige.
Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Einheitswert ihres Grundstücks um 10 v. H. zu ermäßigen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Nach § 82 Abs. 1 BewG 1965 ist der sich durch Anwendung des Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete ergebende Grundstückswert zu ermäßigen, wenn wertmindernde Umstände vorliegen, die weder in der Jahresrohmiete noch in der Höhe des Vervielfältigers berücksichtigt sind. Die Lärmeinwirkung auf das Grundstück der Klägerin ist in der für die Bewertung angesetzten üblichen Miete berücksichtigt, wenn die dem Mietspiegel zugrunde liegenden Mieten aus Gebieten gewonnen worden sind, in denen eine ähnliche Belästigung durch Straßenverkehrslärm wie bei dem Grundstück der Klägerin gegeben ist. Hierzu hat das FG zwar keine Feststellungen im einzelnen getroffen, weil es der Meinung war, daß ein wertmindernder Umstand im Sinn des § 82 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 nicht vorliege. Aus den Feststellungen zur Schätzung der üblichen Miete durch das FA anhand des Mietspiegels kann der Senat jedoch entnehmen, daß der Mietspiegel für Einfamilienhäuser innerhalb der Stadt Hamburg nicht regional unterteilt, sondern entsprechend der Mietpreisentwicklung bis zum Hauptfeststellungszeitpunkt 1964 nach Bodenpreisklassen, Baujahrgruppen, Ausstattungsklassen und Finanzierungsart gegliedert ist. Das FG hat durch Beweiserhebung weiter festgestellt, daß in Großstädten allgemein 30 v. H. der Bevölkerung in Wohngebieten einer Belästigung durch Straßenverkehrslärm mit einem Dauerschallpegel von 70 dB (A) und daß in Hamburg im besonderen die Anlieger von 202 km Straßenfronten einer Lärmeinwirkung von mehr als 75 dB (A) ausgesetzt sind. Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß die Beeinträchtigung der Wohngrundstücke Hamburgs durch Straßenverkehrslärm in der für Großstädte typischen Schwankungsbreite in die sich aus dem Mietspiegel ergebenden üblichen Mieten eingegangen ist.
2. Der Senat stimmt dem FG aber auch zu, daß die Beeinträchtigung des Grundstücks der Klägerin durch den festgestellten Straßenlärm nicht als "ungewöhnlich starke Beeinträchtigung" im Sinn des § 82 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 angesehen werden kann. Aus den Feststellungen des FG ergibt sich, daß am Grundstück der Klägerin Immissionswerte mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von 72 und 74 dB (A) nur während der Verkehrsspitzen in den Morgenstunden erreicht werden, daß der echte äquivalente Dauerschallpegel über den ganzen Tag aber wesentlich niedriger liege. Die Beeinträchtigung durch Großstadtlärm in seinen typischen Schwankungsbreiten ist aber keine ungewöhnlich starke Beeinträchtigung, denn sie ist für Großstädte kennzeichnend und damit ortsüblich. Eine ortsübliche Lärmeinwirkung auf ein Grundstück ist, von hier nicht interessierenden Ausnahmefällen abgesehen, nicht ungewöhnlich.
3. Die Einwendungen der Klägerin gegen die Entscheidung des FG können die vorstehend dargelegte Rechtsauffassung nicht widerlegen.
