Entscheidungsstichwort (Thema)
Türkei-Reise einer Grundschullehrerin
Leitsatz (NV)
Eine Lehrerin, die an der Grundschule auch türkische Kinder unterrichtet, kann Aufwendungen für eine - auch touristisch interessante - Reise durch die Türkei nicht als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehen, selbst wenn sie vorher einen ganzjährigen fachbezogenen Vorbereitungskurs besucht hat.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1, § 12 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr als Lehrerin (u. a. mit dem Fach katholische Religionslehre) an einer Grundschule tätig. Unter den an der Schule unterrichteten Kindern war nach Angaben der Klägerin ein Anteil von . . . v. H. türkischer Herkunft, unter den Kindern ihrer Klasse ein Anteil von . . . v. H. (etwa 1/5).
In der Zeit vom 8. bis 22. Oktober 19 . . unternahm die Klägerin eine Studienreise in die Türkei, die vom Seminar für die Ausbildung und Fortbildung der Lehrer im Rahmen eienr Lehrerfortbildungsmaßnahme durchgeführt wurde. Die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung weist folgendes Programm aus:
9. 10. Bursa
Besuch islamischer Kulturstätten (Grundlage für den Unterricht interkultureller Erziehung)
10. 10. Besuch einer dörflichen Grundschule und einer Mittelschule auf der Fahrt Bursa-Ankara
11. 10. Ankara
Besuch einer gewerblichen Berufschule, Teilnahme am Unterricht, Diskussion mit Hochschullehrern
Besuch einer Staatstheateraufführung
12. 10. Sungurlu
Besuch einer gewerbl.-technischen Berufsschule
Besuch eines Gymnasiums.
Erläuterungen, Demonstrationen und Diskussionen mit türkischen Kollegen
13./14. 10. Nevsehir
Kennenlernen von kleingewerblichen Betrieben, Besichtigung von Kulturstätten.
15./18. 10. Mersin/Alanya
Besuch von Grundschulen an der Küste und im Bergland, Anbahnen von Patenschaften mit deutschen Schulen, ausführliche Gespräche mit türkischen Kollegen, Teilnahme am Unterricht.
19./22. 10. Istanbul
Auseinandersetzung mit Kultur und Geschichte der Türkei, mit wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten.
Für die Teilnahme an der Reise gewährte der Kultusminister des Landes der Klägerin Sonderurlaub und Dienstunfallschutz. Zuvor hatte die Klägerin ein Jahr lang wöchentlich einen Fortbildungskurs zur Unterrichtung türkischer Kinder besucht, für den sie vom Unterricht freigestellt war.
Bereits in der Zeit vom 26. März bis 9. April 19 . . hatte die Klägerin eine Gruppenreise in die Türkei unternommen, die unter dem Thema ,,Auf den Spuren des heiligen Paulus" stand.
Die Kosten der beiden Reisen machte die Klägerin als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu.
Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Die hiergegen erhobenen Klage wies das Finanzgericht (FG) ab, soweit die Kosten der im März/April durchgeführten Reise betroffen waren. Hinsichtlich der Aufwendungen für die im Oktober durchgeführte Reise gab es der Klage statt. Anknüpfend an die Grundsätze, mit denen es den Abzug der Kosten für die erste Reise verneint hatte, führte es hierzu im wesentlichen folgendes aus: Die Reise habe in einem besonderen und eindeutigen Bezug zu der beruflichen Tätigkeit der Klägerin gestanden. Sie sei der Abschluß eines einjährigen Kurses gewesen, der der Fortbildung von Lehrkräften für den Unterricht türkischer Kinder gedient habe. Wenn die Reise auch nicht den Charakter einer Dienstveranstaltung gehabt habe, so sei die Verbindung zur beruflichen Tätigkeit wesentlich enger gewesen, als dies bei den üblichen Informationsreisen der Fall sei. Die vorherige intensive Schulung sei durch die Reise und die hierdurch ermöglichten persönlichen Eindrücke und Erfahrungen, insbesondere der türkischen Kultur und Lebensweise, in vielfältiger Hinsicht ergänzt worden. Hierfür habe sich das Programm mit dem Besuch islamischer Kulturstätten, Schulen verschiedener Formen, Diskussionen mit türkischen Kollegen, der Teilnahme am Unterricht und dem Besuch von Betrieben entsprechend geeignet. Der eindeutig feststellbare konkrete berufliche Anlaß der Reise sei nicht dadurch in entscheidender Weise beeinträchtigt worden, daß die Reiseroute auch mehrere touristisch sehenswerte Orte berührt habe. Der damit möglicherweise verbundene touristische Aspekt sei gegenüber der unmittelbaren beruflichen Veranlassung nur von untergeordneter Bedeutung gewesen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 9 Abs. 1 und § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Entscheidungsgründe
Die Revsision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung war entsprechend dem Revisionsbegehren aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Bei der Einkunftsart ,,nichtselbständige Arbeit" sind Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 EStG nach der Rechtsprechung des Senats alle durch den Beruf veranlaßten Aufwendungen des Arbeitnehmers. Dazu gehören auch die sog. Berufsfortbildungskosten. Diese dienen dazu, in einem bereits ausgeübten Beruf auf dem laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. November 1980 VI R 50/79, BFHE 132, 49, BStBl II 1981, 216). Berufsfortbildungskosten können u. a. Aufwendungen für die Teilnahme an einer beruflich bedingten Fortbildungsveranstaltung, auch eine Gruppenreise bzw. Auslandsreise sein (vgl. BFH-Urteile vom 8. Juli 1988 VI R 118/86, BFH/NV 1989, 93, und vom 1. Dezember 1989 VI R 135/86, BFH/NV 1990, 558).
Keine Werbungskosten, sondern (nichtabziehbare) Aufwendungen für die Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG liegen vor, wenn die Kosten für die Teilnahme an einer Auslandsgruppenreise nicht offensichtlich und unmittelbar durch den Beruf des Steuerpflichtigen, sondern durch das Interesse an allgemeiner Information oder an beruflicher Fortbildung veranlaßt sind, es sei denn, daß die Förderung des Berufs bei weitem überwiegt und die Lebensführung ganz in den Hintergrund tritt (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213, unter C. II. 1. a und 2. c). Ob der Steuerpflichtige aus beruflichen oder privaten Gründen an der Reise teilgenommen hat, muß anhand objektiver Merkmale beurteilt werden. Die tatsächlichen Feststellungen dieser Merkmale und ihre Gewichtigung (Würdigung) im Einzelfall ist zwar Aufgabe der Tatsacheninstanz; dem BFH als Rechtsinstanz obliegt es jedoch, zum Zwecke einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung und Beurteilung einer solchen Reise Kriterien zu bilden, die für eine private oder betriebliche (berufliche) Veranlassung einer Reise sprechen (vgl. Großer Senat des BFH in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213, unter C. II. vor 1.).
In ständiger Rechtsprechung sieht der BFH eine Auslandsgruppenreise dann als privat veranlaßt an, wenn nach dem Reiseprogramm auch ein allgemein-touristisches Interesse befriedigt wird, das nicht von untergeordneter Bedeutung ist, insbesondere wenn die Reise mit einem häufigen Ortswechsel verbunden ist und die besuchten Orte auch beliebte Ziele des Tourismus sind (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1990 VI R 179/87, BFH/NV 1991, 317, m. w. N.). Ein solches allgemein touristisches Interesse der Klägerin hat das FG auch bezüglich deren zweiten - hier streitigen - Türkei-Reise angenommen. Es hat ihm jedoch nur ganz untergeordnete Bedeutung beigemessen und die für die berufliche Veranlassung sprechenden Gründe als weitaus überwiegend gewertet. Dem kann nicht gefolgt werden.
