Entscheidungsstichwort (Thema)
Verweigerung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsbezug von einem Nichtunternehmer
Leitsatz (NV)
1. § 15 Abs. 1 UStG 1967 sieht in Beziehung auf die Unternehmereigenschaft desjenigen, von dem die Vorleistung ausgeführt worden ist, bei dem den Vorsteuerabzug geltend machenden Unternehmer keinen Gutglaubensschutz vor.
2. Ein Unternehmer, der sich um die Klärung der Unternehmereigenschaft des die Vorleistung Bewirkenden bemüht (siehe LS 1), handelt in Wahrnehmung eigener Obliegenheiten, nicht in Erfüllung steuerlicher Pflichten, so daß der Gesichtspunkt der ,,Zumutbarkeit" in Beziehung auf ,,Prüfungspflichten" keine Bedeutung hat.
3. Der Umstand, daß der die Vorleistung ausführende Nichtunternehmer gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1967 zur USt herangezogen wird, kann nicht dazu führen, den nach dem Gesetz nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzug zuzulassen.
4. Nach § 102 FGO sind die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit zwar dazu berufen, die den Finanzbehörden eingeräumten Ermessensentscheidungen auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen, sie dürfen aber keine Billigkeitsmaßnahmen gewähren, ohne daß die Finanzbehörden zuvor hierüber befunden hätten.
Normenkette
FGO § 102; UStG 1967 § 14 Abs. 3, § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Klin. wurde von einer Gemeinde ein Recht zur Kiesausbeute gegen Vergütung überlassen. Hierwegen stellte die Gemeinde der Klin. in den Jahren 1970 bis 1972 Umsatzsteuer gesondert in Rechnung. Die Klin. machte die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Bei einer 1973 durchgeführten Betriebsprüfung hinsichtlich der Jahre 1970 und 1971 wurde der insoweit vorgenommene Vorsteuerabzug nicht beanstandet.
Aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung im März 1975 vertrat das FA sodann die Ansicht, der Vorsteuerabzug sei nicht zulässig, weil die Gemeinde die Leistungen nicht als Unternehmer erbracht habe. Das FA erließ hinsichtlich der Jahre 1970 und 1971 auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 RAO gestützte berichtigte Bescheide. Hinsichtlich des Jahres 1972 änderte das FA mit berichtigtem vorläufigen Bescheid (§§ 94 Abs. 1 Nr. 2, 100 Abs. 2 RAO) die zuvor ergangene vorläufige Steuerfestsetzung. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.Auf die Klage hob das FG die Berichtigungsbescheide vom . . . auf und stellte die zuvor erlassenen Bescheide wieder her. Zur Begründung führte das FG aus, der geltend gemachte Vorsteuerabzug stehe der Klin. zu. Fehlende Unternehmereigenschaft desjenigen, der die Vorleistungen ausgeführt habe, schließe nicht unter allen Umständen den Vorsteuerabzug aus. Dies geschehe insbesondere dann nicht, wenn der den Vorsteuerabzug geltend machende Unternehmer seine Prüfungspflicht hinsichtlich der Unternehmereigenschaft des Leistenden bis zu der durch die Zumutbarkeit gezogenen Grenze erfüllt habe, ohne aufdecken zu können, daß der Leistende nicht Unternehmer sei. Derartige Verhältnisse lägen hier vor, zumal die betreffende Verbandsgemeindeverwaltung mit Schreiben vom 3. Januar 1971 sich an die Klin. gewandt und unter Berufung auf einen Erlaß des Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten eine Umsatzsteuernachforderung für 1970 geltend gemacht habe. Es komme hinzu, daß aufgrund der Betriebsprüfung hinsichtlich der Jahre 1970 und 1971 der Vorsteuerabzug nicht beanstandet worden sei.
Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Das FA rügt Verletzung des § 15 UStG 1967 und macht geltend, die Überlassung des Kiesausbeuterechts durch die Gemeinde stelle weder einen Betrieb gewerblicher Art noch einen land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb der Gemeinde dar. Mithin sei die Vorsteuer nicht von einem Unternehmer in Rechnung gestellt worden. Der von der Klin. geltend gemachte gute Glaube an die Unternehmereigenschaft der Gemeinde könne einen Vorsteuerabzug nicht rechtfertigen.
Die Klin. beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet.
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG hat es unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, ob der Gemeinde bei der Bewirkung von Leistungen an die Klin. - Überlassung des Rechts zur Kiesausbeute - die Unternehmereigenschaft gefehlt hat. Andererseits rechtfertigen die vom FG angeführten Umstände nicht den umstrittenen Vorsteuerabzug, auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Zulassung von Billigkeitsmaßnahmen gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 RAO. Die Vorentscheidung enthält überdies keine Feststellungen zu der Frage, ob hinsichtlich der Streitjahre 1970 und 1971 die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für den Erlaß der angefochtenen Berichtigungsbescheide vorgelegen haben.
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 kann der Unternehmer die ihm von anderen Unternehmern gesondert in Rechnung gestellte Umsatzsteuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Zu den tatbestandsmäßigen Anforderungen gehört mithin die Unternehmereigenschaft des Leistenden. Beim Vorliegen der Voraussetzungen steht dem Unternehmer ein Rechtsanspruch auf den Vorsteuerabzug zu (umgekehrter, verfahrensrechtlich unselbständiger Steueranspruch). Sind die gesetzlichen Voraussetzungen dagegen nicht erfüllt, so geht dies zu Lasten des Unternehmers, der den Vorsteuerabzug geltend macht. Der Unternehmer trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorhandensein der den Anspruch begründenden Tatsachen. Einen Schutz des guten Glaubens daran, daß die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind, sieht § 15 UStG 1967 nicht vor (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1978 V R 39/75, BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345).
