Leitsatz (amtlich)
Wird ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden errichtet und gleichzeitig für eigene gewerbliche Zwecke gepachtet, wobei der Grundstückseigentümer das Grundstück überläßt, ohne einen Pachtzins zu fordern, so liegt ein steuerbarer und steuerpflichtiger Umsatz vor.
Normenkette
UStG 1951 § 3 Abs. 1-2, § 4 Nrn. 9-10; UStDB 1951 § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 1 S. 2; GrEStSWG ND 1966 § 1 Nr. 5; BGB § 94 Abs. 2, § 581 Abs. 1 S. 2, § 946
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), eine aus zwei Apothekern gebildete Apothekergemeinschaft, errichtete im Jahre 1950 auf einem in fremdem Eigentum befindlichen Ruinengrundstück einen aus Kellerräumen, Erdgeschoß und einem Obergeschoß bestehenden Neubau, in dem sie eine Apotheke betreibt und in dem die beiden Apotheker wohnen. Die Verpflichtung zum Bau des Hauses war in einer als „Mietvertrag” bezeichneten schriftlichen Vereinbarung festgelegt, durch die die Grundstückseigentümerin ihr Grundstück auf die Dauer von 16 Jahren an die Steuerpflichtige verpachtete. An dem Grundstück wurden zwecks Sicherung der erforderlichen Baugelder drei Hypotheken von 30 000 DM, 25 000 DM und 25 000 DM bestellt. Nach Ablauf der Pachtzeit sollte nur die erstgenannte Hypothek bestehen bleiben, von der die Steuerpflichtige bis dahin jährlich 1 v. H. zu tilgen hatte. Die Steuerpflichtige mußte während der Pachtzeit die das Grundstück betreffenden Steuern, Lasten und Abgaben zahlen. Bauliche Veränderungen durfte sie ohne Zustimmung der Grundstückseigentümerin nicht vornehmen. Bei Ablauf der Pachtzeit war sie zur Vorpacht berechtigt. Laufende Pachtzahlungen der Steuerpflichtigen an die Grundstückseigentümerin waren im Vertrag nicht vorgesehen.
Das FA erblickte in der Errichtung des Gebäudes eine Leistung der Steuerpflichtigen an die Grundstückseigentümerin und in dem Verzicht auf den laufenden Pachtzins die Gegenleistung der Grundstückseigentümerin an die Steuerpflichtige. Dementsprechend zog es die Steuerpflichtige mit dem von der Preisbehörde festgestellten Jahresmietwert des Gebäudes zur Umsatzsteuer heran.
Einspruch und Berufung (Klage) blieben erfolglos.
Das FG sah einen steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz der Steuerpflichtigen an die Grundstückseigentümerin als gegeben an. Mit der Errichtung des Gebäudes habe die Eigentümerin des Grundstücks gemäß § 946 in Verbindung mit § 94 Abs. 1 BGB das Eigentum an dem darauf erstellten Bauwerk erworben und damit auch die Verfügungsmacht an diesem erlangt. In Übereinstimmung mit dem FA erblickte das FG die Gegenleistung der Grundstückseigentümerin in ihrem Verzicht auf Pachtzahlungen für die Dauer der Verpachtung.
Mit der Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (vgl. §§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO), rügt die Steuerpflichtige Nichtanwendung bzw. unrichtige Anwendung von Bundesrecht. Die Errichtung des Gebäudes könne nicht – wie das FG angenommen habe – als Lieferung, sondern allenfalls als sonstige Leistung beurteilt werden. Außerdem sei die Grundstückseigentümerin durch den „Mietvertrag” daran gehindert gewesen, über das Gebäude zu verfügen. Ein Leistungsaustausch habe nicht stattgefunden. Es fehle an einer Gegenleistung der Grundstückseigentümerin. Auf den Streitfall sei das Urteil des Senats V 188/61 U vom 20. März 1964 (BFH 79, 169, BStBl III 1964, 292) anzuwenden. Das Haus sei auch nicht – wie § 1 UStG 1961 vorschreibe – im Rahmen ihres (der Steuerpflichtigen) Unternehmens, d. h. im Rahmen der von ihr geführten Apotheke, errichtet und der Grundstückseigentümerin übertragen worden. Aus dem Vorgang habe nicht sie, sondern die Grundstückseigentümerin einen wirtschaftlichen Nutzen gezogen; infolgedessen hätte nicht sie, sondern die Grundstückseigentümerin bezüglich des Pachtzinsverzichts zur Umsatzsteuer herangezogen werden müssen. Auch habe es das FG verabsäumt, die Anwendung der Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 10 UStG 1951 zu prüfen. Schließlich komme auch die Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 9 UStG 1951 in Betracht.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Das FG hat zutreffend einen Leistungsaustausch angenommen.