Der Streitfall ist ebenso zu beurteilen wie der Sachverhalt, der dem Senatsurteil in BFH/NV 1989, 93 zugrunde lag. Dort ging es um eine Reise in die Türkei, die vom Kultusministerium in Zusammenarbeit mit einer Akademie für politische Bildung im Rahmen eines Weiterbildungslehrgangs . . . organisiert worden war. An dieser Reise hatte eine Studienrätin teilgenommen, die an einer berufsbildenden Schule fast ausschließlich junge - aus Schulen in der Türkei kommende - Türkinnen unterrichtet hatte. Den persönlichen Erlebniswert jener Reise hat der Senat in seiner Entscheidung in BFH/NV 1989, 93 als erheblich angesehen; der von der Vorinstanz angeführte Grund, die Reise habe für die Lehrerin die Möglichkeit eröffnet, aufgrund eigenen Erlebens den Unterricht an den türkischen Schülern noch bessern zu gestalten, wurde dagegen als nicht sachentscheidend gewertet. Mit jener Entscheidung sind die Gründe des im Streitfall angefochtenen Urteils nicht zu vereinbaren, soweit darin das FG für die fast ausschließliche berufliche Veranlassung der Reise auf die ,,hierdurch ermöglichten persönlichen Eindrücke und Erfahrungen" verweist.
Zu Unrecht leitet die Vorinstanz einen ,,besonderen und eindeutigen" Bezug der Reise zu der beruflichen Tätigkeit der Klägerin aus dem Umstand ab, daß sie vor der Reise an einem ganzjährigen Kurs zur Fortbildung von Lehrkräften für das Unterrichten von türkischen Kindern teilgenommen hat. In seinem Urteil in BFH/ NV 1990, 558, das eine für Lehrer veranstaltete Informations- und Studienreise in die (ehemalige) DDR mit dem Thema ,,Die deutsche Frage im Unterricht" betraf, hat der Senat der Teilnahme an einem dreitägigen vorbereitenden Seminar keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Ebensowenig hat er als sachentscheidend gewertet, daß den Reiseteilnehmern für den Besuch des Seminars - wie auch im Streitfall der Klägerin - Dienstbefreiung und Dienstunfallschutz gewährt worden war. Das FG verkennt, daß trotz der genannten Besonderheiten das Interesse der Klägerin nicht über den Bereich der allgemein beruflichen Bildung hinausging, der - wie bereits dargelegt - eine fast ausschließlich berufliche Veranlassung nicht begründen kann (zum Bereich der Geographie vgl. BFH-Urteile vom 23. Oktober 1981 VI R 71/78, BFHE 134, 325, BStBl II 1982, 69; vom 26. April 1989 VI R 62/86, BFH/NV 1990, 28, und vom 27. März 1991 VI R 51/88, BFHE 164, 75, BStBl II 1991, 575).
Der Senat läßt nicht unberücksichtigt, daß die Klägerin im Frühjahr des Streitjahres bereits eine Reise durch die Türkei unternommen hatte, und daß sie sich deswegen um so mehr aus beruflichen Gründen zu einem nochmaligen Besuch der Türkei veranlaßt gesehen haben könnte. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, den - gleichwohl vorhandenen - persönlichen Erlebniswert der zweiten Reise gänzlich zu vernachlässigen. Wie der Große Senat des BFH in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 12 (unter C. I.) anknüpfend an seine Entscheidung vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17) ausgeführt hat, soll durch das Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG verhindert werden, daß Steuerpflichtige durch eine mehr oder weniger zufällige Verbindung zwischen beruflichen und privaten Interessen Lebensführungskosten bei ihren steuerpflichtigen Einkünften abziehen können, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen aus versteuertem Einkommen decken müssen. Dies gilt auch für die Klägerin, insbesondere gegenüber den Reiseteilnehmern, die ihr berufliches Interesse nicht damit begründen können, das Land auf einer früheren Reise bereits - privat - kennengelernt zu haben.
Fundstellen
Haufe-Index 64088 |
BFH/NV 1992, 730 |