Leitsatz (amtlich)

Zu den Erfordernissen der Gleichartigkeit und der Aufmachung einer Ware für den Einzelverkauf zu medizinischen Zwecken i. S. der Tarifnr. 30.04 GZT.

 

Normenkette

GZT Tarifnr. 30.04

 

Tatbestand

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten (Oberfinanzdirektion – OFD –) eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) für eine aus den USA einzuführende, als Attends bezeichnete Ware, die bei der Einfuhr zu 96 Stück oder 48 Stück in Kartons verpackt ist. Die Kartons sind mit Hinweisen auf die Anwendung der Ware – bei Blasenschwäche, Harn- und Stuhlinkontinenz – versehen.

Zur Beschaffenheit der Ware machte die Klägerin folgende Angaben: Es handle sich um Slips für inkontinente Patienten, die also ihre Blasen- und Darmfunktion nur noch unzureichend kontrollieren können. Die Ware bestehe aus einer Sauglage aus Zellstoff, die im mittleren Bereich durch eine Lage Zellstoff geringerer Dichte verstärkt sei. Ober- und Unterseite seien mit einer Abdeckung aus Tissue-Papier versehen. Auf der Innenseite befinde sich eine poröse, wabenartig-gemusterte Polyäthylen-Folie, auf der Außenseite eine platte und geschlossene Polyäthylen-Folie. Außerdem seien die Slips mit Selbstklebebändern und elastischen Gummibändern versehen. Jedem Karton sei schon bei der Einfuhr eine einfache Gebrauchsanweisung beigefügt. Später erfolge eine Ergänzung durch eine ausführliche fachliche Anleitung. Jeder Karton sei mit Hinweisen auf den Verwendungszweck versehen.

Die OFD wies die Ware in der angefochtenen vZTA der Tarifst. 48.21 F II des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu mit der Begründung, derartige zum Auffangen ungewollter Körperausscheidungen sowie zur Vermeidung von Hauterkrankungen und Geruchsbelästigungen bestimmte Waren gehörten als andere Waren aus Papierhalbstoff und Papier für hygienische Zwecke, in Aufmachungen für den Einzelverkauf, zu der genannten Tarifstelle, weil die Saugeinlage aus Papierhalbstoff und Papier im Hinblick auf ihre Bedeutung in bezug auf die Verwendung der Waren sowie nach Umfang und Gewicht deren Charakter bestimme. Eine Zuweisung der Ware zur Tarifnr. 30.04 GZT scheide aus, weil sie nicht eine Ware aus Zellstoff zu medizinischen, sondern zu hygienischen Zwecken sei.

Zur Begründung der Sprungklage, der die OFD zugestimmt hat, führt die Klägerin im wesentlichen folgendes aus:

Nach ihrer Auffassung falle die Ware als „Watte, Gaze, Binden und dergleichen…, für den Einzelverkauf zu medizinischen… Zwecken aufgemacht” unter die Tarifnr. 30.04 GZT. Ihre Tarifauffassung stütze sich u. a. auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 6. Oktober 1982 Rs. 37/82 (EuGHE 1982, 3481). Die Ware sei zur Verwendung in der Krankenbehandlung entwickelt worden und werde bei Patienten mit Stuhl- und Urininkontinenz zum Schutz der Haut vor Agressionen durch Sekrete, Urin, Stuhl oder andere Körperausscheidungen sowie zur Heilung verletzter Haut und zur Verhinderung von Hautentzündungen und weiteren Folgeerscheinungen infolge der Inkontinenz eingesetzt. Die Ware werde von Ärzten und Krankenkassen als medizinisches Hilfsmittel anerkannt. Sie sei ein erklärungsbedürftiges Produkt und werde in der Regel von ausgebildeten Krankenpflegern nach einer besonderen Anwendungsanleitung eingesetzt.

Die Klägerin beantragt, die vZTA aufzuheben.