Die Steuerpflichtige hat dadurch, daß sie auf dem ihr nicht gehörenden Grundstück ein Gebäude errichtete und es der Grundstückseigentümerin übergab, eine Lieferung, und zwar eine Werklieferung bewirkt. Eine Lieferung liegt vor, wenn der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (§ 3 Abs. 1 UStG 1951 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 UStDB 1951). Die Werklieferung ist, wenn es sich bei den vom Unternehmer verwendeten, selbst beschafften Stoffen – wie im Streitfalle – nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt, als Lieferung anzusehen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 UStG 1951), und zwar auch dann, wenn die Gegenstände mit dem Grund und Boden fest verbunden werden (§ 3 Abs. 2 Satz 2 UStG 1951). Die Ansicht der Steuerpflichtigen, die Errichtung und Übergabe des Gebäudes könne nicht als Lieferung, sondern allenfalls als sonstige Leistung beurteilt werden, trifft mithin nicht zu.
Durch die Errichtung des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden ist das Eigentum an dem Gebäude gemäß § 946 in Verbindung mit § 94 Abs. 2 BGB auf die Grundstückseigentümerin übergegangen. Der Eigentümer behält den mittelbaren Besitz (Oberbesitz), wenn er sein Grundstück verpachtet, und erwirbt ihn insoweit, als infolge fester Verbindung mit seinem verpachteten Grundstück eingebaute Gegenstände in sein Eigentum übergehen und in das Pachtverhältnis einbezogen werden. Der mittelbare Besitzer bleibt stets Sachherr. Die Beziehung zur Sache erscheint trotz des dazwischengetretenen unmittelbaren Besitzes (Unterbesitzes) immer noch als gegenwärtige tatsächliche Herrschaft, nicht als Anwartschaft auf künftige Herrschaft (vgl. Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Bearbeitung, S. 31 und 35; Urteil des BFH V 41/57 U vom 10. September 1959, BFH 69, 533, BStBl III 1959, 458). Die Ansicht der Steuerpflichtigen, die Grundstückseigentümerin sei durch den Pachtvertrag an der freien Verfügung über das Grundstück nebst Gebäude gehindert, ist daher rechtsirrig. Die Grundstückseigentümerin hat die Verfügungsmacht über das Grundstück durch dessen Verpachtung nicht verloren. Sie konnte es z. B. an einen Dritten veräußern und dadurch die ihr zustehende Verfügungsmacht an diesen übertragen. Eine solche Möglichkeit hatte die Steuerpflichtige als Pächterin nicht. Der Pächter hat gemäß § 581 Abs. 1 Satz 1 BGB lediglich das Recht des Gebrauchs und der Nutzung (vgl. Urteil des BFH V 30/62 vom 25. März 1965, HFR 1965, 391).
Die Gegenleistung der Grundstückseigentümerin besteht darin, daß sie im Pachtvertrag für die Dauer der Pachtzeit das Grundstück, ohne einen baren Pachtzins zu fordern, zur Nutzung überlassen hat. Der Pachtvertrag gehört zu den gegenseitigen Verträgen, bei denen jeder Vertragspartner zugleich Gläubiger und Schuldner ist. Leistung und Gegenleistung sind auszutauschen. Jede der beiden Leistungen wird bewirkt, um dafür die andere zu erhalten.
