Entscheidungsstichwort (Thema)
Reise eines Sonderschullehrers durch Polen
Leitsatz (NV)
Ein Steuerpflichtiger, der als Lehrer an einer Sonderschule und als Lehrbeauftragter für Heilpädagogik tätig ist, kann Aufwendungen für eine fachbezogen organisierte Reise durch Polen nicht als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehen, wenn mit Teilen des Programms auch ein allgemein-touristisches Interesse befriedigt worden ist.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1, § 12 Nr. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger ist Lehrer an einer Sonderschule. Die Kläger nahmen in der Zeit vom . . . bis . . . (15 Tage) gemeinsam an einer Studienfahrt nach Polen teil. Die Fahrt organisierte ein Seminar einer Fakultät F, das sich mit Fragen der Lernbehinderungen und Erziehungsschwierigkeiten befaßt. Teilnehmer waren außer den Klägern Studenten der Fakultät. In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger Reiseaufwendungen des Ehemannes in Höhe von . . . DM geltend.
Der Ablauf der Reise ergibt sich aus dem folgenden Gedächtnisprotokoll:
Sa., den ... Fahrt bis an die polnische Grenze
So., den ... Ankunft in Warschau (gegen 19 Uhr)
Mo., den ... vormittags: Begrüßung an der Universität Warschau Führung durch die Uni und erstes Kennenlernen der poln. Gastgeber.
nachm.: Das Sonderschulwesen in Polen Vortrag mit anschl. Diskussion
Di., den ... vorm: Besichtigung eines Reha-Zentrums in Warschau
nachm.: geschichtliche Führung durch Warschau (Leitung: ... geschichtl. Fakultät)
Mi., den . . vorm.: Kirche und Politik in Polen, Vortrag mit anschl. Diskussion
nachm.: Pädagogik und Rehabilitation schwererziehbarer Kinder in Polen
abends: Besuch einer Theateraufführung
Do., den ... vorm. und nachm.: Jugendgruppen in Polen ganztägige Begegnung mit einer akademischen Pfadfindergruppe (Arbeitsmöglichkeiten und -weisen, Probleme, staatliche Anerkennung, Besichtigung des Zentrums)
Fr., den . . vorm.: Besuch zweier Sonderschulen in Warschau
nachm.: zur freien Verfügung
Sa., den ... Fahrt zu den Masurischen Seen (unter kulturhistorischem Aspekt) mit einer Studentengruppe (angehende Sonderschullehrer)
So., den ... Abschließendes Gespräch und Rückfahrt nach Warschau
Mo., den ... Fahrt nach Krakau
Di., den ... vorm.: Behinderte und ihre Sexualität, Vortrag mit anschl. Diskussion
nachm.: Geschichte der Stadt und der Universität (geschichtlicher Rundgang unter Leitung eines Mitglieds der historischen Fakultät)
Mi., den ... vorm.: Besuch einer Sonderschule und eines Reha-Zentrums in Krakau
nachm.: zur freien Verfügung
Do., den ... vorm.: Besichtigung einer kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtung
nachm.: kritische Zusammenfassung und Diskussion der Erkenntnisse, die die Studienfahrt erbracht hat (zusammen mit den poln. Gastgebern)
Fr., den ... Rückfahrt bis zur poln. Grenze
Sa., den ... Rückkehr nach ...
Vorgelegt wurde desweiteren die Abschrift eines Belegbogens der Fakultät F, wonach der Kläger im Sommersemester (vorher) u. a. eine Lehrveranstaltung mit der Bezeichnung ,,Warschau und Krakau sind eine Reise wert!" belegt hatte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ die geltend gemachten Aufwendungen nicht zum Werbungskostenabzug zu. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) trug der Kläger u. a. vor: Er sei seit . . . Lehrbeauftragter an der Fakultät F. Er unterrichte an zwei Stunden wöchentlich . . . pädagogik. Diese seit 1985 wegen Anfertigung einer Dissertation unterbrochene Tätigkeit werde er nach deren Fertigstellung wieder aufnehmen. Der Lehrstuhlinhaber seines Fachbereichs lege Wert darauf, daß seine Lehrbeauftragten Auslandserfahrungen hätten. Er, der Kläger, habe deshalb schon eine Studienfahrt nach Frankreich unternommen und die Teilnahme an einer Studienfahrt nach Israel nur wegen gleichzeitig stattfindenden Unterrichts absagen müssen. Der Kläger legte dem Gericht eine (auf den 5. September 1988 datierte) Bescheinigung der Fakultät F (Prof. Dr. X) vor, die folgenden Inhalt hat:
,,Doktoranden und Lehrbeauftragte in meinem Fachgebiet verpflichte ich innerhalb ihrer Tätigkeit in meinem Seminar, vergleichende Sonderpädagogik im Ausland zu studieren. Herr . . . ist sowohl Lehrbeauftragter wie Doktorand, der sich mit vergleichender Sonderpädagogik wissenschaftlich wie praktisch auseinandersetzt. Er studierte in Polen Einrichtungen, die sich mit außergewöhnlichem Lernen beschäftigen. Er führte Fachgespräche mit Experten und mit praktizierenden Sonderpädagogen. Einen Reisekostenzuschuß hat er nicht erhalten."