Die OFD beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie folgendes aus: Um die Ware der Tarifnr. 30.04 GZT zuweisen zu können, müsse sie durch ihre Aufmachung erkennbar zu medizinischen Zwecken bestimmt sein. Die Angaben auf dem Karton, auf dem Kartonaufkleber und in der Gebrauchsinformation ließen eine medizinische Zweckbestimmung nicht erkennen. Auch der Hinweis auf dem Karton, daß die Ware bei Blasenschwäche, Harn- und Stuhlinkontinenz anzuwenden sei, lasse für den Verbraucher lediglich erkennen, daß es sich um Hygieneartikel zur Körperpflege inkontinenter Personen handele. Die Aufmachung zu medizinischen Zwecken lasse sich auch nicht mit der stofflichen Beschaffenheit der Ware und der vom Hersteller zugedachten Verwendung begründen. Die Beschaffenheit verleihe der Ware zwar ein großes Absorptionsvermögen. Der Verordnung (EWG) Nr. 1484/70 der Kommission vom 24. Juli 1970 über die Einreihung von Waren in die Tarifnr. 48.21 GZT (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – L 163/19 vom 25. Juli 1970) sei aber zu entnehmen, daß darin ein Merkmal für hygienische Waren zu erblicken sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der erteilten vZTA, weil die streitbefangene Ware der Tarifnr. 30.04 GZT und nicht der Tarifst. 48.21 F II GZT zuzuweisen ist.

Die tarifliche Einordnung in die Tarifnr. 30.04 GZT ist davon abhängig, daß die streitbefangene Ware eine Gleichartigkeit mit Watte, Gaze und Binden aufweist und, da sie nicht mit medikamentösen Stoffen getränkt oder überzogen ist, daß sie für den Einzelverkauf zu medizinischen Zwecken aufgemacht ist. Diese Voraussetzungen erfüllt die streitbefangene Ware.

Der Senat folgt der Auffassung der OFD, daß die Saugeinlage der charakterbestimmende Bestandteil der streitbefangenen Ware ist mit der Folge, daß die Saugeinlage nach der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift (ATV) 3b GZT für die Tarifierung der streitbefangenen Ware maßgebend ist.

Das Erfordernis der Gleichartigkeit für eine Zuweisung zur Tarifnr. 30.04 GZT ist, wie der EuGH in dem Urteil in EuGHE 1982, 3481, 3486 entschieden hat, auf der Grundlage der Funktion einer Ware zu beurteilen. Die Zielrichtung der Funktion muß danach etwa die Erleichterung oder Beschleunigung der Heilung einer Wunde oder der Schutz vor Infektionen sein. Wie der Generalanwalt in den Schlußanträgen vom 15. Juli 1982 zur Rechtssache 37/82 (EuGHE 1982, 3488, 3489) dargelegt hat, ist das Erfordernis der Gleichartigkeit weit auszulegen. Diese Auffassung liegt erkennbar auch der genannten Entscheidung des EuGH zugrunde. Das kommt darin zum Ausdruck, daß der EuGH ohne nähere Begründung die Sicherstellung größtmöglicher Keimfreiheit und die Heilung des Patienten durch Minderung der Infektionsgefahr schlechthin in den Bereich der Funktionen einbezogen hat, die die Gleichartigkeit einer Ware mit Watte, Gaze und Binden kennzeichnet, obwohl er zuvor unter Berufung auf Erklärungen der Kommission das Bedecken und Schützen einer Wunde zur Erleichterung und Beschleunigung ihrer Heilung als Funktionsbereich aufgezeigt hatte. Der EuGH hat dadurch zu erkennen gegeben, daß die Gleichartigkeit stets anzunehmen ist, wenn eine Ware ähnlich wie Watte, Gaze und Binden geeignet ist, durch ihre Funktion zur Heilung eines Patienten oder zu dessen Schutz vor Weiterungen einer Krankheit beizutragen. Zu diesem Funktionsbereich gehören auch die Wirkungen, die mit der streitbefangenen Ware erzielt werden können. Es erscheint nicht zweifelhaft, daß die Ware, wie die Klägerin darlegt, geeignet ist, den Patienten vor Infektionen infolge der Körperausscheidungen zu schützen. Auch die OFD bestreitet das nicht.

Sie wendet sich vielmehr dagegen, daß das Erfordernis der Aufmachung für den Einzelverkaufzu medizinischen Zwecken erfüllt sei. Nach den Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens (ErlNRZZ) in Teil I der Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT) zur Tarifnr. 30.04 GZT Rz. 3, die nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats bei der Auslegung des Zolltarifs als wesentliches Erkenntnismittel berücksichtigt werden dürfen, ist dieses Erfordernis davon abhängig, daß die Ware nach ihrer Aufmachung erkennbar für den unmittelbaren Verkauf – d. h. ohne weitere Umpackung – an die Verbraucher zu medizinischen Zwecken bestimmt ist. Dabei bestreitet auch die OFD nicht, daß die Aufmachung die Bestimmung zum Verkauf an Verbraucher ohne weiteres Umpacken erkennen läßt. Die OFD ist aber der Auffassung, daß die Bestimmung des Verkaufszu medizinischen Zwecken nicht erkennbar sei. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.

Die Verpackung ist unstreitig mit einem Hinweis auf die Anwendungsgebiete der streitbefangenen Ware versehen, wobei als Anwendungsgebiete Blasenschwäche, Harn- und Stuhlinkontinenz genannt sind. Der Senat ist der Auffassung, daß schon dieser Hinweis ausreicht, um daraus die Bestimmung des Verkaufs zu medizinischen Zwecken entnehmen zu können. Der Hinweis läßt erkennen, daß die Ware zur Behandlung einer Krankheit, der Inkontinenz, bestimmt ist und Schutz vor den gesundheitsschädlichen Folgen dieser Krankheit gewähren soll. Es kann nach Auffassung des Senats für den verständigen Erklärungsempfänger, an den der Hinweis gerichtet ist, nicht zweifelhaft sein, daß zu diesen Folgen etwa auch die Infektionen gehören, die durch die Körperausscheidungen verursacht werden können, und daß die streitbefangene Ware dazu beitragen soll, auch diese Folgen zu verhindern. Diese Schlußfolgerung aus dem Hinweis auf die Anwendungsgebiete der streitbefangenen Ware erscheint dem Senat bei verständiger Würdigung so naheliegend, daß der Hinweis keiner weiteren Ergänzung mehr bedurfte, um die Bestimmung zu dem aufgezeigten Zweck zu verdeutlichen.

Diese Würdigung des Hinweises auf die Anwendungsgebiete der streitbefangenen Ware rechtfertigt das Ergebnis, daß die medizinische Zweckbestimmung erkennbar ist. Der OFD mag einzuräumen sein, daß der Schutz vor gesundheitlichen Schäden infolge von Körperausscheidungen nicht ohne weiteres als medizinischer Zweck angesehen werden kann. So mag dem Hinweis auf die Bestimmung einer Ware zur Benutzung als Windelhosen für Säuglinge nicht eine medizinische Zweckbestimmung zu entnehmen sein. Der Hinweis auf die Bestimmung zur Benutzung bei Harn- und Stuhlinkontinenz ist damit aber nicht vergleichbar. Bei diesen Erscheinungen handelt es sich nach Auffassung des Senats um Beeinträchtigungen der Gesundheit und damit um Krankheiten, die Weiterungen etwa in Form von Infektionen nach sich ziehen können und deren Auswirkungen zur Vermeidung derartiger Weiterungen in möglichst engen Grenzen gehalten werden müssen. Auch das Ziel der Begrenzung einer Krankheit oder ihrer Auswirkungen ist als medizinischer und nicht als hygienischer Zweck im tariflichen Sinne anzusehen.

Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hält der erkennende Senat im Streitfall schon deshalb für entbehrlich, weil für die Entscheidung in erster Linie die Würdigung des Hinweises auf die Anwendungsgebiete der streitbefangenen Ware in tatsächlicher Hinsicht maßgebend ist. Soweit Rechtsfragen für die Entscheidung Bedeutung erlangen, ist die richtige Anwendung des GZT unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH derart offenkundig, daß für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510495

BFHE 1985, 337

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