Unter den im Streitfalle gegebenen Verhältnissen würde es dem wirtschaftlichen Gehalt der Vorgänge nicht gerecht, wollte man Gebäudeerrichtung und Grundstücksüberlassung jeweils für sich als unentgeltliche Zuwendungen beurteilen und ihre enge wirtschaftliche Verknüpfung leugnen. Es wäre – wie das FG zutreffend ausführt – lebensfremd anzunehmen, die Steuerpflichtige habe der Grundstückseigentümerin unentgeltlich ein Haus gebaut und diese der Steuerpflichtigen unentgeltlich die Nutzung der Apotheken- und Wohnräume überlassen. Die Steuerpflichtige hat vielmehr das Haus (im wesentlichen) auf eigene Kosten errichtet, um damit das Recht zu erwerben, die darin befindlichen Geschäfts- und Wohnräume pachtweise zu nutzen; andererseits hat die Grundstückseigentümerin der Steuerpflichtigen das bebaute Grundstück, ohne einen baren Pachtzins zu verlangen, pachtweise überlassen, weil diese ihr das Haus gebaut hat. Beide Seiten haben also Leistungen erbracht, die zueinander im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehen und damit einen steuerbaren Leistungsaustausch darstellen. Im wirtschaftlichen Ergebnis hat die Steuerpflichtige in Form der Gebäudeerrichtung für die gesamte Pachtdauer eine Pachtvorauszahlung geleistet (tauschähnlicher Umsatz), die steuerpflichtig ist, weil sie nicht in einer Geldzahlung besteht.
Der Fall des Urteils des BFH V 188/61 U vom 20. März 1964 (a. a. O.), auf das die Steuerpflichtige zur Stützung ihrer Auffassung hinweist, lag anders. Dort hat der Senat entschieden, daß in dem Verzicht des Vermieters auf eine Mietzinserhöhung anläßlich eines Ladenum- und – ausbaus durch den Mieter eine Gegenleistung des Vermieters in der Regel dann nicht gesehen werden kann, wenn der Mieter die Baukosten allein zu tragen hat. Es ist etwas anderes, ob der Vermieter eine vereinbarte Miete trotz Wertsteigerung des Hauses durch Um- und Ausbauten des Mieters nicht erhöht oder ob er gerade wegen der Errichtung eines Gebäudes das Grundstück an den Pächter zur Nutzung überläßt, ohne einen baren Pachtzins zu fordern. Im Streitfalle hatte die Steuerpflichtige – anders als im Vergleichsfalle – die Baukosten auch nicht allein zu tragen; denn die an dem Grundstück zur Finanzierung des Baus bestellte Hypothek von 30 000 DM sollte (abgesehen von der Tilgung in Höhe von jährlich 1 v. H.) nach Beendigung des Pachtverhältnisses bestehen bleiben, worin sich das eigene Interesse der Grundstückseigentümerin an der Errichtung des Hauses zeigt. Im Fall des Urteils V 188/61 U vom 20. März 1964 (a. a. O.) war eine Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung nicht feststellbar, während sie im Streitfalle – wie oben aufgezeigt – klar zutage tritt. Es darf auch nicht übersehen werden, daß in dem Leitsatz des Vergleichsurteils die Worte „in der Regel” enthalten sind. Werden aber schon für den entschiedenen Sachverhalt Ausnahmen nicht ausgeschlossen, so geht es nicht an, die im Leitsatz wiedergegebene Rechtsauffassung auf Fälle auszudehnen, die in wesentlichen Punkten anders liegen.