Das FG gab der Klage statt. Zur Begründung führte es u. a. aus: Die Studienreise stehe in einem unmittelbaren beruflichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit des Klägers als Sonderschullehrer sowie mit seiner Nebentätigkeit als Lehrbeauftragter an der Universität, wobei letzteres im Vordergrund stehe. Dies belege auch die vorgelegte Bescheinigung der Fakultät F. Die Reise habe zwar auch allgemeinbildende Elemente mitumfaßt, sei aber überwiegend durch die Behandlung von Fachfragen geprägt gewesen.
Mit der Revision macht das FA geltend, das angefochtene Urteil weiche von dem Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. November 1978 GrS 8/77 (BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213) sowie von dem Urteil des BFH vom 15. Dezember 1982 I R 73/79 (BFHE 138, 40, BStBl II 1983, 409) ab. Das FG habe in unzulässiger Weise die Reise nach Polen als Fachveranstaltung angesehen und deshalb die von der Rechtsprechung des BFH für Auslandsgruppenreisen zu Studienzwecken entwickelten Beurteilungsmerkmale nicht oder nicht genügend berücksichtigt. Hilfsweise werde beantragt zu prüfen, ob die Reiseaufwendungen nicht als Ausbildungskosten i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu qualifizieren gewesen wären, da der Kläger die Reise im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf seine Promotion gemacht habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Entgegen der Auffassung des FG läßt sich der Abzug der geltend gemachten Reiseaufwendungen weder mit der Haupttätigkeit des Klägers als Sonderschullehrer noch mit seiner Nebentätigkeit als Lehrbeauftragter an der Universität begründen. In beiden Fällen steht einem Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) bzw. als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) das Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG entgegen. Insoweit verweist der Senat auf sein Urteil vom heutigen Tag VI R 9/89, BFH/NV 1992, 730. Hiernach liegen keine Werbungskosten, sondern (nichtabziehbare) Aufwendungen für die Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG vor, wenn die Kosten für die Teilnahme an einer Auslandsgruppenreise nicht offensichtlich und unmittelbar durch den Beruf des Steuerpflichtigen, sondern durch das Interesse an allgemeiner Fortbildung veranlaßt sind. Dies gilt vor allem, wenn nach dem Reiseprogramm auch ein allgemein-touristisches Interesse befriedigt wird, insbesondere wenn die Reise mit einem häufigen Ortswechsel verbunden ist und die besuchten Orte auch beliebte Ziele des Tourismus sind.
Das FG hat bei verschiedenen Veranstaltungen der streitigen Reise, wie bei den Führungen durch Warschau und Krakau, einen allgemeinbildenden, also nicht berufsbezogenen, Charakter angenommen. Der Wochenendfahrt zu den Masurischen Seen hat es erhebliche (persönliche) Erlebniswerte zugesprochen. Es hat ferner nicht verkannt, daß den Reiseteilnehmern zwei Nachmittage zur freien Verfügung standen. Dennoch hat das Gericht diesen Umständen keine entscheidende Bedeutung beigemessen, sondern allein auf die berufsbezogenen Veranstaltungen abgestellt, die nach seiner Ansicht den Hauptteil des Reiseprogramms ausgemacht haben sollen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Der Streitfall ist nicht anders zu beurteilen als der Sachverhalt, der dem Senatsurteil vom 7. Septemer 1990 VI R 110/87 (BFH/NV 1991, 232) zugrunde lag. Dort ging es um eine Rundreise durch Polen, die eine Arbeitsgemeinschaft von Rechtsreferendaren veranstaltet hatte. Bei jener Sache war das FG davon ausgegangen, daß einerseits - ähnlich wie im Streitfall - die Reise nach fachlichen Gesichtspunkten organisiert und der Teilnehmerkreis homogen im Sinne gleichgerichteter fachlicher Interessen andererseits die Reise jedoch mit einem häufigen Ortswechsel verbunden und auf zahlreiche touristisch attraktive Ziele ausgerichtet war. Der erkennende Senat hat in jenem Fall nicht die berufsbezogenen Umstände, sondern die privaten Interessen dienenden Bildungsmöglichkeiten als sachentscheidend angesehen. Auch im Streitfall sind die dem privaten Bildungsstreben und dem persönlichen Erleben dienenden Programmpunkte als nicht unbedeutend zu werten, zumal die Seminarveranstaltung die Bezeichnung ,,Warschau und Krakau sind eine Reise wert!" trug. Der Senat folgt nicht dem FG, das die Reise zu den Masurischen Seen als zu vernachlässigende Größe angesehen hat. Der persönliche Erlebniswert einer solchen Fahrt wird nicht dadurch verdrängt, daß sie unter Beteiligung von Fachkollegen des Gastlandes stattfindet. Der private Charakter ist auch dann nicht zu vernachlässigen, wenn die Veranstaltung am Wochenende durchgeführt wird, jedenfalls nicht, wenn die Reise in ihrer Gesamtheit - wie im Streitfall - aus einem gemischten Programm besteht.
