Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbe/Vermächtnisnehmer: Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Bezieher nachträglicher Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit i.S. des § 2 Abs.1 Nr.2 EStG ist der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger auch dann, wenn der --im wesentlichen nur aus dem Anspruch auf rückständige Rentenzahlungen bestehende-- Nachlaß mit Vermächtnissen belastet ist.
2. Die nachträglich zugeflossenen Rentenzahlungen werden dem Erben ungeachtet dessen zugerechnet, daß sie der Testamentsvollstrecker nicht zur Begleichung der hierauf entfallenden Einkommensteuer als Nachlaßverbindlichkeit, sondern zur Erfüllung von Vermächtnissen verwendet.
Normenkette
EStG § 11 Abs. 1 S. 1, § 24 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Die am 25. August 1990 verstorbene Frau A. hatte den Kläger und Revisionskläger (Kläger), ihren Neffen, zu ihrem Alleinerben bestimmt. Zugleich hatte sie Dritte mit Geldvermächtnissen in Höhe von insgesamt 52 000 DM bedacht und Testamentsvollstreckung angeordnet. Die beiden Testamentsvollstrecker gehörten zum Kreis der Vermächtnisnehmer.
Im Jahre 1974 hatte der Ehemann der Frau A. seinen Gewerbebetrieb gegen eine Rente veräußert. Nach dessen Ableben stand ihr aus diesem Rechtsgrund auf Lebenszeit eine Rente in Höhe von monatlich 2 000 DM zu. Die laufenden Rentenzahlungen versteuerte sie als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Am Todestag war der Erwerber des Betriebs mit Zahlungen in Höhe von 63 447,44 DM zuzüglich Zinsen in Rückstand. Die Testamentsvollstrecker schlossen mit ihm einen Vergleich über eine Nachzahlung in Höhe von insgesamt 80 000 DM, die im Streitjahr 1991 entrichtet wurde. Der Kläger hat vorgetragen, ihm selbst sei in seiner Eigenschaft als Erben nach Begleichung der Erbschaftsteuer der Betrag von 6 806,09 DM ausgezahlt worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfaßte im entsprechend den Angaben des Klägers ergangenen Einkommensteuerbescheid für 1991 nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 67 898 DM.
Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit der Klage trug der Kläger unter anderem vor: Es könne nicht Rechtens sein, daß derjenige, dem eine Erbschaft in Höhe von 6 800 DM anfalle, dafür Einkommensteuer in Höhe von fast 19 000 DM bezahlen müsse. Das verfassungsrechtliche Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sei verletzt.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Rechtsnachfolger i.S. des § 24 Nr.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei nur der Kläger als Gesamtrechtsnachfolger. Im Streitfall gingen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, daß die Erblasserin A. Vermächtnisse angeordnet habe. Ein Vermächtnisnehmer habe gegenüber dem Erben lediglich ein Forderungsrecht, auch wenn er zugleich Testamentsvollstrecker sei. Dem Kläger sei die Nachzahlung "zugeflossen". Der Kläger hätte der Erbenhaftung durch Ausschlagen der Erbschaft (§ 1953 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) oder durch Beschränkung der Haftung auf den Nachlaß (§ 1975 BGB) entgehen können.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Einkommensteuer für 1991 unter Abänderung des
angefochtenen
Bescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
24. Mai 1993 auf 8 892 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 24 Nr.2 EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs.1 EStG "auch ... Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs.1 Nr.1 bis 4 EStG" (hier: aus Gewerbebetrieb i.S. von § 2 Abs.1 Nr.2 EStG), und zwar "auch dann, wenn sie dem Steuerpflichtigen als Rechtsnachfolger zufließen". Das FG hat zu Recht entschieden, daß dem Kläger als Rechtsnachfolger der Erblasserin nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb zuzurechnen sind.
2. "Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit" liegen dann vor, wenn die Einkünfte in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer ehemaligen steuerbaren Tätigkeit stehen, insbesondere ein Entgelt für die im Rahmen einer steuerbaren Tätigkeit vom Rechtsvorgänger erbrachten Leistungen darstellen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Oktober 1963 VI 322, 323/61 U, BFHE 77, 741, BStBl III 1963, 592). Hinsichtlich der Bestimmung der Einkunftsart ist auf die Verhältnisse des Rechtsvorgängers abzustellen (vgl. Senatsurteil vom 31. August 1994 X R 115/92, BFH/NV 1995, 498, unter 2.). Demnach behält die im Jahre 1991 entrichtete Nachzahlung ihren Rechtscharakter als (nachträgliche) nicht tarifbegünstigte Einnahme aus Gewerbebetrieb.