Die Steuerpflichtige hat im Streitfalle das Haus auf dem fremden Grundstück nicht unentgeltlich errichtet, sondern gegen Überlassung des Grundstücks einschließlich Gebäude zum Gebrauch und zur Nutzung ohne Zahlung eines baren Pachtzinses. Unentgeltlich wäre der Hausbau seitens der Steuerpflichtigen nur dann, wenn sie während der Pachtzeit einen dem Pacht(Miet)wert entsprechenden Pachtzins hätte zahlen müssen. Die Rechtslage wird noch deutlicher, wenn man zum Vergleich den Fall betrachtet, daß ein Bauunternehmer für einen Grundstücksbesitzer ein Geschäftshaus baut und es nachträglich für eigene gewerbliche Zwecke mit der Abrede mietet, daß der Baupreis mit dem Mietzins verrechnet werden soll. Das Entgelt, der Baupreis, wird hier durch Aufrechnung mit dem Mietzins geleistet. Die Rechtslage kann im Ergebnis nicht anders sein, wenn die Vermietung (Verpachtung) schon vor dem Baubeginn vereinbart wird und die gegenseitigen Rechte und Pflichten in einem Vertrage zusammengefaßt werden und wenn das Haus statt von einem Bauunternehmer von einer Apothekergemeinschaft errichtet wird.
Die Steuerpflichtige irrt auch insoweit, als sie meint, das Haus sei nicht im Rahmen ihres Unternehmens errichtet worden. Zu den Geschäftsvorgängen, die von der Umsatzsteuer erfaßt werden, gehören nicht nur die sogenannten Grundgeschäfte, die den eigentlichen Gegenstand des Unternehmens bilden (hier der Apothekenbetrieb), sondern auch die sogenannten Hilfsgeschäfte. Da die Steuerpflichtige das Gebäude errichtet hat, um darin die Apotheke zu betreiben, und der Mietwert des gewerblich genutzten Teils den des Wohnteils erheblich übersteigt, ist die Bautätigkeit der Steuerpflichtigen als Hilfsgeschäft anzusehen.
Die Annahme der Steuerpflichtigen, aus dem streitigen Vorgang habe nicht sie, sondern die Grundstückseigentümerin einen wirtschaftlichen Nutzen gezogen, wurde bereits oben widerlegt. Im übrigen übersieht die Steuerpflichtige, daß bei tauschähnlichen Geschäften jeder Partner einen Umsatz tätigt. Der Umsatz der Grundstückseigentümerin ist nur deshalb nicht zur Umsatzsteuer heranzuziehen, weil die Nichtforderung eines baren Pachtzinses keinen steuerbaren Umsatz darstellt. Die Anwendung des § 4 Nr. 10 UStG 1951 brauchte das FG entgegen der Ansicht der Steuerpflichtigen nicht zu prüfen, weil diese Vorschrift nur die Leistungen des Verpächters, nicht die des Pächters von der Umsatzsteuer freistellt.
Das FG hat zu Recht auch die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 9 UStG 1951 auf den vorliegenden Sachverhalt nicht angewendet. Zwar unterliegen der Grunderwerbsteuer auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten (§ 1 Abs. 2 GrEStG). Voraussetzung ist aber – wie in der Vorentscheidung zutreffend ausgeführt wird –, daß der Erbauer des Gebäudes die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Gebäude zunächst selbst erlangt hat. Dies trifft im Streitfalle – wie oben dargelegt – nicht zu. Der „Mietvertrag”, der u. a. Bestandteile eines Finanzierungsvertrages enthält, bezieht sich nicht nur auf den nackten Grund und Boden, sondern erstreckt sich auch auf das Gebäude (ebenso Urteil des Niedersächsischen FG I 62/58 vom 28. November 1958 in Sachen der Steuerpflichtigen wegen Einheitsbewertung auf den 1. Januar 1951). Die Steuerpflichtige hatte sich in dem Vertrage zum Wiederaufbau des Hauses (Kellerräume, Erdgeschoß, ein Obergeschoß) gemäß einem bereits vorliegenden Architektenentwurf verpflichtet, durfte bauliche Veränderungen ohne Zustimmung der Verpächterin nicht vornehmen und hatte das Grundstück ordnungsmäßig instand zu halten. In einem solchen Falle unterliegt der Vorgang nicht der Grunderwerbsteuer (vgl. Urteil des FG Düsseldorf III 70/52 vom 15. Juli 1953, Entscheidungen der Finanzgerichte 1953 S. 13, bestätigt durch das amtlich nicht veröffentlichte Urteil des BFH II 185/53 vom 5. Mai 1954).
Fundstellen
BStBl II 1970, 71 |
BFHE 1970, 196 |