a) Die Klägerin kann sich nicht auf die technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA-Lärm - vom 16. Juli 1968 (Beilage zum Bundesanzeiger - BAnz - Nr. 137 vom 26. Juli 1968) berufen, die für die Genehmigung gewerblicher Anlagen in Wohngebieten fordert, daß die Immissionswerte der Lärmeinwirkung auf benachbarte Grundstücke tagsüber 55 dB (A) und nachts 45 dB (A) nicht überschreiten dürfen (vgl. Tz. 2.321 TA-Lärm). Denn diese Werte berücksichtigen nur den Lärm, der von der zu genehmigenden Anlage ausgeht, dagegen nicht auch andere Lärmbeeinträchtigungen, denen die Anlieger zusätzlich ausgesetzt sind (vgl. Tz. 2.422.4 TA-Lärm). Hinzu kommt, daß in der Beurteilung des Straßenverkehrslärms und des gewerblichen Lärms Unterschiede dahin bestehen, daß beim Verkehrslärm größere Beeinträchtigungen geduldet werden. Dies ist darin begründet, daß Kraftfahrzeuge Geräuschquellen sind, die aufgrund des technischen Standes des Autobaues allgemein einen Lärm zwischen 80 und 90 dB (A) erzeugen (vgl. "Zur Sache 4/73, Umweltschutz (III)", Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bundestages, Aus der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, Seite 23). Aus der Sicht des Umweltschutzes mag es nicht zu rechtfertigen sein, Verkehrslärm in höherem Maße als zumutbar zu betrachten als Gewerbelärm; doch kann der Senat bei der Entscheidung, ob eine Lärmbeeinträchtigung ungewöhnlich stark ist, die Tatsache nicht unberücksichtigt lassen, daß der Straßenverkehrslärm als Lärmverursacher bei weitem an erster Stelle steht (vgl. "Zur Sache", a. a. O.).
b) Das FG hat seiner Entscheidung entgegen der Auffassung der Klägerin zugrunde gelegt, daß nicht der Großraum Hamburg, sondern die ortsüblichen Verhältnisse der Lage des Grundstücks der Kläger maßgebend seien. Es sei zu berücksichtigen, daß das Grundstück der Klägerin nur etwa 200 m von einer Hauptausfallstraße und unmittelbar an einer Zubringerstraße zu dieser Ausfallstraße liege.
Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an, weil nach den Feststellungen des FG und unter Berücksichtigung der bei der Einheitsbewertung gebotenen Typisierung die Lärmeinwirkung auf das Grundstück der Klägerin nicht außerhalb der Schwankungsbreite der üblichen Beeinträchtigung durch Straßenverkehrslärm auf Wohngrundstücke in Hamburg liegt. Es ist Erfahrungstatsache, daß der innerstädtische Verkehr einer Großstadt zusammengeführt und über Ausfallstraßen, die zwangsläufig auch Wohngebiete durchziehen, aus der Stadt herausgeleitet werden muß. Hierzu hat das FG durch Sachverständigenbeweis festgestellt, daß an allen größeren Ausfallstraßen und den anliegenden Querstraßen ähnliche Verhältnisse wie im Streitfall gegeben seien. Aufgrund dieser unangefochtenen Feststellungen konnte es, ohne daß dies revisionsrichterlich zu beanstanden wäre, zu dem Ergebnis kommen, die Beeinträchtigung des Grundstücks der Klägerin durch Einwirkungen des Straßenverkehrslärms sei bei den gegebenen Verhältnissen in den Wohngebieten Hamburgs nicht ungewöhnlich stark.
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG nicht gegen § 9 BewG 1965 verstoßen. Das Ertragswertverfahren der §§ 78 f. BewG 1965 ist zwar ein Verfahren, das der Ermittlung des gemeinen Werts bebauter Grundstücke dient. Es ist jedoch ein der Massenbewertung angepaßtes typisiertes Verfahren. Aus diesem Grund ist, wie der Senat in seiner Entscheidung vom 12. Juni 1974 III R 49/73 (BFHE 112, 520, BStBl II 1974, 602) näher begründet hat, eine Bestimmung des gemeinen Werts eines bebauten Grundstücks unter unmittelbarer Heranziehung der Tatbestandsmerkmale des § 9 BewG 1965 nicht möglich. Deshalb konkretisiert § 82 BewG 1965 die allgemeinen Bewertungsfaktoren des § 9 Abs. 2 BewG 1965 für das Ertragswertverfahren. Zwar sind in § 82 Abs. 1 BewG 1965 die wertmindernden Umstände nicht abschließend geregelt, doch können die geregelten Umstände nicht durch unmittelbare Anwendung des § 9 Abs. 2 BewG 1965 in ihrem Inhalt verändert werden.