Das FG ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, daß die Zahlung von 80 000 DM, die ihren Rechtsgrund in der Veräußerung des Gewerbebetriebes durch Herrn A. hat, zu nachträglichen Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört (§ 16 Abs.2, § 24 Nr.2 EStG). Diese Zuordnung zur Einkunftsart des § 2 Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 15 Abs.1 EStG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Hat sich der Veräußerer, der seinen Betrieb gegen Leibrente veräußert, für die Zuflußbesteuerung entschieden, bezieht er nachträgliche nicht tarifbegünstigte Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs.1, § 24 Nr.2 EStG), die mit ihrem vollen Betrag steuerbar sind, sobald und soweit die Summe der einzelnen wiederkehrenden Bezüge den Buchwert i.S. von § 16 Abs.2 Satz 2 EStG zuzüglich der Veräußerungskosten übersteigt (vgl. zu den Rechtsfolgen der Ausübung des sog. Veräußererwahlrechts BFH-Urteil vom 21. September 1993 III R 53/89, BFHE 172, 349, 352, unter 2. a; R 139 Abs.11 der Einkommensteuer-Richtlinien 1993 --EStR--).
3. § 24 Nr.2 EStG betrifft die im Bereich der Überschußeinkünfte regelungsbedürftige Fallgestaltung, daß der Einkommensteuertatbestand --zurechenbare Verwirklichung der im Steuertatbestand umschriebenen Erwerbshandlung einerseits und Zufluß andererseits-- nacheinander durch zwei Personen verwirklicht wird (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1995, 498). Die durch § 24 Nr.2 EStG normierte Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß der Rechtsvorgänger zwar durch seine Tätigkeit --hier: die Veräußerung des Gewerbebetriebes-- die Grundlage für einen Zufluß von Einkünften gelegt hat, indes der vom Steuertatbestand vorausgesetzte Zufluß von Einnahmen zu seinen Lebzeiten --vor Beendigung der persönlichen Steuerpflicht-- noch nicht verwirklicht war. Dem Rechtsnachfolger zufließende nachträgliche Einkünfte sind ihm als "dem Steuerpflichtigen" zuzurechnen; die vom Rechtsvorgänger --hier: vom Erblasser-- erzielten Einkünfte werden nicht nachträglich erhöht (Heinicke, Der Rechtsnachfolger im Sinn des § 24 EStG, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft --DStJG-- 10, S.99 ff., 103 ff.; Schmidt/ Seeger, Einkommensteuergesetz, 14.Aufl., § 24, Rdnr.92; Stadie, Die persönliche Zurechnung von Einkünften, 1983, S.77 f.; a.A. Biergans, Zur personellen Zurechnung latenter Einkünfte, in: Festschrift für L. Schmidt, 1984, S.91 ff., 98 f., m.w.N. der Literatur). Dies wird bestätigt durch die Steuerermäßigung des § 35 EStG, der die Beseitigung einer Doppelbelastung des Rechtsnachfolgers mit Einkommen- und Erbschaftsteuer bezweckt (vgl. Senatsurteil vom 7. Dezember 1990 X R 72/89, BFHE 163, 137, BStBl II 1991, 350).
4. Der Begriff des Rechtsnachfolgers i.S. des § 24 Nr.2 EStG umfaßt nach dem BFH-Urteil vom 25. März 1976 IV R 174/73 (BFHE 118, 572, 575, BStBl II 1976, 487) entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die Erträgnisse einer steuerpflichtigen Betätigung einkommensteuerrechtlich voll zu erfassen, sowohl den bürgerlich-rechtlichen Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolger als auch denjenigen, dem z.B. aufgrund eines von einem Gewerbetreibenden abgeschlossenen Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) Einnahmen zufließen, die auf der gewerblichen Betätigung beruhen. Wenn im Beschluß vom 25. Januar 1994 VIII B 111/93 (BFHE 173, 170, BStBl II 1994, 455) die Frage, wer Rechtsnachfolger i.S. des § 24 Nr.2 EStG ist, als in der Rechtsprechung noch nicht endgültig geklärt angesehen wird, ist dort doch als unstreitig hervorgehoben, daß jedenfalls der Gesamtrechtsnachfolger Steuerpflichtiger i.S. des § 24 Nr.2 EStG ist.