Das FG hat den von ihm angenommenen beruflichen Zusammenhang zur Haupttätigkeit des Klägers als Sonderschullehrer nicht näher begründet. Einen solchen vermag der Senat nicht zu erkennen. Die auf einer derartigen Reise gewonnenen Informationen und Eindrücke dienen allenfalls der allgemeinen beruflichen Bildung, die als solche einen unmittelbaren beruflichen Zusammenhang nicht begründen kann (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213 unter C. II. 1. a; Senatsurteil vom 8. Juli 1988 VI R 118/86, BFH/NV 1989, 93, sowie das beiliegende Urteil vom heutigen Tag VI R 9/89 - Türkei-Reise von Lehrern, die türkische Schüler unterrichten -).
Soweit das FG einen unmittelbaren beruflichen Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers als Lehrbeauftragter gesehen hat, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Das FG führt für seine Auffassung in erster Linie den wissenschaftlichen Anspruch an, den die Lehrtätigkeit an den Kläger stellt. Demgegenüber hat es der erkennende Senat nicht genügen lassen, daß ein Hochschul-Geograph auf einer Auslandsgruppenreise auch seinen wissenschaftlichen Interessen nachgeht, hierfür sogar Material sammelt und es später auswertet. Er ist vielmehr davon ausgegangen, daß in einem solchen Fall ein unmittelbarer beruflicher Bezug zu der Reise in der Regel nur dann besteht, wenn etwa der Steuerpflichtige nachweislich beabsichtigt, seine Reiseeindrücke durch das Abfassen eines Buches oder das Abhalten einer anschließenden Semestervorlesung zu verwerten oder wenn er einen hierzu speziell erteilten Forschungsauftrag durchführt (vgl. BFH-Urteile vom 23. Oktober 1981 VI R 71/78, BFHE 134, 325, BStBl II 1982, 69, und vom 27. März 1991 VI R 51/88, BFHE 164, 75, BStBl II 1991, 575). Diese Grundsätze haben sinngemäß auch im Streitfall zu gelten. Danach hätte der Kläger ähnliche, ebenso wichtige Gründe dartun müssen. Hieran fehlt es jedoch.
Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung der Fakultät F läßt einen entsprechenden Grund nicht erkennen. Nach der Bescheinigung war der Kläger von dem zuständigen Lehrstuhlinhaber angehalten, vergleichende Sonderpädagogik im Ausland zu ,,studieren", also im Sinne einer allgemeinen beruflichen Bildung Erkenntnisse zu sammeln, nicht jedoch etwa einen bestimmten Forschungsauftrag durchzuführen.
Die vom FA im vorliegenden Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob der Kläger mit seiner Lehrtätigkeit Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit (wie offensichtlich vom FG angenommen) oder aus selbständiger Tätigkeit erzielt hat (vgl. BFH-Urteil vom 4. Oktober 1984 IV R 131/82, BFHE 142, 268, BStBl II 1985, 51), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn die hier maßgebenden Grundsätze zum Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG gelten für die Überschuß- und die Gewinneinkünfte gleichermaßen (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17 unter II. 3.).
2. Das FG hat - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - nicht geprüft, ob die vom Kläger geltend gemachten Reiseaufwendungen im Rahmen der vorgesehenen Höchstbeträge als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG abgezogen werden können.
Nach der genannten Vorschrift sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung oder seine Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf bis zu 900 DM im Kalenderjahr abziehbar (Satz 1). Dieser Betrag erhöht sich auf 1200 DM, wenn der Steuerpflichtige wegen der Ausbildung oder Weiterbildung außerhalb des Orts untergebracht ist, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält (Satz 2).
Wie sich aus der vom FG in Bezug genommenen Bescheinigung der Fakultät F ergibt, war der Kläger dort in der Vergangenheit als Doktorand tätig. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen für die Promotion gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG als Sonderausgaben abziehbar (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 27. März 1991 VI R 52/88, BFHE 164, 272, BStBl II 1991, 637, m. w. N.). Als Voraussetzung hierfür wäre allerdings im Streitfall der Nachweis zu erbringen, daß die auf der Reise gewonnenen Erkenntnisse in einem sinnvollen Zusammenhang mit der Dissertation standen und die Teilnahme an der Reise für die Promotion zwingend erforderlich war. Das FG wird daher auch zu ermitteln haben, ob der Lehrstuhlinhaber, Prof. Dr. X, an die von ihm betreuten Doktoranden regelmäßig entsprechende Anforderungen stellt bzw. gestellt hat. Hierfür wird das Gericht eine Vernehmung der betreffenden Personen als Zeugen in Betracht zu ziehen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 64047 |
BFH/NV 1992, 801 |