Aus den vorstehend dargelegten Gründen ergibt sich auch, daß bei Bewertung eines bebauten Grundstücks auf der Grundlage der sich aus dem Mietspiegel ergebenden üblichen Miete nicht mehr durch Vergleich der unterschiedlichen Lärmbeeinträchtigungen mehrerer nach der Spiegelmiete bewerteten Grundstücke Gründe für eine Ermäßigung wegen ungewöhnlich starker Lärmeinwirkung hergeleitet werden können, wenn die Schwankungsbreite der Lärmeinwirkung durch den Straßenverkehr schon in der aus dem Mietspiegel entnommenen üblichen Miete berücksichtigt ist. Die Einwendung der Klägerin, daß in der Nähe gelegene Grundstükke keiner derartigen starken Lärmeinwirkung ausgesetzt seien wie ihr Grundstück, könnten nur dann Erfolg haben, wenn die übliche Miete für ihr Grundstück aus tatsächlich gezahlten Mieten für Grundstücke abgeleitet worden wäre, die vom Straßenverkehrslärm besonders wenig beeinträchtigt sind. Hierfür liegen aber keine Anhaltspunkte vor. Die sich aus der typisierten Berücksichtigung des Straßenverkehrslärms ergebenden Ungleichmäßigkeiten von geringer steuerlicher Auswirkung müssen aber im Hinblick darauf, daß bei der Einheitsbewertung im Interesse ihrer Durchführbarkeit der Typengerechtigkeit der Vorrang vor einer nicht erreichbaren individuellen Gerechtigkeit eingeräumt werden muß (vgl. Entscheidung des BFH vom 24. Januar 1975 III R 4/73, BFHE 115, 58 [61], BStBl II 1975, 374), in Kauf genommen werden.
d) Die Klägerin meint weiter, die Vorentscheidung verstoße gegen das Gesetz, weil sie auf die Verkehrsauffassung überhaupt nicht eingegangen sei. Das Bewertungsgesetz 1965 schreibt jedoch weder in § 9 noch in § 82 ausdrücklich vor, daß auf die Verkehrsauffassung abzustellen sei. Soweit die Verkehrsauffassung nach dem Willen des Gesetzgebers aber nicht erkennbar von den an einer entscheidungserheblichen Frage beteiligten Wirtschaftskreisen abzuleiten ist, kann sie nur als die Anschauung verstanden werden, die urteilsfähige und unvoreingenommene Bürger von einer Sache haben, wenn sie mit ihr befaßt werden. Diese Verkehrsanschauung ist dem Gericht bekannt; sie bedarf keiner Ermittlung durch den Tatrichter. Damit liegt die von der Klägerin behauptete Verletzung des Rechts durch die Vorinstanz nicht vor.
e) Die Vorentscheidung steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) über Entschädigungsleistungen wegen erheblicher Lärmbeeinträchtigungen. Der BGH hat zwar seine Rechtsprechung unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 15. März 1974 (BGBl I 1974, 721) für den Schutz von Wohngebieten gegen schädliche Umwelteinflüsse dahin fortentwickelt, daß ein Entschädigungsanspruch nicht nur mehr ausnahmsweise in Betracht komme (Entscheidung vom 20. März 1975 III ZR 215/71, BGHZ 64, 220 [227]). Doch geht auch die geläuterte Rechtsprechung des BGH davon aus, daß eine Entschädigung erst in Betracht komme, wenn dem Straßenanlieger ein Sonderopfer aufgebürdet werde, das bei Berücksichtigung des insgesamt erheblich anwachsenden Straßenverkehrs spürbar über das hinausgehe, was den Straßenanliegern allgemein an Nachteilen und Belästigungen zugemutet werde. Dieser Entscheidung des BGH lag die Feststellung zugrunde, daß die Straße, an der das Grundstück des Klägers dieses Verfahrens lag, zu einer innerstädtischen Schnellstraße umgewandelt wurde, die nunmehr autobahnähnlichen Zuschnitt hat und erhebliche Teile des die Stadt durchquerenden Fernverkehrs einschließlich des Schwerlastverkehrs bei Tag und Nacht an dem Grundstück vorbeiführt. Derartige Verhältnisse sind bei dem Grundstück der Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits nicht gegeben. Der Senat kann deshalb offenlassen, ob die Überlegungen des BGH, die wesentlich durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1974 beeinflußt sind, auf die Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundvermögens zum 1. Januar 1964 überhaupt übertragen werden könnten.
Fundstellen
Haufe-Index 72583 |
BStBl II 1978, 5 |
BFHE 1978, 364 |