5. Für die Frage, wem als Rechtsnachfolger Einkünfte zugeflossen sind, ist allein maßgeblich, wer Inhaber des Anspruchs ist, der mit den nachträglichen Zahlungen erfüllt wird.
a) Dies ist grundsätzlich der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger. Dieser ist durch den Zufluß der nachträglichen Einnahmen objektiv bereichert. Das gilt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Nachlaß mit einem Vermächtnis belastet ist und er die zugeflossenen Einnahmen behalten darf. Er kann jedenfalls über sie aus eigenem Recht verfügen. Vorliegend braucht nicht entschieden zu werden, ob eine andere Person als der Erbe (Einzel-)Rechtsnachfolger i.S. des § 24 Nr.2 EStG ist, wenn ihm --als Vermächtnis oder im Wege der Schenkung von Todes wegen (§ 2301 BGB)-- eine Forderung auf nachträglich zufließende steuerbare Einnahmen zugewendet wird.
b) Der Vermächtnisnehmer selbst ist grundsätzlich --vorbehaltlich des hier nicht zu entscheidenden Sonderfalls eines Forderungsvermächtnisses-- nicht Rechtsnachfolger i.S. des § 24 Nr.2 EStG (vgl. Stadie, a.a.O., S.79 f.). Er kann eine Zahlung aus dem Nachlaßvermögen verlangen, ohne daß seine Forderung gegenständlich auf Auszahlung bestimmter Vermögenswerte gerichtet wäre. Dies zeigt sich insbesondere in dem Fall, daß die Vermächtnisforderung aus dem sonstigen, nicht durch nachträgliche Einkünfte i.S. des § 24 Nr.2 EStG gebildeten Vermögen erfüllt werden kann.
c) Entgegen der Auffassung des Klägers sind die nachträglichen Einkünfte aus Gewerbebetrieb ihm selbst ungeachtet dessen "zugeflossen" (§ 11 Abs.1 Satz 1 EStG), daß Testamentsvollstreckung angeordnet war (vgl. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 11 Rdnr.B 19).
6. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Klägers, daß seine Besteuerung im Streitfall zu einem verfassungswidrigen Übermaß führe. Dem Begehren des Klägers, nicht mit einer aus seinem sonstigen --nicht geerbten-- Vermögen zu entrichtenden Steuer auf nachträgliche Einkünfte belastet zu werden, kann im vorliegenden Verfahren nicht Rechnung getragen werden. In zivilrechtlicher Hinsicht ist zu bedenken, daß die vom Erben als Rechtsnachfolger i.S. des § 24 Nr.2 EStG geschuldete Steuer auf die nachträglichen Einnahmen eine Nachlaßverbindlichkeit (Erbfallschuld) ist (Siegmann in Steuerliche Vierteljahresschrift 1993, 337, 344). Auch ein Vermächtnis (§§ 1939, 2147 ff. BGB) begründet eine schuldrechtliche Forderung gegen den Nachlaß; diese ist indes vom Erben --als "Verbindlichkeit zweiter Klasse" (Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 55.Aufl., § 2174 Rdnr.9)-- nur dann und insoweit zu erfüllen, als der Nachlaß zur Deckung dieser Nachlaßverbindlichkeit (§ 1967 Abs.2 BGB) ausreicht (vgl. § 1992 BGB). Im Umfang seiner Befugnisse (§§ 2203 ff. BGB) muß der Testamentsvollstrecker vor Erfüllung der Vermächtnisse auch die den Erben belastende Steuerschuld begleichen. Der Erbe kann vom Testamentsvollstrecker jederzeit (§ 195 BGB) verlangen, daß dieser seine Verpflichtungen erfüllt und seine Befugnisse nicht überschreitet; er kann ihn nach näherer Maßgabe des § 2219 BGB wegen schuldhafter Verletzung seiner Pflichten in Haftung nehmen (vgl. Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 2219 Rdnr.1, 4).
Fundstellen
Haufe-Index 65902 |
BFH/NV 1996, 132 |
BStBl II 1996, 287 |
BFHE 179, 406 |
BFHE 1996, 406 |
BB 1996, 1256 |
BB 1996, 892 (Leitsatz) |
DB 1996, 1016-1018 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1996, 702-703 (Kurzwiedergabe) |
DStZ 1996, 340-341 (Kurzwiedergabe) |
HFR 1996, 411-412 (Leitsatz) |
StE 1996, 279 (Kurzwiedergabe) |