Hieran hält der Senat auch nach erneuter Prüfung fest. Es entspricht nicht nur dem Gesetzeswortlaut, sondern auch Sinn und Zweck des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967, den Vorsteuerabzug nicht zu gewähren, wenn die bezogene Leistung von einem Nichtunternehmer erbracht worden ist. Im System der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug soll die umsatzsteuerliche Entlastung der Vorbezüge grundsätzlich nur innerhalb der Unternehmerkette stattfinden. Dies setzt voraus, daß die bezogenene Leistung von einem Unternehmer bewirkt worden ist. Dagegen kommt es grundsätzlich - wegen der Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen siehe unten unter Nr. 2 - nicht darauf an, ob der den Vorsteuerabzug geltend machende Unternehmer fehlende Unternehmereigenschaft desjenigen hat erkennen können, von dem die Leistung bezogen worden ist. Der Gesetzgeber hat ebensowenig insoweit einen Gutglaubenschutz vorgesehen wie für andere Fälle, in denen eine steuermindernde Vorschrift wider Erwarten des Steuerpflichtigen aufgrund fehlender Tatbestandsverwirklichung nicht zur Anwendung kommt.
Nichts anderes ergibt sich aus Erwägungen zum Vorhandensein entsprechender ,,Prüfungspflichten" des den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmers und zur Begrenzung dieser ,,Pflichten" durch die Zumutbarkeit. Der Gedanke, daß dem die Leistung beziehenden Unternehmer vom Gesetzgeber die ,,Pflicht" auferlegt worden sei, die Unternehmereigenschaft desjenigen zu prüfen, der die Leistung bewirkt, wird den rechtlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Bei der Anwendung des § 15 Abs. 1 UStG 1967 ist der Unternehmer ebensowenig wie im Anwendungsbereich anderer steuermindernder Vorschriften nach Steuerrecht gehalten, den Eintritt der betreffenden Steuerminderung herbeizuführen oder auch nur die Beweisbarkeit der entsprechenden tatbestandsmäßigen Voraussetzung sicherzustellen. Wenn der Unternehmer sich hierum bemüht, so handelt er nicht in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten, sondern - von hier nicht interessierenden etwaigen entsprechenden Pflichten gegenüber Dritten abgesehen - allein in Wahrnehmung eigener Obliegenheiten, so daß im vorliegenden Zusammenhang der Gedanke einer Grenzziehung durch die Zumutbarkeit keine Bedeutung haben kann.
Für die Zulässigkeit des Vorsteuerabzugs ist schließlich die Höhe des Betrages, um den es geht, ebenso ohne Bedeutung wie die Regelung des § 14 Abs. 3 UStG 1967. Die zitierte Vorschrift enthält einen Gefährdungstatbestand besonderer Art. Sie soll die unberechtigte Begebung von Abrechnungen mit gesondertem Steuerausweis verhindern, die eine Gefährdung des Steueraufkommens herbeiführt; denn der Empfänger der Abrechnung wird in den Stand versetzt, sich unberechtigt Vorsteuer erstatten zu lassen. Allein hieran ist die Besteuerung nach § 14 Abs. 3 UStG 1967 geknüpft (BFH-Beschluß vom 13. September 1984 V B 53/83, BFHE 142, 63, BStBl II 1985, 20). Angesichts dessen ist es nicht vertretbar, aus dem Umstand einer etwaigen Steuererhebung gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1967 beim Rechnungsaussteller Argumente für die Zulassung der gesondert ausgewiesenen Steuer zum Vorsteuerabzug beim Rechnungsempfänger herzuleiten.
2. Die Vorentscheidung hält der Revision auch nicht unter dem Gesichtspunkt stand, daß etwa die vom FG angestellten Erwägungen eine Billigkeitsmaßnahme gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 RAO mit dem Ergebnis einer Zulassung des Vorsteuerabzugs zu rechtfertigen vermöchten. Es kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen auch beim Vorsteuerabzugsanspruch ein Überhang des Tatbestandes über die Wertung des Gesetzgebers mit der Notwendigkeit einer Billigkeitsmaßnahme vorliegen kann. Selbst wenn sich dies annehmen lassen sollte, hätte das FG der Klin. eine entsprechende Billigkeitsmaßnahme nicht zuerkennen dürfen. Nach § 102 FGO sind die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit zwar dazu berufen, die den Finanzbehörden eingeräumten Ermessensentscheidungen auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Sie dürfen aber keine Billigkeitsmaßnahmen gewähren, ohne daß die Finanzbehörden zuvor hierüber befunden hätten.
3. Für den Fall, daß der Klin. der umstrittene Vorsteuerabzug von Gesetzes wegen nicht zustehen sollte (Fehlen der Unternehmereigenschaft der leistenden Gemeinde), käme es weiter darauf an, ob das FA zum Zwecke der Verweigerung des Vorsteuerabzuges die für die Veranlagungszeiträume 1970 und 1971 vorliegenden Umsatzsteuerbescheide gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 RAO hat ändern dürfen. Diese Bescheide waren vor der zur Berichtigung führenden Umsatzsteuersonderprüfung im März 1975 bereits Gegenstand einer Betriebsprüfung im Jahre 1973 (siehe hierzu Tipke/Kruse, AO, 7. Aufl., § 222 Rdnr. 12 ff.). Auch hierzu hat das FG keine Feststellungen getroffen. Die Sache war daher zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen